Herzogin Anna Amalia Bibliothek erwirbt Weimarer Prachtband der Spätrenaissance

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek der Klassik Stiftung Weimar hat auf einer Berliner Auktion im Oktober 2010 ein kostbares Buch aus der Renaissancezeit erworben, das im 16. Jahrhundert schon einmal zur Weimarer Fürstenbibliothek gehörte, später jedoch infolge von Erbteilungen in andere Sammlungen gelangte. Es handelt sich um den zehnten Band der Wittenberger Luther-Ausgabe aus dem persönlichen Vorbesitz von Herzog Friedrich Wilhelm I. von Sachsen-Weimar (1562-1602) und seiner ersten Gemahlin Sophie, geb. von Württemberg (1563-1590). Der herausragende Einband mit dem Bildnis des Reformators wurde in der Jenaer Hofbuchbinderei von Hans oder Lukas Weischner gearbeitet. Beide zählen zu den bedeutendsten Buchbindern der Spätrenaissance. Auf den Innendeckeln finden sich handschriftliche Eintragungen von Herzogin Sophie, die sich auf die Lektüre des Luther-Textes beziehen.
Für die Weimarer Sammlung schließt der erworbene Band in mehrfacher Hinsicht eine Lücke. Das nach mehr als 400 Jahren an den Ort seiner frühesten Nutzung zurückgekehrte Buch ist ein Unikat, das eng mit der Geschichte des Weimarer Fürstenhauses und seiner Büchersammlung verbunden ist. Gleichzeitig ist sein kostbarer Einband eines der ganz wenigen mit Lackmalerei verzierten Exemplare, die heute noch aus der Jenaer Weischner-Werkstatt erhalten sind.
Beim Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek 2004 wurden zahlreiche historische Bucheinbände bedeutender Werkstätten zerstört, deren Verlust nur durch die Erwerbung vergleichbarer Unikate annähernd kompensiert werden kann.
Der Ankauf wurde aus Spendenmitteln finanziert, die nach der Brandkatastrophe zugunsten der Wiederbeschaffung von historischen Drucken eingingen. Ab dem 9. April 2011 wird der repräsentative Fürsteneinband in der Ausstellung »Reise in die Bücherwelt – Drucke der Herzogin Anna Amalia Bibliothek aus sieben Jahrhunderten« im Renaissancesaal der Bibliothek zu sehen sein.


Provenienz und historischer Hintergrund

Die am vergoldeten Schnitt des Bandes aufgebrachten Wappen weisen das Buch als Eigentum des Weimarer Fürstenpaares aus. Das Herzogtum Sachsen-Weimar war erst 1572 bei der Erfurter Teilung entstanden, Friedrich Wilhelm I. regierte es von 1586 bis zu seinem Tod 1602. Den
Buchbesitz dokumentieren außerdem zwei Einträge auf den Innenseiten der Einbanddeckel, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Hand Sophies stammen. Die Einträge beziehen sich auf die

Lektüre von Luthers Auslegung der Genesis (1. Buch Mose, Beginn des Alten Testaments), die am 31. Oktober 1586 begonnen und am 11. Mai 1587 abgeschlossen wurde. Dabei ist das Datum des späteren Reformationstages vielleicht nicht zufällig gewählt. Unterstreichungen und zahlreiche handschriftlich am Rand wiederholte Bibelstellen zeigen, dass der Luther-Text bis zur Seite 209 systematisch studiert wurde. Das Buch ist damit als wichtige historische Quelle zur Frömmigkeit der Herzogin und zur Reformationsgeschichte in Thüringen anzusehen.

Die bereits 1569 gedruckte Luther-Ausgabe muss zwischen 1583, dem Jahr der Hochzeit des Paares und 1586, dem Jahr des ersten handschriftlichen Eintrags, mit dem kostbaren Einband versehen worden sein. Aus der herzoglichen Bibliothek Friedrich Wilhelms I. haben sich in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek nur ganz wenige Exemplare erhalten, da seine Büchersammlung nach dem Tod des Herzogs in das neu gegründete und den beiden Söhnen zugesprochene Herzogtum Sachsen-Altenburg überführt wurde. Später gelangte sie nach Gotha und gehört heute zum Bestand der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha.


Einzigartiger Einband der Jenaer Weischner-Werkstatt

Der prachtvolle Einband wurde in der Jenaer Hofbuchbinderei von Hans Weischner (um 1515-1589) oder seinem Sohn Lukas Weischner (1550-1609) gearbeitet. Beide gehören zu den bedeutendsten Buchbindern der deutschen Spätrenaissance. Hans Weischner war bereits Hofbuchbinder der Herzöge Johann Friedrich II. von Sachsen und Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar, der Mitte des 16. Jahrhunderts das »Grüne Schloss« erbauen ließ, in dem sich heute die Herzogin Anna Amalia Bibliothek befindet. Außerdem war er der erste Jenaer Universitätsbuchbinder und einer der ersten Bibliothekare der Universität. Sein Sohn Lukas lernte sein Handwerk in der väterlichen Werkstatt und erhielt daraufhin 1572 eine Anstellung als Hofbuchbinder bei Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg, für den er bis 1579 einige seiner schönsten Einbände hergestellt hat. Anschließend kehrte Lukas Weischner nach Jena zurück, übernahm 1588 kurz vor dem Tod des Vaters dessen Werkstatt und war bis 1609 für den Weimarer Hof tätig.
Der Einband kann auf Grund seiner Datierung um 1586 nicht mit letzter Sicherheit Vater oder Sohn zugeschrieben werden, aber da Hans Weischner zu dieser Zeit bereits schwer krank war, ist es wahrscheinlich, dass die Arbeit von seinem Sohn Lukas stammt. Das augenfälligste Merkmal der hochwertigen Fürsteneinbände von Lukas Weischner besteht in der Verwendung von Lackfarben. Die Vorbilder seines Stils sind in Frankreich zu finden, wo zur Mitte des 16. Jahrhunderts Bandwerkornament beliebt war, wie es hier auch auf dem Rückdeckel zu sehen ist. Die Bänder laufen an den Deckelkanten in feuerspeiende Drachenköpfe aus. Im Zentrum ist eine Kreuzigungsszene zu sehen. Die Ornamentik des Vorderdeckels trägt dagegen schon frühbarocke Züge. Im Zentrum befindet sich ein Halbfigurenporträt Martin Luthers, das auf Vorlagen der Cranach-Werkstatt zurückgeht. Es wird von einer sogenannten Mandorla umschlossen. Der glänzend goldene Schnitt ist mit fein gepunzten und kolorierten Wappen verziert: die Stirnkante mit dem Wappen Herzog Friedrich Wilhelms I. und der Kopfschnitt mit dem Wappen seiner Gemahlin Sophie, der Tochter Herzog Christians von Württemberg.

Die in den Jahren 1539-1550 entstandene Wittenberger Luther-Ausgabe ist die erste von zahlreichen Werkausgaben des Reformators. Luther schrieb selbst noch zwei bedeutende Vorreden zu den zwölf deutschen und sieben lateinischen Bänden. Der vorliegende zehnte Band entstammt der dritten Auflage und wurde in Wittenberg bei Peter Seitz gedruckt. Dieser Druck war bislang noch nicht im Bestand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek nachgewiesen. Weimar hat eine besondere Bedeutung für die Editionsgeschichte von Luthers Schriften. Hier entstand von 1883 bis 1970 die heute für die Forschung maßgebliche historisch-kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), zusammen mit dem 2009 in Tübingen abgeschlossenen Sachregister umfasst sie 127 Bände.


Wiederbeschaffung von historischen Drucken nach dem Bibliotheksbrand

Nach dem Bibliotheksbrand am 2. September 2004 muss der Verlust an Büchern auf ca. 50.000 Bände beziffert werden. Es handelt sich um die Bestände, die zum Zeitpunkt des Brandes auf der zweiten Galerie des Rokokosaals und dem Dachboden untergebracht waren, diese Bereiche des Historischen Gebäudes wurden komplett zerstört. Ein Teil der dort befindlichen Bücher konnte nach der Katastrophe durch schnelles und umsichtiges Handeln aus dem Brandschutt geborgen werden. Diese sogenannten »Aschebücher« mit z. T. schweren Brandschäden werden seit 2009 nach und nach identifiziert, restauriert und digitalisiert. Der Großteil des Bestandes der zweiten Galerie ist jedoch unwiederbringlich verloren. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek bemüht sich seit 2005, die entstandenen Lücken durch neu erworbene historische Originalausgaben zu schließen. Der zeitliche Schwerpunkt liegt, wie bei den Verlusten auch, auf Drucken aus dem 16. bis frühen 19. Jahrhundert. Im Projekt »Wiederbeschaffung von historischen Drucken« wertet ein Team von fünf Bibliothekarinnen systematisch Auktions- und Antiquariatskataloge sowie eine Vielzahl von Verkaufs- und Schenkungsangeboten aus. Zum einen können dadurch Drucke wiederbeschafft werden, die derselben Ausgabe angehören wie die in Weimar verbrannten Exemplare. Zum anderen werden die Verluste durch vergleichbare Ausgaben, Bestandsergänzungen oder durch die Erwerbung wertvoller Sammlungen kompensiert. Seit 2005 sind ca. 28.000 im Projekt erworbene Bücher in den Bestand integriert worden, darunter auch mehr als 12.000 Buchgeschenke. Die meisten Ersatzexemplare aus der Zeit vor 1850 können jedoch nur über Ankäufe auf dem antiquarischen Buchmarkt beschafft werden. 7.600 verbrannte Drucke der Weimarer Sammlung wurden bereits in Form eines anderen Exemplars derselben oder einer ähnlichen Ausgabe wiederbeschafft. Weitere Ersatzkäufe betreffen Literatur, die den Brandverlusten in sachlicher, zeitlicher oder regionaler Hinsicht vergleichbar ist sowie mehrere das Profil des historischen Bestandes stärkende Privatsammlungen. An Erwerbungsmitteln wurden bislang 3,5 Millionen Euro eingesetzt.

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