Der Teufel als guter Geist an der Bayerischen Staatsoper

Lieferten viel Kunterbuntes: die Umtriebigen in der „Nacht vor Weihnachten“ mit GMD Vladimir Jurowski, Foto: Hans Gärtner

Nichts sprach dagegen, dass die junge Dauerhusterin zur Linken nach der Pause der Zweitaufführung der Korsakow-Oper „Die Nacht vor Weihnachten“ nicht mehr erschien. Was sie sah und hörte, war ihr fad, also hustete sie mal drauflos, während der Nachbar zur Rechten es beim stillen Dauereinnicken beließ. Die Oper ist 130 Jahre alt, für München wurde sie jetzt ausgekramt. Dem darauf schon wegen der erforderlich reichen Besetzung mit Turnern, Zirkusartist(inn)en, Tänzer(inne)n, Spaßmachern und nicht zuletzt des Russischen mächtigen Sänger(inne)n lüsternen Regisseur Barrie Kosky, der in GMD Vladimir Jurowski den musikalischen Connaisseur und Förderer „kleinrussischer“ Folklore (Koljada-Singen) hatte, koproduzierte der Berliner mit München, wo er eine famose „Fledermaus“, sie gibt`s wieder zu Silvester,  inszenierte. Mit dem nach Nicolai Gogols Erzählung erstellten Drehbuch hatte er aber nicht so viel Glück.

Seine im ganzen zehn Protagonisten – vom schweinsnasigen Teufel des stimmlich herausragenden Bassisten Tansel Akzeybek über so spielfreudige, ungeschickt ausgepolsterte und wie zu Schulabschlussfeier-Klamauk  verkleidete Gestalten wie Dorfschulze (Sergei Leiferkus), Diakon (Vsevolod Grivnov) oder Kosak Tschub (Dmitry Ulyanov) bis hin zum vom (wunderbar flexiblen) Chor belachten Hexenmeister Pazjuk (Matti Turunen) – gaben ihr Bestes. Doch blickte man kaum so recht durch, was sie da, die drei Leitern rauf und runter, mit Mond-Montage und Schneegestöber-Erzeugung, im hierzu wenig Erhellendes liefernden Einheitsbühnenbild von Klaus Grünberg alles in Bewegung setzen und am Rennen halten mussten.

Wie angenehm, dass Oksana in ihrer Auftritt-Arie ausführlich ihre eigene Schönheit besingen durfte: Elena Tsallagova empfahl sich als todsichere Garantin für von Hingabe an einen Liebhaber erregtes Gurren. Den sang recht angestrengt der aus St. Petersburg kommende Sergey Skorokhodov. Als Dorfschmied Wakula war er damit beschäftigt, Osakas Hochzeitswunsch zu erfüllen: die goldenen Schuhe der Zarin. Diese verkörperte, im  schwebenden Silber-Weiß-Arrangement des Palastes thronend und warm und gütig singend die in München zu selten gesehene Violeta Urmana. Ihr wurden keine goldenen, sondern nur goldbestickte Schuhe abgenommen, dazu aber gleich beide Unterbeine mit. Haha. Da war mal was zu lachen.

Und zu bestaunen. Denn es gab im Schlussteil edlen Gruppentanz im Zaren-Palast. Dorthin gelangte, das Zirkustreiben hatte gottlob mal ein End`, der kühne Wunscherfüller Wakula, dem die tolldreiste Aktion gelang. Auf des Teufels, des guten Geistes, Rücken war er durch die Nacht geflogen. Das musste – endlich! – auch von dem immer mehr ins Geschehen einbezogenen und doch noch animierten Publikum mit Applaus honoriert werden. Oksana hatte ihre zweite Arie mit noch mehr Inbrunst ausstaffiert, und es war mit großem Tamtam zum „Finale im Gedenken an Gogol“ gekommen, den Märchendichter. Sein Text steht, wie auch das ganze (deutsche und russische) Libretto, im diesmal verhalten farbig gedruckten Programmbuch.

Barrie Kosky riet in einem Trailer, nach der Oper zu einem Glas Glühwein, „würzig und spritzig“. Ergänzt werden müsste: mit einem Extra-Prosit auf Vladimir Jurowskis mit- und hinreißende , zum Wodka-Schlucken sogar witzig verspielte Klangpassagen, die er dem Bayerischen Staatsorchester entlockt.  Und das ließ es sich nicht nehmen, herrlich präzise auf Solo-Partien, aber auch zum Beispiel auf die feinen Choreographien Otto Pichlers zu reagieren.

Mit dem verklärten Blick auf Weihnachten habe die Oper von Nicolai Rimski-Korsakow nichts zu tun, stellte Jurowski schon im Vorfeld klar, „eher mit den dunklen Tagen, die durch die Wintersonnenwende überwunden werden, die Wiedergeburt der Sonne und des Lebens“.

Ab sofort also lieber Rimski-Korsakow als Puccini („La Boheme“) oder „Hänsel und Gretel“ von Humperdinck als Münchner Dezember-Oper? Wohl nicht. Die beiden ersten Akte ziehen sich klamaukig hin, in die Pseudo-Magie mit rot behörntem Mephisto wird zu viel hinein interpretiert und der Aufwand für jede Menge doofen Hexenzauber (wenngleich versiert geliefert von Ekaterina Semenschuk als Solocha) und dummes Kohlensack-Versteckspiel dauerbetrunkener alter Dorfhonoratioren ist zu hoch.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.