Das Geheimnis von Glamis Castle

DAS RÄTSEL UM die am längsten bewohnte Burg im gesamten britischen Königreich

Schottische Flagge. Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Nördlich der schottischen Hafenstadt Dundee erhebt sich im breiten Mündungsdelta des Tay das Schloß von Glamis. Diese mächtige Festung, die mit ihren zahlreichen Türmen und malerischen Zinnen an ein Märchenschloss erinnert, ist die am längsten bewohnte Burg im gesamten britischen Königreich. Seit Jahrhunderten residieren hier die Grafen von Strathmore. Doch hinter den Mauern von Glamis, in denen die Königinmutter Elizabeth Bowes-Lyon aufwuchs, verbirgt sich ein dunkles Geheimnis. Das Schloss hatte reichlich teil an der turbulenten Geschichte Schottlands. Der Legende nach wurde 1034 hier König Malcolm II. ermordet. Das Blut des Sterbenden hinterließ einen großen Fleck, der noch immer in einem der Zimmer zu sehen sein soll. Dies lässt sich allerdings nicht bestätigen, da der Fussboden der Räume laut Archiveinträgen erneuert wurde. Malcolms Mörder zählen zu den Opfern von Glamis. Als sie über einen zugefrorenen See flüchten wollten, brach das Eis und sie ertranken. Glamis Castle liegt inmitten von drei Städten, welche biblische Namen tragen. Diese Ortschaften bilden ein Dreieck um das Schloss. Jene Männer, welche die Städte erbauten, sollen eine große Achtung vor des Zorn Gottes gehabt haben. Glamis habe sich diesen Zorn durch die Sünden des ersten Schlossherren zugezogen. Das sagen jedenfalls die Einheimischen. 

Der heutige Schlossherr ist zwar bei seinen Pächtern beliebt, von seinen Ahnen kann man das allerdings nicht immer behaupten. König Robert II. vererbte im Jahr 1372 Glamis Castle der Familie Lyon, die bis dahin auf ihrem Familiensitz Forteviot residierte. Dort wurde von alters her ein großer Trinkbecher aufbewahrt, der eng mit dem Schicksal der Familie verknüpft war. Laut Überlieferung sollte die Familie Lyon ein Fluch treffen, sofern sie das „Glückspfand“ von seinem angestammten Ort entfernten. Sir John nahm den Becher trotzdem mit nach Glamis, und damit natürlich auch den Fluch. Elf Jahre später starb der Graf in einem Duell. Möglicherweise hat der Becher auch 150 Jahre später den gang der Ereignisse beeinflusst. König James V. lies Lady Janet Douglas, die Herrin von Glamis, wegen Hexerei auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Das Schloss ging damit in den Besitz der Krone über. Es stellte sich jedoch heraus das Janet unschuldig war und zu unrecht auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Somit fielen die Besitzungen zurück an Janet Douglas Sohn. Janets Geist soll noch heute durch die langen Gänge und Flure von Glamis, als „graue Lady“ wandeln. In der Schloßkapelle ist eigens für diesen Geist ein Stuhl reserviert, den sonst kein Besucher benutzen darf. Das Schloss beherbergt allerdings noch mehr Geister. Da ist der graubärtige Mann, den man 1486 in einem der vielen Räume ankettete und dem Hungertod preisgab. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er von der Gattin des Erzbischofs von York gesehen. Ein bis zum Skelett abgemagerter Geist flitzt durch die Gänge. Er wird daher passend „Jack the Runner“ genannt. Der Geist eines schwarzen Pagen erinnert an die Zeit, als Negersklaven von den westindischen Inseln als Dienstboten „in“ waren. Im Uhrturm geht die so genannte „White Lady“ um.

Doch die Legende berichtet auch von einem Geheimnis, das so schrecklich sein soll, dass es lediglich den männlichen Erben des Hauses an ihrem 21. Geburtstag anvertraut wird, niemals jedoch einer Frau. Was verbirgt sich hinter dem grauenhaften Geheimnis von Glamis? Die Überlieferungen gehen bis ins späte 17. Jahrhunderts zurück. Damals verbreitete sich das Gerücht vom „Fluch der Strathmores“. Im Mittelpunkt stand Patrick, der dritte Graf von Strathmore. Er soll zusammen mit dem Grafen von Crawford bis tief in die Nacht gewürfelt haben. Als ein Diener kam, um die Herren zu erinnern, dass gleich der Sonntag beginne, soll Patrick geantwortet haben, er spiele weiter, Sonntag oder nicht, und wenn er wolle, könne Satan persönlich mitmachen. Um Mitternacht erschien mit einem Donnerschlag der Teufel und verkündete den beiden Grafen, sie hätten ihre Seelen verkauft und seien dazu verurteilt, hier in diesem Zimmer bis zum Tage des jüngsten Gerichts weiterzuspielen. Im Jahr 1957 berichtete die Schloss-Bedienstete Florence Foster einer örtlichen Zeitung, dass sie nachts „das Klicken der Würfel und das Aufstampfen und Fluchen der Grafen“ höre und oft vor Angst zitternd im Bett liege. Mehrere weitere Diener meldeten sich daraufhin und bestätigten, diese Geräusche ebenfalls gehört zu haben. Doch nie haben sie jemanden sehen können, der sie verursacht.

Earl Patrick soll auch Vater eines abscheulich missgebildeten Kindes gewesen sein, das wahrscheinlich um 1697 geboren wurde. Wegen seines schrecklichen Aussehens, seiner furchtbaren Kraft und seines dämonischen Charakters wurde es in einem geheimen Raum versteckt gehalten, und erreichte dort ein biblisches Alter. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts stieß ein Zimmermann bei Renovierungsarbeiten zufällig auf eine verborgene Tür. Er öffnete sie und kam kurze Zeit später vor Entsetzen zitternd wieder heraus. Als der 13. Graf von Glamis davon erfuhr, ließ er den Mann schwören, niemals ein Wort über sein Erlebnis verlauten zu lassen. Er erhielt für sein Schweigen eine stattliche Geldsumme und mitsamt seiner Familie eine freie Schiffspassage nach Australien. Sollte das unheimliche Kind des Earls Patrick also über mehrere Jahrhunderte in Gefangenschaft überlebt haben? Zumindest legt dies eine Äußerung von Claude George Bowes-Lyon, dem 14. Earl of Strathmore, nahe. Im Jahr 1921 bemerkte er gegenüber einem Freund, “das Grauen habe nun ein Ende gefunden. Es ist tot.“ Als der Freund des Grafen daraufhin zu wissen begehrte, was denn dieses Geheimnis gewesen sei, antwortete jener: „Wärest du in das Geheimnis eingeweiht, du würdest auf die Knie sinken und Gott danken, dass es nicht das deine ist.“ Bei dem Freund des Grafen handelte es sich um den späteren britischen Premierminister Winston Churchill.

Der ebenfalls in das Geheimnis eingeweihte Gutsverwalter Gavin Ralston sagte zur Schwiegertochter des Grafen: „Es ist ein Glück, dass Sie es nicht wissen und niemals wissen können, denn wenn Sie es wüssten, Sie wären Ihres Lebens nicht mehr froh.“

In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts versuchten ein paar junge Leute, die auf Glamis zu Gast waren, das verborgene Zimmer aufzuspüren, indem sie aus den Fenstern aller Räume Stücke von weißem Leinen hinaus hängten. Dennoch gab es zum Schluss vier Fenster (nach einer anderen Version der Geschichte sollen es sieben gewesen sein), aus denen kein Tuch hing. Die betreffenden Zimmer konnten trotz aller Anstrengung nicht gefunden werden. Als sie dann versuchten, von außen mittels Leitern zu den Fenstern zu gelangen, wurde es dem 14. Grafen zu bunt. Er ließ die jungen Männer hinauswerfen. Heutige Besucher von Glamis teilen dieses Schicksal, wenn sie so unklug sind, das Gespräch auf die geheime Kammer zu lenken. Dies geschah dem Autor bei der Besichtigung des Schlosses. So bleibt der „Schrecken von Glamis“ auch im 21. Jahrhundert ein Rätsel.

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Verwendete Literatur

Elliott O’Donnell, Scottish Ghost Stories, Kessinger Pub. Co, 2003

Allan Fea – Secret Chambers and Hiding Places, IndyPublish, 2005

Lord Frederic Hamilton – The Days Before Yesterday, IndyPublish, 2002

Shirley Jackson – Haunting of Hill House (Penguin Modern Classics), Penguin, 2009

Ernest Rhys – The Haunters and the Haunted (Ghost Stories and Tales of the Supernatural),  IndyPublish, 2006

Patrick Lyon Strathmore und A. H. Millar –  The Book of Record: A Diary Written by Patrick First Earl of Strathmore and Other Documents Relating to Glamis Castle, Kessinger Pub Co., 2007

Will Swift – The Roosevelts and the Royals: Franklin and Eleanor, the King and Queen of England, and the Friendship That Changed History, Crystal Dreams Pub., 2004

Über Thomas Ritter 110 Artikel
Thomas Ritter, 1968 in Freital geboren, ist Autor und freier Mitarbeiter verschiedener grenzwissenschaftlicher und historischer Magazine. Thomas Ritter hat zahlreiche Bücher und Anthologien veröffentlicht. Außerdem veranstaltet er seit mehr als zwanzig Jahren Reisen auf den Spuren unserer Vorfahren zu rätselhaften Orten sowie zu den Mysterien unserer Zeit. Mit seiner Firma „Thomas Ritter Reiseservice“ hat er sich auf Kleingruppenreisen in Asien, dem Orient, Europa und Mittelamerika spezialisiert. Mehr Informationen auf: https://www.thomas-ritter-reisen.de Nach einer Ausbildung zum Stahlwerker im Edelstahlwerk Freital, der Erlangung der Hochschulreife und abgeleistetem Wehrdienst, studierte er Rechtswissenschaften und Geschichte an der TU Dresden von 1991 bis 1998. Seit 1990 unternimmt Thomas Ritter Studienreisen auf den Spuren früher Kulturen durch Europa und Asien.