Noch hapert es – Ein Gespräch mit dem Kinderschutz-Experten und Gregoriana-Professor Hans Zollner SJ

In seiner Ansprache vor der Vollversammlung der Glaubenskongregation am 31. Januar hat Papst Franziskus von einer besonderen Kinderschutzkommission des Vatikans gesprochen, die er sich unter dem Dach dieser Kongregation vorstellen kann. Und eine Woche später musste das Presseamt des Vatikans einen Bericht des Kinderschutzkomitees der Vereinten Nationen teilweise zurückweisen, der einige richtige Aussagen zum Kinderschutz durch die katholische Kirche und die römische Kurie mit unhaltbaren Anklagen und Aufforderungen verbunden hatte. Es gibt in Rom einen deutschen Experten für Kinderschutz, den Jesuiten Hans Zollner, der das Institut für Psychologie der Päpstlichen Hochschule Gregoriana leitet und in München bereits ein Kinderschutzzentrum gegründet hat. Wir fragten ihn, wie es in Rom und in der Weltkirche beim Thema Kinderschutz weitergegangen ist, nachdem die Missbrauchsskandale die Öffentlichkeit nicht nur in Deutschland oder Irland beziehungsweise in den Vereinigten Staaten erschüttert haben.




Sie haben 2012 zusammen mit der Erzdiözese München-Freising und der Universität Ulm das „Centre for Child Protection“ der Gregoriana begründet. Ende dieses Jahres soll es nach Rom umziehen. Wie arbeitete das Zentrum bisher, wie wird es in Zukunft arbeiten?

Unser Zentrum ist ein Zentrum für Präventionsarbeit. Wir können keine Aufarbeitung von Fällen der Vergangenheit leisten und keine Therapie anbieten, weder für Opfer noch für Täter. Unsere Tätigkeit ist dahin ausgerichtet, dass wir möglichst alles tun, damit es so wenig wie möglich zu Missbrauchsfällen kommt. Wir bieten ein Internet-gestütztes Lernprogramm an, das wir in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Ulm entwickeln. Bisher gibt es das Lernprogramm auf Deutsch, Spanisch, Italienisch und Englisch. Wir sind insgesamt in zehn Ländern in Pfarreien oder akademischen Institutionen vertreten. Dort nehmen jeweils hundert Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an dem Programm teil. Die Probephase beträgt drei Jahre und endet in diesem Jahr. Im Anschluss daran folgt eine Auswertung: Was funktioniert und was müssen wir verbessern? Das Lernprogramm geht auf Fragen ein, die in dem Bereich der Prävention wichtig sind: Wie kann ich Missbrauch erkennen? Was muss ich dem möglichen Opfer oder Täter gegenüber tun? Wie ist die Rechtslage in meinem Land? Was sind die Rechtsvorschriften der Kirche? Welche theologischen, geistlichen, pastoralen Hilfen kann ich anbieten, damit die Präventionsarbeit wirklich auch weiter geht und vertieft wird?

Wie sieht Kinderschutz in kirchlichen Einrichtungen aus? Wie kann man auf dem Gebiet des sexuellen Missbrauchs Präventionsarbeit leisten?

In jeder Einrichtung basiert Kinderschutz auf einigen Grundregeln. Kinder müssen sich äußern können und wissen, was ihre Rechte sind. Man muss ihnen erklären, dass es bestimmte Dinge gibt, über die sie mit einer Person ihres Vertrauens, mit einer Lehrerin oder einer Person, die benannt ist, reden können und sollen. Wenn sich ihnen beispielsweise eine Person zu sehr nährt oder ihnen an dem Verhalten eines Erwachsenen irgendetwas komisch vorkommt. Das zweite ist, dass man Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Schulungen anbietet, um klar zu machen, was in Ordnung ist und was nicht. Dass ich Kinder nicht alleine in meine Privaträume oder in abgeschlossene Räume mitnehme. In einer Schule, einem Heim oder Internat muss es einen Mechanismus geben, wie vorgegangen wird, wenn Missbrauchsfälle gemeldet werden. Es braucht vor allem eine Schärfung der Aufmerksamkeit, ohne aber jedwede Art von Kontakt zu dämonisieren. Denn wir wissen auch, dass es für Kinder schwierig ist, einen Erwachsenen kalt und abweisend zu erleben.

Früher war es doch normal, dass der Kaplan mit den Messdienern auch mal weggefahren ist. Das würde es so heute nicht mehr geben?

Das wird es so heute nicht mehr geben, jedenfalls wenn der Kaplan allein, ohne weitere erwachsene Begleitung wegfährt. Denn genau in diesen Situationen kam es häufig zu Übergriffen und Missbrauch. Deshalb ist es nur im Interesse von Kaplänen oder Pastoralreferenten oder -referentinnen, immer mindestens zu zweit aufzutreten und bei solchen Fahrten oder Aktivitäten möglichst auch Verantwortliche beiderlei Geschlechts dabei zu haben. In den USA ist es inzwischen undenkbar, dass ein Priester ein Kind auch nur berührt oder er mit einem Kind allein in einem Raum ist, in den man nicht hineinschauen kann. Dergleichen wäre aber in Lateinamerika, Afrika oder Indien völlig unvorstellbar, schon aus kulturellen Gründen – Berührung gehört zur Begegnung dazu – und weil man eine solche Art der „Hypersensibilität“ als „krank“ empfinden würde.

Der Fall Edathy zeigt, wie sehr die Öffentlichkeit sensibilisiert ist, wenn es um Pädophilie geht. Ist das auch in der Kirche, vor allem im Klerus, seit der Missbrauchskrise des Jahres 2010 der Fall?

Natürlich ist das in den Ländern so, in denen es eine solch breite öffentliche Diskussion gibt, wie wir sie jetzt in Deutschland seit etwa vier Jahren haben. Das ist in Irland sicherlich der Fall, ebenso in den Vereinigten Staaten wie in manchen Teilen Lateinamerikas. In Asien oder in den allermeisten Ländern Afrikas, mit einigen wenigen Ausnahmen, ist es aber überhaupt nicht der Fall.

Zur Klärung der Begriffe: Was ist wirklich Pädophilie und wie häufig ist sie das eigentliche Problem bei den Missbrauchsfällen? Ist es nicht häufiger, dass sich Priester oder Ordensleute an jungen Heranwachsenden vergangen haben?

Pädophilie im psychiatrischen Sinn ist der sexuelle Missbrauch von vorpubertären Kindern oder die sexuelle Erregung durch sie. Wenn Jugendliche missbraucht werden, spricht man von Ephebophilie (wobei damit meist allgemein der Missbrauch von männlichen und weiblichen Jugendlichen gemeint ist). Insgesamt handelt es sich – soweit wir das wissen können – beim sexuellen Missbrauch von Minderjährigen um zehn Prozent Pädophilie und neunzig Prozent Ephebophilie. Die „Promotori di Giustizia“ („Generalstaatsanwälte“ der Kirche), die in der Glaubenskongregation die Untersuchungen von Missbrauchsfällen in den letzten 13 Jahren geleitet haben, Monsignor Charles Scicluna bis 2012 und Pater Robert Oliver als sein Nachfolger, haben Zahlen genannt, die für den Klerus exakt das widerspiegeln, was man auch für die Gesamtgesellschaft vermutet. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied, was das Geschlecht der Missbrauchsopfer angeht, die von Priestern missbraucht werden. Das John Jay College in New York hat in den Jahren 2002 und 2010/2011 Studien im Auftrag der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten veröffentlicht. Untersucht wurden Missbrauchsfälle, die in den Vereinigten Staaten von 1950 bis 2010 durch Priester verübt wurden, es wurde auch ein Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften gezogen. Das sind die bedeutendsten Studien, die es auf diesem Feld weltweit überhaupt gibt, nicht nur in der Kirche, sondern insgesamt. Da wird festgestellt, dass achtzig Prozent des Missbrauchs durch Priester an männlichen Jugendlichen geschah. Dies ist genau entgegengesetzt zu dem, was das gesamtgesellschaftliche Bild angeht, wo etwa 75 Prozent der missbrauchten Jugendlichen Mädchen sind.

Und wieder zur Klärung der Begriffe: Was ist Aufgabe und Verantwortung des Vatikans, was liegt in der Kompetenz der Bischofskonferenzen, was in der des einzelnen Ortsbischofs oder der Ordensleitungen?

Bei dem Bericht des Kinderschutzkomitees der Vereinten Nationen zeigt sich ein völliges Nicht-Verständnis dafür, was der Heilige Stuhl, was der Vatikan-Staat und was die katholische Kirche sind und welche Kompetenzen Rom im Vergleich zu den Bischofskonferenzen hat. Der Heilige Stuhl hat für das Staatsgebiet des Vatikans die Kinderrechtskonvention unterschrieben und hat die Aufgabe, für die wenigen Kinder, die es da gibt, Rechtssicherheit zu schaffen. Und das hat man getan. Der Heilige Stuhl mit seinen Dikasterien hat zudem dafür zu sorgen, dass die Bischofskonferenzen ihre Hausarbeiten machen und für ihr jeweiliges Staatsgebiet entsprechende Leitlinien entwickeln und umsetzten. Dass der Heilige Stuhl keine Weltregierung der Kirche ist, sieht man schon daran, dass es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt, wenn eine Bischofskonferenz keine Leitlinien umsetzt oder sie nicht einmal entwickelt, wie das die Glaubenskongregation für Juni 2012 eingefordert hatte. Es gibt immer noch zehn bis fünfzehn Prozent von Bischofskonferenzen, die auf diesem Gebiet nichts gemacht haben. Das sind fast alles frankophone afrikanische Länder, in denen die Bischofskonferenzen vielleicht auch andere Probleme haben, wie in der Zentralafrikanischen Republik. Man sieht, dass der Heilige Stuhl keine Regierung ist, die sagen könnte: „Entweder ihr macht das oder ihr fliegt.“ Wie soll denn der Heilige Stuhl das durchsetzten? Die nationalen Bischofskonferenzen müssen in Eigenverantwortung ihre Hausaufgaben machen: in Deutschland, Österreich und Schweiz ist das mittlerweile vorbildlich geschehen. Sie müssen festlegen, wie mit Opfern, wie mit Tätern umzugehen ist. Was sie im Hinblick auf die Priesterausbildung zu tun gedenken und welche Präventionsmaßnahmen durchgeführt werden. All das muss dann vom jeweiligen Ortsbischof umgesetzt werden. Eine Frage beschäftigt vor allem die Medien und Bürger in den USA: Welche Mitverantwortung hat der jeweilige Ordinarius, also der Bischof oder der Provinzial, wenn ein Priester entweder nicht angezeigt oder wenn er versetzt wird, ohne dass entsprechende Kenntnis an die Pfarreien, andere Bischöfe und Einrichtungen geschickt wurde und dadurch das Böse, der Missbrauch, sogar weiter verbreitet wird. Hier ist tatsächlich im Kirchenrecht nicht geklärt, welche Mitverantwortung oder, wie die Amerikaner sagen, welche „bishops‘ accountability“ es gibt. Im Kirchenrecht gibt es hierfür bisher keine klar definierte Rechtsgrundlage. Es gibt allerdings Bischöfe, die wegen eklatantem Fehlverhalten aus diesen Gründen abgesetzt wurden. Andererseits gibt es in den USA bekannte Fälle von Bischöfen, die das jeweilige Landesrecht nicht beachtet haben. Da gibt es tatsächlich großen Nachholbedarf.

Aber die Glaubenskongregation hat schon 2001 die Kompetenz für Missbrauchsfälle von Klerikern an sich gezogen.

Wenn es einen begründeten Anfangsverdacht gibt, wird der Fall nach Rom überstellt. Diese Zentralisierung ist geschehen, weil sich die Heimatbistümer und Bischofkonferenzen oft damit nicht befasst haben und die Kleruskongregation damals nicht unmissverständlich das durchgesetzt hat, was schon längst kirchenrechtliche Norm war. Sie haben das nicht umgesetzt und Fälle verschleppt oder nicht weiter verfolgt.
2001 hat dann Kardinal Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation diese Kompetenzen zentralisiert an die Glaubenskongregation gebunden. Das hat vor allem zwei Nachteile. Die Bistümer, beziehungsweise die Metropoliten oder Bischofkonferenzen, werden zu sehr aus ihrer Verantwortung entlassen, und gleichzeitig läuft zuviel Arbeit in Rom auf. Die zehn Leute, die in der zuständigen Sektion der Glaubenskongregation arbeiten, sind mit dem schieren Arbeitsaufwand überfordert. Man bräuchte dort deutlich mehr Leute, um alles schnell und transparent bewältigen zu können. Oder man müsste mehr an die Bischofskonferenzen oder an die Bistümer zurückgeben können. Das geht aber nur, wenn in den Lokalkirchen auch genügend Kirchenrechtler zur Verfügung stehen. Aber in sehr vielen Ländern dieser Welt ist genau dies nicht der Fall. Weil die untere Ebene nicht genügend gut funktioniert, muss bisher alles nach Rom geschickt werden.

Was den Missbrauch angeht, so hapert es in der katholischen Weltkirche also noch…


Natürlich ist das der Fall. Schlimmer noch, ich würde sagen, dass es insgesamt in den meisten Ländern und ihren Gesellschaften noch sehr hapert, was die Aufmerksamkeit für Missbrauch und die Aufarbeitung angeht. Vor acht Wochen war ich in Indien. Der indische Staat hat vor zwei Jahren ein sehr strenges Anti-Missbrauchsgesetz eingeführt. Doch das Problem ist: man hat klare Texte, aber die Umsetzung geschieht nicht. Es gibt eine offizielle indische Staatsstatistik, die besagt, dass 52 Prozent aller Minderjährigen in Indien sexuell missbraucht werden. Das sind zweihundert (!) Millionen junge Menschen. Diese Dimensionen muss man sich vor Augen führen.
Auch die katholische Kirche ist offensichtlich in einigen Gegenden dieser Welt noch nicht genügend sensibilisiert. Das betrifft Teile Osteuropas, große Teile Afrikas, manche Länder Asiens. In Lateinamerika wird aufgrund von eklatanten Fällen wie in Mexiko oder Chile viel mehr diskutiert. Das Thema ist heute zwar deutlich präsenter, aber noch nicht flächendeckend. Gleiches galt, wenn wir ehrlich sind, bis vor vier Jahren auch für Deutschland. Wie soll sich das jetzt von einem Tag auf den anderen in allen Ländern gleichzeitig ändern?

Bei der Vorstellung des besagten UNO-Berichts war dann plötzlich davon die Rede, Rom solle seine Haltung zur Homosexualität und Abtreibung ändern. Hatte das Ganze nicht doch eine ideologische Spitze?

Dieser Bericht ist aus verschiedenen Textbausteinen zusammengesetzt. Am Anfang gibt es einige anerkennende Worte zu den kirchlichen Entwicklungen, speziell, was die Gesetzgebung für das vatikanische Staatsgebiet angeht. Je weiter man dann im Text kommt, umso mehr tauchen Dinge auf, bei denen man sich fragt, wie die überhaupt da reinkommen und welcher Ton angeschlagen wird. Es wird zum Beispiel sogar verlangt, die Bibel nach einer bestimmten Methode zu interpretieren – völlig absurd. Themen wie Umgang mit Sexualität insgesamt, mit Homosexualität aber auch mit Abtreibung und Verhütung werden medienwirksam platziert, die aber mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun haben. Das Hauptanliegen des Textes wird so leider konterkariert. Man hätte sich vorstellen können, dass die Vereinten Nationen sagen, die Kirche habe sich in den letzten vierzehn Jahren bemüht, es gebe noch Hausaufgaben zu machen, und dass die Vereinten Nationen mit der katholischen Kirche im Sinn des Kinderschutzes zusammenarbeiten könne und wolle. Aber man verweigert sich der Tatsache, dass in vielen Ländern dieser Welt die katholische Kirche diejenige Institution ist, die am meisten für den Kinderschutz tut. In Indien zum Beispiel tun die katholischen Schulen effektiv mehr für die Entwicklung von Mädchenrechten als der Staat.

Wenn die Glaubenskongregation einen Missbrauchsfall untersucht, tut sie das nicht öffentlich. Auch viele Opfer von Missbrauchsfällen wünschen sich Diskretion. Wie verträgt sich das mit dem Ruf nach Transparenz und gegen jede Vertuschung, der im Zusammenhang mit Missbrauch immer wieder zu hören ist?

Die Transparenz, die gefordert wird, bezieht sich sehr oft auf Zahlen und Namen der Missbrauchstäter. Ich glaube, dass niemand, der einigermaßen vernünftig denkt, erwarten kann, dass der Heilige Stuhl Personal- oder Prozessakten von Priestern öffentlich macht. Man sieht ja gerade an den jüngsten Äußerungen zum Fall Edathy, dass dann Persönlichkeitsrechte sofort eingeklagt werden und man in Teufels Küche käme, wenn man hier einer dritten Organisation, wie den Vereinten Nationen, solche Akten überstellen würde. Ein anderer Bereich, und da müssen wir wirklich was verbessern, ist die Prozesstransparenz, das heißt, dass Opfer und auch Täter wissen, an welchem Punkt ihr Prozess steht. Das ist nämlich leider oft nicht gegeben. Opfer warten unter Umständen Jahre darauf, dass sie eine Nachricht darüber bekommen, an welchem Punkt ihr Prozess steht. Das ist nicht nur unbefriedigend, sondern auch höchst belastend und ärgerlich.

Was sollte sich in Rom ändern?

Wenn der Prozess in Rom liegt, müssten Opfern informiert werden oder nachfragen können. Das passiert schon aus rein logistischen Gründen nicht, weil nicht genügend Leute hier sind, die dies leisten können. In Rom hatten wir nach Aussage der beiden genannten „Promotori di Giustizia“ in den letzten vierzehn Jahren etwa 4500 Anzeigen gegen Priester als Missbrauchstäter mit einer deutlich höheren Zahl an Opfern. Wie sollen die zehn Leute, die daran arbeiten, mit jedem Opfer in Kontakt stehen? Das ist schlicht nicht zu schaffen. Dies muss angegangen werden.

Stimmt es, dass es in den siebziger und achtziger Jahren eine richtige Welle an Missbrauchsfällen im Klerus gab? Wenn ja, woran liegt das?

Mit einiger Gewissheit können wir vermuten, dass die sexuelle Revolution Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre dazu beigetragen hat, dass die Grenze zwischen dem normalen Körperkontakt mit Kindern und dem sexuellen Übergriff fließend geworden war und dass auch aus ideologischen Gründen sexueller Kontakt zwischen Erwachsenen und Kindern aktiv propagiert und von politischen Lobby-Gruppen bis in Gesetzesentwürfe hinein getragen wurde.
Statistisch gesehen gibt es eine eklatant höhere Zahl von Missbrauchsfällen, die aus den sechziger, siebziger und bis Anfang der achtziger Jahre berichtet wird. Seitdem gehen die Zahlen kontinuierlich und drastisch zurück. Woran das liegt? Es gibt Unwägbarkeiten in der Statistik. Sicherlich gab es auch vor 1960 viele Fälle, die aber oft nicht berichtet wurden. Wir hören ja nur von einem Bruchteil der Fälle, die in der Kirche, vor allem aber in der Gesamtgesellschaft geschehen. Die Dunkelziffer ist unglaublich hoch. Opfer müssen den Mut aufbringen, über den Missbrauch zu sprechen – das ist schwer und passiert offensichtlich oft erst dann, wenn ein bestimmtes Maß an öffentlichem Interesse entstanden ist. Die Missbrauchsfälle, die 2010 bis 2014 in Deutschland gemeldet wurden, sind fast alle vor zwanzig, dreißig, vierzig Jahren geschehen.

(c) www.vatican-magazin.de

Über Horst Guido 35 Artikel
Guido Horst wurde 1955 in Köln geboren. Nach dem Studiun der Geschichte und Politologie arbeitete er für die katholische Presse als Journalist. Im Jahr 1998 übernahm Horst die Leitung der katholischen Zeitung Die Tagespost mit Sitz in Würzburg; 2006 gab er den Posten des Chefredakteurs ab und ging wieder nach Rom. Er wurde abermals Rom-Korrespondent der Tagespost und Chefredakteur der zusammen mit Paul Badde konzipierten Zeitschrift "Vatican-magazin".

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