Das Gesetz von Singapur verlangt die Todesstrafe für Drogendelikte. Die Regierung verteidigt die Exekutionen. Auch der malaysische Dichter Pannir Selvam soll hingerichtet werden. Sein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Von Johannes Schütz.
Er ist der Sohn eines Pastors aus Malaysien. Einst begleitete Pannir Selvam Pranthaman die Messen seines Vaters mit Gitarre und Keyboard. Jetzt schreibt er Elegien im Gefängnis von Changi in Singapur. Populäre Musiker aus seiner Heimat tragen seine wehmütigen Lieder vor. Pannir Selvam wurde von den Richtern in Singapur zum Tode durch den Strang verurteilt.
Bei einer Grenzkontrolle, bei der Fahrt von Malaysien nach Singapur, wurden am 3. September 2014 vier Säckchen gefunden, die ein bräunliches Pulver mit einem Gewicht von 1.833 Gramm beinhalteten. Die Substanz wurde analysiert, es wurde befunden, dass 51,84 Gramm Diamorphine in dem Pulver beinhaltet wären.
Sein Anwalt betonte, Pannir Selvan sei nicht in Kenntnis gewesen, dass er Drogen transportierte. Richter Lee Seiu Kin verhängte das „obligatorische Todesurteil“:
I passed the mandatory death sentence on the accused“.
(High CourtPublic Prosecutor v Pannir Selvam Pranthaman [2017] SGHC 144, High Court Singapore, 27. 6. 2017. Anmerkung: Todesurteil am 2. 5. 2017)
Das Gesetz von Singapur
Die Strafen für Drogendelikte werden im „Misuse of Drugs Act 1973“ von Singapur bestimmt.
containing such quantity of diamorphine being
(a) not less than 10 grammes and not more than 15 grammes:
Maximum 30 years or imprisonment for life and 15 strokes
Minimum 20 years and 15 strokes
(b) more than 15 grammes:
Death
(Singapore Statutes, Misuse of Drugs Act 1973, Second Schedule: Offences Punishable on Conviction, Current version, 22. 6. 2025)
Für mehr als 15 Gramm wird, nur mit einem Wort, lakonisch befunden: Tod. Die Hinrichtung wird in Singapur auch angeordnet für mehr als 30 Gramm Morphium, 30 Gramm Kokain, 500 Gramm Cannabis:
cannabis where the quantity is
(a) not less than 330 grammes and not more than 500 grammes
Maximum 30 years or imprisonment for life and 15 strokes
Minimum 20 years and 15 strokes
b) more than 500 grammes
Death
(Singapore Statutes, Misuse of Drugs Act 1973, Second Schedule: Offences Punishable on Conviction, Current version, 22. 6. 2025)
Somit könnte der Delinquent für den Besitz von 480 Gramm Cannabis in Singapur noch davonkommen, falls der Richter auf die lebenslange Haft verzichtet, mit 30 Jahren Gefängnis und 15 Schlägen mit dem Stock.
Wird die Droge in einem Fahrzeug gefunden, so wird davon ausgegangen, dass diese im Besitz des Fahrzeughalters und des Fahrzeuglenkers sich befindet
(Singapore Statutes, Misuse of Drugs Act 1973, Abschnitt 21).
Prinzipiell könnte die vom Gesetz vorgeschriebene Todesstrafe umgewandelt werden, in lebenslange Haft mit einer zusätzlichen Prügelstrafe von mindestens 15 Schlägen. Für eine solche Abwehr der Todesstrafe erklärt Absatz 33B des Misuse of Drugs Act, es muss eine Zusammenarbeit des Beschuldigten mit dem Central Narcotics Bureau gegeben sein, die die Unterbindung des Drogenhandels wesentlich unterstützt. Diese Kooperation muss vom Staatsanwalt bescheinigt werden.
Doch der Richter von Pannir Selvam erklärte:
„there is no certificate of substantial assistance from the Public Prosecutor under s 33B(2)(b) of the MDA“. Diese Aussage wird von seinem Verteidiger bestritten.
Familie kämpft um sein Leben
Die Familie von Pannir Selvam kämpft seit Jahren um sein Leben, seine Schwestern Sangkari und Angelia berichten über ihre Besuche im Gefängnis von Changi. Angelia Pranthaman ist auch die Präsidentin von Sebaran Kasih (Spread Love Malaysia), eine NGO in Kuala Lumpur, die benachteiligte Familien unterstützt (www.sebarankasih.com).
Das Gnadengesuch der Familie Pranthaman wurde vom Präsidenten abgelehnt, denn die Regierung der Republik Singapur, unter Führung des Premierministers, gab die Empfehlung, dem Gesetz seinen Lauf zu lassen:
„the advice of the Cabinet of the Republic of Singapore (“the Cabinet”) to the President of the Republic of Singapore (“the President”) that the law should be permitted to take its course in relation to the Applicant“.
(Pannir Selvam a/l Pranthaman v Attorney-General [2020] SGHC 80, High Court, 24. 4. 2020)
Pannir Selvam und seine Angehörigen wurden vom Büro des Präsidenten mit einem Schreiben am 17. Mai 2019 über diese Entscheidung benachrichtigt, darin wurde auch der Termin der Exekution genannt, am 24. Mai, nach nur sieben Tagen.
Zu diesem Zeitpunkt war Lee Hsien Loong der Premierminister der Regierung, die dem Präsidenten anordnete, er solle die Hinrichtung nicht blockieren. Seit Mai 2024 wird die Regierung von Singapur geführt von Lee Hsien Loong als Senior Minister und Lawrence Wong als Premierminister. Justizminister ist seit Mai 2025 Edwin Charles Tong Chun Fai.
Das Land wurde zuvor von Lee Kuan Yew beherrscht, dem Vater von Lee Hsien Loong. Er war Premierminister von 1959 bis 1990, dann der mächtige Senior Minister bei seinem Nachfolger Goh Chok Tong von November 1990 bis 2004. Bis sein Sohn Lee Hsien Loong im August 2004 als Premierminister eingesetzt wurde und Lee Kuan Yew, offiziell als „Mentor Minister“, ihm die Anweisungen gab.
Aufschub der Hinrichtung
Pannir Selvam wurde am 31. Juli 1987 geboren. Bereits zweimal wurde ein Termin für seine Hinrichtung angesetzt, am 24. Mai 2019 und am 20. Februar 2025.
Am 21. Mai 2019 beantragte Pannir Selvam einen Aufschub der Hinrichtung. Denn die Ablehnung seines Gnadengesuchs müsse überprüft werden, auch die Weigerung des Staatsanwalts, seine Zusammenarbeit bei der Aufklärung von Drogendelikten zu bestätigen. Die Regierung hätte die Unterlagen nicht berücksichtigt, diese müssen in einer neuerlich zu erstellenden Empfehlung an den Präsidenten einbezogen werden.
Das Berufungsgericht verhandelte den Fall am 23. Mai 2019 und gewährte Pannir Selvam einen Aufschub der Hinrichtung, damit er seinen Antrag auf Anfechtung des Todesurteils stellen könne. Doch mit Urteil vom 24. 4. 2020 wies Richter See Kee Oon den Antrag von Pannir Selvams Anwälten auf weitere Überprüfung ab. Seine Anträge wurden auch vom Berufungsgericht am 21. 4. 2022 abgelehnt. Demnach kann die Empfehlung der Regierung von Singapur (Cabinet) an den Präsidenten nicht angefochten werden.
Am 27. Januar ordnete der Präsident die Hinrichtung von Pannir Selvam für den 20. Februar 2025 an. Er erhielt den Vollstreckungsbescheid am 16. Februar 2025. Pannir Selvam stellte am 17. Februar einen Antrag auf Aussetzung der Exekution. Es müsse, neben weiteren Gründen, insbesondere die Verfassungsmäßigkeit der enthaltenen Vermutungen in §§ 18(1) und 18(2) des Misuse of Drugs Act geprüft werden.
Der Richter der Berufungskammer ordnete am 19. Februar den Aufschub der Exekution bis zur Entscheidung über die diesbezüglichen Anträge von Pannir Selvam an:
I also order a stay of the Applicant’s execution pending the determination of his PACC application.
Woo Bih Li
Judge of the Appellate Division
(Pannir Selvam Pranthaman v Attorney-General [2025] SGCA 7, Court of Appeal , 19. 2. 2025)
Im Gesetz von Singapur bedeutet PACC: „Post-appeal Application in a Capital Case“, also Antrag nach der Ablehnung einer Berufung bei einem Todesurteil.
Exekutionen werden in Singapur vollstreckt
Dieser Antrag auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Misuse of Drugs Act bedeutet wohl die letzte Möglichkeit für Pannir Selvam, das Todesurteil und die Hinrichtung am Rechtsweg zu bekämpfen. Es wurde ihm dieser Aufschub gewährt. Doch kann Pannir Selvam damit nicht als gerettet betrachtet werden.
Bisher wurden die Hinichtungen in Singapur zu einem späteren Zeitpunkt noch exekutiert. Das beweist der Fall von Syed Suhail, der für den Besitz von 38,84 Diamorphin zum Tode verurteilt wurde. Seine Hinrichtung wurde für 18. September 2020 angeordnet. Menschenrechtsanwälte und internationale Organisationen erreichten einen Aufschub für weitere Anhörungen durch das Berufungsgericht. Doch letztlich erklärte das Central Narcotics Bureau von Singapur in einer Presseaussendung: am 23. Januar 2025, dass die Hinrichtung vollstreckt wurde:
Syed Suhail bin Syed Zin (“Syed Suhail”) execution carried out on 23 . 1. 2025.
Die nächste Verhandlung im Fall von Pannir Selvam soll im August stattfinden. Noch kann die Regierung von Singapur deutlich aufgefordert werden, auch von der Europäischen Union und dem zuständigen Justiz-Commissioner Michael McGrath, die Hinrichtungen für Drogendelikte zu beenden. Ansonsten droht Pannir Selvam die Exekution durch Erhängen. Seine Schwester Angelia Pranthaman ist besorgt:
„Pannir is living on borrowed time, his turn to be executed could be anytime“.
Links
Im Todestrakt von Singapur
Tabula Rasa, 17. 6. 2025
Die Todesstrafe für Drogendelikte dient einer Monopolisierung des Drogenhandels durch eine Führungsschicht des Landes. Der Staatsgründer von Singapur baute sein Vermögen mit Schwarzhandel. Dafür wartet jetzt ein Dichter aus Malaysien im Gefängnis von Singapur auf seinen Henker.
www.tabularasamagazin.de/johannes-schuetz-im-todestrakt-von-singapur
Todesurteile in Singapur: Pannir Selvam Pranthaman droht Hinrichtung:
Anfrage an den Sprecher für Demokratie und Justiz der Europäischen Union
Tabula Rasa, 8. 6. 2025
Stellungnahmen der Delegation der Europäischen Union in Singapur erfolgen erst nach einer Hinrichtung. Aktuell wartet ein malaysischer Dichter im Todestrakt von Singapur auf die Exekution.
www.tabularasamagazin.de/johannes-schuetz-todesurteile-in-singapur-pannir-selvam-pranthaman-droht-hinrichtung-anfrage-an-den-sprecher-fuer-demokratie-und-justiz-der-europaeischen-union
