Totgesagte leben länger – Das Comeback der FDP

Interview Christian Lindner, Jan-Wolf Schäfer, Berlin 07.03.2016

Der Autor glaubt, dass die FDP wieder ein treibender Motor der deutschen Außenpolitik werden könnte, insbesondere in Europafragen. Vorausgesetzt: sie kommt nach der Bundestagswahl in die Rolle eines Koalitionspartners. Mit einem neuen europapolitischen Programm haben sich die Liberalen schon mal fit gemacht.

Obwohl der Bundesparteitag der FDP Ende April in Berlin nur weniger als eine Stunde zur Außen- und Europapolitik diskutierte, steht fest: niemand wird mit so glühendem Herzen für proeuropäische Ideen in den Bundestagswahlkampf ziehen, wie die Liberalen. Für sie gehört die EU sozusagen zur DNA. Waren Freie Demokraten doch jahrzehntelang auf das Auswärtige Amt abonniert, in dem insbesondere Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher (beide 2016 gestorben) als historische Schlüsselfiguren die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands bewirkten.

Mit ihrem Bundestagswahlprogramm 2017 schickt sich die FDP nun an, wieder formend auf die Europapolitik einzuwirken. Schon der Titel „Schauen wir nicht länger zu“ macht klar: die Freien Demokraten wollen nach vier außerparlamentarischen Trockenjahren nicht nur Löschwasser gegen brennende EU-Krisenherde einsetzen, sondern zugleich Düngemittel für ein neues Gedeihen des europäischen Pflänzchens bereitstellen.

Nationalisten-Wildwuchs wegharken

„Europa bleibt unsere Zukunft“, heißt es im Programm, „doch kann niemand übersehen, dass einzelne Teile heute noch nicht perfekt sind.“ Und weiter: „Lasst uns Europa stärker machen, indem wir seine Schwächen beheben!“ Es ist das konstruktive Gegenprogramm zum unerwünschten Aufkeimen der extremen Rechten, die glaubt, man könne sich in der globalisierten Welt mit nationalistischer Kleinstaaterei behaupten.

Zu neuer Blüte will die FDP die schlappen EU-Stängel unter anderem mit institutionellen Reformen bringen. Im Mittelpunk steht dabei das zwar politisch außerordentlich rege, aber letztlich nur halbmächtige Europäische Parlament. Es kann ja nicht von sich aus Gesetze einbringen, sondern darf lediglich Richtlinien der Europäischen Kommission behandeln. „Es muss zu einem Vollparlament mit Initiativrecht aufgewertet werden,“ fordert die FDP und will zugleich den zeit- und geldverschwendenden Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg beenden: „Ein Sitz in Brüssel ist ausreichend.“

Während die EU-Volksvertretung also aufgefrischt werden soll, muss die Europäische Kommission nach FDP-Ansicht einige Blätter fallen lassen. Statt wie bisher 27 Kommissare (für jedes Mitgliedsland einen), könne die EU-Exekutive künftig „auf 16 Kommissare verkleinert“ werden. Ein sicherlich sinnvoller Vorschlag, denn manches Brüsseler Ressort ist eher ein Orchideenamt, gezüchtet in dem Bestreben, für jede Nation einen EU-Kabinettsposten zu schaffen. Die FDP will den ins Kraut schießenden EU-Wildwuchs folgerichtig kappen und für die Kommission nur noch „klare und einfach zurechenbare Ressorts“ wachsen lassen.

Knotigste Knolle: Europäische Armee

Ferner solle sich die Kommission „nur um die Dinge kümmern, die besser auf europäischer Ebene geregelt werden und den Rest den nationalen Ebenen überlassen“, formulieren die Freien Demokraten. Als Fernziel wünscht sich die FDP einen dezentralen, föderalen Bundestaat mit klaren Kompetenzen „nur dort, wo dies zu einem Mehrwert für alle führt,“ formuliert der baden-württembergische FDP-Europapolitiker Michael Theurer (50). Konkret: gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, gemeinsamer Grenzschutz, gemeinsames Einwanderungs- und Asylsystem, gemeinsame Energiepolitik und eine gemeinsame Stimme bei Handelsfragen.

In der Verteidigungspolitik pflanzt die FDP die vielleicht knotigste Knolle, nämlich den Gedanken einer Europäische Armee. Das Denken daran ist jahrzehntelang von Großbritannien blockiert worden. Nun, nach dem Brexit, und nach dem NATO-kritischen Sprühgift aus Washington ist wieder Bewegung in diese Idee gekommen, vor allem in Frankreich (unter Präsident Hollande) und Deutschland, aber auch in Italien und Spanien sowie in mehreren osteuropäischen Staaten.

Die FDP glaubt nicht, dass so eine hochkomplexe Aufgabe wie die Schaffung einer EU-Armee auf Kommando erledigt werden könnte. Daher schlägt sie eine „schrittweise“ engere Verzahnung vor. Nur nach und nach sollten der Ausbau gemeinsamer Militärfähigkeiten erreicht und eine gemeinsame militärische Ausrüstung angeschafft werden, was letztlich kostensparend wirken könne. Übrigens nicht gegen die NATO, sondern es müsse „parallel die Interoperabilität mit Kräften und Instrumenten der NATO weiter verstärkt werden“.

Abweichler einzäunen

Mitmachen sollen bei der EU-Armee nur die „integrationswilligen“ Mitgliedsländer, legt sich die FDP fest – also mehr gemeinsame Sicherheit durch mehr Freiwilligkeit. Damit befördern die Liberalen generell den Gedanken eines „Europas der zwei Geschwindigkeiten“ oder – wie es im Programm heißt – der Möglichkeit einer „verstärkten Zusammenarbeit“ zwischen Einzelnen. Das zielt insbesondere gegen den schwerfälligen Rat der Europäischen Union, also auf die – derzeit in der EU tonangebende – Versammlung der 27 Regierungschefs. Die Regel, dort nur einstimmige Beschlüsse herbeizuführen, ist längst kein Mittel des guten Kompromisses mehr, sondern zu einem Instrument zur Durchsetzung egoistischer Nationalziele verkommen.

Bei den vereinbarten Aufnahmequoten für Flüchtlinge ist die Verkommenheit des Europäischen Rates überdeutlich geworden. Bestimmte Politiker inszenieren in der Heimat immer mal wieder ein wohlfeiles Schaulaufen gegen Brüssel, obwohl sie am EU-Konferenztisch eben noch in Harmonie gemacht haben. So wartet die Umsetzung der beschlossenen EU-Flüchtlingspolitik unter anderem wegen gezielter Blockade aus dem rechtsnational regierten Ungarn bis heute auf die Umsetzung. Um solche Verwerfungen zu stoppen möchte die FDP aus dem Europäischen Rat eine „moderne zweite Kammer“ formen, wo jede Regierung ihre Position in Transparenz (und öffentlich!) vortragen könne.

Politiker als gesamteuropäische Gärtner

Eigentliches Machtzentrum in der EU würde nach FDP-Lesart das Europäische Parlament. Es müsse die vollen Rechte einer Volksvertretung bekommen, unterstreicht das Bundestagswahlprogramm. Außerdem soll es in den 27 Mitgliedsländern nach einem einheitlichen Wahlrecht entstehen – mit staatenübergreifenden Listen und Spitzenkandidaten. Das hieße, die FDP würde unter dem Namen ihrer europäischen Dachpartei ALDE antreten, die CDU als Europäische Volkspartei EVP, die Sozialdemokraten als SPE usw. Und auf dem Stimmzettel stünden nicht nur deutsche Kandidaten, sondern auch Politiker aus Spanien, der Slowakei oder aus Schweden. Die Hoffnung ist, damit nationales Denken der EU-Parlamentarier auszurotten und sie dazu zu bewegen, sich als gesamteuropäische Gärtner zwischen Nordkap und Neapel zu verstehen.

Genug Beete am europäischen Haus gäbe es also, auf denen eine erstarkte FDP mit dem Spaten graben könnte. Sie wird dafür auch bei Grundstücksnachbarn werben müssen, etwa bei liberalen EU-Schwesterparteien. Da sind etliche noch nicht ganz so europapolitisch konsequent aufgestellt.

Und wer müsste das FDP-Programm letztlich in die EU-Hauptstädte tragen, hätte die FDP wieder Zugriff auf das Amt des deutschen Außen- und damit Europaministers? Viele tippen auf Alexander Graf Lambsdorff. Der 50jährige Berufsdiplomat ist Vizepräsident des Europäischen Parlaments und kennt den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz (61, SPD) aus nächster Nähe, da dieser bis kürzlich sein „Chef“ gewesen ist. Aber mit Angela Merkel (62, CDU) würde es der profilierte Europa-Liberale auch aufnehmen können. Doch zunächst gilt: die FDP muss vom Wähler überhaupt erst wieder den Auftrag zum Gärtnern bekommen. Warten wir’s also ab, ob der Herbst für die Freien Demokraten zum Frühling wird.

Wolf Achim Wiegand ist Journalist und Auftrittsberater in Hamburg. Er ist in der FDP aktiv, unter anderem im Bundesfachausschuss für Internationale Politik. Außerdem ist er gewählter Country Coordinator der deutschen Einzelmitglieder bei der paneuropäischen liberalen Dachpartei ALDE. Veröffentlichte Meinungen sind seine persönlichen.

 

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