Bundeskanzler Friedrich Merz: „Israel die katastrophale humanitäre Situation in Gaza sofort umfassend und nachhaltig verbessern“

stacheldraht jerusalem heiliges land tempel israel, Quelle: rquevenco, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Bundeskanzler Friedrich Merz hat das Sicherheitskabinett zusammengerufen. Im Mittelpunkt der Gespräche stand die humanitäre Lage im Gaza-Gebiet und dem Westjordanland. „Die Beratungen waren von sehr großer Ernsthaftigkeit, aber auch von großer Einigkeit der Bundesregierung in ihrer Haltung zu diesem Konflikt bestimmt“, sagte Kanzler Merz in seinem Pressestatement nach den Beratungen.

Das Sicherheitskabinett ist ein informelles Gremium der Bundesregierung unter der Leitung von Bundeskanzler  Merz. Er ruft es im Bedarfsfall zusammen, um aktuelle innen- oder außenpolitische Themen zu erörtern. Mitglieder des Gremiums sind: der Bundes- und Vizekanzler, die Bundesminister des Auswärtigen, der Verteidigung, des Innern sowie der Kanzleramtschef. Bei Bedarf können auch Vertreterinnen und Vertreter weiterer Ministerien hinzugezogen werden.

Laut Bundeskanzler Friedrich Merz betrifft das für die Bundesregierung drei Punkte:

  • Erstens müsse Israel die katastrophale humanitäre Situation in Gaza sofort umfassend und nachhaltig verbessern. „Die gestern eingeleiteten Maßnahmen Israels sind dazu ein wichtiger erster Schritt“, betonte der Kanzler. Ihm müssten rasch weitere Schritte folgen. Zeitgleich dürften keine weiteren Vertreibungen aus dem Gazastreifen hinaus stattfinden.
  • „Zweitens: Es braucht jetzt einen umfassenden und nicht nur einen kurzfristigen Waffenstillstand in Gaza und dazu muss die Hamas den Weg endlich frei machen.“ Zudem müssten die Geiseln, darunter auch immer noch deutsche Staatsangehörige, endlich frei kommen.
  • Drittens dürfe es keine weiteren Schritte hin zu einer Annexion des Westjordanlandes geben, so Merz. Eine Anerkennung möglicher palästinensischer Eigenständigkeit betrachte die Bundesregierung „nicht als einen ersten, sondern als einen der möglicherweise abschließenden Schritte hin zur Verwirklichung einer Zweistaatenlösung”.

Weitere Maßnahmen der Bundesregierung

In Zusammenarbeit mit Jordanien führe die Bundesregierung umgehend eine Luftbrücke mit humanitären Hilfsgütern über Gaza ein. Dies erfolge in enger Abstimmung mit Frankreich und Großbritannien.

Mit beiden Ländern wolle sich die Bundesregierung auch über die konzeptionelle Entwicklung in der Region weiter austauschen, „insbesondere über die zukünftige Verwaltung und den Wiederaufbau Gazas nach Inkrafttreten eines Waffenstillstandes“, so Merz. In Abstimmung mit den E3 werde die Bundesregierung Vorkehrungen für eine Wiederaufbau-Konferenz in Gaza treffen.

Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:

Bundeskanzler Friedrich Merz:

Meine Damen und Herren, herzlich willkommen! Ich würde Sie gerne kurz darüber informieren, was wir heute Nachmittag in einer sehr ausführlichen Beratung im sogenannten Sicherheitskabinett besprochen haben. Zur Erläuterung: Das ist nicht der Bundessicherheitsrat, sondern es ist ein informelles Gremium. Das Sicherheitskabinett wird von mir zusammengerufen, wenn besondere sicherheitspolitische Fragen der Außenpolitik, der Verteidigungspolitik, der Innenpolitik zu besprechen sind, und angesichts der Lage in Israel habe ich es am Freitag für richtig gehalten und entschieden, das Sicherheitskabinett zu einer Sitzung am heutigen Montag zusammenzurufen.

Wir haben uns mit der humanitären Lage im Gazagebiet und auch auf der sogenannten Westbank unterhalten. Wir haben eine gemeinsame Bewertung der Lage vorzunehmen versucht und auch über die nächsten Schritte beraten. Die Beratungen waren von sehr großer Ernsthaftigkeit, aber auch von großer Einigkeit der Bundesregierung in ihrer Haltung zu diesem Konflikt bestimmt.

Das betrifft insbesondere folgende Punkte:

Erstens. Israel muss die katastrophale humanitäre Situation in Gaza sofort, umfassend und nachhaltig verbessern. Israel muss der leidenden Zivilbevölkerung schnell, sicher und ausreichend humanitäre und medizinische Hilfe zukommen lassen. Die gestern eingeleiteten Maßnahmen Israels sind dazu ein wichtiger erster Schritt. Ihm müssen rasch weitere in der Behandlung der Menschen dort folgen. Es dürfen aber auch keine weiteren Vertreibungen aus dem Gazastreifen heraus stattfinden.

Zweitens. Es braucht jetzt einen umfassenden und nicht nur einen kurzfristigen Waffenstillstand in Gaza, und dazu muss die Hamas den Weg endlich freimachen. Auch die israelische Regierung selbst muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um das zu erreichen. Die Geiseln, darunter immer noch deutsche Staatsangehörige, müssen endlich freikommen, und die Terroristen der Hamas müssen entwaffnet werden. Sie dürfen keine Rolle in der Zukunft Gazas haben.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Für die Bundesregierung steht außer Zweifel, dass es der grausame und unmenschliche Terror der Hamas am 7. Oktober 2023 war, der die Kämpfe in Gaza ausgelöst hat.

Drittens. Es darf auch keine weiteren Schritte hin zu einer Annexion des Westjordanlandes geben. Wir sollten nicht aus dem Auge verlieren, was dort gegenwärtig geschieht.

Wir waren uns heute auch einig bezüglich der Frage einer Anerkennung möglicher palästinensischer Eigenstaatlichkeit. Für die Bundesregierung steht dazu jetzt keine Entscheidung an. Eine Anerkennung betrachten wir nicht als einen ersten, sondern als einen der möglicherweise abschließenden Schritte hin zur Verwirklichung einer Zweistaatenlösung.

Wir werden die Situation und die Entwicklung in Gaza weiter eng verfolgen. Wir werden uns dabei auch in den nächsten Tagen weiter eng mit Frankreich und Großbritannien abstimmen, auch mit anderen europäischen Partnern sowie mit den USA und mit arabischen Staaten in der Region.

Wir haben im Sicherheitskabinett heute über einige weitere Maßnahmen zu einer Verbesserung der Lage insgesamt gesprochen, die durch die Bundesregierung ausgelöst werden sollen.

Die Bundesregierung führt in Zusammenarbeit mit Jordanien umgehend eine Luftbrücke über Gaza für humanitäre Hilfsgüter durch. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius wird sich dabei mit Frankreich und Großbritannien ganz eng abstimmen, die ebenfalls bereit sind, eine solche Luftbrücke für Lebensmittel und medizinische Güter zur Verfügung zu stellen. Wir wissen, dass das für die Menschen in Gaza nur eine ganz kleine Hilfe sein kann. Aber immerhin ist es ein Beitrag, den wir gern leisten wollen.

Wir werden uns mit Frankreich und Großbritannien weiterhin über die konzeptionelle Entwicklung in der Region austauschen, insbesondere über die zukünftige Verwaltung und den Wiederaufbau Gazas nach Inkrafttreten eines Waffenstillstandes. Bundesaußenminister Johann Wadephul wird das vorantreiben. Diese Maßnahme soll auch dazu beitragen, den laufenden Verhandlungen über einen Waffenstillstand mehr Gewicht zu verleihen. Die Bundesregierung wird zusammen mit den Partnern in der Region sowie in Abstimmung mit den E3 in Federführung von Ministerin Reem Alabali Radovan Vorkehrungen für eine Wiederaufbaukonferenz in Gaza treffen. Auch das soll Raum für eine Verhandlungslösung schaffen.

Schließlich werden wir unsere intensive Diplomatie in der Region fortsetzen. Bundesminister Wadephul wird voraussichtlich am Donnerstag in die Region reisen. Wir werden uns am Mittwoch im Kabinett noch einmal mit der Lage beschäftigen und bis dahin hoffentlich auch die Frage beantwortet haben, ob die Amtskollegen aus Großbritannien und Frankreich mit in die Region reisen. Wir werden anschließend am Wochenende noch einmal über die Lage in der Region beraten. Ich werde versuchen, noch heute Abend erneut mit Premierminister Netanjahu zu telefonieren. Das ist die Abstimmung, die ich in der vergangenen Woche auch mit Emmanuel Macron und Keir Starmer verabredet habe. Wir werden zugleich alle verfügbaren Kanäle nutzen, um zum Beispiel über Ägypten, Katar und andere Partner den maximalen Druck auf die Hamas auszuüben, jetzt nicht mehr auf Zeit zu spielen und endlich einem Waffenstillstand zuzustimmen.

Ich will es auch hier an dieser Stelle sagen: Wir werden unsere Positionierung und unsere Maßnahmen im Licht der Ereignisse laufend anpassen. Wir werden gegebenenfalls auch weitere Konsequenzen miteinander besprechen. Das Ziel dabei ist völlig klar: Wir wollen das humanitäre Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza schnellstmöglich beenden. Wir wollen, dass die Waffen in Gaza umgehend schweigen. Vor allem aber wollen wir, dass unsere Freunde in Israel nach den grauenhaften Taten des 7. Oktober 2023 endlich zur Ruhe kommen und dauerhaft in Sicherheit und in Frieden leben können.

Dazu müssen alle Seiten beitragen. Ich habe das auch noch einmal zum Abschluss unserer gut zweistündigen Beratungen heute im Sicherheitskabinett gesagt. Wir stehen an der Seite Israels, und wir wollen alles dafür tun, damit dieses Land wieder zur Ruhe kommt und in Frieden und in Freiheit leben kann. Aber auch Israel muss dazu einen Beitrag leisten und auch an die Situation nach einem Waffenstillstand und nach einer Wiederaufbaukonferenz denken. Die Menschen in der Region müssen eine Chance haben, in Frieden und in Freiheit zusammenzuleben. Deswegen muss auch die israelische Regierung alles tun, um dies zu ermöglichen.

Wie gesagt, werden wir über weitere Schritte im Lichte der Ereignisse der nächsten Tage beraten. Wir werden das zeitnah tun. Wir werden auch am Wochenende noch einmal ausführlich miteinander sprechen und gegebenenfalls auch im Bundeskabinett in der nächsten Woche noch einmal darüber beraten.

Vielen Dank.

Fragerunde im Anschluss:

Frage: Herr Bundeskanzler, haben Sie auch über konkrete Maßnahmen gesprochen, wie der Druck auf Israel erhöht werden kann? Sanktionen sind im Gespräch, einerseits die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens, andererseits ein Stopp der Waffenlieferungen nach Israel. Haben Sie darüber gesprochen, und behalten Sie sich solche Schritte vor?

Bundeskanzler Merz: Über das Thema Waffenlieferungen konnten wir gar nicht sprechen, weil der Bundessicherheitsrat dafür verantwortlich und zuständig ist und nicht das Sicherheitskabinett. Über weitere Maßnahmen haben wir auch keine Beschlüsse gefasst, sondern wir haben überlegt, welche Möglichkeiten es gegebenenfalls gibt. Wir haben uns heute nicht dafür entschieden, solche vorzuschlagen. Wir könnten sie auch nicht beschließen, sondern wir könnten sie allenfalls vorschlagen oder der EU-Kommission eine entsprechende Indikation geben. Wir wollen zunächst einmal die Reise der Außenminister und die Gespräche, die mit der israelischen Regierung in den nächsten Tagen geführt werden, abwarten. Wir behalten uns aber solche Schritte vor.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe ein anderes Thema, und zwar eine Frage zum Handelskompromiss. Die Reaktion der deutschen Wirtschaft darauf ist bisher, kann man schon sagen, zum Teil verheerend ausgefallen. Sind Sie selbst von diesem sehr negativen Echo überrascht? Werden Sie seitens der Bundesregierung noch Versuche unternehmen, diese schlechte Stimmung vielleicht etwas zu bessern, und auch zu kommunizieren, was genau in der Vereinbarung steht? Oder fürchten Sie, dass der Frust über das Zollabkommen auch möglicherweise die positive Stimmung in der Wirtschaft, die sich langsam äußert, kaputt machen könnte?

Bundeskanzler Merz: Herr Delfs, ich nehme die Reaktionen aus der deutschen Wirtschaft etwas differenzierter wahr. Es gibt durchaus bei einigen Unternehmen und einigen Branchen Erleichterung, dass es nicht so bleibt, wie es bisher war. Die Zölle, die bisher erhoben worden sind, sind zum Teil doppelt so hoch und höher als die, die gestern in Schottland vereinbart worden sind. Aber ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass die Zölle, die jetzt bleiben – das sind insbesondere die 15 Prozent gegenüber 0 Prozent für die Importe in die Europäische Union–, eine erhebliche Belastung der exportorientierten Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Das ist völlig klar. Sie werden sich daran erinnern, dass ich in den letzten Tagen immer wieder darauf hingewiesen habe, dass es ein asymmetrisches Abkommen geben wird, wenn es denn überhaupt eins gibt. Wir waren darauf vorbereitet, möglicherweise mit den Vereinigten Staaten von Amerika noch einmal in einen größeren Konflikt um die Handelspolitik zu gehen.

Ich bin mit diesem Ergebnis nicht zufrieden im Sinne von: Das ist jetzt gut so, sondern ich sage nur, dass offensichtlich angesichts der Ausgangslage, die wir mit den Vereinigten Staaten von Amerika hatten, nicht mehr zu erreichen war. Das heißt jetzt im Klartext, dass die deutsche Wirtschaft durch diese Zölle erheblichen Schaden nehmen wird, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht auf Deutschland und Europa allein begrenzt bleiben wird. Wir werden auch in Amerika die Folgen dieser Handelspolitik sehen. Es wird nicht nur eine höhere Inflationsrate geben, sondern es wird auch insgesamt den transatlantischen Handel beeinträchtigen. Diese Zölle sind nach meiner festen Überzeugung auch nicht im Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika.

Aber das zu beurteilen wird mit der Zeit möglich sein. Da werden wir möglicherweise zum Ende des Jahres etwas mehr sagen können als zum jetzigen Zeitpunkt. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nur sagen, dass offensichtlich nicht mehr zu erreichen war. Ich will ausdrücklich der EU-Kommission, der Präsidentin und dem zuständigen Kommissar Šefčovič, für ihre wirklich unermüdliche Verhandlung, für die tagelangen und nächtelangen Gespräche und Verhandlungen mit der amerikanischen Seite danken. Sie wissen, dass insbesondere die französische Regierung und die italienische Regierung zusammen mit der deutschen Regierung an diesen Gesprächen intensiv beteiligt waren. Ich persönlich habe nicht mehr erwartet als dieses Ergebnis. Aber noch einmal: Dieses Ergebnis kann uns nicht zufriedenstellen, aber es war in der gegebenen Situation das Beste, was zu erreichen war. Ich bedanke mich herzlich. Frohes Schaffen, bis zum nächsten Mal.

Quelle: Bundesregierung.de

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