Norbert Röttgen will die CDU an Rhein und Ruhr wieder an die Macht führen

Mühsamer Neuanfang in der Führung der nordrhein-westfälischen CDU

„Kann man die Kiste noch hochstellen?“, raunte Jürgen Rüttgers einem Mitarbeiter des Bonner Konferenz-Zentrums zu. Bei der Totenehrung kurz zuvor war dem scheidenden Landesvorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen offenbar aufgefallen, dass das Rednerpult nicht der für ihn akzeptablen Höhe entsprach. Das durfte natürlich nicht sein. Schließlich sollte nichts schief gehen bei diesem 32. Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU, bei dem Jürgen Rüttgers nach fast zwölf Jahren nicht wieder kandidierte. So richtig schief ging zwar eigentlich nichts bei dem Treffen im ehemaligen Bundestag, doch das von vielen in der CDU erhoffte geschlossene und kraftvolle Signal eines Neustarts blieb aus. Zwar wurde der neue Landesvorsitzende, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, erwartungsgemäß mit einem überzeugenden Votum von 92,5 Prozent der Delegiertenstimmen als Nachfolger von Jürgen Rüttgers gewählt. Doch bei seinen ersten beiden Personalvorschlägen bekam der 45-Jährige gleich einen Dämpfer und wohl auch ein Gefühl dafür, wie viel im größten Landesverband der CDU noch zu tun ist, um die auf dem Parteitag so oft beschworene Einigkeit und Geschlossenheit wirklich zu realisieren: Christa Thoben, Wirtschaftsministerin unter Rüttgers, wurde mit gerade einmal 76,6 Prozent als neue Schatzmeisterin gewählt und der neue Generalsekretär, Oliver Wittke, erhielt mit 70,3 Prozent und 39 Enthaltungen sogar ein noch schlechteres Ergebnis.
Gerade die Personalie Wittke versprach besondere Brisanz für den Parteitag, bei dem die Wahl von Röttgen ja bereits vorher feststand, nachdem er sich in einer Mitgliederentscheidung gegen den ehemaligen Integrationsminister Armin Laschet mit knapp 55 Prozent durchgesetzt hatte. Er sei davon überzeugt, dass er mit Wittke vertrauensvoll zusammenarbeiten werde, hatte Röttgen für den mit ihm seit Jahren befreundeten ehemaligen Gelsenkirchener Oberbürgermeister geworben und dessen Wahl auch deshalb empfohlen, weil das Ruhrgebiet damit wieder stärker in der Parteispitze vertreten sein würde. Der Regionenproporz spielte schon immer in der CDU NRW eine wichtige und integrierende – und manchmal auch intrigierende – Rolle. Doch Wittke, der seinerzeit als Landesverkehrsminister zurücktreten musste, weil er in einer Stadt mit 109 Stundenkilometern geblitzt worden war, ist in der CDU nicht unumstritten. Nicht wenige machen den „rasenden Olli“ für Indiskretionen verantwortlich, die aus Landesvorstandssitzungen an die Öffentlichkeit weitergegeben worden sind.
Ungemütlich wurde es, als einer von drei Rechnungsprüfern beklagte, dass manche Kreisverbände die Landespartei „wie eine Bank“ benutzt und bis zu 1,5 Millionen Euro herausgezogen haben sollen. Im Verlaufe des Parteitags untermauerten einige Delegierte mit teilweise sehr kritischen Beiträgen das Motto „Starke Basis. Starke CDU.“ Wie tief da offenbar manche Gräben sind, zeigte schließlich der Bericht von Wittkes Vorgänger Andreas Krautscheid. In den knapp acht Monaten seiner Amtszeit als Generalsekretär habe er manche sehr einsame Tage in der Landesgeschäftsstelle erlebt, als „uns die Brocken um die Ohren flogen: Da habe ich kaum jemanden vom Landesvorstand in der Geschäftsstelle in der Wasserstraße gesehen.“ Parteiintern wird die Landesgeschäftsstelle seitdem auch spöttisch in die „Unterwasserstraße“ adressiert. Viel Bitterkeit war zwischen den Zeilen zu hören, als sich Krautscheid direkt an Wittke wandte und ihm den Rat gab: „Nach draußen muss die Bude dicht sein.“ Wesentlich für die Landesgeschäftsstelle sei die Frage der persönlichen Integrität und Seriosität. „Wer durch Illoyalität und Unseriösität aufgefallen ist, hat da keinen Platz.“
Das lässt auf Zerwürfnisse im Landesvorstand schließen und so verwunderte es nicht, dass Krautscheid denn auch noch die Norbert Röttgen nachgesagten Ambitionen für höhere Ämter kritisierte, ohne diesen direkt zu erwähnen: „Selbst wenn die Provinz nur Durchgangsstation ist, muss man die Provinz ernst nehmen.“
So wird sich noch erweisen müssen, wie es der neue Vorsitzende für den mit 160 000 Mitgliedern stärksten CDU-Landesverband schaffen wird, seine bundespolitischen Aufgaben und vielleicht auch Ambitionen mit den Aufgaben und Erfordernissen für den inhaltlich so dringend notwendigen Neuanfang in der nordrhein-westfälischen CDU zu vereinbaren und dabei auch noch überzeugend die amtierende rot-grüne Minderheitsregierung von Hannelore Kraft unter Druck zu setzen. Noch mehr Gewicht soll seine Rolle am Wochenende beim CDU-Bundesparteitag bekommen, wenn er als stellvertretender Vorsitzender kandidiert. Dafür kann der Bundesminister sogar auf die Unterstützung des Landesverbands Baden-Württemberg zählen, mit dem es im Frühjahr wegen der Umweltpolitik zu erheblichen Differenzen gekommen war. Die CDU-Vorsitzende Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich als Gastrednerin in Bonn überzeugt, dass die NRW-CDU mit neuer Führung Rot-Grün „unter Druck“ setzen werde.
Dass Röttgen das kann, bewies der rhetorisch gewandte Rheinländer bei seiner Rede vor dem Wahlgang. Geschickt interpretierte er seine und Laschets Kandidaturen um den Landesvorsitz als einen Wettbewerb, der die Landes-CDU positiv verändert habe und übertrug die dabei deutlich gewordene lebhafte Beteiligung der Mitglieder auch auf einige – auch parteiintern – ebenso lebhaft diskutierte Sachthemen wie Sozialstaat, Generationengerechtigkeit, Rente mit 67, Energiepolitik, Haushaltssanierung, Entlastung der Städte und Gemeinden, Europa. Röttgen rief seine Partei zu Geschlossenheit und mehr Diskussionswillen auf. „Angst vor Diskussionen ist ein Keimvon Schwäche“, warnte er und fügte hinzu: „Mit Diskussion und Teamgeist kann die Partei richtig stark werden.“
Ob er dabei auch die Themen und Probleme meinte, die parteiintern längst noch nicht geklärt sind: etwa Schulpolitik, Bildung sowie die frühkindliche Förderung? Etwa die Konsolidierung der finanzschwachen Städte und Gemeinden? Etwa die für das Energieland NRW so wichtige Industrie- und Energiepolitik? Röttgens Vorstellungen von den Erneuerbaren Energien als einer „mittelständischen Wachstumsbranche“ wird in Teilen der CDU auch als eine allzu große – oder schnelle? – Annäherung an die Grünen gesehen. Die CDU-Landtagsfraktion hat das Ziel, dass bis 2020 rund 15 bis 20 Prozent des NRW-Stroms aus erneuerbaren Energien stammt, Röttgen strebt ein Drittel an. Mit den Grünen ließe sich möglicherweise eher realisieren. Gleichwohl bleibt Röttgens Verhältnis zur einstigen Ökopartei ungeklärt. Als junger Bundestagsabgeordneter gehörte er Mitte der 1990er Jahre zu jenen CDU-Parlamentariern, die sich zu inoffiziellen Sondierungsgesprächen mit Vertretern der Grünen in einem Restaurant zur später sogenannten „Pizza-Connection“ zusammengefunden hatten. Beim Parteitag bezeichnete er die Grünen als „dahinvegetierende Partei“, die sich allein ihres demoskopischen Hochs erfreue. Tags darauf mutmaßte er in einem Interview, dass „CDU und Grüne die wichtigsten politischen Wettbewerber geworden sind“.
Wie auch immer – für die CDU beanspruchte er: „Wir stellen uns der Verantwortung, während sich SPD und Grüne bei den Themen wegducken.“ SPD-Chef Siegmar Gabriel sowie den Grünen-Politiker Jürgen Trittin nannte er in diesem Zusammenhang „Aussteigungsdealer und Verantwortungsflüchtlinge“, der SPD-geführten NRW-Minderheitsregierung attestierte er eine „Abhängigkeit von irrlichternden Altkommunisten“ und in Anspielung auf die Schulpolitik von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kritisierte er die „Hybris sozialdemokratischer Bildungsideologen, die die Kinder gleichmachen will“.
Röttgen dankte Jürgen Rüttgers für die Jahre als Landesvorsitzender sowie den Nachweis, „in Nordrhein-Westfalen gewinnen zu können“. Rüttgers hatte 2005 nach 39 Jahren das Machtmonopol der SPD gebrochen, wurde Ministerpräsident und führte darüber hinaus als Landesvorsitzender die CDU auch in zwei Kommunalwahlen zu großen Erfolgen. Gleichwohl wurde Rüttgers nach nur einer Wahlperiode im Mai dieses Jahres abgewählt. Der Mann, der sich CDU-intern gern als soziales Gewissen profilierte und an Rhein und Ruhr auch als „Arbeiterführer“ in einstigen SPD-Hochburgen Erfolg hatte, bleibt als Ministerpräsident des Bundeslandes wohl nur eine Episode.
Landes- und kommunalpoltische Erfolge muss Röttgen erst noch erringen. „Wir können in NRW gewinnen und wir werden wieder gewinnen“, ermutigte er das Parteivolk. Dabei hat er selbst aber auch die Schwierigkeit, Bundesminister ohne Landtagsmandat zu sein, oder anders ausgedrückt: Er muss zeigen, dass es möglich ist, als Bundesminister auch den Landesverband einer großen Volkspartei zu führen. Zwar steht ihm mit dem rhetorisch gewandten Oliver Wittke der gewünschte CDU-General zur Seite, doch der kann auch nur gebremst Oppositionsarbeit leisten, weil er bei der Landtagswahl dieses Jahres sein Mandat verloren hat. So spricht einiges dafür, dass Röttgens Stellvertreter im Landesvorsitz einen erheblichen Teil zur Profilierung der NRW-CDU als wettbewerbsfähige politische Alternative beitragen müssen: der von ihm selbst als Stellvertreter vorgeschlagene und mit dem zweitbesten Ergebnis gewählte Armin Laschet sowie der mit dem besten Ergebnis ausgestattete CDU-Fraktionschef im Landtag, Karl-Josef Laumann.

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Über Constantin Graf von Hoensbroech 74 Artikel
Constantin Graf von Hoensbroech absolvierte nach dem Studium ein Zeitungsvolontariat über das "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses - ifp". Nach Stationen in kirchlichen Medien war er u. a. Chefredakteur von "20 Minuten Köln", Redaktionsleiter Rhein-Kreis-Neuss bei der "Westdeutschen Zeitung", Ressortleiter Online bei "Cicero" sowie stellvertretender Pressesprecher der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Seit März 2011 ist er Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation der Rheinland Raffinerie der Shell Deutschland Oil GmbH.

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