„Civilization“. Mit diesem Titel, den die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung ihrer Jubiläums-Ausstellung gab, tut sie sich wohl schwer beim Publikum. Es dürfte fragen, warum es nicht auch ganz einfach deutsch geht, also mit „Zivilisation“. Der Untertitel „Wie wir heute leben“ versucht dann, versöhnlich einzuspringen. Also: Wir leben wir denn heute? Eins ist gewiss: Anders als noch vor x Jahren. Dass sich nicht erst seit einem Halbjahrhundert, sondern auch schon vorher, besonders aber seit zehn, zwanzig Jahren die Welt, wie wir so schön sagen, „vollkommen gedreht“ hat, ist klar. Auch dass sie sich weiterhin rasant in eine Zukunft hineinbegibt, die keiner kennt und vor der sich mancher duckt, wenn nicht gar ängstigt, wird niemand bestreiten.
Die Schau, die sich knallhart der Wirklichkeit heutigen Daseins verschreibt, fragt und antwortet darauf, wie diese Erde hier und jetzt aussieht, das heißt, was Menschen aus ihr machen. Seit Jahrzehnten halten Fotokünstlerinnen und Fotokünstler auf allen Kontinenten „bildhafte“ Antworten auf die gestellte Frage bereit. Digital. In Farbe. Auch noch in Schwarzweiß. In Riesen- und Kleinformaten. Ob sich`s um tolle Errungenschaften in allen Lebensbereichen oder um bedauernswerte Entwicklungen in allen Lebensbereichen handelt – egal, stets sind eifrig und kunstvoll Ablichtende mit Sachverstand und Kameraglück auf der Suche nach …? Ja, wonach? Sagen wir: der Wahrheit.
Mit dieser aber ist, wie einem zufällig aufgeschlagenen Eintrag im offen ausliegenden Gästebuch zu entnehmen ist, nicht verlässlich zu rechnen. „1963 – Erster Mensch im Weltraum? – Not true!“, steht da zu lesen. Dazu gleich die Berichtigung der Behauptung: „First human in space was in 1961!“ O je! Jedoch: Nicht so schlimm, denn auch Ausstellungsmacher können sich irren. Es gibt genug löbliche schriftliche Meinungen zum aktuellen Angebot der Kunsthalle München: „Eine beeindruckende, Augen öffnende, drastische, gleichzeitig sehr ästhetische Ausstellung“, so lautet eine von zahlreichen anderen Meinungen.
Die Schau mag mit der Vielzahl von Aspekten und immer neuen Perspektiven manchen Besuch-Willigen überfordern. Mehr als 100 international renommierte Fotografen und Fotografinnen waren hier am Werk. Am besten, man trifft eine verkraftbare Auswahl, ohne den Ehrgeiz zu haben, alles Gezeigte aufnehmen zu wollen. Anders hätte die Ausstellung ihren Zweck, aufzuklären und aufzurütteln, verfehlt.
Ein guter Rat: Man beginne in der Abteilung „Fließen“, wo unter anderem das von jugendlichen Besuchern umstellte Foto mit vielen Kindern hängt, die auf einem „Wild River“ in dick aufgeblasenen Pneus schippern und lustig einen Urwald durchqueren. Doch man versäume nicht, auch das Foto zu sehen, das unmittelbar mit München zu tun hat. Es nimmt die ganze große Wand eines der letzten zu betretenden Räume ein. Der bekannte Fotograf Manuel Picker ist der Autor dieser Luftaufnahme im Olympia-Zentrum. Es ist am 27. Juli vergangenes Jahr entstanden, als Hunderte von vor allem jungen Menschen das umjubelte Münchner „Eras Tour“-Konzert von Popsuperstar Taylor Swift besuchten. Die beiden Männer, die sich, wie es scheint, von dem Riesenfoto nicht trennen können, sind vielleicht gerade dabei, darauf sich selbst in der Menschenmenge zu entdecken. – Bis 24. August täglich 10 – 20 Uhr.
