Das Wort „Star“ mag sie nicht

Anmerkungen zur Annie Leibovitz-Ausstellung in Berlin

Intime Familienfotos der Fotografin Annie Leibovitz sind noch bis 24. Mai 2009 in Berlin zu sehen. Großes Aufsehen erregen die kleinformatig gehaltenen Imaginationen der sterbenden Susan Sontag. Ihrer intensivsten Freundin und intellektuellen Kritikerin. Man sieht es diesen Bildern an, dass sie aus der Not geboren wurden. Einfach da zu sein hielt Annie Leibovitz nicht aus. Jedes Bild ein Stemmeisen gegen den Tod. Sekunden die festgehalten werden, um neu erlebt zu werden. Sie sammeln sich zu viert, und werden ein großes, neues Bild im Betrachter. Versucht der Blick zur Seite auszuweichen, sind dazwischen gehängte, riesige Glamourbilder als mentaler Kontrast eine enorme Wahrnehmungsübung. Die kleinen Formate ziehen körperlich an. Hollywoodgrößen brauchen Abstand. Sehr leicht entwickelt sich so die Frage, wie die Archivarin der `Hall of Fame´ Nordamerikas diese Dynamikunterschiede in einem Leben überhaupt aushält. Womit wir beim Titel der Präsentation angekommen sind. In `A Photographers Life´ stellt sich eine Fotografin selbst aus. Alles was wir über sie wissen müssen, können wir aus diesen Bildern lesen. Ein enormer Anspruch.
Tod war Auslöser, Bilder für ein sehr privates Gedenkbuch zusammen zu stellen. Doch dabei fanden sich auch fast unheimlich anmutend blaue Kinderaugen von Sarah, der sie mit 51 das Leben schenkte. Dazu intensive Blicke ihrer eigenen Mutter, die direkt durch die Kameralinse in die Seele der Tochter schaut. Für die Aufnahme klappte der Spiegel in der Kamera für einen Sekundenbruchteil nach oben. Sofort möchte man diese Frau kennen lernen.
Bilderstrecken des Buches zur Ausstellung erzeugen so etwas wie scheinbare Anwesenheit bei der Bildauswahl. In mehreren Reihen sind Abzüge übereinander geordnet. Hier kann der Besucher sehr schnell neue Eindrücke verknüpfen.
Susan Sontags Aufnahme der hochschwangeren Freundin erinnert auf den ersten Blick an das berühmte Aktfoto von Demi Moore kurz vor deren Entbindung. 1991 eine Sensation in den USA und nach Meinung der Herausgebervereinigung, eines der beiden besten Magazincover der letzten vier Dezennien. Das andere zeigt den sich um Yoko Ono schlingenden John Lennon, und ist auch von ihr.
Zu Stars hat Annie Leibovitz ein sehr ambivalentes Verhältnis. Anfangs fotografiert sie im Geiste der 68`er als reine Dokumentaristin Musiker `on the road´. John Lennon zeigt der sehr Schüchternen den selbstbewusteren Umgang mit Showgrößen. Mit Musikern geht sie auf Tour. Schießt noch Bilder, wenn Keith Richard nicht mehr stehen kann. Dabei nimmt sie alles zu sich, was zum Lebensgefühl der Stones gehört. Einzutauchen und als ein Teil des Ganzen unbemerkt zu arbeiten, wird zu einem Stil. Gruppen unterschiedlichster Musiker zu einem kraftvollen Coverfoto zu arrangieren eine weitere Leidenschaft. `Rolling Stone´ heißt die Bibel der Jugendkultur in den Siebzigern. Ihre Bilder bestimmen die Auflage. Inszenierungen bekommen Anfang der Achziger hollywoodeske Ausmaße. `Vanity Fair´ ist bereit, auch mal einen Düsenjet auf der Spesenrechnung zu sehen. Dafür bestimmt Annie Leibovitz das Licht, in dem die Modezaren erscheinen. Ein bedeutender Schauspieler in Hollywood ist, wer von ihr fotografiert wird.
Susan Sontag steht eines Tages vor der Kamera. Zieht bald darauf gegenüber der Starfotografin ein. Kritisiert und drückt mit der Macht einer einflussreichen Intellektuellen auch mal ein Bild auf die Titelseite, wenn die Herausgeber sich nicht recht trauen. Lebensgefährlich wird ein gemeinsamer Aufenthalt in Sarajevo. Die Kamera nimmt Entsetzen auf. Ein Junge wird neben dem eigenen Fahrzeug von Granatsplittern getroffen. Sofort steigt sie aus, organisiert den Transport ins Krankenhaus und reportiert das nur scheinbar auf einer Ölspur ausgerutschte Fahrrad. Unweit davon vergräbt George W. Bush beim Fototermin seines Führungsstabes auf bitten der Fotografin die Hände in den Hosentaschen. Spannend zu sehen, wer sich spontan mit angesprochen fühlte.
Welche enorme Stärke Tränen auszudrücken vermögen zeigt das Portrait von Colin Powell. Orden und Ehrenzeichen auf der Brust sind bunt. Sorgfältige Ausleuchtung bringt das Glänzen in den Augen zur Geltung. Fast möchte Sympathie aufkommen, doch bleibt das Imago in der Repräsentation gefangen, weil keine weiteren Gefühle veräußert werden und Annie Leibovitz lernen musste, nicht für jeden ihre Seele zu öffnen.
Weit geöffnet ist die Blende ihrer Kamera heute für Gruppenportraits von Hollywoodgrößen. Niemand beherrscht dieses Metier so brilliant. Sie gibt der Aura jedes einzelnen Künstlers Raum zur Entfaltung, richtet Blicke und schafft so ein noch größeres ganzes. Diese Bilder wird eine neue Ausstellung hoffentlich bald in Deutschland zeigen.
Vor wenigen Tagen wurde Annie Leibovitz vom `International Center of Photography´ in New York für Ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Gratulation.

C/O Berlin präsentiert die Ausstellung `A Photographers Life´ im ehemals Kaiserlichen Postfuhramt an der Oranienburger Strasse, Ecke Tucholskystrasse in Berlins Mitte.
Geöffnet ist noch bis einschließlich Sonntag den 24. Mai zwischen 11 und 20 Uhr.
Sonderöffnungszeiten: Freitag und Samstag bis 24 Uhr.

Das sehr empfehlenswerte Buch zur Ausstellung `A Photographers Life´ ist 2006 bei Schirmer und Mosel erschienen und kostet 78 €.

Wer genaueres über die `American Society of Magazine Editors´ wissen möchte, findet unter: www.magazine.org/asme/top_40_covers/ nützliche Informationen.

Über Löw Jan 27 Artikel
Jan Löw, geboren 1965 in Jena, studierte Kunstgeschichte und Medienwissenschaft in Jena und Weimar. Er war langjähriger freier Mitarbeiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Löw arbeitet als freier Photograph in Berlin und in Thüringen.

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