Chinas Neue Seidenstraße: Ein Mythos und sein Erbe

Verlauf der Seidenstraße

Über die Seidenstrasse zu sprechen heißt, über Eurasien zu sprechen. Und mit Thomas Mann „tief in den Brunnen der Vergangenheit zu blicken“. Die eine globale und gemeinsame Vergangenheit ist, die ich in diesem Beitrag vorstellen möchte.

 

Ich werde also nach einigen einleitenden Bemerkungen

erstens zu Chinas Projekt einer „Neuen Seidenstraße“,

zweitens zur Geschichte der „Seidenstraße“ im 12./13. Jahrhundert während der Pax mongolica und dann

drittens auf die ersten Erkundungen von Europäern (Missionaren und Händlern) auf diesem Weg eingehen.

 

Seit einiger Zeit lesen und hören wir ständig von der „Seidenstraße“ und sie gewinnt allgemeines Interesse: „Auf den Spuren Marco Polos entlang der Seidenstraße“ wird heute ergänzt durch TV-Serien über Chinas Ausbau von Autobahnen und Städten entlang der Routen, die Marco Polo bereits 1298 beschrieben hat und weit darüber hinaus, wenn wir an Chinas Engagement in Afrika oder Mittel- und Südamerika denken. In China selbst ist sie seit Oktober 2017 Bestandteil des Programms der dortigen Kommunistischen Partei.[1]

 

Marco Polos abenteuerlicher Reisebericht „Il Milione – Cest livre est appelé le divisament dou monde“ wurde seit seinem Erscheinen viel gelesen[2], obwohl schon damals Zweifel an seiner Echtheit geäußert wurden. Ebenso viel gelesen wurde die nun wirklich fiktiven „Travels“ des Jean de Mandeville[3], ein Reiseroman, der etwa 70 Jahre später entstand: Der Hunger nach Exotischem war damals ebenso groß wie heute – nur heute wird dorthin geflogen, während damals die Lektüre das einzige Mittel war, diesen Hunger zu stillen.

 

Und genau so abenteuerlich wie Marco Polos Reisebericht mutet ja auch seine Entstehung an: Als Gefangener bei einer der Seeschlachten zwischen Genua und Venedig diktierte – oder besser: erzählte – er seine Abenteuer und Beobachtungen zwischen März 1298 und Mai 1299 einem ebenfalls dort in Haft liegenden Literaten, Rusticello da Pisano, der daraus den Reisebericht gemacht hat. Sozusagen ein Zeitvertreib zwischen zwei zeitweilig in einem abenteuerlichen Jahrhundert gefangenen Abenteurern: Kaufmann und Literat, die sich überlegten, wie sie das Beste aus ihrer Zeit machen konnten, in der sie auf das Eintreffen des Lösegeldes und auf ihre Freilassung warteten:

 

„Kaiser, Könige und Fürsten, Ritter und Bürger – und ihr alle, ihr Wißbegierigen, die ihr die verschiedenen Rassen und die Mannigfaltigkeit der Länder dieser Welt kennenlernen wollt – nehmt dieses Buch und laßt es euch vorlesen. Merkwürdiges und Wunderbares findet ihr darin, und ihr werdet erfahren, wie sich Groß-Armenien, Persien, die Tatarei, Indien und viele andere Reiche voneinander unterscheiden. Dieses Buch wird euch genau darüber unterrichten; denn Messer Marco Polo, ein gebildeter edler Bürger aus Venedig, erzählt hier, was er mit eigenen Augen gesehen hat.“[4]

 

Damit beginnt Rusticello seine Erzählung von Messer Marco Polos Reisebeschreibung, einer Reise, die er 1271 mit seinem Vater und seinem Onkel, versehen mit einem Schreiben von Papst Clemens IV., angetreten und 1295 mit seiner Rückkehr nach Venedig beendet hat. Wir werden später darauf zurückkommen.

Auf dieser Reise hat er auf dem Hinweg sowohl die heutige Seidenstraße auf dem Landweg, wie auf dem Rückweg die maritime Seidenstraße bereist – und Rusticello beschreibt den Weg der „Seidenstraße“ schon recht gut, auch wenn er den Namen „Seidenstraße“ nicht benutzt hat.

 

  • Der Name „Seidenstraße“

 

Der stammt erst aus dem 19. Jahrhundert und wir verdanken ihn dem Freiherrn Ferdinand von Richthofen, einem deutschen Geographen, der ihn 1877 in seinen fünfbändigen Studien über seine Forschungsreise erstmals genannt und eine Karte dieser Route abgebildet hat.[5] Obwohl er sich bei der Routendarstellung sowohl auf alte europäische Quellen wie Ptolemäus und Marinus, Marco Polo u.a. wie auch – erstmals – chinesische Quellen bezog, mutet seine dortige Route doch eher wie der Entwurf einer geraden Schienenstrecke durch Eurasien an, die mit dem verzweigten Netz der historischen Handelswege wenig zu tun hat. Der Vorwurf, dass Richthofen dort eher eine potentielle Zugstrecke von Shandong durch die Kohlenfelder von Chang´an (heute: Xi´an) bis ins Kaiserreich Deutschland entworfen habe, wird nicht unberechtigt sein, doch stimmt er mit den Absichten der gegenwärtigen chinesische Regierung im Zeitalter der Globalisierung überraschend überein.

 

Auf jeden Fall setzte sich der Name „Seidenstraße“ zunehmend durch – zuerst 1910 in einer Göttinger Dissertation[6] – und wurde spätestens 1936 zum allgemeinen Standard, als Sven Hedins Buch über seine Reisen in Zentralasien unter seinem deutschen Titel „Die Seidenstraße“ erschien.[7]

 

Dass China sich dieses Namenskonstruktes aus einer Zeit des doch eher brutalen europäischen Imperialismus, unter dessen kolonialen Bestrebungen es zu leiden gehabt hatte, heute propagandistisch bedient, um heute seine handelspolitischen und geostrategischen Interessen der betroffenen Welt anschmiegsam nahezubringen, kann man nur als gelungenen Coup einer pragmatischen Politik bestaunen, wie zuletzt auch die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, als sie die neue „Konnektivitätsstrategie“ der EU vorstellte (dass 127 Milliarden Euro sich angesichts der 1 Billion Dollar seitens chinesischer Planungen dabei eher gering ausnehmen, führt uns wieder ins Reich Marco Polos: „Il Milione“).

 

Für China heißt das Projekt: Xin Sichouzhilu (Neue Seidenstraße) bzw.: Yidai Yilu (Ein Band, eine Straße): On Belt, On Road (OBOR), neuerdings: Belt and Road. Die Landroute: Silk Road Economic Belt, die Seeroute: Maritime Silk Road. Wir werden sehen, dass es für beide Straßen Anknüpfungspunkte in der Geschichte Chinas wie Europas gab.

 

China tritt damit jetzt selbstbewusst in den Prozess ein, den wir „Globalisierung“ nennen und auf dem wir uns als Gewinner sahen, und nutzt ihn für sich: und plant in seine Strategie auch mehr Routen ein – auf der Schiene, auf neu zu bauenden Autobahnen wie zur See – , als sie Freiherr von Richthofen 1877 für möglich gehalten hatte.

 

  • Der Erste Kreuzzug als Einleitung der Globalisierung

 

Denken wir uns kurz zurück in die Zeit Marco Polos – wobei er als Venezianer privilegiert in Sachen „Welterkenntnis“ und Herrschaft war, hatte doch seine Stadt Flotten auf dem östlichen Mittelmeer und dem Schwarzen Meer, die noch vor seiner Geburt Byzanz bezwungen und sich neue Handelswege geöffnet hatten.

Der Weg dazu waren die Kreuzzüge und eine äußerst eigennützige politische Strategie seiner Heimatstadt Venedig.

 

Die Kenntnisse über die Welt waren für die meisten Abendländer im 10. Jahrhundert auf Jerusalem als Mittelpunkt der Welt religiös wie auch kartographisch geschrumpft,[8] während islamische Herrscher, die Fatimiden, von Ägypten aus Handelsverbindungen zwischen dem Mittelmeer, dem Roten Meer und dem Indischen Ozean schufen, die zugleich Kontakte nach Südasien und China waren.

 

Ungeachtet des Schismas zwischen der Kirche des Ostens und der Römischen Kirche erbat Kaiser Alexios I. aus Byzanz beim Papst Urban II. 1094 militärische Hilfe gegen die seldschukischen Türken, die ihn bedrohten: Gegen die Ungläubigen, denn die Seldschuken hatten den Islam angenommen. Dieser Bitte folgend rief Urban II. am 28. November 1095 in Clermont zum Kreuzzug gegen die Ungläubigen und zur Befreiung des „Heiligen Grabes“ auf, ein Aufruf, dem der europäische Adel folgte – und auch ungeordnet oft das breite Volk.

 

Es ist hier nicht der Raum, darauf einzugehen, aber Urban II. gab – ihm nicht bewusst – damit zugleich auch ein Aufruf zur Eroberung der Welt: Denn damit begann sowohl ideell wie politisch die Verflechtung des Abendlandes in erst nur die orientalische, dann in die gesamte Welt – angetrieben von Bündnissuche, Mission, Handel und Gewinnstreben, bis schließlich nur 500 Jahre später ein dichtes Handelsnetz die Alte und Neue Welt umspannte und alle Länder und Kontinente in einen von da an immerwährenden Kontakt und die – leider – dazugehörenden Konflikte einzog. Wir könnten es einen Maelström des Fortschritts, eine immerwährende Progression nennen, in dessen immer rascher kreisenden Ringen wir leben.

 

Denken wir weiträumig und von Einzelheiten heute Abend einmal unbeschwert, dann hat Urban II. in Clermont 1095 die Globalisierung von der westlichen Seite angestoßen, Dschingis Khan 200 Jahre später in seinem Eroberungswahn dasselbe von der östlichen Seite aus bereitet, die Templer- und Johanniter durch Überweisungsgeschäfte, italienische Banken durch Einführung der „doppelten Buchhaltung“ und Wechselgeschäfte sie unterfüttert, die Portugiesen und später die Spanier diese Idee dann als erste Europäer auf dem Seeweg in Angriff genommen, auf denen Holländer und Engländer ihnen dann folgten und ihnen die Beute abjagten.

 

Blicken wir darauf zurück – oder sogar nur in die nähere Geschichte um die Zeit des Ersten Weltkrieges –, dann klingt der hassgeladene Vorwurf Bin Ladens und der Islamisten gegen uns, ihre anglo-europäischen Feinde, als die sie uns nun einmal sehen, „Kreuzzügler“ zu sein, plötzlich nicht mehr so absurd, wie er uns ohne einen Blick in die Geschichte vorkommen muss. Uns als Deutsche könnte es zumindest nachdenklich machen – auch angesichts der heute zunehmend aufgeladenen politischen Atmosphäre –, dass Max Freiherr von Oppenheim, ein deutscher Bankierserbe, Archäologe, dem wir die Funde von Tell Halaf verdanken, als Beamter des Außenamtes des Deutschen Kaiserreiches den ersten Aufruf zum „Dschihad“ überhaupt im Auftrag des Amtes verfasste, wofür er von den Türken den Beinahmen „Abu Djihat“ erhielt[9]. Dass „Lawrence von Arabien“ auf englischer Seite aus ähnlichen Motiven die Araber zum Aufstand aufrief und zur Zerstörung der Hedschas –Bahn, wobei er an die Gewinnmotive der Wüstennomaden appelierte, denen durch die Bahn Wegezölle der Pilger nach Mekka entgangen waren, bestätigt das Bild imperialistischer Verstrickungen in regional-eigennützige Motive nur. Heute sind sie durch die Globalisierung zu einem weltweiten Flächenbrand aufgegangen und erschrecken uns alle. „Lawrence von Arabien“ war selbst zutiefst enttäuscht und es ist bis heute nicht sicher, ob sein Tod Unfall oder Suizid war.

 

Aber zurück: Sowohl das Thema des Beitrages wie der uns zur Verfügung stehende Textraum zwingen leider zur Kürze, denn wir haben nicht die Zeit, die Messer Marco Polo und Rusticello da Pisano in ihrer Genueser Haft hatten, um sich bei sicher vielen Bouteillen Rotweines über die Wunder der Seidenstraße und die Vorzüge der Herrschaft der Mongolen auszutauschen (wobei Marco Polo die Seidenstraße so nicht benannt hätte, reiste er doch von Punkt zu Punkt mit dem Ziel, mit seinem Vater und seinem Onkel zum Hof Dschingis Khans zu kommen, des Herrschers des damals größten Reiches der Welt).

 

Ich habe mich zu diesem Ausflug in die Gegenwart auch nur hinreißen lassen, weil unsere Geschichte mit unserer Gegenwart enger miteinander verbunden ist, als es uns im Tagesgedränge oft bewusst wird. Ebenso wie die Geschichte unserer vermeintlichen oder tatsächlichen Gegner mit der unseren. In der Hoffnung, dass die historische Arbeit uns helfen könnte, einander besser zu sehen. Die Geschichte ist kein leeres und akademisches Feld, sondern ragt in unser Leben hinein. Das gilt auch für China und seine Geschichte mit uns.

 

Als Beispiel:

Das Tsingtao-Bier der Germania-Brauerei ist heute weltweit das sechstverkaufte Bier und wurde von einer US-amerikanischen Brauerei gekauft, an eine japanische Gruppe weitergegeben und 2016 an die chinesische Forun Group verkauft. So ist das Bier der Germania-Brauerei heute wieder in chinesischen Händen: weltweit zu kaufen (bei LIDL für ein Six-Pack zu 3,33 €). Ein nettes Erbe, mit dem die Chinesen hoffentlich gut leben können. Ein kleiner Akzent zur Globalisierung, wenn den Urban II. wohl auch nicht zu imaginieren gedacht hätte, aber doch dessen unerheblich-freundliche Folge.

 

Kommen wir also endlich zu China und zu seiner „Neuen Seidenstraße“.

 

  • China und die Neue Seidenstraße

 

Wenn wir über die Neue Seidenstraße sprechen, dann geht es um ein aktuelles Riesenprojekt: Heute geht es um Chinas Investitionen (um 1 Billion US-Dollar) in Verkehrswege, Häfen und Stadtgründungen am Rand der Verkehre – gegenwärtig spektakulär z.B. in Afrika (woneben sich die Reise Angela Merkels in vier afrikanische Staaten Anfang September eher vernachlässigbar ausnimmt). Afrikanische Potentaten versammelten sich zur gleichen Zeit in Beijing auf Einladung des chinesischen Ministerpräsidenten Xi Jinping Anfang September zum China-Afrika-Gipfel. Und die Berichte darüber standen ausführlich im Handelsblatt und in internationalen Politikjournalen.

 

3.1 Die Landroute der Neuen Seidenstraße

 

Interessant sind für den historischen Betrachter die Umkehrungen, ja geradezu Kapriolen des Sachverhaltes (weniger des Begriffes, der ja erst 1877 geprägt wurde):

In den frühen Zeiten war die Seidenstraße ein Weg mit Sach- und Kulturgütern von Ost nach West, in Zahlungen dafür von West nach Ost. Zeitweilig unterbrochen durch Krieg und wechselnde Eroberungen. Dann vom 13. Jahrhundert bis zum 14. Jahrhundert wieder belebt infolge der pax mongolica: Mit Seide wieder von Ost nach West, von Seiten der Europäer bereist von Wenigen von West nach Ost: auf der Suche nach Bündnispartnern im Osten, wofür die ausgeschickten Missionare stehen, sowie durch simple Handelsinteressen, wofür Namen wie die Polo-Familie und Pegolotti stehen.

 

Bis hin zur Umkehrung der Wegrichtung der „Seidenstraße“ auf dem Meer von West nach Ost: auf dem Weg der Entdeckung der „maritimen Seidenstraße“ aus dem Geist des Kreuzzuges (wozu viel zu sagen wäre, aber hier der Raum leider nicht ist): Denn in Portugal begann der Templerorden, der – hier jetzt vereinfacht – in den Christusorden übergegangen war, unter seinem Generalmeister Dom Henrique mit Eroberungen in Nordafrika und durch seine Unterstützung der Umsegelung Afrikas unter dem Zeichen des Christusordens die „Seidenstraße“ in die andere Richtung zu besegeln und Festungen an ihr zu bauen: von Faro in Portugal bis Macao an der chinesichen Küste.

 

Heute wird der Begriff Seidenstraße aus Chinesischer Politik und Wirtschaftskraft wiederbelebt. China knüpft an seine Geschichte und – bizarrer Weise – europäische Propaganda und Mythen an und macht sie sich wirtschaftspolitisch und propagandistisch fruchtbar.

 

Die Handelsströme kehren sich um: Der Antrieb geht jetzt wieder von Osten nach Westen, auf dem Landweg wie zur See, folgt bei Letzterem mit der Gründung von Häfen und Stützpunkten weitgehend dem portugiesischen Modell – auch dies für China nicht neu, wenn wir an einen Versuch im 15. Jh. mit dem Admiral Zeng He denken, auf den ich noch kurz zurückkommen werde.

 

Seit der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im Herbst 2013 an der Nazarbayev University in Kasachstan seine „One Belt One Road“–Initiative (kurz: OBOR) angeküdigt hat, gewinnt das von China geplante Projekt einer „Neuen Seidenstraße“ in der Presse zusehends an Bedeutung und in der Sache an Fahrt. Besonders nach dem fast dreiviertelstündigen Vortrag Xi Jinpings 2017 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Im Juli dieses Jahres haben z.B. die Commerzbank und die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) „ein Kooperationsrahmenabkommen zur Unterstützung von Projekten im Rahmen der sog. Neuen Seidenstraße geschlossen. […] Die Vertriebsstärke der Commerzbank in Europa kombiniert mit den lokalen Kenntnissen der ICBC im chinesischen Markt wird deutschen und europäischen Unternehmen dabei helfen, Geschäftsmöglichkeiten entlang der Handelskorridore zu nutzen – gleichzeitig werden asiatische Unternehmen bei ihren Geschäften in Europa unterstützt.“[10]. Ein weiteres Indiz dafür ist die Mitteilung von BMW vom 11. Oktober d. lfd. Jahres, dass BMW als erster ausländischer Autohersteller die Mehrheit an seinem Joint Venture mit „Brilliance China Automotive“ (BBA) auf 75% erhöhen wird.[11]

 

Wie der englische Name „One Belt One Road“ bereits andeutet, handelt es sich bei dieser „Neuen Seidenstraße“ eigentlich um zwei geplante Handelsrouten: einer maritimen von China über Südasien nach Afrika (der sog. „Maritime Silk Road, kurz: MSR) und einer über den nördlichen Landweg (dem sog.Silk Road Economic Belt“, kurz: SREB) vom Reich der Mitte über Zentralasien, den Iran, die Türkei und Moskau nach Europa.

Das Projekt hat neben der wirtschaftlichen und geopolitischen auch eine hohe symbolische Aufladung, knüpft es doch propagandistisch an die Alte Seidenstraße an, die China schon im 2. Jh. v. Chr. über viele Zwischenstationen mit Europa verbunden hatte. In dieser neuentdeckten resp. neubehaupteten Tradition möchte China Asien, Afrika und Europa mit Straßen, Schienennetzen, Schifffahrtslinien, Häfen, Industriekorridoren und Kommunikationsnetzen nun im 21. Jahrhundert verbinden. Die Führung in Peking verspricht sich davon einen engeren wirtschaftlichen Austausch mit seinen Nachbarn bis hin nach Afrika, den mittleren Osten und Europa. Zugleich ist die Landroute für China sowohl wegen der größeren Schnelligkeit und Billigkeit der Transporte (mit 15 Tagen doppelt so schnell wie per Schiff) als auch wegen der möglichen Probleme auf der maritimen Route wichtig (Sperrung der Straße von Malakka, Konflikte um die Spratley-Inseln usw. Vor etwa zwei Wochen wurde eine fast-Kollision zwischen US-amerikanischen und chinesischen Kriegsschiffen gemeldet[12], was das hohe Konfliktpotential zur See zumindest andeutet). Bereits heute verkehren zwischen Beijing und Nürnberg bereits wöchentlich zwei Güterzüge. [13]

 

Dass der Bezug auf die Alte Seidenstraße zugleich auch ein gelungener propagandistischer und medialer Coup war, ist unbestritten. Erleichtert er doch beiden Seiten durch den Bezug auf die Geschichte ihre wechselseitigen Interessen kulturell abzustützen. Und diese „Kulturelle Hegemonie“ ist auch China etwas wert: Inzwischen sind 81 Ausbildungszentren sowie etwa 35 kulturelle Großprojekte in den Staaten entlang der Seidenstraße entstanden. Xinhua schreibt: „In der ersten Hälfte des Jahres 2018 hat China über 39 Millionen US-Dollar für sogenannte Seidenstraßen-Bildungsstipendien ausgegeben.“[14] Dazu kommen die Konfuzius-Institute – die Namensgebung ebenfalls ein sowohl pragmatischer wie gelungener PR-Coup Chinas – (weltweit gegenwärtig etwa 500, geplant für 2020 etwa 1.000), in Deutschland gegenwärtig 19, die jeweils hälftig von der Gast-Universität (an der Ostsee z.B. in Stralsund, das erste in Deutschland in Erfurt) und China finanziert werden (in Entwicklungsländern vollständig von China). Es ist ebenso wie unser Goethe-Institut als gemeinnütziger Verein organisiert, nur dass das Goethe-Institut nur über 159 Institute verfügt und wir (wenn es überhaupt in die Presse gelangt) ständig nur über Kürzungen seines Etats lesen. Es wäre traurig, wenn von Deutschen in China nur das Tsingtao-Bier bliebe.

 

Die Sicherung der großen Öl-, Edelmetall- und Gasvorkommen in Zentralasien ist ein weiteres wesentliches Motiv, das nicht nur China antreibt, sondern das auch die USA mit ihrem „Silk Road Strategie Act“[15] im Jahr 1999 angedacht hatten, ebenso wie die EU, die sich bereits seit 1993 im Rahmen des TRACECA-Projekts[16] (Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia, deutsch: „Verkehrskorridor Europa-Kaukasus-Asien“) um einen infrastrukturellen Ausbau zwischen Europa und Zentralasien bemühte. Auch der ehemalige sowjetische Außenmister Eduard Schewardnadse hatte bereits 1990 auf einer internationalen Konferenz in Wladiwostok den Wiederaufbau der alten Seidenstraße angesprochen, als es die alte Sowjetunion gerade noch gab. Insofern ist es kein Zufall, dass nun auch die Chinesen das geopolitisch und wirtschaftlich wichtige Gebiet Zentralasien, des „Herzlandes“ Eurasiens[17] unter ihre Kontrolle zu bringen versuchen. Auch Rußland hatte sich bemüht, eine Freihandelszone von „Lissabon bis Wladiwostok“ (so die Worte Wladimir Putins[18]) mit Europa einzurichten, was die EU jedoch wiederholt ignorierte. Die Auseinandersetzungen um die Annäherung der Ukraine an die EU und ihre politischen und militärischen Folgen bis hin auch zu den seit 2014 bestehenden wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zeigen die zunehmende Härte des Ringens um dieses Herzland, auf dessen Bedeutung z.B. Brzezinski wiederholt aufmerksam gemacht hat. Die Folgen der sich daraus eventuell verstärkten ökonomischen, politischen und militärischen Zusammenarbeit Russlands mit China werden – wie alle Entwicklungen entlang der Seidenstraße – erst in Zukunft abzuschätzen sein.[19] Erste gemeinsame Manöver finden bereits statt: im vergangenen Jahr unter chinesischer Beteiligung in der Ostsee, in diesem September bei dem größten Manöver der russischen Armee seit 25 Jahren mit Beteiligung chinesischer Land- wie Luftstreitkräfte in Sibirien („Wostok-2018“). Die Bedeutung dieser Manöver sollten wir nicht an der schieren Menge der beteiligten Mannschaften messen (auf russischer Seite 300.000 Soldaten und 1.000 Flugzeuge, von chinesischer Seite nur 3.000 Soldaten und einige Flugzeuge), sondern an der Tatsache der Veränderung der politischen Beziehungen: 1969 kam es am Grenzfluss zwischen beiden Ländern, dem Ussuri, noch zu ernsten Gefechten, die sich über ein halbes Jahr erstreckten, und erst 2005 ist ein Vertrag über die Inseln im Grenzfluss zwischen beiden Ländern geschlossen und der Konflikt beigelegt worden. Beide Länder haben offensichtlich aus pragmatischen Gründen neue Optionen angenommen.

 

  • Die Seeroute der Neuen Seidenstraße

 

Der langfristigen Planung seitens der chinesischen Regierung entspricht es auch, dass die chinesische Großreederei COSCO im April 2016 mit dem Hafen von Piräus endgültig den größten Seehafen Griechenlands mit 51 % an Anteilen übernommen hat. Weitere 16% gehen 2021 bei Einhaltung der zugesagten Investitionen für 88 Milliarden in den Besitz des Konzerns über. Bereits am 18. Februar 2013 hatte die pakistanische Regierung die Kontrolle über den Tiefseehafen Gwadar an China übergeben, um nur einen weiteren Hafen zu nennen, der nun in chinesischer Hand ist. China baut massiv seinen Seehandel aus, investiert an den wichtigsten Seerouten in Tiefseehäfen, kauft sich Liegeplätze auf allen Kontinenten und Nutzungsrechte auf 99 Jahre in Häfen, wie z.B. in Hambatonta an der Südküste Sri Lankas (vormals Ceylon), baut die größten Containerschiffe der Welt und hat mit Dschibuti auch seinen ersten Militärstützpunkt am Horn von Afrika errichtet.

 

Chinas maritime Ambitionen erinnern damit stark an die Unternehmungen der Portugiesen, die gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts den Seeweg nach Indien (die sogenannte „Gewürzroute“) auf ähnliche Weise und auf ähnlichen maritimen Wegen eingerichtet hatten – mit der Errichtung von Häfen, Faktoreien und Befestigungsanlagen entlang der afrikanischen Küste, um sich den Zugang zum lukrativen Gewürzhandel mit Indien und Südostasien dauerhaft zu sichern – zugleich auch Stützpunkte für den Sklavenhandel nach Amerika und Europa. So wurde Portugal von einer kleinen lokalen Macht zu einem der größten und mächtigsten Imperien der Frühen Neuzeit.[20]

 

Zugleich knüpft China damit auch an eine eigene Tradition an: Chinesische Schifffahrt bis hin nach Calicut gab es schon im 10. Jahrhundert.[21] Große Unternehmungen verknüpfen sich mit dem Namen des Obereunuchen und Admirals Zeng He im 15. Jahrhundert. Auf sieben Reisen führte er zwischen 1405 und 1433 große Flottenverbände (auf der ersten Reise sollen es 62 Schiffe mit 28.000 Mann Besatzung gewesen sein) bis hin nach Indien und Afrika, an den Persischen Golf und in das Rote Meer: Ziel war Handel, aber auch Tribut und Unterwerfung. Aufgrund der hohen Kosten und daraus folgender Unruhen in China wegen der zunehmenden Steuerbelastung stellten die Ming-Kaiser diese Expeditionen ein und begannen damit die Abschottungspolitik gegenüber dem Rest der Welt, die in das berühmte Antwortschreiben von 1793 des Kaisers Quianlong an den englischen König Georg III. gipfelte: „Wie Euer Botschafter selbst sehen kann, besitzen wir bereits alles. Ich messe fremden oder ausgefallenen Dingen keinerlei Wert bei und habe keinen Bedarf an den Erzeugnissen Eures Landes.“[22]

 

Dass China heute auch in Mittelamerika an die Geschichte und an Ideen der europäischen Handels- und Kolonialmächte anknüpft, zeigt ein Projekt, dass die Spanier bereits 1539 angedacht hatten: im Gebiet des heutigen Nicaragua einen Kanal zur Verbindung des Atlantik mit dem Pazifik zu bauen. Auch im 19. Jahrhundert – praktisch bis zum Beginn des Baus des Panama-Kanals – gab es zwischen Nicaragua und verschiedenen europäischen Mächten und zwischen denen und den USA immer wieder Kontakte dazu, bis hin zu Vertragsschließungen (so z.B. mit Louis Napoléon Bonaparte). Nicaragua hat die Konzession nun 2013 an ein Hongkonger Konsortium (HKND) unter Führung von Wang Jin vergeben: auf eine Laufzeit von 100 Jahren.[23] Obwohl der Bau noch kaum begonnen hat, zeigen doch die gegenwärtigen Aufstände in Nicaragua, die zu einem nicht geringen Teil auf damit einhergehende Enteignungen von Landbesitzern und indigenen Stämmen zurückzuführen sind, dass chinesische Firmen auch bereit sind, von anderen Kolonialmächten bekannte und aggressive Wege in seinen Planungen zu gehen und dass es blauäugig wäre, seiner gelungenen Propaganda einer nicht-kolonialistischen Handelsbeziehungspolitik allzu sehr zu vertrauen. Anlässe zum Nachdenken geben auch Chinas maritime Rüstung wie seine – aus eigenem Interesse verständliche – Politik im Südchinesischen Meer. Dass es sich, wie die Planung einer neuen Elite-Eingreiftruppe zeigt, auch möglicher Konflikte bewusst ist, stimmt eher beunruhigend. Dazu gehören auch Kauf und Planungen zum Bau von eigenen Flugzeugträgern, einer Schiffsart, die zur Küstenverteidigung nicht gedacht ist.

 

China wächst heute wieder wirtschaftlich mit einer Geschwindigkeit, die nicht nur an Portugal, sondern auch an die Industrialisierung in Europa erinnert, ja diese sogar signifikant übertrifft – mit China ist eine neue und selbstbewusste politische und wirtschaftliche Macht wiedererstanden, die in den nächsten Jahrzehnten von großer wirtschaftlicher und geopolitischer Bedeutung sein wird; Europa könnte von dieser Entwicklung stark profitieren, insbesondere, da China die USA bereits im Jahr 2016 als wichtigsten Handelspartner Deutschlands abgelöst hat[24]. Wenn auch die OBOR-Initiative sich vielleicht in dem von der chinesischen Führung imaginierten umfassenden Rahmen nicht realisieren lassen wird, zeigt sie doch den starken politischen Willen eines Landes, das wieder zum Inbegriff eines „Global Player“ geworden ist. Freilich ist es nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich das „Reich der Mitte“ zu einer führenden Weltmacht aufschwingt – noch heute erinnert sich jeder Chinese mit Begeisterung an die großen Zeiten der Han- (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) und der Tang-Dynastien (618-907 n. Chr.), in denen China weite Teile der alten Seidenstraße dominierte und in denen nicht nur die Römer und später die Byzantiner begierig nach den Seidenprodukten waren, die den alten Handelswegen durch Zentralasien und den mittleren Osten ihren legendären Namen gaben.

 

Das Projekt einer „Neuen Seidenstraße“ knüpft in seiner Vermarktung wie in seinem Bemühen um „kulturelle Hegemonie“ an diese Vergangenheit an und scheut keine Risiken, führt die geplante Verbindung doch neben der Mongolei und Russland in einer zweiten Strecke mit Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und den Iran durch Länder, die gegenwärtig strukturell nur wenig erschlossen und voller geographischer Hindernisse sind, und die zudem auch zumeist politisch instabil und damit für den Handel nicht ungefährlich – und teils, wie der Iran, auch von den USA und der EU sanktioniert – sind.

 

Doch das Reisen entlang der Seidenstraße war schon immer gefährlich, zumal es sich dabei um zahlreiche Wegstrecken handelte, die von Nanking und Peking im Osten über Dunhunag und Kaschmir bis nach Damaskus und Alexandria im Westen verliefen und die außer während der Zeit der pax mongolica immer unsicher waren.

 

4 Die Mongolen und die Asienreisenden im 13. Jahrhundert

 

Kommen wir jetzt zum zweiten Thema des Beitrags: Die Mongolen und die Asienreisenden im 13. Jahrhundert.

 

Warum habe ich die Mongolen gewählt?

 

Erstens: Erst unter der Mongolenherrschaft wurde sie zu der Straße, auf der Händler und Missionare vom Mittelmeer bis nach Karakorum oder Peking reisen konnten.

Zweitens: Um Ihnen und mir die Einzelwege auf der sogenannten „Seidenstraße“ zu ersparen.

Und weil die Route der Mongolen,

drittens, auch den heutigen chinesischen Propagandisten der Neuen Seidenstraße als Folie für ihr Projekt dient. Was auch Anlass zum Nachdenken geben könnte.

 

Dabei denken wir nicht an die menschlichen Unkosten dieser Leistung und die Gräuel während der Eroberung dieser Länder. In der „Geheimen Geschichte der Mongolen“ gibt uns Ögödei-Khan aber einen Hinweis darauf: „Ich ließ Poststationen errichten, damit Unsere Boten unterwegs schnell reiten und auch Unsere notwendigen Angelegenheiten befördern können. […]Wenn die Verwalter aber zulassen, daß auch nur ein kurzer Strick fehlt, mögen sie der Strafe Scheitelspaltung verfallen sein! Wenn sie zulassen, daß auch nur eine löffelgleiche Radspeiche fehlt, sollen sie der Strafe Spaltung quer durch die Nase verfallen sein! So lautete der Befehl.“[25]

Marco Polo berichtet dann begeistert über die raschen Reisen durch das Reich der Mongolen. Erfolgreich waren die Mongolen. Aber manchmal sollten wir bei allen Erfolgen doch vielleicht auch kurz mitleidend an deren Kosten denken, die Kosten des Anstoßes und des Beginns des Prozesses, den wir heute als Globalisierung erleben. Wie eigentlich aller großen Eroberungen, deren segensreiche zivilisatorische Ergebnisse wir gerne hinnehmen und darüber vergessen, dass eigentlich kein Fortschritt kostenfrei erlangt ist: „Der Fortschritt trinkt Blut aus den Schädeln der Erschlagenen.“

 

Ich hatte bereits eingangs geschrieben, dass die Strukturen entlang der Seidenstraße in der Zeit, in der Europa sich im 10./11. Jahrhundert neu zu „berappeln“ begann, durch eine Zeit der Instabilität geprägt waren, die etwa vom 8. Bis zum 12. Jahrhundert dauerte.

 

4.1 Die Mongolen

 

Das sollte sich ändern, als Dschingis Khan (1162-1227) die verschiedenen Stämme der mongolischen Steppenbewohner einte und für kurze Zeit ein Imperium errichtete, das aufgrund seiner schieren Größe den Handel entlang der Seidenstraße für etwa 100 Jahre so sicher machte, dass nicht nur christliche Missionare wie zuerst Johannes Plano di Carpine und Wilhelm von Rubruck, sondern wenig später auch Händler wie Marco Polo oder Francesco Pegolotti sie bereisen und wunderbare Nachrichten aus „dieser anderen Welt“ (so die Worte Wilhelm von Rubrucks[26]) mitbringen konnten. Um eine ungefähre Vorstellung von der Ausdehnung dieses Reiches zu geben: zur Zeit seiner größten Ausdehnung um 1279 erstreckte es sich von China und Korea bis Anatolien, von Persien und Tibet bis Rußland und Ungarn. Wenn wir einen Seitenblick auf die maritime Seidenstraße werfen wollen und das Reich der Mongolen unter maritimen Dimensionen beschreiben wollen, so reichte es vom Pazifik bis zum Mittelmeer und vom Schwarzen und Roten Meer bis zur Ostsee – es war bis dahin das größte Reich der Weltgeschichte.

 

Der erste Kontakt zwischen Europa und den Mongolen war kriegerischer Natur. Vor allem Osteuropa hatte unter dem Ansturm der Mongolen zu leiden, die ihr Reich durch kriegerische Brutalität in einer selbst für Europäer ungewohnten Heftigkeit und Unmittelbarkeit ausdehnten. Erste Nachrichten brachten Dominikanermönche, die Bela IV., König von Ungarn, zur Erkundung einer möglichen Mission 1234/5 und 1237 in das Gebiet zwischen Wolga und Ural geschickt hatte[27] – ironischer Weise, um sein Reich zu erweitern, was nun nicht gelang. Die Berichte waren aber offensichtlich nicht in ihrer Tragweite erkannt worden. Die kurz darauf folgenden Siege der Mongolen im Jahr 1241 in den Schlachten von Liegnitz in Schlesien und an der Sajó in Ungarn riefen dann in Europa ein solches Entsetzen hervor, dass die europäischen Chronisten der Zeit meinten, dass die Tage des Antichrist gekommen seien,[28] da Gog und Magog aus dem Tartarus hervorgebrochen seien. Ludwig IX. (der Heilige) tröstete seine Mutter bei Erhalt der Nachricht mit den Worten: „Wenn die, die wir Tartaren nennen, bis zu uns gelangen, treiben wir sie entweder in ihre tartarische Hölle zurück, oder sie schicken uns alle in den Himmel.“ [29]

Es war purer Zufall, dass die Mongolen sich nach den Schlachten von Liegnitz und an der Sajó wieder zurückgezogen hatten, weil nach dem Tod des damaligen Großkhans Ogotai (Sohn von Dschingis Khan) Nachfolgestreitigkeiten entstanden waren, die eine Expansion der Mongolen erst einmal aufhielten.

 

4.2. Erkundungen

 

Diese erschreckenden Niederlagen zwangen die Europäer nun endgültig, sich etwas kundiger zu machen: Um was für ein Volk handelte es sich überhaupt, das erst wie „die Geißel Gottes“ quasi aus dem Nichts die Ostgrenzen Europas verwüstet hatte und sich dann für Europa ebenso unerklärlich wieder zurückgezogen hatte? Kaiser Friedrich II. ließ danach forschen, schrieb aber in einem Brief an die christlichen Fürsten, dass wir ihren „Ursprung und erste Wohnsitze nicht kennen“.[30] Eine tatkräftige Hilfe konnte er eh´ nicht geben, da er exkommuniziert war und sowohl die Päpste Gregor IX. 1239 wie Innozenz IV. 1244 und 1246 einen Kreuzzug gegen Kaiser Friedrich ausgerufen hatten. So musste er in seinem Brief mit der Hoffnung schließen: „Möge es nicht zum Untergange der ganzen Christenheit sein.“

 

Die einzige Instanz, die nachdrücklich nachforschen konnte, war also der Papst. Innozenz IV. schickte 1245 mehrere Missionen gleichzeitig aus: die Dominikaner Andreas von Longjumeau, einen Vertrauten Ludwig IX., und Asselin von Cremona brachen vom Heiligen Land aus auf, während der Franziskaner Johannes Plano di Carpine, ein Gefährte Franz von Assisis, der schon als Missionar in Tunis und auf der Iberischen Halbinsel Erfahrungen gesammelt hatte, am Ostertag des Jahres 1245 im Auftrag des Papstes von Lyon aus aufbrach – von eben dem XIII. Ökumenischen Konzil, auf dem der russische Erzbischof Peter über den Tartaren- resp. Mongoleneinfall berichtete und erste genauere Kunde von Ihnen gab[31], was den Papst nicht hinderte, trotzdem den Kreuzzug gegen Friedrich II. und seine weitere Exkommunikation zu verkünden.

 

4.2.1 Die Missionare

 

4.2.1.1 Plano di Carpine

 

Aber zurück zu unserem guten Missionar, dem Franziskaner Johannes Plano di Carpine und seiner Sendung, weil wir von ihm den ausführlichsten Bericht über seine Reise und über die Mongolen überhaupt haben – und er auch am meisten zu berichten hatte, weil er bis zum Hof des Großkhans Güyük gelangte und bei seiner Inthronisation anwesend sein konnte:

 

Seine Aufgabe war, Informationen zu sammeln und dem Großkhan einen Brief des Papstes zu übergeben, um diplomatische Kontakte mit den Mongolen anzuknüpfen, über die man so wenig wusste, dass man die Hoffnung hatte, dass es sich bei ihnen trotz ihres rüden Auftretens vielleicht doch um das Volk des legendären „Priesterkönigs Johannes“[32] handeln könnte, von dem man sich seit dem Entstehen dieser Legende im 12. Jahrhundert Hilfe gegen den vorrückenden Islam und für die Sicherung der Kreuzfahrerstaaten an der Levante erhoffte. Von der Ukraine führte der Weg des Missionars mit seinem Begleiter Benedikt von Polen zum Don und zur Wolga, durch das Mongolenreich der Goldenen Horde zum Ural, über die Seidenstraße zu den Dschungarischen Seen (im Nordwesten von China) und von dort weiter in das Zentrum des Mongolenreiches, wo Johannes der Inthronisation des neuen Großkhans Göjük beiwohnte und wahrscheinlich auch besagten Papstbrief übergab. Der Khan gab ihm ein Antwortschreiben mit, das dem Selbstbild der Mongolen entsprechend die unverzügliche Unterwerfung des Papstes und der anderen europäischen Könige verlangte. Als Johannes im Jahr 1247 wieder nach Lyon zurückkehrte, konnte er dem Papst daher nicht wirklich gute Nachrichten überbringen, verfasste aber einen Reisebericht, der nach den o.g. Berichten der ungarischen Dominikaner und des Erzbischofs Peter die ersten ausführlichen Informationen über die Mongolen aus europäischer Sicht enthielt.[33] Außerdem konnte er immerhin vom Hörensagen mitteilen, dass ein „Priesterkönig Johannes“ einen Sohn Dschingis Khans besiegt haben sollte – aber im „Größeren Indien“.[34]

 

Abb.: Reiseroute von Johannes Plano di Carpine (blau), Wilhelm von Rubruck

(grün) und Marco Polo (schwarz), aus: William R. Shepherd, Historical Atlas, New York 21923.

 

Trotz dieses Rückschlags wollte man die Hoffnung auf ein mögliches Bündnis mit den Mongolen jedoch nicht aufgeben.

 

Neben dem Papst hatte mit König Ludwig IX. von Frankreich ein weiterer Interessent an Kontakten mit den Mongolen die politische und diplomatische Bühne betreten.[35] Wie es der damaligen Gepflogenheit und seinem frommen Sinn entsprach, hatte auch Ludwig IX. im Sommer 1248 für einen Kreuzzug gegen den Islam in Südfrankreich ein Schiff bestiegen und mit seinen Truppen auf Zypern Winterquartier genommen. Dort wurde er von Heinrich von Zypern über ein Schreiben unterrichtet, das dieser von seinem Bruder, König Hayton von Armenien, erhalten hatte, der ebenfalls eine Gesandtschaft zu dem eben erwähnten Großkhan Göjük (oder: Güyük) geschickte hatte, die mit der Information zurückgekommen sei, dass das Christentum unter den Mongolen weit verbreitet und der Großkhan selbst Christ geworden sei. Man war begeistert. Verstärkt wurde diese Begeisterung noch, als gegen Jahresende 1248 in Nikosia auf Zypern eine Gesandtschaft der Mongolen des Khans Iltschikadai eintraf, die die Nachricht überbrachte, dass die Christen nicht nur Gleichberechtigung im Reich der Mongolen zu erwarten hätten, sondern dass der Khan selbst zum Christentum übertreten wolle, um ein Bündnis mit den Kreuzfahrern einzugehen. Daher sandte Ludwig IX. 1249 den Dominikaner Andreas von Longjumeau erneut zum Großkhan. Er erreichte Khan Iltschikadai, der den Gesandten an den Großkhan Göjük weiterschickte – der unglücklicherweise bereits verstorben war, als die Gesandtschaft ihn erreichte. Er traf also nur die Regentin an und konnte von ihr nur ausweichende Mitteilungen zurückbringen.

 

Wir sehen also Vernetzungen und eine starke Reisetätigkeit in einer Zeit, die wir eher für stationär zu halten gewohnt sind. Aber der Antrieb war auch stark: die Hoffnung, einen Bündnispartner gegen die Sarazenen resp. Mamelucken zu finden, um das Heilige Grab in Jerusalem in Besitz zu nehmen – und im Khan entweder einen Christen zu finden oder ihn zu missionieren.

 

4.2.1.2 Wilhelm von Rubruck

 

Ludwig IX. gab nicht auf: am 7. Mai 1253 brach der Franziskaner Wilhelm von Rubruck im Auftrag des Königs von Konstantinopel zum Lager der Goldenen Horde des Khans Sartach in Rußland auf, wo er „Gutes und Schlechtes in allen Dingen“[36] erfahrend zwar ankam, aber es ging ihm hier wie vielen, die unerwünscht und ohne den rechten Nachdruck ein Anliegen haben: er wurde weitergereicht und musste sich direkt auf den Weg zum Großkhan Möngke nach Karakorum machen, den er im April 1254 nach abenteuerlicher Reise und „unbeschreiblichen Qualen an Hunger und Durst, Kälte und Anstrengung“[37] auch erreichte. Freilich war er hier nicht der Erste: Neben nestorianischen Christen traf er auf Europäer, die dort schon länger lebten – z.T. Beutesklaven von den Zügen der Mongolen – , etwa den Pariser Goldschmied Wilhelm, der für die Trinkgelage am Hof in Karakorum einen silbernen Baum hergestellt hatte, der vier verschiedene Arten von Alkohol spenden konnte, wie Wilhelm von Rubruck äußerst ausführlich erklärt.[38] Da Wilhelm von Rubruck als Franziskaner an weltlichen Gütern nicht viel Interesse hatte, erfahren wir aus seinem Bericht über Handelsgüter nur wenig, dafür schildert uns Wilhelm mit erstaunlicher Sachkunde aber seine Reiseroute[39]: er diskutiert den Ursprung sowie den Verlauf des Don in das Asowsche Meer, beschreibt die Größe der Wolga und stellt fest, dass sie nicht in das Schwarze Meer, sondern in das Kaspische Meer fließt, das nach Wilhelm, der damit das erste Mal mit einem europäischen Irrtum aufräumente, kein Meer, sondern ein Binnenmeer sei. Neben der Geographie und der Natur interessierten ihn vor allem die Sitten und Gepflogenheiten anderer Völker. Einige von diesen werden bei Rubruck das erste Mal erwähnt, wie zum Beispiel die Uighuren und die Tibeter; heute hören wir wieder öfter von ihnen. (2.000 Uighuren sollen auf Seiten des IS in Syrien gekämpft und jetzt in Idlib festsitzen und stellen ein humanitäres wie politisches Konfliktpotential dar.)

 

Nach einem halbjährigen Aufenthalt in Karakorum brach Wilhelm von Rubruck wieder in Richtung Heimat auf, die er im Jahr 1255 erreichte. Gute Neuigkeiten konnte auch er freilich nicht mitbringen, erschien ihm doch eine Allianz mit den Mongolen unwahrscheinlich, eine Bekehrung zum Christentum unmöglich. Zwar hatte Rubruck am Hof in Karakorum wiederholt vor dem Khan Religionsgespräche in Form von Disputationen mit dortigen Nestorianern, Moslems und Buddhisten geführt, allerdings sind diese eher nicht von Erfolg gekrönt gewesen: „Am Ende dieses Gesprächs stimmten die Nestorianer und die Sarazenen laut einen Gesang an, während die Götzendiener stumm blieben. Ein allgemeines Zechgelage bildete den Abschluß.“[40] Sicher war jetzt außerdem auch, dass weder der Großkhan noch einer der IlKhane auch nur im Geringsten mit dem „Presbyter Johannes“ identifiziert werden konnten.

 

Der Hoffnung und Phantasie waren also neue Ziele gesetzt – und 200 Jahre später sollten sie Heinrich den Seefahrer zu einer der größten maritimen Unternehmungen inspirieren, die die „Seidenstraße“ auf das Meer verlegten und die Handelswege umkehrten: von West nach Ost, von Portugal um Afrika über Indien nach China. Als Zwischenfinanzierung diente freilich bald der Menschenhandel. Zuerst nach Faro, nach der Entdeckung Amerikas dann im Dreieckhandel.

 

Aber damit verlassen wir die Seidenstraße und betreten die ersten Pfade der Globalisierung. Also zurück zu unseren guten Missionaren: Den franziskanischen und dominikanischen Missionaren verdankt Europa einzigartige Zeugnisse über Asien und die Gebiete der Seidenstraße, die, vermittelt durch Chronisten und Gelehrte – etwa durch den Pariser und Oxforder Magister und späteren Franziskaner Roger Bacon, der Teile von Rubrucks Reisebericht 1266 in sein Opus maius aufgenommen hat[41] – das traditionelle Asienbild Europas zusehend revidierten und erweiterten. Und wo Missionare hinkönnen, können Händler folgen. Asien versprach für die europäischen Kaufleute großen Gewinn: dass in Asien entlang der Seidenstraße Seide und Gewürze gehandelt wurden, wusste man spätestens seit Plinius dem Älteren. Warum sich also nicht die hohen Handelszölle der Araber sparen und lieber direkt mit den östlichen Völkern entlang der Seidenstraße lukrativen Handel treiben?

 

4.3 Europäische Handelsreisende (Marco Polo, Francesco Pegolotti)

 

Das dachten sich wohl auch die beiden venezianischen Händlerbrüder Niccolò und Maffeo Polo, die sich um 1260 zum Khan der Goldenen Horde an der Wolga aufmachten. Dort angekommen, blieb ihnen aufgrund politischer Veränderungen (der Rückeroberung Konstantinopels durch die Griechen von den Lateinern) nur der Weg nach vorne, der sie bis zu Kublai-Khan nach China führte. Hier wurden sie freundlich aufgenommen, bis sie das Heimweh packte. Der Khan ließ sie mit dem Auftrag ziehen, ihm vom Papst 100 Gelehrte zu schicken, die ihm den christlichen Glauben erklären könnten.

 

Papst Gregor X. war aber wohl von der Botschaft des Khans nicht sehr überzeugt: Er gab ihnen und Niccolòs Sohn Marco Polo nur zwei Dominikanermönche mit, die allerdings aufgrund des drohenden Krieges der Mongolen mit dem Mamelukensultan bald aufgaben.

Die Familie Polo reiste weiter, erreichte den Hof des Großkhans Kublai-Khan in China und Marco Polo fand das Vertrauen des Kahns und konnte nach vielen Jahren mit einer Gesandtschaft des Khans über Sumatra nach Europa zurückkehren.

Seine Beschreibung der Reichtümer Chinas war so unglaublich, dass man ihm in Europa nicht so recht glauben wollte: seine Äußerungen über China als eines Landes mit „Millionen von Menschen“, „Millionen von Häusern“ und „Millionen von Reichtümern“ hat dem Bericht auch den Namen „Il Milione“ eingetragen, wonach noch heute ein nettes Hotel und eine Piazza im Herzen Venedigs in der Nähe des Theatro Malibran benannt sind. In seinem Reisebericht beschreibt Marco Polo nicht nur Land und Leute, sondern auch die Handelsgüter und wichtigen Umschlagplätze entlang der Seidenstraße. Die Größe der Märkte, die Reichtümer, die dort gehandelt werden und vor allem die Profite, die dort gemacht werden können, werden detailliert wiedergegeben. Er beschreibt neben den zahlreichen Waren auch das mongolische Post- und Kurierwesen[42] sowie das Papiergeld, das für ihn ein wirkliches Wunder war[43]. Durch welche Provinz des riesigen mongolischen Reiches der Leser auch mit Marco Polo kommt, überall sind blühende Handelsstädte, in denen die verschiedensten exotischen Waren umgeschlagen werden, jede noch so kleine Stadt strotzt dermaßen vor Gold (bzw. ist, wie die Hauptstadt von Cipangu [Japan] ganz aus purem Gold), Seide und den verschiedensten Gewürzen, dass der Leser in Europa es kaum glauben konnte[44], womit er auch nicht ganz Unrecht hatte, denn zum Beispiel Japan kannte Marco Polo nur vom Hörensagen, ist doch die beabsichtige Invasion der Mongolen nach Japan in Folge eines Hurrikans – den berüchtigten „Kamikaze“, welcher Name im vorigen Jahrhundert eine unheilvolle Wiederauferstehung fand – gescheitert. Über den legendären „Priesterkönig Johannes“ konnte er freilich auch nichts mitteilen, nur dass er im Norden gelebt haben sollte, aber besiegt worden sei.

 

Dass die Polos nicht die einzigen waren, die die Sicherheit der pax mongolica zu nutzen wussten, wird an einem weiteren Schriftzeugnis dieser Zeit deutlich, das stellvertretend für die zahlreichen Handelskontakte zwischen Europa und dem fernen China steht, die die Kaufleute in der Regel aufgrund von Geheimhaltung (da Offenheit dem Geschäft abträglich ist) nicht thematisiert haben. Es handelt sich um die „practica della mercatura“ des Florentiner Händlers Francesco Balducci Pegolotti, der neben Listen von entlang der Seidenstraße gebräuchlichen Gewichten, Packungsgrößen, Währungen, Abgaben, Gebühren und Waren auch die Strategien schildert, die ein europäischer Händler kennen musste, wenn er im 14. Jahrhundert nach China reisen wollte.

 

Kaum 70 Jahre nach Marco Polos Aufenthalt in China bzw. 30 Jahre nach Pegolottis Practica della mercatura brach die Yüan-Dynastie der Mongolen 1368 zusammen und eine chinesische Dynastie, die Ming-Dynastie, trat die Macht in China an, die unter ihrem zweiten Kaiser die erwähnten See-Expeditionen unter dem Admiral Zeng He unternahmen.

Danach brach der offene Kontakt zur Außenwelt ab.

 

5 Schlussbemerkungen

 

In dieser Zeit kam der Austausch auf der Seidenstraße zwar nicht zum Erliegen, wurde aber schwieriger: sowohl die Pest, die über die Seidenstraße auch nach Europa gelangte, als auch die überaus grausam durchgeführten Eroberungen Timurs (oder Tamerlan, unter welchem Namen er in die Operngeschichte eingegangen ist), eine Verknappung des Edelmetalls und die Klimaabkühlung der „Kleinen Zwischeneiszeit“ des 15./16 Jahrhunderts ließen den Austausch zurückgehen.[45]

 

Timurs oben genannte Eroberungszüge, ihre Verwüstungen und ungewöhnliche aber kalkulierte Grausamkeit – so ließ er zum Beispiel als Zeichen des Triumphes nach der Eroberung Isfahans im Jahr 1387 aus den Schädeln der 70.000 Opfer der Belagerung 28 Türme errichten – schufen zwar kein langfristiges Reich, hatten aber durch die Schwächung der Herrschaften seiner Umgebung langwirkende Folgen: durch die Schwächung der „Goldenen Horde“, durch den Sieg am Terek 1395 konnte sich der Moskauer Großfürst Wassili I. Dmitrijewitsch einer kurzen Zeit der Unabhängigkeit erfreuen, die seine Nachfolger sukzessive vertiefen konnten, bis sich Großfürst Ivan III., der sich erstmals „Zar“ nannte, im Jahr 1480 endgültig von der Mongolenherrschaft befreien konnte. Im Jahr 1487 konnte sich sein Sohn Ivan IV., der „Schreckliche“, nach dem Sieg über die Khanate von Kasan, Astrachan und Sibirien „Zar aller Russen“ sowie „Zar von Kasan, Astrachan und Sibierien“ nennen und mit der „Sammlung des russischen Landes“ beginnen, die schließlich zum größten eurasischen Landstaat gedieh, der von China bis an die Grenzen des Deutschen Reiches und vom Schwarzen Meer bis an die Ostsee reichen sollte. In diesem Reich wurde Ende des 19. Jahrhunderts mit französischem Geld, auf das die Aktionäre heute noch warten, erstmals eine Eisenbahnstrecke, die Transsibirische Eisenbahn, gebaut, die von Moskau und St. Petersburg bis nach Wladiwostok („Beherrsche den Osten“) reicht und über seine Anschlüsse nach Westeuropa den Kontinent verbindet. Aber hier treten wir in eine neue Zeit mit neuen Partnern ein, in das „Great Game“, das ich jetzt leider nicht weiter verfolgen kann.

 

Wir können abschließend nur hoffen, dass die neue Vision Xi Jinpings von einer Neuen Seidenstraße bei allen Vorbehalten und gegenseitige Planungen auf offene Ohren trifft, damit diese „Neue Seidenstraße“ zu einer Straße des Austausches und nicht zum Anlass von neuen Konfrontationen wird. Das lässt auch die letzte „strategische Vision“ des Beraters früherer US-Regierungen, Brzezinski, hoffen, der angesichts einer veränderten Lage in Asien die angeratene US-Außenpolitik neu definiert: „Die Vorherrschaft eines einzelnen Staates, egal, wie mächtig er auch ist, ist [in Eurasien, Anm. N.E.] nicht länger möglich. […] Daher sollte das zeitnahe und erforderliche Ziel einer überlegten und auf lange Sicht ausgelegten Politik Amerikas eine breite geopolitische Transeurasische Stabilität sein, die auf einer zunehmenden Verständigung der alten Mächte des Westens und der neuen Mächte des Ostens beruht.“[46]

Auch die letzthin durch Federica Mogherini angekündigte „neue Konnektivitätsstrategie“ der EU könnte ein Weg sein, sich zu begegnen, auch wenn alle Signale aus Washington derzeit eher auf einen Handelskrieg deuten, der den internationalen Warenaustausch um 17,5% verringern könnte, und die Manöver der NATO wie die chinesisch-russischen auch auf Konfrontation gehen.

 

Vielleicht hülfe es uns angesichts unserer gerade genannten gemeinsamen Geschichte uns an die Missionare des 13. Jahrhunderts zu erinnern. Papst Franziskus hat dieser Tage ein Signal mit der Anerkennung der chinesischen Bischöfe gesandt: 923 Jahre nach Urban II. Aufruf zum Ersten Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems, der von Chinesen noch nichts wusste. Nehmen wir es als ein aufzugreifendes Zeichen guten Willens im Sinne der der Botschaft der Engel: Gloria in altissimis Deo, et in terra pax hominibus bonae voluntatis. – Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.[47]

 

Jenseits all dieser hier angesprochenen Differenzen: Wir sind Menschen auf einer Welt, die in Geschichte und Gegenwart auf Gedeih und Verderb aneinander gebunden sind.

[1] Vgl. Jw vom 10.09.2018.

[2] Vgl. Marco Polo, Die Wunder der Welt. Il Milione, Übers. u. hrsgg. von Elise Guignard, Frankfurt am Main 2003, S. 390.

[3] John Mandeville, Travels, hg. v. P. Hamelius, London u.a. 1919.

[4] Ebenda, S. 9.

[5] Ferdinand von Richthofen, China. Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien, 5 Bde. Mit Atlas, Berlin 1877-1911, in: Bd. 1, S. 500.

[6] Albert Herrmann, Die alten Seidenstrassen zwischen China und Syrien, Göttingen 1910.

[7] Sven Hedin, Die Seidenstraße, Leipzig 1936.

[8] Vgl. z.B.: Nikolaus Andreas Egel, Die Welt im Übergang. Der diskursive, subjektive und skeptische Charakter der Mappamondo des Frau Mauro, Heidelberg 2014, S. 8o ff.

[9] Klaus Jürgen Bremm, Propaganda im Ersten Weltkrieg, Theiss-Verlag 2014. – Dass Oppenheim als Jude dann 1933 emigrieren musste, trägt eine weitere Facette dieses unseligen Jahrhunderts bei: ein jüdischer Bankierssohn, der im Außenamt des Deutschen Kaiserreiches Karriere machen will, ruft zum „Dschihad“ auf. Damit sind alle Klischees versammelt.

[10] Dow Jones News, 19.07.2018: https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2018-07/44320443-commerzbank-und-icbc-unterstuetzen-neue-Seidenstrasse-projekte-015.htm.

[11] Vgl. Jw vom 12.102018, S. 9.

[12] Vgl. jw vom 4.10.2018, S. 6.

[13] Vgl.BR und jw vom 10.09.2018.

[14] Siehe: jw vom 10.09.2018.

[15] Der „Silk Road Strategie Act“ ist abrufbar unter: https://www.govtrack.us/congress/bills/106/hr1152/text [Stand: 02. 03. 2017].

[16] Siehe für weitere Informationen die Internetseite des TRACECA-Projekts: http://www.traceca-org.org/en/home/.

[17] So nannte Halford Mackinder das Gebiet: vgl. Halford Mackinder, The geographical pivot of history, in: The Geographical Journal 170, 1904, S. 298-321.

[18] So die Formulierung Putins auf dem 4. Führungstreffen Wirtschaft der Süddeutschen Zeitung am 25. November 2010. (Vgl. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/putin-plaedoyer-fuer-wirtschaftsgemeinschaft-von-lissabon-bis-wladiwostok-1.1027908 [Stand: 02. 03. 2017].)

[19] Die Ansicht, dass in Eurasien und im asiatischen Raum die neuen Machtzentren liegen, hat auch Brzezinski in seinem neuesten Buch „Strategic Vision“ deutlich formuliert, indem er eine weitreichende politische Wende vornimmt. Er fordert darin eine umfassende Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik. Sprach er in seinem Buch „Second Chance“ von 2008 noch von der Errichtung einer bipolaren Welt unter Führung der USA, so gesteht er in „Strategic Vision“ die Notwendigkeit für die USA ein, mit Russland, China und Indien zusammenzuarbeiten, da hier die neuen geopolitischen Machtzentren liegen, die Amerika anerkennen muss (vgl. Zbigniew Brzezinski, Second Chance: Three Presidents and the Crisis of American Superpower, New York 2008; ders., Strategic Vision, New York 2012).

[20] Vgl. Fernand Salentiny, Die Gewürzroute. Die Entdeckung des Seewegs nach Asien. Portugals Aufstieg zur ersten europäischen See- und Handelsmacht, Köln 1991; Nikolaus Egel, Die Welt im Übergang. Der diskursive, subjektive und skeptische Charakter der Mappamondo des Fra Mauro, Heidelberg 2014, S. 167-180; dazu auch: Peter Frankopan, Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt, Berlin 2016, S. 331.

[21] Siehe dazu: Michael North, Zwischen Hafen und Horizont. Weltgeschichte der Meere, München 2016, S. 68ff.

[22] Zitiert nach: Peter Frankopan, Licht aus dem Osten, a.a.O., S. 428.

[23] Vgl. dazu u.a. die kritischen Berichte: Axel Meyer/Jorge A. Heute-Perez, Conservation: Nicaragua Canal could wreak enviromental ruin, in: Nature, 20. Februar 2014, Vol. 506, Number 7488; Axel Meyer, Nicaraguakanal: Jahrhundertwerk oder Desaster?, in: Spektrum der Wissenschaft; Peter Kleinort, Nicaraguakanal kommt ins Stocken, in: Täglicher Hafenbericht.Deutsche Schiffahrtszeitung, vom 25. März 2015, S. 15.

[24] Vgl. Zeit online [Stand: 02. 03. 2017]: http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-02/china-deutschland-handel-exporte-import-statistisches-bundesamt; FAZ vom 6. 08.2018: Gabriel Felbermayr, Wie reagieren auf Chinas Offensive?

[25] Geheime Geschichte der Mongolen, herausgegeben von Manfred Taube, Leipzig und Weimar 1989, S.215.

[26] Vgl. Wilhelm von Rubruck, Reisen zum Großkhan der Mongolen. Von Konstantinopel nach Karakorum 1253-1255, hg. v. Hans D. Leicht, Darmstadt 1984, S. 40.

[27] Vgl. Heinrich Dörrie, Drei Texte zur Geschichte der Ungarn und Mongolen. Die Missionsreisen des fr. Iulianus O.P. ins Uralgebiet (1234/5) und nach Rußland (1237) und der Bericht des Erzbischofs Peter über die Tartaren, Göttingen 1957. – Ironischerweise war das ursprüngliche Anliegen der Reise, die Erkundung einer Ausdehnung Ungarns in östliche Richtung, stattdessen kam die erste Kunde vom Mongolensturm (ebenda, S.133 ff.).

[28] So etwa Matthäus Parisiensis, der die Mongolen mit den legendären Völkern Gog und Magog verglich, die dem Antichrist – und damit dem Ende der Welt – unmittelbar vorausgingen (vgl. Matthäus Parisiensis, Chronica Majora, hg. v. Henry Richards Luard, 7 Bde., Bd. 4, [A.D. 1240-A.D. 1247], London 1877 [Reprint Wiesbaden 1964], S. 76, ebenso Roger Bacon in seinem Opus maius, in dem er sich auf Gespräche mit Wilhelm von Rubruck bezieht.

62 Zitiert nach: Jonathan Riley-Smit, Die nKreuzzüge, Darmstadt 2015, S. 299.

[29] Matthäus Parisiensis, Chronica maiora, Bd. IV, a.a.O., S. 111 f.

[30] Ebenda, S. 112.

[31] Der Bericht des Erzbischofs Peter, in: Heinrich Dörrie, Drei Texte…, a.a.O., S. 182 f.

[32] Diese Legende eines christlichen und sehr mächtigen Königs im fernen Osten – gleich vor dem Irdischen Paradies gelegen – beflügelte die Phantasie der Europäer bis ins 16. Jahrhundert hinein. Die Legende geht auf eine der folgenreichsten Fälschungen der Geschichte zurück: Im Jahr 1165 tauchte ein Brief an den byzantinischen Kaiser Manuel I. Komnenos auf, in dem der angebliche Priesterkönig Johannes sein Reich beschreibt, in dem nahezu alle Legenden der Zeit – von Skiapoden über Edelsteinflüsse bis hin zu sich niemals leerenden Tischen und riesigen Überwachungsspiegeln – vertreten waren. Der Brief wurde so ernst genommen, dass Papst Alexander III. im Jahr 1177 sogar seinen Leibarzt Philippus mit einem Antwortschreiben aussandte – allerdings ohne jemals wieder etwas von Philippus zu hören (siehe ausführlich: Nikolaus Egel, Die Welt im Übergang, a. a. O., S. 307-315).

[33] Vgl. Johannes von Plano Carpini, Kunde von den Mongolen 1245-1247, hg. u. übers. v. Felicitas Schmieder, Sigmaringen 1997. – Über die „Kytai“, die Äthiopier und ihren „Priesterkönig Johannes“ vgl.: ebenda, S. 65 f.

[34] Ebenda. – Mit dem „Größeren Indien“ war Äthiopien gemeint.

[35] Ich folge für die Beschreibung dieser Ereignisse: Wilhelm von Rubruck, Reisen zum Großkhan der Mongolen. Von Konstantinopel nach Karakorum 1253-1255, a. a. O., S. 19 ff.

[36] Vgl. ebd., S. 33.

[37] Ebd., S. 98.

[38] Vgl. ebd., S. 162 ff.

[39] Vgl. Nikolaus Egel, Die Welt im Übergang, a. a. O., S. 148 f.

[40] Ebd., S. 192.

[41] Vgl. Michèle Guéret-Laferté, Le voyageur et le géographie: l’insertion de la relation de voyage de Guillaume de Rubrouck dans l’Opus maius de Roger Bacon, in: La géographie au Moyen Age. Espaces pensés, espaces vécus, espaces revés, Perspectives médiévales, Suppl. 24, 1998, S. 81-96; Roger Bacon, Opus maius, hg. u. übers. v. Nikolaus Egel, Hamburg 2017.

[42] Vgl. ebd., S. 156 ff.

[43] Vgl. ebd., S. 151.

[44] So findet man bspw. in einer toskanischen Marco-Polo-Handschrift aus dem 14. Jahrhundert die Schlussbemerkung des Abschreibers: „Hier endet das Buch von Messer Marco Polo aus Venedig, welches ich, Amelio Bonaguisi, Bürgermeister von Ciereto Guidi, mit eigener Hand abgeschrieben habe, um mir die Zeit und die Schwermut zu vertreiben. Und wenngleich mit einiges unglaublich zu sein scheint, glaube ich nicht, daß das, was er sagt, erlogen ist, sondern vielmehr wunderbar. Vielleicht ist das, wovon er erzählt, auch wahr, aber ich glaube es nicht; freilich finden sich auf der Welt von einem Land zum anderen ziemlich verschiedenartige Dinge.“ (In: Marco Polo, Il Milione. Versione toscana del trecento, hg. v. Valeria Bertolucci Pizzorusso, Mailand 1975, S. 333, zitiert nach: Marina Münkler, Marco Polo. Leben und Legende, München 1998, S. 96 f.)

[45] Vgl. Peter Frankopan, Licht aus dem Osten, a. a. O., S. 275 ff.

[46] Vgl. Zbigniew Brzezinski, Strategic Vision, a. a. O., S. 131 [Übers. N. E.].

[47] Lukas 2,14.

Finanzen

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Dr. Nikolaus Egel, geboren 1984 in Berlin, studierte von 2004-2008 Philosophie an der LMU München, Abschluß der Promotion 2014 im Fach Philosophie, zur Zeit tätig am Historischen Seminar der LMU München.