Wir dokumentieren hier die Rede des österreichen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen bei der Eröffnung der Salzbuger Festspiele
Es ist schön, hier in Salzburg einmal im Jahr so viele Verantwortungsträgerinnen und -träger an einem Ort versammelt zu sehen, vereint in der Liebe zur Kunst.
Bevor wir in den kommenden Tagen den Genuss von Kunst und Kultur bei den Festspielen in den Vordergrund stellen, ja – davor möchte ich mich mit meiner Rede heute direkt an Sie wenden: An Sie, die hier im Saal vertretenen Verantwortungsträgerinnen und -träger unserer Republik Österreich. In unserem gemeinsamen Europa.
Wir alle sind in irgendeiner Art und Weise privilegiert. Dass wir heute hier sein können, legt davon Zeugnis ab. Und weil wir das sind, nutze ich die Gelegenheit, heute und hier über die Verantwortung zu sprechen, die wir alle tragen. Verantwortung beginnt dort, wo Macht auf Menschen trifft.
Wer entscheidet, gestaltet – und wer gestaltet, trägt Verantwortung. In Zeiten multipler globaler Krisen, wachsender Ungleichheit und des schwindenden Vertrauens in Institutionen zeigt sich: Wir alle, die Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft, Medien, und auch in der Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur, stehen auf dem Prüfstand.
Ich denke immer wieder darüber nach, was das denn für mich ganz persönlich bedeutet: Verantwortung zu tragen. Und eine Antwort, die ich darauf finde, gerade als Politiker, ist diese: unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Auch wenn die Wählerinnen und Wähler oder heute Sie es vielleicht nicht so gerne hören. Insofern: Sorry, aber das muss jetzt sein.
Verantwortungsvolles Handeln braucht weitgehende moralische Klarheit. Also zu wissen, woran man glaubt. Wofür man steht und wofür man auch einsteht. Haben wir alle noch die innere moralische Klarheit, wissen wir, wofür wir stehen? Wissen wir, wofür wir einstehen? Sind wir bereit, das im Ernstfall auch zu verteidigen? Ich lade uns alle ein, dies nach bestem Wissen und Gewissen zu überprüfen und uns bewusstzumachen, dass Werte nur so viel wert sind wie die Taten, die wir für sie auch setzen.
Verantwortungsvolles Handeln braucht aber auch die Fähigkeit zu innerer Distanz. Die Fähigkeit abzuwägen, wie weit die eigene Überzeugung gehen darf und wann Prinzipientreue einer vernünftigen Lösung im Weg steht. Einer Lösung nicht nur im Sinne der eigenen Blase. Also die Fähigkeit zum gesunden Kompromiss, eines meiner Lieblingsthemen, wie Sie wissen. Verantwortungsvolles Handeln braucht auch den Mut, unbequem, notfalls auch unpopulär zu sein.
Was meine ich damit konkret? Die Wirtschaftslage, in der wir uns global und speziell in unserer Heimat befinden, fordert unsere Verantwortung ein. Die wirtschaftliche Situation erfordert Investitionen. Die Budgetlage allerdings erfordert Kürzungen. Verantwortung sieht hier nicht weg, sondern nimmt wahr, dass dies die Gelegenheit für prinzipielle, strukturelle Veränderungen ist – und geht sie mutig an, auch wenn es wehtut.
Weil es noch mehr wehtun wird, nichts zu ändern. Und ja, es gibt die Chance auf Veränderung zum Guten. Sie muss wahrgenommen und auch so kommuniziert werden, dass Menschen verstehen, was passiert und warum. Politiker, die nicht mehr erklären, sondern bloß taktieren, verlieren die Verbindung zur Bevölkerung.
Und was helfen Politiker, die sagen, ja, es ist eh ganz dramatisch, aber dann nichts tun oder sich in symbolischen Handlungen ohne Wirkung verlieren? Als-ob-Politik löst nichts. Sie verspricht – und enttäuscht im nächsten Moment.
Wir alle kennen Beispiele für Politik, die nur taktiert. Und ich nehme hier keine einzige Partei aus. Nicht die Regierungsparteien und nicht die Oppositionsparteien. Und auch nicht die Interessenvertretungen. Lassen wir das Taktieren. An das größere Gemeinsame denken. Und zu tun, was richtig ist, darum geht’s doch. Ich meine hier ausdrücklich Verantwortungsträger aller Ebenen: Gemeinden, Länder, Bund und Europa.
Ich ermutige alle Verantwortlichen, einen Schritt zurückzumachen und für das Ganze zu arbeiten, nicht nur stur für die eigenen Interessen, so wichtig und berechtigt diese auch sind. Dies ist nicht die Zeit der Einzelinteressen. Dies ist die Zeit, für das gemeinsame größere Wohl zu arbeiten. Wir sind gemeinsam in der Verantwortung. Und wir können diese Verantwortung nur gemeinsam erfüllen. Auch wenn der Applaus das eine oder andere Mal ausbleibt.
In diesem Zusammenhang freut es mich, dass die neue Bundesregierung eine tiefgehende Staatsreform anpackt und Kompetenzen neu ordnen will. Ich begrüße, wenn sich jetzt in den wichtigen Bereichen Bildung, Gesundheit und Energie etwas bewegt. Es geht darum, im Interesse des Staatsganzen eine zeitgemäßere und effizientere Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu finden.
Das durchzusetzen ist nicht unbedingt populär, weil alle Beteiligten auf etwas verzichten werden müssen. Aber es ist hoch notwendig, weil es ums Staatsganze geht.
Liebe Verantwortlichen der Wirtschaft, ich lade Sie ebenfalls ein, in sich zu gehen. Sind Sie auch daran interessiert, dass das, was Sie tun oder lassen, im Idealfall einen positiven Effekt für andere hat? Denn wenn Sie ausschließlich daran interessiert sein sollten, den eigenen Gewinn zu maximieren, während die Ungleichheit wächst, die Gesellschaft sich weiter polarisiert, der Raubbau an der Umwelt ohne Rücksicht auf die kommenden Generationen weitergeht, dann nehmen Sie Ihre Verantwortung nicht wahr. Wirtschaft ist integraler Teil unserer Gesellschaft. Sie schafft Arbeitsplätze. Sie schafft Zukunft.
Und wir alle, aber auch Sie, liebe CEOs und Chefinnen und Chefs, dürfen die soziale Spaltung niemals als „Kollateralschaden“ des Marktes hinnehmen. Wirtschaftliche Freiheit kann nur dort bestehen, wo sie auf sozialem Vertrauen ruht. Wer profitiert, muss beitragen. Diese Verantwortung lässt sich definitiv nicht outsourcen und muss letztlich einer humanistischen Grundhaltung entsprechen.
Und, ja, wenn ich von Verantwortung spreche, meine ich auch die Journalistinnen und Journalisten. Liebe Medienmanager, Sie tragen eine besondere Verantwortung für die öffentliche Debatte. Wer nur laute Stimmen zitiert, Konflikte zuspitzt oder Meinung als Information verkauft, trägt zur Polarisierung bei. Ja, die Sucht nach den vielen Klicks ist ein Problem. In einer komplexen Welt braucht es Medien, die erklären statt empören – auch wenn es weniger klickt. Wenn es nur um die Erhöhung der Klicks geht, wird sich bald ein Algorithmus finden, der diesen Job gründlicher macht.
Meine Damen und Herren, die Zivilgesellschaft ist ein essenzieller Bestandteil unserer liberalen Demokratie. Anne Applebaum hat auch noch einmal ausdrücklich und sehr eindrücklich darauf hingewiesen. Die Zivilgesellschaft ist von großer Bedeutung. Aber auch für sie gilt: Wer bei allem Engagement nur die eigenen Partikularinteressen sieht, verliert das große Ganze aus dem Blick.
Und wir brauchen Verantwortungsträger, die das große Ganze im Blick haben. Und ganz besonders in der Zivilgesellschaft. Sie haben eine elementare Aufgabe im Zusammenhalt und Miteinander unserer sich polarisierenden Gesellschaft.
Und schließlich: Meine so verehrten Künstlerinnen und Künstler. Sie wissen: Kunst ist niemals neutral. In Zeiten, in denen demokratische Werte unter Druck geraten, hat sie eine politische Aufgabe: sichtbar machen, was bedroht ist. Widersprechen, wo andere schweigen. Infrage stellen, wo sich Macht verschanzt. Danke an alle, die sich dieser Verantwortung bewusst sind. Danke für Ihre überlebenswichtige Arbeit. Behalten Sie Ihre Widerständigkeit. Und lassen Sie uns als Gemeinschaft diese wesentliche Arbeit auch entsprechend fördern und unterstützen.
Eine freie Gesellschaft braucht auch Kunst, die wehrhaft ist, nicht angepasst, sondern klar positioniert. Künstlerische Freiheit ist ein Privileg und dieses Privileg verlangt Haltung.
Liebe Verantwortungsträgerinnen und -träger, wenn wir alle nur noch für uns sprechen, statt für das Gemeinwesen, wenn wir uns sprachlich, sozial oder moralisch vom Alltag unserer Mitmenschen abkoppeln, dann wächst nicht nur die Entfremdung. Dann stirbt auch das Vertrauen. Eine Demokratie lebt nicht nur von Institutionen, sondern von Vorbildern. Sie lebt davon, dass jene, die Einfluss haben, diesen verantwortlich nutzen – mit Maß, mit Rücksicht, mit Mut.
Verantwortung heißt: Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir wollen, sondern auch für das, was daraus wird. Das ist unbequem. Aber wer gehört wird, wer gestalten darf – der hat keine Ausrede.
Eine Gesellschaft kann mit Fehlern leben. Aber nicht mit Gleichgültigkeit an den Spitzen der Gesellschaft. Wenn diese ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, verlieren sie ihre Legitimation. Und mit ihnen erodiert das Vertrauen in Demokratie, Wirtschaft und den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Wir müssen uns wieder selbst exponieren für das, was wesentlich ist. Nehmen wir unsere Verantwortung wahr. Wahrnehmen ist ein schönes Wort, denn es sagt auch, erkennen, dass wir alle eine Verantwortung haben. Lassen Sie uns unsere gemeinsame Verantwortung wahrnehmen. Auch im Sinne derer, die heute nicht hier sitzen und genießen können. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit. Und damit sind die Salzburger Festspiele eröffnet.
Es gilt das gesprochene Wort
