Buchrezension: „Dialoge mit der mexikanischen Moderne“ von Olga Costa

Lausbergs Buchtipp

Bild von Juan Manuel Cortés auf Pixabay

Olga Costa. Dialoge mit der mexikanischen Moderne, Hirmer, München 2022, ISBN: 978-3-7774-4078-1, 39,90 EURO (D)

In ihrer Wahlheimat Mexiko ist die gebürtige Leipzigerin Olga Costa (1913–1993) längst als eine der wichtigsten und populärsten Protagonistinnen der mexikanischen Moderne bekannt. Das Museum der bildenden Künste Leipzig widmet ihr nun eine große Ausstellung in ihrer Geburtsstadt, die vom 1.12.2022 bis zum 26.3.2023 zu sehen sein wird.

Ihr vielschichtiges Œuvre umfasst vor allem Malerei, aber auch Zeichnungen und druckgrafische Werke sowie Tapisserien und eine in Mosaik ausgeführte Wandgestaltung. Die Ausstellung bietet Gelegenheit, Costas Schaffen in dieser medialen Bandbreite sowie im Kontext mit anderen mexikanischen Künstlerinnen und Künstlern kennenzulernen.

Die Ausstellung im MdbK zeichnet das Schaffen von Olga Costa über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren nach und verortet es zugleich in seinem zeitgenössischen mexikanischen Kontext. Als Auftakt begegnen wir in einem frühen Selbstbildnis der selbstbewussten Malerin im Patio ihres Hauses. Es folgt eine prägnante Auswahl von Costas Werken aus allen Schaffensphasen. Im Zentrum steht die großformatige Auftragsarbeit La vendedora de frutas (Die Obstverkäuferin) von 1951, eine Ikone der mexikanischen Moderne. Gewissermaßen als Rückschau widmet sich die anschließende Sektion den Voraussetzungen von Costas Werk und skizziert die künstlerische Situation bei ihrer Ankunft im postrevolutionären Mexiko. Frida Kahlo, Diego Rivera und Gerardo Murillo (auch genannt Dr. Atl) sind hier ebenso vertreten wie Costas akademischer Lehrer Carlos Mérida und ihr Ehemann José Chávez Morado. Weitere Kapitel kreisen um inhaltliche Fragen nach der mexikanischen Identität (Mexicanidad), geschlechterspezifischen Rollen- und Körperbildern und Netzwerken mexikanischer Künstlerinnen. Die Auseinandersetzung Costas mit der fantastischen Malerei ist ebenso ein Schwerpunkt der Ausstellung wie die Landschaftsauffassung und ihr poetisches Naturverständnis. In ihren Stillleben inszeniert Costa zuweilen auch Objekte indigener Kultur, die sie gemeinsam mit ihrem Mann zusammengetragen hatte, wodurch auch die Rolle der Künstlerin als Sammlerin angedeutet ist.

Immer wieder treten Costas Werke in Dialog mit Arbeiten ihrer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, darunter Frida Kahlo, Diego Rivera, María Izquierdo, Rosa Rolanda, Lola Cueto, Alice Rahon, Juan Soriano und anderen. Neben Gemälden sind Fotografien, Textilarbeiten, Handzeichnungen und Druckgrafiken zu sehen. Insgesamt ergibt sich hierdurch auch ein Panorama der mexikanischen Kunst zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Auf nahezu der gesamten Fläche im Untergeschoss des MdbK führt die Ausstellung rund 80 Leihgaben zusammen, u. a. aus dem Museo de Arte Moderno in Mexiko-Stadt, dem Museo de Arte Olga Costa – José Chávez Morado in Guanajuato, dem National Museum of Mexican Art in Chicago sowie aus internationalen Privatsammlungen. Hinzu kommen 14 Werke aus dem eigenem Bestand des MdbK, darunter ein bedeutendes, bislang wenig beachtetes Konvolut von Grafiken des einflussreichen Taller de Gráfica Popular (Werkstatt der Volksgrafiker, TGP). Hierbei handelt es sich um ein aktivistisches Künstlerkollektiv aus Mexiko-Stadt, dessen Mitglieder über das leichter zu verbreitende Medium der Druckgrafik auf soziale und politische Probleme ihres Landes aufmerksam machten. Diese Blätter bezeugen auch das frühe und anhaltende Interesse an der mexikanischen Moderne in Leipzig.

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Instituto Estatal de la Cultura de Guanajuato und dem Instituto Nacional de Bellas Artes y Literatura (INBAL) in Mexiko und wurde unter Einbeziehung eines wissenschaftlichen Beirates, dem Expertinnen und Experten aus Mexiko angehören, konzipiert.

Dies ist die offizielle Publikation zur Ausstellung.

Diese beginnt mit einem grundlegenden Text von Stefan Weppelmann über Olga Costa und ihren Weg zur Malerei. Danach werden in einer längeren Sequenz Werke in der Ausstellung gezeigt.

Anschließend beschäftigt sich Brenda J. Caro Cocotio mit Costas bekanntestem Werk „Die Obstverkäuferin“. Davon ausgehend werden Anmerkungen zu den Narrativen der Moderne gemacht, geprägt durch die Politik und ihre Institutionen, sowie zur Relevanz aktueller Annäherungen an Costas Werke.

Danach wagt Dina Comisarenco Mirkin eine Neuinterpretation der Malerei von Olga Costa. Nicht die sonst geläufige kompositorische Qualität und die reiche Farbpalette stehen im Vordergrund, sondern thematische Aspekte wie das Schaffen eines kritischen Bewusstseins für die soziale Situation von mexikanischen Frauen und der Dialog mit der europäischen und mexikanischen Kunsttradition.

Mit Olga Costa als Sammlerin beschäftigt sich dann Daniel Garza Usabiaga. Zusammen mit ihrem Ehemann wurden die beiden zu weithin bekannten Sammlern prähispanischer Kunst, Antiquitäten des 18. und 19. Jahrhunderts, religiösen Gemälden, nicht-akademischer Porträtkunst, sowie traditionellen Formen der indigenen Kunst.

Weiterhin werden weitere in der Ausstellung zu sehende Werke gezeigt.

Danach legt Arturo Lopez Rodriguez einige Zeugnisse von Menschen vor, die Olga Costa bereits in den 1960er Jahren in Guanajuato kannten und in ihrem Umfeld lebten. Sabine Hoffmann stellt danach die Stationen ihres Lebens von ihrer Geburtsstadt Leipzig bis nach  Guanajuato vor. Aurelia Rager präsentiert dann die  Taller de Gráfica Popular (Werkstatt der Volksgrafiker, TGP) im MdbK.

Eine Sammlung der mexikanischen Grafik im MdbK folgt noch.

Im Anhang werden noch die Autor*innen vorgestellt, außerdem gibt es eine Literaturliste und den Bildnachweis.

Ja, es gibt auch prominente mexikanische Kunst jenseits von Frida Kahlo. Es ist zugleich das erste Mal überhaupt, dass Costas Werk in Europa monografisch zugänglich wird. Von daher hat auch die informative Publikation ein Alleinstellungsmerkmal. Der Vorteil ist, dass eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen mexikanische und hiesigen Expert*innen gegeben hat. Es gibt zum Teil auch verschiedene Ansätze der Interpretation innerhalb der  Expert*innen, spannend ist dabei der Beitrag von Dina Comisarenco Mirkin.

Über Michael Lausberg 545 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.