Friedrich Nietzsche und Richard Wagner – Liebe, Verrat, Verdammung

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Die Beziehung zwischen Nietzsche und Wagner ist mehr als eine Episode in der Ideengeschichte. Sie ist ein Mythos der Moderne. Sie erzählt von der Macht der Kunst und der Autonomie des Denkens, von Verführung und Verrat, von Nähe und Entfremdung. Sie ist – mit Nietzsche gesprochen – eine Tragödie. Und wie jede Tragödie: schön, schrecklich, wahr.

Es beginnt wie ein Liebeslied und endet wie eine Tragödie. Friedrich Nietzsche und Richard Wagner – zwei Titanen des deutschen Geistes, vereint durch Pathos, getrennt durch Weltanschauung. Was diese Beziehung so faszinierend macht, ist nicht nur ihr intellektueller Gehalt, sondern ihr dramatischer Verlauf: Von der Bewunderung zur Entfremdung, von der Nähe zur Anklage, vom Kult zur Katastrophe. „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit“, schrieb Nietzsche. Wagner war das Orchester dazu.

Der Anfang: Dionysische Verbrüderung

In Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872) erscheint Wagner als Erlöser – nicht religiös, sondern ästhetisch. Nietzsche sieht in ihm die Verkörperung des Dionysischen, jener dunklen, ekstatischen Lebensmacht, die gegen das Apollinische, das Maß und die Form, aufbegehrt. Wagner – der neue Dionysos, der das deutsche Theater zum Tempel einer metaphysischen Musik erhebt. Für den jungen Nietzsche ist Wagner kein Musiker, sondern ein Weltdeuter, ein Prophet in Tönen.

Die Oper wird zum Ort der Offenbarung. Der „Ring des Nibelungen“ – für Nietzsche anfangs mehr als Kunst: eine Hoffnung auf eine neue Kultur. Musik wird zur Philosophie, Philosophie zur Partitur. Ein neuer Mensch scheint am Horizont aufzutauchen, ein schöpferischer, tragischer, tanzender Mensch. Nietzsche erkennt in Wagner die Erfüllung seiner tiefsten Sehnsucht: eine Kunst, die nicht unterhält, sondern erschüttert.

Der Bruch: Parsifal, Posen, Pseudomoral

Doch es sollte nicht dabei bleiben. Der Bruch beginnt schleichend und endet abrupt. Wagners Rückkehr zum Christentum, sein Werk Parsifal, wird für Nietzsche zum Symbol des Verrats. Aus dem dionysischen Erneuerer ist ein verkappter Prediger geworden. Die Bühne wird zur Kanzel, die Musik zur Predigt. Nietzsche wittert das Wiedererstarken jener Moral, die er verachtet – Mitleid, Erlösung, Entsagung. So wird Wagner für sein Denken gefährlich, erweist sich als Brunnenvergifter und macht die Seele süchtig nach Erlösung. Und nunmehr wirft Nietzsche Wagner vor, aus dem Triumph des Lebens eine Feier der Schwäche gemacht zu haben. Parsifal ist ihm ein Sündenfall, ein Rückfall in den christlichen Nihilismus. Und noch mehr: Wagner wird zum Psychogramm des dekadenten Europas, zur Ikone einer Kunst, die nicht mehr schafft, sondern sediert. In Der Fall Wagner (1888) und Nietzsche contra Wagner (1888) wird der einst Geliebte zum Objekt sezierender Kritik. Mit der Skalpellschärfe des Geistes zerschneidet Nietzsche die Ikone Wagner – und offenbart zugleich seine eigene Wunde. Denn dieser Bruch ist auch persönlich: eine Enttäuschung, ein Verlust, ein inneres Zerreißen.

Nietzsche contra Wagner: Kritik als Selbstoffenbarung

Die Kritik an Wagner ist immer auch Selbstkritik. Nietzsche erkennt in seinem früheren Kult um Wagner jene Gefährdung, die er mit größter Schärfe bekämpft: die Sehnsucht nach metaphysischem Trost. Sein späterer Stil – aphoristisch, schneidend, antimusikalisch – ist eine Art intellektuelles Immunsystem gegen die Verführung des Tönenden. Wagner wird so zum Spiegel, in dem Nietzsche das erkennt, was er nicht mehr sein will: ein Erlöser, ein Moralist, ein Prophet. So ist der Bruch mit Wagner auch eine Selbstbefreiung – eine Emanzipation des Philosophen aus der Umarmung der Kunst. Es ist bezeichnend, dass Nietzsche seinen endgültigen Wahndurchbruch wenige Monate nach der Veröffentlichung seiner letzten Wagner-Schriften erlitt. Als wolle der Geist, der sich von der Kunst emanzipieren wollte, nun endgültig in sich selbst kollabieren. Der Wahnsinn – letzte Konsequenz einer Überhitzung, ein Sturm ohne Ziel .Wagner stirbt 1883 in Venedig, Nietzsche verstummt 1889 in Turin. Ihre Körper getrennt, ihre Gedanken jedoch auf ewig verwoben. Der eine komponierte Erlösung, der andere zerschlug sie. Wagner schenkte der Welt einen musikalischen Mythos – Nietzsche eine Philosophie, die ihn zerstörte.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2263 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".