Publikums Gunst und Pereiras Glanz – Die Salzburger Festspiele 2013 auf Rekordfahrt


Vor zwei Jahren waren`s nur 213tausend, heuer waren`s schon 289tausend, die – aus aller Herren Ländern – zu den „Salzburger Festspielen“ kamen, zu den unbestreitbar bedeutendsten der Welt. Wohin aber soll der geradezu unheimliche Anstieg der Besucherzahlen führen? Ist ja beängstigend, was da bei der Abschlusspressekonferenz von Seiten des verantwortlichen Dreigestirns Pereira – Bechtolf – Rabl-Stadler zu hören war. Wohin denn dann mit den noch mehr Kulturbesessenen, die – so des Intendanten Alexander Pereiras Sicht- und Ausdrucksweise – „allem Anschein nach eine Sehnsucht haben, nach Salzburg zu den Festspielen zu kommen“? Jetzt sind`s eh schon, statt, ganz zu Anfang vor 93 Jahren, einer einzigen, vierzehn Spielstätten, an denen es tönt und schrummt und klingt und – mal ganz schön – wüst zugeht, mal (wie auch diesen Sommer wieder) völlig an den Intentionen des Stücke-Autors (Beispiel: Johann Nestroy mit „Lumpazivakabundus“) vorbei. Also, muss zum „Entführungs“-Hangar draußen am Flughafen Salzburg womöglich noch mindestens ein Gaisberg-Kobel kommen, den Red Bull oder Blue Heaven stiften könnten, ohne dass ihnen eine Perle aus ihrer wirtschaftlichen Erfolgs-Krone fiele? Wer weiß. Wird sich zeigen.
Von Riesenerfolgen wird jedenfalls zurecht gesprochen in der Förder-Lounge des Großen Festspielhauses, wo sich die Journalisten noch einmal rumdrücken und ein Tasserl Latte Macchiato schlürfen, bis sie sich in alle Winde verstreuen, um den Salzburger „Rekordsommer“ Zwodreizehn zu verkünden. Sogar das Rekordjahr 2006, das Mozart-Jubiläum, habe man überrundet: „Damals hatten wir um 28 Millionen Euro Karten verkauft“. Und wenn es nach der Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler geht, ist der „Kassenreport“ ohnehin der „einzig wahre Gradmesser für den Erfolg“. Nun ja. Das ist halt so.
Dass Pereira sich, der mit einer seiner zwei Herzkammern bereits in Milano ist, wo er ab 2015 das Teatro alla Scala intendiert, zusammen mit seinem Schauspiel-Chef Sven-Eric Bechtolf hohe Verdienste um den Rekord-Trend des Festivals an der Salzach erworben hat, ist, allem Gemunkel und Gestänker zum Trotz, fraglos. Geldeintreiber und Mehrgeldeinforderer ist Pereira, der Erfinder des Abschluss-Balls des Salzburg-Sommer-Spektakels. Glück und Geschick hat der österreichischste aller Manager. Also Glanz auf sein Haupt. Und Lob für das, was er erreichte bei 280 Vorstellungen in den Sparten Oper, Schauspiel, Konzert. Dank Pereira haben die immer mehr weltlicher ausgerichteten Festspiele einen geistlichen Touch bekommen – mit der „Ouvertüre Spirituelle“. Allein Nikolaus Harnoncourts oratoriales „Jahreszeiten“-Dirigat war schon ein Glanzlicht. Und die drei Frankreichs Christus-Kämpferin Jeanne d`Arc feiernden Produktionen hoben sich vom Nur-Profanen und Nur-Komödiantischen, auch vom Nur-Starkultigem, wohltuend ab – durch ihre geistig-geistliche Intention.

Freilich: auch hier das unweigerlich zum Salzburg-Festival gehörende „Starring“: Anna Netrebko (neben dem unverwüstlichen Placido Domingo) als Verdis „Giovanna d`Arco“. Sie und Cecilia Bartoli (in der Pfingstfestspiel-erprobten „Norma“): zwei Spitzensängerinnen mit Riesenpublikumserfolg. Auf der männlichen Seite: Jonas Kaufmann (im eher enttäuschend von Altmeister Peter Stein inszenierten, jedoch von Antonio Pappano brillant dirigierten „Don Carlo“), Michael Volle (als stimmprächtiger Hans Sachs in Wagners „Meistersingern“) und, ich greife mal blind in ein „Schachterl“ mit weiteren männlichen großen Künstlernamen, Peter Seiffert. Der gab – in einem konzertanten, von Lorin Maazel bewundernswert intensiv dirigierten 1. „Walküre“-Akt (mit vorausgeschicktem anrührenden „Siegfried-Idyll“) – neben der glutvoll-unbeirrten Sieglinde der Eva-Maria Westbroek – einen fulminanten Siegmund mit geballten „Wälse“-Rufen, die er durchs Große Festspielhaus schmetterte, freilich nicht mehr so jugendfrisch wie noch vor einem Jahrzehnt.
Geradezu traumhaft geriet das Beethoven-Zyklus-Finale des (große Welt-)klasse Hagen Quartetts im Großen Saal des Mozarteums. Der Kammerkonzert-Sektor war ohnehin schier unerreicht gut besetzt und gelungen – aber dieses Konzert: ein Juwel. Der glitzert und funkelt noch lange nach. Diese unsägliche Art des Streicher-Rasens, des unaufgeregt berserkerhaften hochdifferenzierten Musizierens beim op. 130 mit der abschließenden Großen Fuge op. 133 – ein unwiederbringliches Highlight des Sechsteilers. Pereira war nicht da. Geht er überhaupt in Konzerte? Spricht aber von „dreimal Standing Ovations an einem einzigen Tag“. Die fehlten nach dem (Zugabe-losen) Hagen Quartett-Schluss, dafür waren sie Bestandteil fast jedes Auftritts von „Il Sistema“, bestritten von gut 200 Kindern und Jugendlichen, die – zum Beispiel – Mahlers Erste (unterm liebevollen „Papa“ Sir Simon Rattle) zu einer Sternstunde ohnegleichen machten.
Dass Burg-Schauspielgröße Cornelius Obonya als Jedermann 2013 (womit er der späte Nachfolger seines Großvaters Attila Hörbiger wurde) und seine aus München entliehene Buhlschaft Brigitte Hobmeier nächstes Jahr wieder auf dem Domplatz dem Gevatter Tod, herumwirbelnd und witzig, die Stirn bieten – wir nehmen es beruhigt zur Kenntnis; denn Christian Stückls schön altbayrisch flackerndes Spiel vom Sterben des reichen Mannes ist durchaus von zwei Ausländern ansehbar erneuert worden. Auch wenn die Riederinger Buam fehlen. Dafür gibt`s Umzüge vor jeder Aufführung. Die Salzburger stehen Schlange und säumen die Straßen. Und kriegen feuchte Augen. Ihr „Jedermann“ darf – und wird – nicht sterben.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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