Die funkelnden Schatten der Romantik – Zehn Porträts großer Frauen in einer Epoche zwischen Gefühl und Geist

Romanikerhaus in Jena

Die Romantik war eine Epoche von Sehnsucht, Innerlichkeit und der Suche nach dem Unendlichen. Sie war eine Zeit, die durch die Adern der Literatur, der Musik, der Philosophie wie ein dichter Nebel, manchmal golden, manchmal bleiern, floß. Doch wer sie allein durch die Augen der Männer betrachtet, sieht nur die Hälfte. Denn es waren Frauen, die sie atmeten, gebaren und gestalteten. Frauen, deren Leben zugleich Spiegel und Gegenbild jener Zeit war. Sie waren Schriftstellerinnen, Malerinnen, Philosophinnen, Revolutionärinnen. Ihre Namen trägt der Wind der Kulturgeschichte, ihre Gedanken jedoch flüstern noch heute zwischen den Seiten der alten Bücher.

Bettina von Arnim (1785–1859)

Bettina war Feuer. Sie schrieb nicht – sie loderte. Ihre Briefe waren keine Mitteilungen, sondern Seelenexplosionen. Als Tochter des Aufklärungszeitalters und Schwester der Frühromantik war sie ein Medium zwischen den Welten: zwischen Johann Wolfgang Goethe und der Straße, zwischen Ludwig van Beethoven und den Armenhäusern Preußens.

Ihr berühmtester Text – „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ – ist halb Dokument, halb Dichtung, aber ganz Sehnsucht. Sie konstruierte sich eine spirituelle Nähe zu Goethe, die über Raum und Zeit hinausging. Nicht Wahrheit war ihr Ziel – sondern Wahrheitsempfinden.

Nach dem Tod ihres Mannes, Achim von Arnim, entfaltete sich ihre eigentliche Größe. Sie wurde zur politischen Stimme, zur Prophetin der Armen, zur frühen Feministin. Ihre Romantik war nie bloße Schwärmerei – sondern tätiger Humanismus. Sie glaubte an eine innere, göttliche Wahrheit, die jeder Mensch in sich trägt. Ihre Religiosität war undogmatisch und tief gefühlt, ein Dialog mit dem Unendlichen. Ihre Werke spiegeln ein tiefes Vertrauen in die transformative Kraft der Kunst. Und ihr Denken war durchzogen vom Wunsch, soziale und geistige Schranken zu überwinden.

Karoline von Günderode (1780–1806)

Sie war die Melancholie selbst. Eine Frau, die sich in die Antike träumte, weil die Gegenwart sie nicht atmen ließ. Karoline, die im Schatten der männlichen Genies stand, suchte das Absolute in der Liebe, in der Philosophie und im Tod. Ihre Lyrik war durchdrungen von Todessehnsucht, aber auch von metaphysischer Auflehnung. Sie schrieb über Heroen, über göttliche Weiblichkeit, über ein Ich, das sich in der Welt verlieren und dennoch sich selbst behaupten will.

Als ihre große Liebe – Friedrich Creuzer – sich von ihr lossagte, wählte sie freiwillig den Tod. Am Rheinufer, mit einem Dolch ins Herz. Ein Leben wie ein Gedicht – schön, schmerzhaft, zu kurz. Ihre Philosophie war vom Idealismus geprägt, aber weiblich gewendet: Sie suchte nicht das System, sondern die Empfindung. Ihr Schreiben war ein Befreiungsakt gegen die Einengung weiblicher Rollenbilder. In ihrem kurzen Leben spiegelt sich das Drama eines Zeitalters, das fühlte, aber nicht heilte. Karoline war keine Märtyrerin – sie war eine Suchende.

Dorothea Schlözer (1770–1825)

Die erste deutsche Frau mit einem Doktortitel – sie sprach acht Sprachen, beherrschte Mathematik, Philosophie, Naturwissenschaften. Und doch blieb sie ihr Leben lang in der Rolle der Ausnahmefrau gefangen. Dorothea war der lebendige Beweis dafür, dass die Aufklärung mehr versprach, als sie hielt. Ihr Vater, ein berühmter Gelehrter, unterwies sie in allem, was Jungen vorbehalten war. Sie glänzte – aber nicht, um zu führen, sondern um zu beweisen, dass sie es konnte.

Ihre Ehe mit dem Lübecker Bürgermeister Mattheus Rodde war geprägt von Intellektualität und politischem Interesse. In den Salons der Romantik war sie kein Beiwerk – sie war ein Pol. Ihr Glaube war geprägt von einem aufgeklärten Deismus, einem Vertrauen auf Vernunft und menschliche Würde. Ihre Briefe zeigen eine Frau, die mehr dachte, als sie öffentlich sagen durfte. Ihr Einfluss war diskret, aber tiefgreifend – eine Stimme im Verborgenen. Ihre Haltung zur Bildung der Frau war entschieden: Wissen als Selbstermächtigung. Sie war ein Vorbild für Generationen – oft ohne Namen genannt, aber immer gegenwärtig.

Rahel Varnhagen (1771–1833)

Varnhagen  war Jüdin, Frau und Intellektuelle – drei Gründe, in Preußen nicht ernst genommen zu werden. Und doch war ihr Salon in Berlin ein Zentrum der Geisterzeit. Rahel, mit ihrer tiefen Stimme, ihren durchdringenden Augen, war Gastgeberin einer neuen Empfindung: der denkenden Frau. Ihre Briefe, gesammelt nach ihrem Tod von ihrem Mann Karl August Varnhagen von Ense, sind eine Philosophie der Nähe. Sie schrieb über das Ich und die Gesellschaft, über Gott, Sehnsucht, Versöhnung. Immer ehrlich, immer tastend, doch immer wahr.

Rahel  war ein Kristall aus Denken und Fühlen,  geprägt von einem humanistischen Judentum, das in geistiger Tiefe wurzelte. Sie war gläubig, aber frei – ihre Religion war ein gelebter Zweifel. Ihre Gedanken kreisten um Würde, Empathie und das Paradox der Existenz. In ihr verband sich Geist mit Intuition, Vernunft mit Introspektion. Ihr Leben war ein Dialog mit der Welt – und mit sich selbst.

Fanny Mendelssohn (1805–1847)

Sie war eine musikalische Urgewalt, die Schwester von Felix Mendelssohn. Aber sie ist nie sein  Schatten gewesen. Sie komponierte, dirigierte, spielte. Ihre Lieder sind fein ziselierte Miniaturen der Seele. Doch die Welt war noch nicht bereit, eine Frau als musikalisches Genie zu feiern. Ihr Vater Abraham Mendelssohn schrieb ihr: „Was du mir über dein musikalisches Treiben im Verhältnis zu Felix in einem deiner früheren Briefe geschrieben, war ebenso wohl gedacht als ausgedrückt. Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, immer Bildungsmittel, Grundbaß deines Seins und Tuns werden kann und soll. Ihm ist daher Ehrgeiz, Begierde, sich geltend zu machen in einer Angelegenheit, die ihm wichtig vorkommt, weil er sich dazu berufen fühlt, eher nachzusehen, während es dich vielleicht nicht weniger ehrt, dass du von jeher dich in diesen Fällen gutmütig und vernünftig bezeugt und durch deine Freude an dem Beifall, den er sich erworben, bewiesen hast, dass du ihn dir an seiner Stelle auch würdest verdienen können. Beharre in dieser Gesinnung und diesem Betragen. Sie sind weiblich, und nur das Weibliche ziert und belohnt die Frauen.“

Und doch komponierte sie über 400 Werke – viele davon unter dem Namen ihres Bruders veröffentlicht. Ihre Witwenschaft gegenüber sich selbst war das eigentliche Drama ihres Lebens. Erst spät trat sie hervor – und starb, ein Jahr vor ihrem Bruder, an einem Schlaganfall. Ihr Glaube war lutherisch, aber ihr Geist musikalisch universell. Sie glaubte an die Kraft der Schönheit, an das Erhebende im Klang. In ihren Liedern spricht eine Zartheit, die Stärke ist. Sie kämpfte um Ausdruck in einer Welt der Begrenzung. Ihr Werk ist ein Archiv weiblicher Sehnsucht nach Stimme.

Sophie Mereau (1770–1806)

Sie war eine literarische Grenzgängerin. Eine Frau zwischen Aufklärung und Romantik, zwischen Ehe und Eigensinn. Sie heiratete jung, ließ sich scheiden, lebte mit Friedrich Schlegel zusammen – ein Skandal im Saaleathen, in Jena.

Ihre Gedichte, Novellen und Übersetzungen  atmen Freiheit. Ihre Sprache ist kühn, oft sinnlich, aber immer modern. In ihren Tagebüchern ringt sie mit sich selbst: zwischen Muttersein und Geist, zwischen Weiblichkeit und Selbstbestimmung.

Ihr früher Tod – im Kindbett – machte sie zur Märtyrerin einer Zeit, die starke Frauen liebte, solange sie nicht zu laut waren. Ihre Philosophie war eine poetische Anthropologie des Weiblichen. Sie sah in der Liebe eine Form von Erkenntnis. Ihr Denken war erotisch, ohne erotisierend zu sein. Sie suchte eine neue Sprache für das weibliche Erleben. Ihr Werk bleibt ein Fragment – und gerade darum vollkommen.

Romantikerhaus Jena

Caroline Schlegel-Schelling (1763–1809)

Sie war ein intellektuelles Chamäleon. Getauft als Dorothea Caroline Albertine Michaelis, Tochter eines Göttinger Professors, wurde sie 1788 zur Witwe. 1796 heiratete sie August Wilhelm Schlegel, von dem sie sich 1803 scheiden ließ. Kurz darauf heiratete sie Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, den Hauptbegründer der spekulativen Naturphilosophie und des Deutschen Idealismus. Caroline galt als  Freundin der Romantik und als Kritikerin der Aufklärung. Ihr Leben war ein Roman in Briefen – mal verliebt, mal zornig, jedoch immer wach.

In Jena war sie der eigentliche Mittelpunkt des „Romantikerhauses“. Ihre Gedanken flossen in die Werke ihres Mannes ein – oft anonym, oft vergessen. Aber ihre Handschrift ist da – scharf, klar, leidenschaftlich.

Caroline war eine Frau, die sich nicht unterordnete, sondern mitformte. Ihre Philosophie war ein Denken im Gespräch – lebendig, widersprüchlich, weiblich. Sie glaubte an das schöpferische Subjekt – auch in der Frau. Ihre Kritik an patriarchalen Strukturen war leise, aber entschieden. Sie lebte die Romantik nicht als Flucht, sondern als Möglichkeit zur Ich-Werdung. Ihre Ehe mit Schelling war ein geistiger Wettkampf. Ihre Briefe sind ein dialogisches Monument weiblicher Intelligenz.

Angelica Kauffmann (1741–1807)

Die große Malerin der Klassik – und doch durchdrungen von romantischer Empfindung. In ihren Porträts lebt eine sanfte Melancholie, in ihren Historienbildern eine weibliche Würde, die nicht untertan, sondern wissend ist.

Als Mitglied der Royal Academy in London war sie eine Pionierin. Doch ihre Kunst blieb nie nur höfisch – sie malte Frauen als Trägerinnen des Mythos, als Heldinnen des Denkens.

Ihre Philosophie war die Schönheit, ihre Religion die Kunst. In ihrem Atelier trafen sich Dichter, Denker, Diplomaten – und ließen sich still verwandeln. Ihre Malerei war eine stille Ethik: Schönheit als Trost. Ihr Glaube war katholisch, aber tolerant und voller innerer Musik. Sie liebte das Maß, die Linie, das Ewige im Flüchtigen. Ihre Kunst war immer Seele. In ihren Bildern lebt ein weiblicher Blick auf das Erhabene.

Julie Burow (1780–1832)

Eine heute fast vergessene Gestalt – aber zu ihrer Zeit eine einflussreiche Förderin und Gastgeberin der Romantik. Ihr Salon in Leipzig war ein Zentrum musikalischer, literarischer und theologischer Debatten.

Sie selbst schrieb nur wenig, aber ihr Einfluss lag im Gespräch. In ihrer Gegenwart entstanden Werke, wurden Ideen geboren, fanden Geister zueinander.

Julie war eine Frau, die durch Aufmerksamkeit wirkte. Eine stille Kraft, eine Spinne im Netz der Zeit. Ihr Glaube war geprägt von liberalem Protestantismus, von Bildungsethos und Weltgewandtheit. Sie sah sich als Mittlerin zwischen Welten – zwischen Kunst und Leben, Geist und Alltag. Ihre Briefe zeigen Humor, Klugheit, Weitsicht. Ihre Bedeutung liegt nicht im Werk, sondern im Wirken. Sie war Resonanzboden für andere – und darin selbst groß.

Louise Aston (1814–1871)

Sie war die jüngste Tochter des evangelischen Theologen und Konsistorialrats Johann Gottfried Hoche – Louise Aston. Mit 17 Jahren wurde sie zur Konvenienzehe mit dem 23 Jahre älteren Samuel Aston, einem englischen Fabrikanten in Magdeburg, gezwungen, der vor seiner Heirat bereits mit drei Frauen vier uneheliche Kinder hatte, die er alle adoptierte. Aus der Ehe mit Louise gingen drei Töchter hervor. Doch dem Rollenbild einer Frau entsprach sie dennoch nicht. Sie war eine Revolutionärin, Dichterin und bekennende Feministin. Louise trug Männerkleidung, rauchte Zigarren, schrieb politische Pamphlete – eine Provokation. Aber auch eine Notwendigkeit.

Ihr Werk ist durchzogen von Schmerz über die Unterdrückung der Frau – aber auch von Hoffnung auf Veränderung. Sie schrieb gegen die Ehe als Institution, für freie Liebe, für Selbstbestimmung.

Sie geöre keinem Mann, keinem Gott und keiner Nation – nur sich, bekennt sie. Ihre Romantik war keine Flucht – sie war Widerstand. Sie war Atheistin und Humanistin, glaubte an Vernunft, Fortschritt und Befreiung. Ihre Texte sind leidenschaftlich, wütend, befreiend. Sie war nicht angepasst, sondern absichtsvoll ungehorsam. Ihre Liebe war politisch – und ihre Politik poetisch. Sie bleibt ein Leuchtfeuer der Unbeugsamkeit.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2263 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".