Bad Godesberg – das neue Istanbul? Tractatus logico-philosophicus: Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schreiben

Muslime in Deutschland, Foto: Stefan Groß

Bad Godesberg, ein Stadtteil Bonns, hat sich seit meinem letzten Besuch vor Jahrzehnten sehr verändert. Das Viertel, wo sich das Haus der Kammerspiele aufhält, erinnert an Istanbul. Nur das Goldene Horn, die Wärme des Orients und die Touristen fehlen. Dafür findet man leicht einen Parkplatz.

In vielen Ländern dieser Welt haben sich Gesellschaften gebildet, in denen Christen und Juden zusammenarbeiten, um einem erneuten Holocaust für die Juden durch die Christen zu verhindern oder zu verzögern. Nur Israel hat sich für einen anderen Weg entschieden, der erfolgversprechend ist. Dafür werden die Juden gehasst und mit dem Tod bedroht.

Bedeutungsschwanger sprechen die christlich-jüdischen Gesellschaften vom theologischen Kennenlernen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben sich Christen und Juden aufeinander zubewegt, genauer: Die Katholiken haben ihre antisemitischen (Altsprech: antijudaistischen) Einstellungen zurückgeschraubt. Was sich im Judentum gegenüber dem Christentum verändert hat, ist schwer nachzuvollziehen. Unvorstellbar, dass sich die jüdische Orthodoxie dem Christentum annähert. Irrelevant, was die progressiven Juden treiben, denn in spätestens einer Generation sind sie verschwunden.

Doch auch wenn der Zweite Weltkrieg schon seit drei Generationen nicht mehr tobt, ist das miteinander Reden unendliche Mal besser als das schönste Pogrom.

Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit sind unter einem weltweiten Dach als ICCJ (International Council of Christians and Jews) gebündelt. In regelmäßigen Abständen treffen sie sich in ausgesuchten Städten, wie vor zwei Jahren in Rom. Diesmal hat der ICCJ beschlossen, das Jahrestreffen in Deutschland abzuhalten, weil Luther vor 500 Jahren die Reformation in Ostdeutschland, damals Mitteldeutschland, angeschoben hat. Bonn wird als Tagungsort ausgewählt, da den Gästen aus aller Welt die ehemalige DDR nicht zugemutet wird.

Deshalb erhält das Treffen in Bonn den Titel:

Martin Luther und 500 Jahre Tradition und Reform im Judentum und Christentum.

Welche Reformen Martin Luther im Katholizismus und im Judentum angeworfen hat, wird jetzt noch nicht verraten. Die Katholiken hoffen, dass damit ihr Verhältnis zu den Juden gemeint ist. Die Juden sind der Ansicht, dass sie sich täglich reformieren oder zumindest einmal pro Generation.

Die Eröffnungsfeier findet in den Kammerspielen von Bad Godesberg statt und ist mit einigen Hunderten von Teilnehmern sehr gut besucht. Interessant ist die Theaterdekoration: ein Wohnzimmer mit Küche. Diese Dekoration ist nur deshalb präsent, damit anschließend ohne Zeitverlust ein sicher gutes Stück in den Kammerspielen aufgeführt werden kann. Aus diesem Grund treibt die nette Moderatorin die letzten Vortragenden an, sich kürzer zu fassen. Denn die Aufführung mit besagter Dekoration sei vorverlegt worden.

Die Eröffnungsfeier-Reden der gewöhnlich männlichen Rednern werden von Musik umrandet. Die Musikstücke klingen interessant, um nicht „befremdlich“ zu schreiben. Selbst „Somewhere“ aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ können die meisten musikalisch gebildeten Zuhörer nicht richtig zuordnen. Beruhigend und zur Musik passend, dass das Thema der Tagung die Reformation im Judentum und im Katholizismus abhandelt!

Als Erster darf der Oberbürgermeister der Stadt Bonn sein Grußwort loswerde. Er macht kräftig Werbung für seine Stadt. Kongresse wie dieser sollen rechtzeitig angemeldet werden, weil die Anfragen das Angebot bei Weitem übersteigen. Nein, es gibt keinen Frühbucherrabatt.

Die Festrede nach der Werbung hält Rabbiner Abraham Skorka aus Argentinien, der seit Jahren mit dem jetzigen Zweitpapst befreundet ist. Wer höchste Indiskretionen aus dem Vatikan erwartet, wird enttäuscht. Nicht einmal ein Grußwort über seinen Lieblingsjuden nach Jesus hat der Papst nach Bonn übersandt!

Der Rabbiner erzählt statt der erwarteten jüdischen Witzen Bobbe-Majsses. Ich erwarte von den christlichen Mitgliedern der ICCJ, dass sie nach 70 Jahren der Annäherung an Juden wissen, was „Bobbe-Majsses“ sind, sogar wenn sie dem Talmud entstammen. Mit seiner Festrede umschifft Rabbiner Abraham Skorka aus Argentinien jede erdenkliche philo- wie antisemitische Klippe. Dafür sind alle Zuhörer dankbar.

Dann darf der  aus Jerusalem stammende und in Jordanien (als Flüchtling?) lebende christliche Palästinenser Monib Younan sprechen, der nebenher Präsident des Lutherischen Weltbundes ist. Nebbich. Monib Younan ist der letzte lebende Würdenträger, der das Kairos-Palästina-Dokument  unterschrieben hat. Darin werden alle Juden als Sünder gegen Gott und der Judenstaat Israel als Apatheidsregime bezeichnet, welches es zu beseitigen gilt (beide: Juden und Israel). Monib Younan entstammt einer griechischen, also palästinensischen Familie, da die Philister, von denen die Palästinenser abstammen wollen, Griechen gewesen sind. Doch Griechen sind äußerst selten Lutheraner. Doch gibt es auch in Deutschland Christen, die sich aus Karrieregründen entscheiden, sich als Juden auszugeben, sog. Kostümjuden. In einer zeitraubenden und überlangen Rede öffnet der palästinensische Christ seinen Forderungskatalog. Er verlangt von den Weltchristen und von den Christen im Saale, neben dem christlich-jüdischen sofort ein christlich-islamisches Forum aufzubauen und nicht erst damit zu warten, bis die Muslime in Deutschland und anderswo in der EU einem islamophoben Holocaust unterzogen werden. Deshalb verlangt er von seinen Zuhörern, sich genauso gegen Islamophobie wie gegen Antisemitismus einzusetzen. Dabei vergisst er geflissentlich zu erwähnen, dass Islamophobie die Angst vor dem Islam, wohingegen Antisemitismus der todbringende Hass auf Juden ist. Doch „Islamophobie“ wird in Deutschland und wohl auch überall in der zivilisierten Welt als Hass gegen Muslime uminterpretiert. Warum?  Weil Islamophobie die reflexartige Antwort der ertappten Muslime auf islamischen Antisemitismus ist. Dabei wird behauptet, dass sich der muslimische Judenhass in Wirklichkeit, wenn auch ungeschickt, gegen Israel reichtet. Dabei ist jedem Geschichtsbewussten klar, dass der islamische Antizionismus vornehmlich dazu dient, den muslimischen Judenhass zu kaschieren. Viele deutsche und andere Freunde der muslimischen Judenhasser, ob Politiker, Kirchen- und Medienkontrolleure oder gewöhnliche Antisemiten, bedienen sich der selben Argumentation.

Der Beifall aus dem Zuhörerraum des Theaters unterscheidet sich weder in der Länge, noch in der Intensität von denen für andere Redner. Die dokumentierten Gesichtsausdrücke der Mitredner auf der Bühne sprechen dafür eine überaus deutliche Sprache.

Mit Kardinal Reinhard Marx, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, taucht die erste amüsante zuhörenswerte Rede auf. Der in Trier geborene Bischof behauptet, dass Marx (und Engels!) gute katholische Trierische Familiennamen sind, was schlagartig erklärt, dass seine Vorfahren Juden gewesen sind. Marx berichtet über die Versäumnisse des Vatikans während der Hitlerherrschaft und über die Anstrengungen, die die Päpste und der Vatikan nach Ende des Weltkrieges unternommen haben, um sich den Juden anzunähern. Aus seiner Rede ist Reue herauszuhören. Der Kardinal zeigt auf, dass in den meisten Staaten mit christlicher Mehrheit eine Konfession überwiegt. Deutschland sei eine Ausnahme. Hier halten sich Katholiken und Protestanten die Waage. Ob das die deutsche Geschichte erklärt?

Marx ist ja nicht der einzige deutsche Kardinal mit jüdischen Vorfahren. Schade, dass sie alle keine Nachkommen zeugen.

Auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland ist zum Reden eingeladen, da Bonn mit Bad Godesberg im Rheinland liegt. Seine Rede ist ehrlich und gut. Er entschuldigt sich für das Verhalten der deutschen Lutheraner in der Nazizeit, die zwar Mitchristen zu retten versucht haben, aber die Juden links liegen gelassen haben. Man hört seiner Stimme an, dass er es Ernst meint und er sich damit von der Mehrheit der Lutheraner absetzt. Wenn er so weiter macht, wird er sein Amt verspielen und die ICCJ wird ihn verleugnen. Schade, ein guter Mensch, obwohl lutherisch.

Dann ergreift der Jude Abraham Lehrer und Vorsitzender der Synagogengemeinde Köln, der ältesten Jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen, was vom Stadtrat der Stadt Köln schriftlich und offiziell bezweifelt wird, das Wort. Es ist kein Wort, sondern ein Redeschwall. Neben echten antisemitischen Beschwerden zählt er aktuelle irrelevante und niemanden interessierenden christliche Vergehen auf, die ihm nur deshalb auffallen, weil er Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland ist, dessen Präsident Josef Schuster, der auf seinen Dr.-Titel großen Wert legt, aus Würzburg in Unterfranken stammt, wo die unwichtigen katholischen Ausrutscher stattfinden. Damit versucht er, den Antisemitismus für seinen Chef zu usurpieren, was glücklicherweise kein Zuhörer mitbekommt. Wäre der katholische Sünder und Priester aus Würzburg wenigstens ein Kinderschänder, so stünde ihm eine große Karriere im Vatikan bevor.

Wegen fortgeschrittener Zeit und weil die Bühne für den nächsten Auftritt geräumt werden muss, fassen sich der Präsident des ICCJ und die katholische Präsidentin des deutschen Zweiges des ICCJ erfreulich kurz, sodass der ausgetrocknete Schreiber dieser Sätze kurz vor dem Verdursten eine halbwegs kalte Cola im Foyer ergattern kann. Der Ausgang des Theaters wird von einem hünenhaften Reformjuden versperrt, der sich leidenschaftlich mit einem Mönch unterhält. Hier drängt sich die „Disputation in der Aula zu Toledo“ auf, geschrieben von einem zum Luthertum konvertierten Juden:

Doch es will mich schier bedünken,
Daß der Rabbi und der Mönch,
Daß sie alle beide stinken.

Miteinander zu reden ist besser als aufeinander einzuschlagen. Doch hilft das Reden? Es gibt genügend historische Beispiele, die beweisen, dass binnen Stunden langjährige gute Nachbarn zu erbitterten Feinden werden, ob in Ruanda, im Osmanischen Reich oder in Deutschland. Selbst heute lässt sich der unerklärliche Hass im ehemaligen Jugoslawien beobachten. Selbstverständlich gibt es erfreuliche Gegenbeweise, die die Hoffnung auf das Gute im Menschen aufleben lassen, wenn auch nicht so reichlich wie den Verrat an Nachbarn und Ethik, um in der Neuen Gesellschaft zu reüssieren.

Mancher Gutmeinende wird argumentieren, dass seit den christlich-jüdischen Gesprächen es in Europa zu keinen Pogromen, also zu keinen organisierten Ausschreitungen gegen Juden, gekommen ist. Doch dies trifft nicht die Realität. In London und Paris sind Pogrome vorgekommen, die die Polizei einzudämmen gewusst hat. In Schweden sind Pogrome staatlicherseits gutgeheißen worden. In Deutschland findet einmal jährlich ein Pogrom als Demonstration getarnt statt, die von Staat und Polizei beschützt werden. Die meisten Pogrom-Antisemiten sind nicht zufälligerweise Muslime. Da ist es mehr als kontraproduktiv, Islamophobie den selben „ehrenvollen“ Stellenwert zu vergeben wie dem Antisemitismus. Die Bekämpfung der Islamophobie mag gut gemeint sein, sie darf jedoch niemals Aufgabe einer weltweiten Organisation werden, die sich der unerfüllbaren Aufgabe gestellt hat, den Judenhass zu besiegen.

Wir können dankbar sein, dass die Mitglieder der ICCJ bei dem Besuch des Kölner Domes nicht mehr von dem zwischenzeitlich verstorbenen und in Köln und Umgebung von Kirchen und Aachener Pazifisten noch heute verehrten und geliebten Judenhetzer vor der Dompforte belästigt werden. Die Mitglieder der ICCJ hätten sofort erkannt, dass es mit den humanistischen Reformen in Köln und Umgebung nicht allzu weit gediehen sind.

 

 

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Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.

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