Beim Coronavirus haben die Politiker vieles falsch gemacht – Es sind Empfehlungen aus dem vordigitalen Zeitalter

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Wenn Appelle verhallen und aktives Zögern konsequente Regelungen behindern.

Dramatisieren oder Bagatellisieren? Das schwierige Agieren der Politik im Umgang mit der Corona-Pandemie

Da treffen sich meist jüngere Menschen in Berlin, Köln oder München in Biergärten, auf Parkwiesen, an Flussufern oder lauschigen Plätzen neben einem Innenstadt-Kiosk, um Spaß zu haben. Oft sind es 5 – 10 manchmal auch 30 oder mehr Personen, die sich als Gruppen auf Freiflächen verteilen. Pärchen schmusen miteinander, Hinzukommende werden mit einer kräftigen Umarmung begrüßt und nicht selten wandern Flaschen mangels Gläser von Mund zu Mund. Welch eine Idylle in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche. – Gleichzeitig befindet sich, wenn auch undercover, mit großer Wahrscheinlichkeit ein sehr aggressiver, ungebetener Gast im meist dichten Miteinander der friedlich Feiernden. Sein wissenschaftlich korrekter Name geht nicht so leicht von der Zunge. Aber den Weg zu dieser und anderen Schleimhäuten findet Corona sehr schnell und unbemerkt. Erst nach 10 – 14 Tagen macht es sich so richtig bemerkbar. Da stockt Manchem der Atem. Die Lunge schmerzt. Der Sauerstoff -Kreislauf gerät in einen Ausnahme-Zustand. Dreistigkeit hat gesiegt.

Feiern Sie noch die eigene Ignoranz noch oder zeigen Sie schon Verantwortung?

Wichtige Beachtungs-Hinweise und Warnungen im Umgang mit Corona werden seit Wochen von den Medien in die Welt gedrückt, ob aus Brüssel, Paris, Rom, Wien oder Berlin. Die Kanzlerin beschreibt die Situation sehr eindringlich als größte Herausforderung nach dem 2. Weltkrieg. Und der französische Staatpräsident spricht gar von Krieg. Aber selbst endlos wirkende LKW-Armee-Konvois mit Corona-Leichen auf dem Weg in norditaliensche Krematorien zeigte bei manchen Zeitgenossen keine Wirkung und wurde wohl als satirische Filmszene gedeutet. Alle Appelle schienen zu häufig auf verschlossene Ohren oder funktions-reduzierte Gehirne zu stoßen. Wie ist dies erklärbar? Fehlt den in einer Spaß-Gesellschaft Aufgewachsenen die Antenne für solche tod-ernste Botschaften? Wuchsen sie zu umfangreich in einer Scheinwelt auf, in welcher überfürsorgliche Eltern den Nachwuchs vor Ungemach und möglichen Konsequenzen ihres Verhaltens abschirmten? Ist es Dummheit, Gernegroßverhalten, Dreistigkeit oder ein spät-pubertäres Protest-Verhalten nach der Devise: ‚Jetzt erst recht, wenn’s unerwünscht ist, muss ein Ignorieren Spannung pur auslösen.’ Zuviele ‚Kleinhirn-Rebellen’ riefen beherzt per Smartphon: ‚Immer locker bleiben. Ab zur nächsten Corona-Groß-Party, möglichst auf der Wiese vor’m Kanzleramt.’ Da springt mir in leichter Abwandlung folgender Sponti-Spruch aus der 68ziger Zeit in den Kopf: ‚Stell dir vor es gibt Krieg und keine hört hin’!

Falsche nonverbale und nur gut gemeinte verbale Botschaften in den Medien

Aber nicht nur das leichtsinnige Verhalten zu vieler Zeitgenossen, ob als Party-Macher im öffentlichen Raum, bei privaten Grill-Abenden, Mütter-Kinder-Treffs in Wohnzimmern, dem kurzen Klön mit dem Paketboten an der Haustüre bei 60 cm Gesichtsabstand oder der Eis-Runde mit Freunden am engen Bistro-Tisch, auch der Umgang mit der Corona-Pandemie in Politik und Medien ist kritische unter die Lupe zu nehmen.

Da zeigte die Tagesschau fast all-abendlich recht nahe beieinander stehende Politiker in Brüssel oder sonst wo, welche mit ersten Gesichtern nach Konzepten suchen, wie denn auf geeignete Weise gegen das Virus vorzugehen sei. Über viele Wochen finden Talkrunden im TV – auch zum Corona-Thema – mit einem zu geringen Sitz-Abstand statt. Auch im Bundestag wurde über Wochen zwar auch über Mindest-Distanzen gesprochen, die Sitzordnung verkündet stattdessen Unbekümmertheit. Politikern badeten wie eh und je in der Menge, wiesen auf die Corona-Gefahren hin, schütteln die Hände und lächeln mit einem Gesichtsabstand von ca. 50 cm fürs zeitgeschichtlich wichtige Foto. – „Man kann nicht nicht kommunizieren“ hat Paul Watzlawick fast in jedes Schülerhirn hineingeträufelt. Und auch, dass der emotionale Anteil einer Botschaft jeden Sach-Anteil überlagert.

Zwischen Bund und Bundesländern wurde mit Zahlen jongliert, ob Veranstaltungen über 1000 oder ab 100 Personen zu verbieten sind, aber es wird unterlassen, die Ansteckungsgefahr durch zu große Körpernähe systematisch zu reduzieren. Denn dem Virus ist restlos egal, ob es im Stadion, einem Groß-Konzert oder im ÖPV zum zu nahen Nachbarn springt. In allen Situationen wären auf jeden Fall Mindestabstände zu fordern, möglichst in Verbindung mit einem Mundschutz, welcher für den ÖPV selbstverständlich sein müsste. Dann könnten auch wieder größere Begräbnis-Feiern auf Friedhöfen stattfinden, denn Platz ist dort reichlich vorhanden. So ist immer noch Vieles nicht klar geregelt, Manches wird verschleiert und etliche stark wirken sollende politischen Aussagen stammen aus der vordigitalen Zeit.

Klare und nachvollziehbare Regelungen anstelle am Thema vorbei gehender Appelle

Hier einige Beispiele, wie die Botschaften von Politikern oder Medienvertreter am Kern vorbei gingen bzw. gehen oder das Gegenteil des Erhofften auslösten:

„Keine sozialen Kontakte“ / „keine Kontakte zwischen Kindern und den Großeltern“:

Stattdessen müsste es heißen: Meiden sie face to face Kontakt unter 1,5 Meter Abstand und nutzen sie alternativ so intensiv wie mögliche die technischen bzw. sozialen Medien wie Telefon, Whatsapp, Mail, Twitter, Webcam-Gespräche usw., damit es nicht zu Kontakt- Beeinträchtigungen zwischen den Generationen bzw. innerhalb von Familien und Freundeskreisen kommt. Leben sie aktiv spürbare Nähe bei räumlicher Distanz! Denn gerade in schwieriger Zeit schaffen stabile Beziehungen Geborgenheit, Zuversicht und fördern die Überlebens-Kraft.

„Bleiben sie zu Hause“: Stattdessen müsste es heißen: Wenn Sie das Haus verlassen, dann vermeiden sie face to face Kontakt zu Menschen unter 1,5 Meter Abstand (ausgenommen sind natürlich jene, mit welchen Sie in einer Wohngemeinschaft leben), egal ob sie ihrem Beruf nachgehen, wichtige Besorgungen machen oder um Sonne bzw. frische Luft zu tanken. Und jede Rückkehr in die Wohnung hat mit einem kräftigen Hände-Waschen zu beginnen.

Notfalls gibt es Ausgangssperren: Auch wenn es hier in den letzten Tagen deutliche Verbesserung und Konkretisierung gab, zu lange fehlten klare Verdeutlichungen wie: Keine Ansammlungen über drei Personen, wenn diese nicht nachweisbar in einer Wohngemeinschaft leben. Zuwiderhandlungen werden mit einem sofort zu zahlenden Verwarngeld in Höhe von 50,- Euro geahndet. Eine Wiederholung kostet 100,- Euro. Widerstand gegen Vollsteckungsbeamte wird in der leichten Variante (die Anweisungen nicht befolgen) mit 500,- Euro, in Fällen eines aktiv-aggressiven Widerstands auch mit Gefängnis bestraft.

Große Kaufhäuser sollen/müssen schließen: Stattdessen müsste es heißen: Alle face to face Kontakt benötigen einen 1,5 Meter Abstand. Ergänzend müssten in allen Einkaufshäusern – ob für Mode, Möbel oder Lebensmittel – das Personal und die Nutzer Mundschutz tragen und den nötigen Sicherheitsabstand wahren. Denn wenn sich im Supermarkt die Menschen an der Kasse drängen, sich im Kampf um die letzten WC-Papier-Rollen in die Haare geraten ist das keinesfalls risikoärmer, als wenn im großen Kaufhaus Menschen mit entsprechendem Abstand Ideen-Shopping betreiben oder einkaufen.

Ergänzend müssten bei Bedarf Zugangsbeschränkungen vorgenommen werden, wie dies einige Geschäfte nun von sich aus veranlassten. Hinweise, dass Hamsterkäufe nicht geduldet werden, gibt es zwischenzeitlich immer häufiger. Aber bei Problemen sollte auch das Hausrecht eines Geschäftes schneller genutzt werden: Denn wenn jemand handgreiflich ‚seine 80 Tüten Milch’ für die eigene Familie zu verteidigen sucht‚ Kunden das Personal wegen leerer Regale beschimpfen oder aus Protest das zum Kauf bereitgehaltene Geld anspukten, dann sollte ein Klares: ‚Dort ist die Tür, für Sie gibt’s heute Hausverbot’ den Spuk beenden.

 Zwischen Panik und Leichtsinn: Tägliche neue Hiobsbotschaften

Wenn solche erläuternden und klaren Botschaft zu lange ausbleiben, sollte sich auch Niemand über spaßige ‚Event-Treffen’ innerhalb einer zu weit verbreiteten gelebten Unbekümmertheit junger oder auch älterer Menschen wundern. Somit haben die handelnden Ober-Verantwortlichen durch ein kontraproduktives Vorbildverhalten, Unterlassen von Detailerläuterungen, teilweise wenig sinnvollen Regelungen sowie zu zögerlichen Verhaltens-Forderungen, die Entwicklung eines unbekümmerten oder gar ignoranten Umgangs mit dem Corona-Virus gefördert. Denn alle irgendwie gut gemeinten Appelle werden folgenlos bleiben, wenn nicht ‚rüberkommt’ was nun unabdingbar wichtig ist und was – möglichst zeitnah – beim Nichtbefolgen passiert.

Gut, dass es neben manch korrekturbedürftigen Agieren und Reagieren auch im sozialen Miteinander viele kreativen Ideen und praktische Beispiele aktiv gelebter Solidarität gib, in welchen der Grundsatz: ‚Was ist jetzt für dich wichtig’ im Zentrum des Handels steht.

Auch die Technik könnte einen Beitrag zur Krisen-Bewältigung erbringen.

Da wir – so ist zu befürchten – noch einige Zeit in viren- kontaminierten Sphären leben müssen, hier ein ganz persönlicher Start-up-Tipp für Elektronik-Tüftler: Die zeitnahe Entwicklung eines kleinen – vielleicht noch zu erfindenden – Abstandsmessgerätes für Hosen- oder Jacken-Taschen, welches bei einer Distanz zu anderen Menschen unter 1,5 Meter z.B. mit dem Signal: ‚Ansteckungs-Gefahr’ oder: ‚Schütze uns vor Corona’ reagiert, würde das Wander- oder Flug-Verhalten von COVID-19 deutlich begrenzen.

Das erinnert ein wenig an Hermann Hesses Erzählung: Narziss und Goldmund (der Film zum Buch warten – corona-bedingt – auf den großen Kinostart). So mussten im Mittelalter die Pestkranken mit Glocken und Rufen auf sich aufmerksam machen, um die Gesunden zu schützen. Und die noch nicht – oder erst kaum bemerkbar – Infizierten trafen sich derweil zu deftigen Pest-Orgien, um vor dem befürchteten Ableben noch einmal kräftig der Lust zu frönen. Heute formieren sich nicht wenige Zeitgenossen zu Corona-Feten und meinen, mit demonstrativer Geselligkeit dem Corona-Virus mutig den Garaus machen zu können. Da war die Weltuntergangs-Stimmung der Pest-Orgien-Teilnehmer wesentlich realistischer.

Über Albert Wunsch 12 Artikel
Albert Wunsch ist promovierte Erziehungswissenschafter und Psychologe, Supervisor (DGSv), Konfliktcoach, Erziehungs- und Paarberater (DGSF). Seit über 10 Jahren ist er an der Hochschule für Oeconomie und Management (FOM) in Neuss und Düsseldorf tätig. Vorher leitete er ca. 25 Jahr das Katholische Jugendamt in Neuss und lehrte anschließend für 8 Jahr hauptamtlich an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen (KatHo) in Köln. Daneben hatte er über 30 Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni sowie der FH Düsseldorf und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter Die Verwöhnungsfalle, Mit mehr Selbst zum stabilen ICH! Resilienz als Basis der Persönlichkeitsentwicklung oder Boxenstopp für Paare.