Der letzte Masure – Zum Tod Tadeusz Willans

Statue auf der Engelsbruecke in Rom, Foto: Stefan Groß

Meine erste Reise nach Masuren unternahm ich im Sommer 1995. Eingeladen in das Dorf Kruttinnen, das versteckt in den Wäldern südlich von Sensburg lag, hatte mich der Journalist Tadeusz Siegfried Willan (1932-2018), der seit 1990 Vorsitzender der „Masurischen Gesellschaft“ und Chefredakteur der Monatszeitschrift „Masurische Storchenpost“ war, ein hochgewachsener, freundlicher Mann, der die deutsche Restbevölkerung Masurens um sich versammelt hatte. In der Nähe lagen das Forsthaus Kleinort, wo der Dichter Ernst Wiechert (1887-1950) aufgewachsen ist, und in den Wäldern das Grab seiner ersten Frau Meta Wiechert (1890-1929). Hier in Kruttinnen und gelegentlich auch in Peitschendorf veranstaltete Tadeusz Siegfried Willan 28 Jahre lang Literaturtagungen, zu denen die Referenten von weither anreisten. Meine erste Reise 1995, der neun weitere folgen sollten, dauerte einen ganzen Tag, manchmal übernachtete ich auch unterwegs in polnischen Hotels.

Tadeusz Siegfried Willan, der Masure mit einem deutschen und einem polnischen Vornamen, der sich selbst den „letzten Masuren“ nannte, wurde am 17. Oktober 1932, damals gab es die deutsche Provinz Ostpreußen noch, von deutschen Eltern in Kruttinnen geboren, studierte nach 1945 Journalistik und Politikwissenschaft in Warschau und arbeitete dann bei der Zeitung „Glos Olsztynski“ (Allensteiner Stimme). Von 1977 bis 1990 war er Chefredakteur der Zeitung „Warmia i Mazury“ (Ermland und Masuren).

Auf der ersten Tagung, an der ich teilnahm, habe ich über „Flucht und Vertreibung in der DDR-Literatur“ gesprochen, mein Korreferent war der in Thüringen lebende Russischlehrer Dr. Bernhard Fisch, geboren 1926 in Willenberg bei Ortelsburg. Auch der Schriftsteller Arno Surminski, geboren 1934 in Jäglack bei Drengfurt/Landkreis Rastenburg, der 1974 mit seinem Roman „Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?“ bekannt wurde, las 1995 las 1995 aus seinen Werken. Immer habe ich auf solchen Reisen auch deutsche Geschichtsorte aufgesucht, wie das Johann Gottfried Herder (1744-1803) gewidmete Museum in Mohrungen oder die Stadt Lyck, in der 1926 der Schriftsteller Siegfried Lenz (1926-2014) geboren wurde.

Weil Tadeusz Willan die letzten Deutschen in Masuren mehrmals jährlich zu Tagungen eingeladen und so ein völkerverbindendes Zeichen gesetzt hat, ist er 20!4 von der Bundesregierung in Berlin mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet worden. Ob die „Masurische Gesellschaft“ nach seinem Tode am 17. April 2018 weitergeführt wird und ihre erfolgreiche Arbeit fortsetzen kann, bleibt abzuwarten.

 

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Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.