Selbst wenn die Gespräche im Berliner Kanzleramt nicht zu einem Waffenstillstand führen, was immer noch wahrscheinlich erscheint, wird die Frage bleiben, warum erst seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump solche Bemühungen überhaupt statt finden. Und warum geschah das nicht aus der EU heraus? Warum drängten sich die Führungsstaaten der EU erst in buchstäblich letzter Minute in diese Gespräche?
Friedrich Merz hat am Samstag beim CSU-Parteitag in einer bemerkenswert ernsten und eindringlichen Rede vor der Bedrohung Europas durch die russische Politik gewarnt: „Es ist ein täglicher Angriff gegen ganz Europa – territorial gegen die Ukraine, aber in jeder Hinsicht auch gegen die Europäische Union, gegen den Zusammenhalt in Europa, gegen unsere Datennetze, gegen unsere Freiheit, gegen unsere Informationsfreiheit“ (https://www.youtube.com/watch?v=5GS4nQlDJBk).
Dabei mag Merz auch von der Sorge getrieben werden, dass im Falle eines für die Ukraine erträglichen Waffenstillstands Deutschland wieder in die Bequemlichkeit der vergangen Jahrzehnte zurückfällt. Es wird aber kein Zurück in die Verhältnisse nach dem Fall der Mauer geben. Zu Recht erinnert Merz daran, dass nicht erst 2022, sondern bereits 2014 zu erkennen war, was sich abzeichne: „Eigentlich war schon der Mai 2014 der Tag, an dem wir es hätten wissen müssen.“ Die oft gezogene Analogie zu 1914 sei falsch: „Richtiger wäre wohl gewesen, 1938 als historische Analogie heranzuziehen.“
Damit sich 1938 nicht wiederholt, werden EU und Großbritannien im Falle eines Waffenstillstands diesen militärisch absichern müssen. Sie werden allein die Last dafür tragen. „Sage bitte niemand, Abschreckung sei ein altes oder überkommenes Konzept,“ mahnt Merz. Gerne wird heute übersehen, dass die Einleitung der Entspannungspolitik durch die erste sozialliberale Koalition ohne militärische Abschreckung nicht möglich gewesen wäre, gewährt durch die USA. Das ist vorbei. Heute müssen das EU und Großbritannien leisten. Nüchtern notiert Merz, es gelte, „die NATO und das westliche Bündnis so lange wie möglich aufrechtzuerhalten“ und erklärt damit implizit, dass eine neue Ordnung schneller erforderlich sein könnte, als viele heute erwarten.
Noch nie hat ein deutscher Bundeskanzler das so klar formuliert: „Die Jahrzehnte der Pax Americana sind für uns in Europa und auch für uns in Deutschland weitestgehend vorbei. Es gibt es nicht mehr so, wie wir sie kennengelernt haben. Und da hilft auch keine Nostalgie. Die Amerikaner nehmen jetzt sehr hart ihre eigenen Interessen wahr. Und das kann doch keine andere Antwort bedeuten als die, dass wir eben jetzt auch unsere Interessen wahrnehmen“.
In diesen Stunden und Tagen wird im Berliner Kanzleramt Geschichte geschrieben. Gelingt ein Waffenstillstand, beginnen die eigentlichen Anstrengungen erst.
