Mythos „bedingungslose Selbstliebe“

Warum Sie nicht alles an sich toll finden sollten

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

 

„Selbstliebe“ – ein Schlagwort, das „in“ ist. Es soll erstrebenswert sein, alles an sich selbst ausnahmslos zu lieben und großartig zu finden. Was ist das Problem? Auf den ersten Blick scheint es doch trendy zu sein, sich selbst immer und überall zu feiern. Doch mit dieser Einstellung sabotiert man sich auf die Dauer selbst. Wer so denkt, gefährdet seine Beziehungen zu Dritten und die eigene Gesundheit. Um zwei Beispiele zu nennen: Eine rücksichtslose direkte und dabei verletzende Art der Kommunikation wird als „Ehrlichkeit“ oder mangelnde Bewegung mit „so bin ich eben“ entschuldigt. Wer sich dabei auf „Selbstliebe“ beruft, wird von Dritten – zu Recht – als ignoranter, unangenehmer Zeitgenosse wahrgenommen.  Aber dahinter steckt noch mehr. Wer so denkt, vergibt die Chance, seine Defizite als solche zu erkennen – und damit auch die Möglichkeit, an ihnen zu arbeiten. Warum sollte ich etwas ändern, wenn alles an mir super ist? Das Resultat ist bestenfalls Stagnation, im schlimmsten Fall das Scheitern auf ganzer Linie. In einem exklusiven Gastbeitrag erklärt Psychologin und Mindset-Coach Dr. Yana Fehse, wie Selbstliebe auf ein gesundes Maß der Selbstakzeptanz begrenzt werden kann, so dass Weiterentwicklung, Erfolg und Glück im Leben erreichbar bleiben:

  1. Face the truth!

Wer sich selbst einen Gefallen tun will, stellt sich der Realität. Wie bin ich wirklich? Wo stehe ich? Und wo will ich eigentlich hin? Viele von uns neigen dazu, sich selbst zu belügen, Dinge schönzureden bzw. verzerrt wahrzunehmen. Daher ist es empfehlenswert, nicht nur eine Selbstanalyse durchzuführen, sondern zusätzlich eine oder mehrere nahestehende Personen um ein ehrliches Feedback zu bitten. Oft ist es erstaunlich, was dabei herauskommt. Auf diese Weise kann die Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung verringert werden, so dass man der Realität schon sehr nahekommt. Wenn man eine Liste von Stärken und Schwächen vor sich liegen und den Status Quo ermittelt hat, stellt sich die Frage wie es weitergeht.

  1. Akzeptiere den Status Quo! Verzeihe Dir selbst!

Für manche ist es ein Schock, wenn sie in den Spiegel blicken und erkennen, was eigentlich wirklich los ist. Der Moment der Wahrheit schlägt häufig ein wie eine Bombe! Wer jetzt seinen Emotionen freien Lauf lässt, riskiert, in die Bewertungsfalle zu geraten: „Das ist schrecklich“, „Um Gottes Willen“. Einige resignieren: „Das schaffe ich nie“. Andere sind ratlos: „Wie soll ich das jemals alles ändern?“ Solche Bewertungen sind zwar ganz natürlich, aber sinnlos. Sie verändern nichts, sondern lähmen und vergiften das eigene Leben. Die Kunst besteht darin, diese negativen Emotionen zwar zuzulassen, aber möglichst schnell zu überwinden und in einen Modus der Akzeptanz zu wechseln. „Das bin ich. Und es ist auch gut und richtig so.“ Denn letztlich kann man sich nur eingestehen, dass das Leben, was man führt, das Resultat der eigenen Handlungen, Versäumnisse und Unterlassungen ist. Da gibt es nichts zu beschönigen. Wer auf diese Weise den Status Quo akzeptiert und sich selbst verzeiht, hat nun die Chance sich zu überlegen, wie er zukünftig sein möchte. Der Bestseller-Autor Stephen Covey nannte es „Das Ende im Sinn haben“. Das öffnet den Weg zur Veränderung.

  1. Stelle Dir die richtigen Fragen!

Der erste Trick besteht darin, sich die richtigen Fragen zu stellen. Eine allgemeine Frage wie „Was will ich?“ führt nur selten zu einer brauchbaren Antwort. Viele können darauf nur sagen: „Keine Ahnung“. Werden wir bei unseren Fragen konkreter, verändert sich die Qualität der Antworten. Hier einige Beispiele: „Will ich abnehmen?“ „Will ich eine Fremdsprache lernen?“ „Will ich mich selbstständig machen?“ Solche geschlossenen Fragen zwingen einen, darüber nachzudenken und Position zu beziehen. „Ja, ich will abnehmen – und zwar 10 kg.“ „Ich will besser Französisch sprechen – und zwar so, dass ich mich gut verständigen kann.“ „Ich will mein eigenes Unternehmen gründen.“ Wer sich bedingungslos selbst liebt und alles toll an sich findet, würde sich nie diese Fragen stellen und demzufolge auch nie zu solchen Antworten kommen. Im Gegenteil. Übertriebene Selbstliebe könnte sich so anhören: „Ich bin übergewichtig und finde mich toll!“. Ist das aber wirklich so? Sei ehrlich zu dir selbst und hinterfrage deine Einstellung, ob du es ehrlich meinst oder ob du nur eine Nebelkerze zündest, die verschleiern soll, was du wirklich willst.

Der zweite Trick ist die „Noch-Nicht“-Formel: „Ich habe noch nicht die von mir angestrebte Strandfigur“ oder „Ich kann noch nicht gut französisch sprechen“. Mit dem „Noch-Nicht“-Trick erhöhst du deine Motivation und verhinderst, dass du resignierst, bevor du angefangen hast: „Ich schaffe es doch nicht“. Stattdessen sage dir: „Ich kann es noch nicht.“ Doch wie lautet dein Plan?

  1. Setze dir kleine Zwischenziele!

Napoleon Hill empfahl, den Weg zu vermessen. Was meint er damit? Wer den Himalaya erklimmen will, könnte angesichts der Herausforderung verzweifeln. Doch wenn man es genauer betrachtet, wird selbst der höchste Berg der Welt Schritt für Schritt erklommen. Und so können wir es mit jedem unserer Ziele halten: Wir vermessen den Weg und setzen uns realistische kleine Schritte, die uns nach und nach unserem Ziel näherbringen. Ich empfehle, dabei stets Rückschritte einzukalkulieren. Es kann im Berg-Beispiel schlechtes Wetter aufziehen, so dass der Bergsteiger wieder absteigen oder eine Pause einlegen muss. Gerade Sportler wissen, dass auf große Anfangserfolge Phasen der Stagnation folgen. Aber dann kommen plötzlich Quantensprünge. Dabei hilft ein Spruch von Albert Einstein: „Ein Genie besteht zu 1% aus Talent und zu 99% aus Arbeit!“ Beharrlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg.

  1. Vergleiche Dich nicht mit anderen! Mach Dein Ding!

Auf Deinem Weg gibt es genügend Möglichkeiten zu scheitern. Eine der ganz großen Fallen ist das Sich-Vergleichen mit anderen. Dem sollte man unbedingt aus dem Weg gehen. Jeder ist anders. Besser ist es, wenn Du „dein Ding machst“. Jeder hat sein eigenes Tempo. Wenn Du feststellst, dass deine Freundin viel schneller abnehmen oder beim Joggen schneller eine gute Kondition aufbauen kann, ist das eine Sache. Wenn du dich aber damit vergleichst, kann es dich frustrieren und zu deiner Aufgabe führen. Und dich sogar vor Neid zerfressen. Hierzu ein weiterer Spruch von Albert Einstein: „Jeder ist ein Genie! Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.“ Vielleicht ist langsamer abnehmen oder laufen für dich besser und nachhaltiger. Konzentriere dich auf deine Stärken und deinen Weg. Würdige deine kleinen Schritte und deine Erfolge. Das ist allemal besser als blinde Selbstliebe und gar keine Schritte.

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Über Yana Fehse 1 Artikel
Dr. Yana Fehse ist Psychologin, Mindset-Coach und Expertin für ein souveränes und überzeugendes Auftreten. Seit 2015 ist sie selbstständig als Coach und Trainerin u.a. für Unternehmensberatung vieler renommierte Konzerne wie AIRBUS und OTTO. Heute hat sie sich auf die Persönlichkeitsentwicklung und Unterstützung von UnternehmerInnen und Führungskräften spezialisiert. Ihre Vision ist es, dass möglichst viele Menschen wissen, wie sie die nächsten Schritte auf ihrer Karriere-Leiter erfolgreich und mit viel mehr Überzeugungskraft, Freude und Zuversicht gehen können.