Eine Art Freundschaft zu einem ehemaligen Feind – Erinnerungen an Günter Schabowski (4.1.1929-1.11.2015)

Es war ganz zu Beginn der neunziger Jahre, als ich irgendwie, denn genau weiß ich es nicht, als Dissident und freigekaufter politischer Häftling unter die Bürgerrechtler geriet, mit denen ich mich anfangs gar nicht gut verstand, weil sie ja die DDR retten und einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ herstellen wollten. Ich hingegen verstand mich mittlerweile als un­versöhnlicher Antikommunist und hatte seit 1988 als Chefredakteur der Zeitschrift „DDR heute“ über der Überschrift das Motto „Die Mauer muss weg!“ veröffentlicht. Im Oktober 1989 hatten wir mit Unterstützung der ebenso als rechts verschrienen Internationalen Ge­sellschaft für Menschenrechte (IGFM) noch einen gut besuchten Kongress in Frankfurt am Main veranstaltet unter dem Motto „Deutschland, einig Vaterland?“.
Damit galt ich selbst im Westen als Entspannungsstörer und Rechtsaußen, so dass sich auch der Verfassungsschutz für mich interessierte. Selbst Altbundeskanzler Helmut Kohl gab zu: „Schon in den siebziger Jahren war die Einheit nur noch für wenige in unserem Land eine Herzensangelegenheit. Wer damals für die Einheit eintrat, galt als Ewiggestriger oder Kriegs­treiber.“
Nun saß ich also mit Bürgerrechtlern und Günter Schabowski in einem Vorraum der Ost-Ber­liner Akademie der Künste. Schon im Vorgespräch zu der anschließenden Podiumsdiskussion gerieten Schabowski und ich dermaßen aggressiv und lautstark aneinander, dass ich in ihm den typischen Brutalo-Funktionär der SED-Diktatur zu erkennen glaubte. Aber mich konnte nach insgesamt 17 Monaten Stasi-Untersuchungshaft nichts mehr einschüchtern.
Doch als die Veranstaltung eine Stunde danach auf einer Art Rundbühne begann und wir von der Bühnenbeleuchtung geblendet kaum das Publikum erkennen konnten, erschütterte mich Schabowski auf überraschende Weise. Denn auf einmal gab er sich ganz milde und bedau­erte, dass „solche wertvollen Menschen“, und er wies mit beiden Händen auf die beiderseits um ihn sitzenden Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley, Wolfgang Templin und andere, „die in unserem Staat nicht anerkannt, sondern drangsaliert worden“ waren. Er kam wohl gar nicht bis zum Ende seines Satzes, weil aus der Dunkelheit des Publikums Buh-Rufe und Schmäh­worte wie „Heuchler!“ erschallten. Plötzlich tat er mir trotz eines Anflugs von Schadenfreude etwas leid.
Anschließend nach dieser mir als unerquicklich in Erinnerung haftender Veranstaltung lud uns der Veranstalter zu einem Abendessen ein. Doch es waren nirgendwo Tische reserviert worden, so dass wir wie zu besten DDR-Zeiten von einem Restaurant zum anderen zogen, bis endlich der mittlerweile dezimierte Haufen kurz hinter dem ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie in einer griechischen Gaststätte Platz fand. Ausgerechnet an einem der Tischenden dieser langen Tafel saß mir Schabowski gegenüber. Mir verging fast der Appetit.
Doch wie es im richtigen Leben manchmal so sein kann, entwickelte sich zwischen uns nach anfänglichem Zögern ein so lebhafter Dialog, dass wir alles um uns herum vergaßen und ge­gen halb drei in aller Frühe als letzte die Lokalität verließen. Draußen lag erster Schnee. Be­vor wir auseinander gingen, wies ich über die Straßenseite auf das private Mauermuseum und sagte, dass ich dort schon einige Male zusammen mit meinem väterlichen Freund Dr. Rainer Hildebrandt Opfer-Täter-Gespräche moderiert hatte.
„Würden Sie sich dort ebenfalls zu einem solchen Gespräch zur Verfügung stellen?“
Spontan erwiderte er: „Nee, Herr Faust, das können Sie von mir nicht verlangen. Das war ja eine Feindzentrale Nummer 1, äh…“
„Nun, dann glaube ich Ihnen kein Wort von dem, was Sie mir gerade berichtet hatten!“
Er rang um Worte, kniff die Lippen zusammen, bevor er trotzig hervor brachte: „Na gut… äh, dann mache ich das!“
Er hielt sein Wort, und so kam es endlich im März 1992 unter großer Medienpräsens zu ei­nem öffentlichen von mir moderierten Streitgespräch zwischen ihm und dem drei Monate älteren Journalisten, Historiker und Schriftsteller Dieter Borkowski (1.11.1928 – 22.2.2000). Beide hatten als Ju­gendliche an den versprochenen Sieg des Führers geglaubt und als 17-jährige in den Trüm­mern Berlins gestanden und sich gefragt: Wer war schuld, wem haben wir das zu verdanken?
Und so gerieten beide an alte Kommunisten, die ja immer einfache und damit für Jugendli­che plausible Antworten parat hatten. Beide machten fortan als Journalisten Karriere, doch Borkowski wurde schon abtrünnig, nachdem er die Ereignisse am 16. und 17. Juni 1953 in Berlin genau beobachtet hatte. Man schloss ihn bald aus der SED aus, zudem erhielt er Be­rufsverbot. 1960 verhaftete man ihn zum ersten Mal und hielt ihn für zwei Jahre hinter Git­tern. Fünf Jahre schrieb er anschließend anonym für die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, was ihm erneut Gefängnis einbrachte. 1972 wurde er gegen eine DDR-Agentin aus dem Vorzimmer des damaligen Bundesinnenministers Genscher ausgetauscht und freige­kauft.
Schabowskis Karriere ging hingegen ungebremst weiter, vor allem nachdem er 1967 bis 1968 eine Ausbildung an der Moskauer Parteihochschule beendet hatte. So brachte er es nicht nur zum Chefredakteur der Parteizeitung „Neues Deutschland“, sondern stieg 1985 zum Ersten Sekretär der Bezirksleitung der SED von Ost-Berlin auf, 1986 zum Sekretär des ZK und unter­stand somit direkt dem Generalsekretär Erich Honecker. Aufgrund dieser Position galt er zeitweise sogar als sein Nachfolger.
Die SED-Schriftstellerin Christa Wolf erinnerte sich „an einige der wenigen Auftritte Schabowskis im Schriftstellerverband. Vor dem hatte man Angst“, er sei „wirklich einer der Schlimmsten vor der Wende“ gewesen.
Und dann kam das, was Kommunisten „die Wende“ nennen, also das, was sie trotz des größ­ten Überwachungsapparates der Welt nicht mehr aufhalten konnten: die gewaltlose Revolu­tion, also den sanften Zusammenbruch nicht nur der DDR, sondern des gesamten Ostblocks.
In dieser Zeit, als die führenden SED-Bonzen sich schon vor Angst verkrochen hatten, weil Gorbatschow nicht mehr die Panzer zu Macht-Rettung der deutschen Genossen zur Verfü­gung stellte, trat Schabowski ziemlich mutig agitierend den Massen entgegen, auch wenn er kräftig ausgepfiffen wurde.
Mit seinem Konkurrenten Egon Krenz, dem er geistig überlegen war, tüftelte er mit weiteren SED-Treuen hektisch einen Plan zur Rettung der DDR aus. Kurz nach dem Sturz Honeckers und der Inthronisierung von Krenz war Schabowski so eine Art Regierungssprecher gewor­den. Um eine politische Explosion in der DDR zu verhindern, versuchte man die Luft heraus­zulassen, indem man die DDR-Bewohner endlich auch in den Westen ausreisen lassen wollte. Man war überzeugt, dass die Mehrheit, wenn sie ohnehin ein- und ausreisen dürfe, auch wieder zu­rück käme, weil eine Massenflucht zu Freunden und Verwandten in der Bun­desrepublik Deutschland nach einer Weile zu viele Unannehmlichkeiten mit sich brächte. Seit Mitte 1989 kamen einige Vertreter des SED-Regimes zu der Erkenntnis, dass ihr System nur über­leben könne, wenn man der wachsenden Opposition etwas entgegenkomme. Zu diesem Zweck wurde „Dialogbereitschaft“ kreiert. Schabowski gehörte zu denjenigen, die sich hier besonders einsetzten.
Am 9. November 1989 gab die neue DDR-Regierung eine erste öffentliche Pressekonferenz, an der auch der Klassenfeind mit seinen Journalisten teilnehmen durfte. Auf den verschie­denen Ebenen des Zentralkomitees, des Politbüros, den Ministerien und jenen, die Texte auszuarbeiten hatten, ging es ziemlich drunter und drüber. Der Druck von der Straße mit dem Ruf „Wir sind das Volk“, der überging zu dem bedrohlichen Ruf „Wir sind ein Volk“, machte nicht nur nervös, sondern Angst. Noch waren einige überzeugt: „Wir schaffen das!“
Obwohl ihn sein Vorgesetzter Egon Krenz zur Pressekonferenz noch mit auf dem Weg gege­ben hatte: „Du musst unbedingt über den Reisebeschluss informieren. Das ist die Weltnach­richt“, hätte Schabowski diese Thematik bald verschlafen. Erst kurz vor Schluss fragte ein italienischer Journalist in etwas gebrochenem Deutsch: „Herr Schabowski, Sie haben von Fehlern gesprochen. Glauben Sie nicht, dass es war eine große Fehler, diese Reisegesetzent­wurf, das Sie haben vorgestellt vor wenigen Tagen?“ Schabowski drückte zunächst sein Er­staunen aus, die neue Regelung sei nach seiner Kenntnis doch schon veröffentlicht worden – was nicht stimmte. Dann suchte er aus den mitgebrachten Unterlagen den Text des Rege­lungsentwurfs heraus und las daraus vor.
Auf die Nachfrage eines Bild-Zeitungsreporters „Wann tritt das in Kraft?“ antwortete Schabowski verunsichert: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“
Er wusste weder, ob das mit den sowjetischen Besatzern abgesprochen, noch dass dieser Termin erst für den nächsten Tag festgelegt worden war. Der Nachrichtensprecher sollte diese Nachricht der freien Aus- und Einreise früh um 4 Uhr in den Nachrichten melden, wenn das Volk noch schliefe, um bis dahin auch die Passkontroll-Offiziere informieren zu können.
Zum Glück hielt sich kein Grenzoffizier an den Schießbefehl als die Massen immer dichter an die Grenzschranken drückten. Und als sie endlich ohne direkten Befehl von oben geöffnet wurden, wussten vorerst wohl nur die Wenigsten, dass damit das Ende der DDR eingeläutet worden war.
Der größte Schock für Günter Schabowski war, als er neben den meisten anderen Politbüro-Mitgliedern von der Zentralen Schiedskommission aus der SED-PDS, quasi aus seiner ureige­nen Familie ausgeschlossen wurde. Später gab er jedoch zu, diese Vorwürfe und den Aus­schluss zunächst mit Enttäuschung und Wut über die Heuchelei, später allerdings als Beginn seiner geistigen Freiheit empfunden zu haben. Nun nahm er sich auch die Freiheit, Bücher von Renegaten und Dissidenten zu lesen, die er zuvor nie eines Blickes gewürdigt hatte: „Wir hatten doch gar keine Zeit, uns mit denen zu beschäftigen, die uns verraten haben, die von uns abgefallen waren. Das war für uns Abfall. Damit konnte sich die Staatssicherheit beschäf­tigen, doch nicht wir. Wir hatten nach vorn zu blicken, da gab es genug Probleme, denn das kommunistische Paradies, das Marx gesetzmäßig kommen sah, war doch nicht so schnell zu ergreifen, wie wir es gehofft hatten, denn noch immer funkten die Klassenfeinde dazwi­schen.“
Aber dann nahm er sich endlich die Zeit, zusammen mit seiner russi­schen Frau Irina das be­rühmteste Werk eines Ketzers in die Hand zu nehmen – Arthur Ko­estlers (1905-1983) Roman „Sonnenfinsternis“. Die Hauptfigur dieses Romans war inspiriert von so alten Bolschewiki wie Nikolai Bucharin und Karl Radek, die neben Millionen anderer Unschuldiger zu Opfern der berüchtigten Moskauer Prozesse gemacht worden waren. An­schaulich und atemberau­bend wurde hier die willenlose Unterwerfung des Individuums un­ter Stalins mörderische politische Maschinerie dargestellt.
In den 1992 eröffneten Politbüroprozessen wurde Schabowski im Januar 1995 zusammen mit anderen auf Grund des Todes von DDR-Flüchtlingen wegen mehrfachen Totschlags an­geklagt. Nach langer Verhandlung machte das Berliner Landgericht Schabowski zusammen mit Egon Krenz und Günther Kleiber für den Schießbefehl an der Mauer mitverantwortlich und verurteilte Schabowski erst im August 1997 wegen Totschlags zu einer Strafe in Höhe von drei Jahren. Seine Anwälte gingen zwar gegen die rechtliche Würdigung des Urteils beim Bundesgerichtshof in Revision, doch Schabowski erkannte seine moralische Schuld an den To­desschüssen an und bat die Angehörigen der Opfer um Verzeihung. Ende 1999 trat er die Haftstrafe in Berlin-Hakenfelde an, wurde jedoch schon nach einem knappen Jahr Haft ent­lassen, nachdem er vom damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin begnadigt worden war.
Schabowski war einer der wenigen von den ehemaligen SED-Bonzen, die sich nicht nur im Politbüroprozess, sondern auch weiterhin öffentlich zu ihrer Mitverantwortung an dem DDR-Unrechtssystem bekannten und anschließend aktiv an deren Aufarbeitung mitwirkten. Dass er dafür von den Wendehälsen und davongekommenen Stasi- und Politoffizieren, die sich in verschiedenen Verbänden zusammenschlossen, regelrecht gehasst und als „Verräter“ be­schuldigt wurde, kann nicht verwundern.
Was ich ihm zugutehalte ist, dass er, obwohl er von seiner Natur her ein Machtmensch war, nie wieder Machtfunktionen annahm, die ihn bald wieder angeboten wurden. Beruflich musste Schabowski nach dem Zusammenbruch der DDR neu anfangen, und zwar von ganz unten als kleiner Redakteur einer lokalen Wochenzeitung im hessischen Rotenburg an der Fulda.
Es war ja bekannt geworden, dass die oberen Funktionäre in ihrer Wandlitz-Siedlung ziem­lich geprasst haben auf Kosten des Volkes. Auch das gab Schabowski zu, obwohl es ihm pein­lich war. Nun war er durch die Prozesse und die Anwaltskosten total verschuldet.
Und so kam es, dass wir uns fast 15 Jahre nach unserer ersten persönlichen Begegnung in der Akademie der Künste, also im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wieder trafen und gemeinsam mehr als ein Dutzend Einladungen an Gymnasien zwischen Bayern, Baden Württemberg und Hamburg für kleine, also die üblichen Honorarsätze für Referenten an­nahmen, die zumeist von der Konrad-Adenauer-Stiftung gesponsert wurden.
So lernten wir uns besser kennen. Schabowski übernachtete zweimal in meinem Mietshaus in einem Dorf bei Würzburg. Sogar meine beiden jüngsten Söhne, damals noch Vorschulkin­der, konnten sich, als von Schabowskis Tod in den Nachrichten berichtet wurde, noch an ihn erinnern, denn er hatte sie mit Fotos beeindruckt. Denn wenn ich mit „Schabbi“ telefonierte, quatschte immer jemand herein. Es war aber nicht seine kluge Frau, sondern sein Papagei. An diesen Papagei, auf dem Foto auf einer seiner Schulter sitzend, konnten sie sich noch erinnern.
Einige DDR-Dissidenten und Haftkameraden nahmen es mir anfangs noch übel, dass ich mit diesem angeblichen Politbonzen durch die Gegend zog. Sie waren schwer davon zu überzeu­gen, dass dieser Mann, wenn auch erst nach dem Zusammenbruch seines Staatssystems, eine gründliche Wandlung durchmachte und so von einem Saulus zum Paulus geworden war. Meine engsten Freunde und Glaubensbrüder einer evangelischen Bruderschaft wurden neu­gierig, und so luden wir Günter Schabowski einmal zu einem unserer Konvente ein. Er war in seiner Kindheit auch evangelisch getauft worden, so dass er in unserem Kreise nicht nur mit uns diskutierte, sondern in Neudietendorf sogar an einem Gottesdienst mit Abendmahl teil­nahm.
In seinem letzten Buch „Wir haben fast alles falsch gemacht – die letzten Tage der DDR“ von 2009 gibt er in einem Interview zu: „Mit Siegmar Faust entwickelte sich danach sogar eine Art Freundschaft. Zu Beginn war er natürlich skeptisch, aber ich habe den Kontakt mit ihm gehalten.“
Wenn wir dann vor Schülern auftraten, oft war die ganze Aula voll, dann versuchte ich im­mer eine Brücke zu meinem Nachredner zu bauen, indem ich nicht nur als Dissident und Re­gimegegner auftrat, sondern berichtete, dass ich selber in meiner Jugend ein begeisterter Marxist war. In einem Bericht der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule von 2009 hieß es:
„Faust sieht einen Zusammenhang zwischen ‚systematischer religiöser Entwurzelung‘ in der DDR und der Verführung ihrer Jugend zur Ersatzreligion Marxismus. Er plädiert deshalb für die Entwicklung und Verteidigung einer echten Streitkultur, denn ‚Streit ist Demokratie‘. Den Verlust seines eigenen Glaubens an das Dogma des Marxismus schilderte er als sehr schmerzhaft – ‚so verliert man ja auch seinen Freundeskreis‘. Dass er während seiner Jahre in DDR-Gefängnissen gefoltert wurde, ergänzte erst Schabowski, der sich anschließend vor­stellte. Stolzer als auf seine Leistungen als Bürgerrechtler zeigte sich Faust auf seine Entde­ckung des Dichters und Schriftstellers Wolfgang Hilbig.
Biografisch wesentlich später erfolgte Schabowskis Desillusionierung, der noch mit 60 als eines der jüngsten Politbüro-Mitglieder überzeugter Marxist war. Er stellte seine ideologi­sche Prägung als Folge der Opposition gegen den Einfluss des Nationalsozialismus in Deutschland dar. Heute gehe es ihm aber nicht bloß um Vermittlung von Zeitgeschichte, sondern um die Deutung der Gegenwart, etwa um die Enttarnung der ‚Linken‘ als ‚Bankrott­partei‘, deren Vorläufer und Geburtshelfer, die SED, den Staatsbankrott der DDR herbeige­führt habe.“
Was wäre dem noch hinzuzufügen? Nun, ich bin froh, in meinem Leben die Wandlung eines in das DDR-Unrechtssystem verstrickt gewesenen Menschen hautnah miterlebt haben zu dür­fen, aber auch traurig, dass es nun nur noch die Erinnerung an diese Persönlichkeit gibt.
Günter Schabowski fasste unsere Auftritte vor Schülern sehr treffend zusammen: „Ich wollte von ihnen wissen, wie sie es finden würden, dass Täter und Opfer heute beisammensitzen können und miteinander diskutieren, zudem zwei Ossis im Westen. Sie waren begeistert davon, dass dies so unkompliziert möglich war. Das ist nur möglich, erwidere ich, wenn der Täter seine Schuld begreift und diese Schuld beschreiben kann, und das Opfer verzeihen kann, ohne dass beide eine heuchlerische Masche daraus machen.“

Über Siegmar Faust 46 Artikel
Siegmar Faust, geboren 1944, studierte Kunsterziehung und Geschichte in Leipzig. Seit Ende der 1980er Jahre ist Faust Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), heute als Kuratoriums-Mitglied. Von 1987 bis 1990 war er Chefredakteur der von der IGFM herausgegebenen Zeitschrift „DDR heute“ sowie Mitherausgeber der Zeitschrift des Brüsewitz-Zentrums, „Christen drüben“. Faust war zeitweise Geschäftsführer des Menschenrechtszentrums Cottbus e. V. und arbeitete dort auch als Besucherreferent, ebenso in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Er ist aus dem Vorstand des Menschenrechtszentrums ausgetreten und gehört nur noch der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik und der Wolfgang-Hilbig-Gesellschaft an.

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