Kritische Anmerkungen zu Bernd Ehlerts Kritik: „DerDenkfehler und die Inhumanität der „Neuen Atheisten“ um Richard Dawkins.“

Erschienen in: TABVLA RASA, Die Zeitung für Mitteldeutschland. Ausgabe 30. Oktober 2007.

Die Quintessenz: Ehlert ist mit der kritischen Interpretation der Religion(en) durch die „Neuen Atheisten“ weitgehend einverstanden, bewertet aber die evolutionistischen Auswirkungen und „Aggregatzustände“ unter einem nüchternen (objektiveren?) Aspekt. Wo Dawkins mit sehr viel schärferen Formulierungen den „Nutzen“ der evolutionär entstandenen Religion in Frage stellt als „Witz von kosmischem Ausmaß“, bewertet Ehlert Dawkins’ Vorgehen als eine Art von inhumaner Aggressivität, als typisch instinktgebundene mit dem Intellekt der Moderne nicht mehr zu vereinbarenden Auseinandersetzung.

Hierzu wäre zu bemerken: Wenn man die „Wohltaten“ der evolutionär herleitbaren Religion Revue passieren lässt, dann scheint die dawkinsche Diktion eher zahm und dem historischen Sachverhalt angemessen. In noch höherem Masse gilt dies noch für die gegenwärtigen religiösen Phänomene.Ehlert sollte nicht hinter wissenschaftlich korrekten Grundannahmen als Apologet verschiedener religiöser Aspekte auftreten und dann seinerseits zu der von ihm beklagten polarisierenden Argumentation greifen und die Atheisten verteufeln und von „Inhumanität, Polemik, Konfrontation und Vernichtungswillen“ zu sprechen

Beschönigen hilft hier gar nichts und vom „Nutzen“ der Religionen zu sprechen, mag in evolutionären Dimensionen, als die frühen Menschen sich um einen Identifikationsfigur herum zu einer tribalistisch-homogenen Gemeinsamkeit entwickelten und eine Art Solidaritäts- und Wir-Gefühl entwickelten, das sich schon damals gegen andere Gruppen absonderte, angemessen sein, heute aber ist es bestenfalls auf der Individualebene noch gültig,sofern sich das gläubige Individuum hier einen Halt für sein individuelles Leben sucht, aber schon nicht mehr, wenn er sich in „Konkurrenz“ mit einem andersdenkenden Individuum befindet! Dann endet die Moral und der Rückgriff auf eine höhere Macht wird Rechtfertigungsgrund für jede (Un)tat.

Ehlert spricht von den Millionen von Menschen, „die sich im Namen einer Religion ernsthaft umeine bessere Welt bemühen“. Spricht er hier von monotheistischen Religionen??, die ihre je eigenen Vorstellungen von einer besseren Welt mit Feuer und Schwert verteidigen oder in missionarischer Aggression unters Volk bringen?

Mir ist eines in seiner Argumentation nicht klar: wenn Ehlert akzeptiert, dass Religion und Religiosität ein natürliches Phänomen der Evolution ist, wie erklärt er dann die Vorstellung der Übernatürlichkeit, die ja notgedrungen auch Ausfluss der natürlichen Evolution ist. Wo ist denn da der Sprungin die andere Dimension der Übernatürlichkeit zu lokalisieren? Es kann doch nur sein, dass das Phänomen der Übernatürlichkeit aus der Natürlichkeit herauskristallisiert wurde und somit keinen Anspruch auf ebendiese Übernatürlichkeit haben kann: sie ist ein natürliches Hirngespinst, durch nichts verifizierbar, schlimmstenfalls von Institutionen, die daran Interesse haben, dogmatisierbar. Dieses Phänomen existiert in seinem Kern unabhängig von der weltlichen Vernunft, wie Ehlert selbst sagt. Und er nimmt Bezug auf die Untaten der Monotheismen: Kreuzzüge, heilige Kriege u.ä..

Ehlert stimmt den Atheisten in vollem Umfang zu, aber er stößt sich an der Art ihres Protests. Er bestätigt dem Christentum „die evolutionär bedeutsamen sozialen Errungenschaften“ der „neuen völkerübergreifenden Nächstenliebe“. Zugegeben, die standen im Raum, solange das Christsein nicht, in einer Kirche institutionalisiert, an die Staatsmacht gelangte (Staatsreligion). Ab dem Moment ist von solchen großartigen Ideen nichts mehr übriggeblieben. Statt dessen: Kanonensegnende Geistlichkeit, unverhohlene Aufforderung zum Kampf gegen den Feind (ob Türke, Franzose, Russe oder Engländer). Da helfen auch Zitate hymnischer Übertreibungen von Peter Brown nicht, der da faselt: „Wenn das Almosen den Elenden am äußersten Rande der Gemeinschaft zukam, vergegenwärtigte der Akt des Almosengebens die allumfassende Sorge Gottes für die gesamte Menschheit.“

Halten wir fest: Ehlert sieht die Religion als ein evolutionär entstandenes Denksystem mit großem natürlichem Nutzen (da durch Evolution entstanden, die ja offensichtlich nach ihm nicht falsch liegen kann) für die Species humana. Nun scheint mir genau hier Ehlerts Denkfehler zu liegen. Natürliche Grundlagen der evolutionär entstandenen religiösen Vorstellungen. Gut. Das stimmt mit unseren wissenschaftlichen Kenntnissen überein. Die Meinung allerdings, dass Evolution immer die richtige Richtung geht ist grundfalsch. Evolution ist blind! und hat keine Entelechie. Einen ID (Intelligent Dessigner) gibt es nicht! Das heißt, dass es in der Evolution unendlich viele Irrwege gab und heute noch gibt. Manche Erscheinungsformen wird die Evolution ausrotten oder zumindest dezimieren, um ihren Fehlgriff zu kompensieren. Das banalste Beispiel dürften die Lemminge sein. Aber auf unsere Situation bezogen sind die auf Gruppenerleben und Zugehörigkeit gründenden reproduktiven Vorteile religiöser Gruppen (vgl hierzu Blume, die Bio-Logik des Glaubens), die zu einem Youth-bulge führen und damit zu einer Übervölkerung genau die Auslöser der evolutionären „gnadenlosen„Ausdünnung“genau dieser Populationen. Und zwar auch unter gleich- oder fast gleichgesinnten Glaubensgemeinschaften. Wenn Moslems von Iran gegen Moslems vom Irak sich blutig reduzieren. Dies gilt natürlich auch für andere, sagen wir ethnische oder nationale Gemeinschaften. Nur ist hier die Chance größer, dass wir hier über intellektuelle Steuerung zu lebensverträglichen Bedingungen voranschreiten, (Beispiel Deutschland – Frankreich), währendreligiöse Grundstimmungen dies absolut ausschließen. Glauben hat den Primat vor der Moral! Und der Intelligenz! Ehlert verlangt hier Ehrfurcht vor der Religion als Teil der Evolution.

Wir können den hunderttausendfachen Tod von Lemmingen relativ gelassen als evolutionäres Schauspiel betrachten. Anders wird es sein, wenn wir christliche oder islamische Gräuel vor Augen haben. Hier ist in Gegenwart und Vergangenheit keine Ehrfurcht am Platz, sondern Empörung, weil unsere Moral und Intelligenz aufs Schändlichste beleidigt werden. Ich weise es von mir, dass hier „die Unzulänglichkeiten und Fehlfunktionen des religiösen Glaubens“, die ja evolutionär entstanden sind, quasi verniedlicht werden, banalisiert werden, indem man meint, eine von archaischen Vorstellungen geprägte Religion (wie z.B. die christliche) habe sich ja in der menschlichen Verhaltenssteuerung der damaligen Zeit als sehr „effektiv“ bewährt und müsse halt jetzt unter den heutigen Maßstäben gesehen, hinterfragt und kritisiert werden als eine „vollkommen natürliche Verhaltensweise…,die noch bis in die heutige Zeit…ihren Nutzen hat.“

Es gibt nur drei monotheistische Religionen, die einen absoluten Wahrheitsanspruch vertreten. Und nur diese haben diesen blutigen Unsinn in die Welt gebracht. Oder hat man schon einmal von Religionskriegen in der afrikanischen Bevölkerung gehört? Sofern, ja sofern nicht die christliche „Army of the Lord“ in Ruanda und Uganda mit Macheten über die Bevölkerung herfällt. Oder haben die olympischen Götter gegen Jupiter und seinen göttlichen Anhang gekämpft? Und genau hier setzt Dawkins mit seiner Kritik an, nicht an den verschiedensten „Privatreligionen“, wo sich Gemeinschaften gebildet haben, die für sich einen Weg zum Leben suchen, zu einem erträglichen Weg zum Tod. Dawkins verbeißt sich zurecht an den völkerverderbenden Monotheismen.

Dawkins ist sicher der Letzte, der der Evolution ehrfurchtslos gegenüber stünde, aber er erlaubt sich, seine Intelligenz und seine moralischen Grundsätze zu benutzen, um Fehlentwicklungen, auch in der bei Ehlert offenbar sakrosankten Evolution zu festzustellen. Vielleicht auch in der Hoffnung, damit einen evolutionären Irrweg mit Intelligenz abzukürzen.Eine Sisyphusidee bei der notorischen Schafsmentalität und der fundamentalistischen und aggressiven Ignoranz der Gläubigen, die ihnen von den geistlichen (Ver)führern eingebläut wird. Immerhin sieht auch Ehlert, dass die Evolution nie etwas hervorbringt , „und (sie) behält es schon gar nicht längere Zeit bei, wenn es nicht einen ganz konkreten Sinn und Nutzen in der natürlichen Entwicklung erfüllt.“ Nun lässt sich über den Terminus „längere Zeit“ trefflich streiten, irgendwann wird die Evolution diesen Spuk beenden.

Wenn Dawkins’ streitbare Polemik als inhuman angeprangert wird, dann muss dem Verfasser Wehleidigkeit attestiert werden, denn nirgends wird mit so harten Bandagen gekämpft wie bei den monotheistischen Religionen. Und ein moralischer Aufschrei ist nun mal kein Lobeshymnus. Und nicht die Darlegung eines „objektiven und neutralen naturwissenschaftlichen Standpunkts.“

Dawkins vorzuwerfen, dass seine (oder der neuen Atheisten) „soziale Aggression“ die Verhaltensweise des religiösen Glaubens übernimmt und damit quasi Verstand und Vernunft (wie die Religion es tut) über Bord wirft, wenn er den Zustand der Religionen beschreibt, ist hinter dem Vorhang und Vorwand der wissenschaftlichen „correctness“ eine heuchlerische Rechthaberei und Verzeichnung und der Versuch der Exkulpierung monotheistischer Religionen, die verantwortlich sind für die dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte im Namen der (erfundenen) Allgüte , Allgegenwart und Allmacht des Eingottes.

Es wäre übrigens verdienstvoll, wenn sich Ehlert auch an Ernst Topitsch, dem man nun nicht den den„neuen Atheisten“ unterstellten inhumanen Vernichtungswillen vorwerfen kann, erinnerte: Er hat in„Erkenntnis und Illusion“ bereits 1988 ein vernichtendes Fazit über religiöse Manipulation gezogen.

Über Gloker Notker 13 Artikel
Notker Gloker, Jahrg. 1937, Dr. phil. Er studierte Romanistik, Geschichte, Philosophie in Köln, Wien, Montpellier, Tübingen und Aix en Provence. Ab 1974 war Notker Gloker viele Jahre an westafrikanischen Hochschulen tätig, (Didaktik, Methodik, Lernpsychologie, Deutsch als Fremdsprache für Gymnasiallehrer), danach Aufbau und muttersprachliche Neuorientierung des Grundschulwesens in der fünften Region von Mali.

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