Mahmood Falaki. Tödliche Fremde

Flugzeug am Himmel, Foto: Stefan Groß

Für den seit 1983 in Deutschland lebenden Mahmood Falaki, Autor zahlreicher Romane, Kurzgeschichten und Gedichtbände, promovierten Literaturwissenschaftler und Herausgeber von Persisch-Lehrbüchern, ist Fremdsein in einer ihm nach über vierzig Jahren vertrauten Kulturlandschaft mit einem vermeintlich tödlichen Risiko verbunden. Die vagen Einflüsse seiner kulturellen Herkunft vermischen sich mit Gefühlen einer existentiellen Verunsicherung, die sich in dem Gebrauch einer besonderen Umgangssprache niederschlägt. Es ist eine Sprache, die den jähen Wandel der deutschen Alltagskultur in einer geschickten Mischung aus Humor, Skurrilität und Frivolität sowohl in der dialogischen Rede als auch in dem Plot des vorliegenden Romans verarbeitet. Dieses raffinierte Verfahren praktiziert sein Erzähler bereits in der Eingangspassage des aus drei Abschnitten bestehenden Werkes. Nima, der aus dem Iran stammende Protagonist, erhält von seinem langjährigen deutschen Freund Heiko in einem Café ein verlockendes Angebot. Ob er denn mit seiner Freundin Claudia schlafen wolle. Er habe gerade eine Affäre mit Nele, und Claudia nerve ihn. Aber er wolle nicht ganz mit ihr Schluss machen, da er finanziell von ihr abhängig sei und ein Absturz auf Hartz IV könne er sich nicht leisten. Nima, seit Jahren mit der flüchtigen Moral in seinem heimatlichen Gastland vertraut, nimmt das Angebot an, denn nicht nur in einer kapitalistischen Verwertungsgesellschaft gilt es schnell zuzugreifen. Auch wenn es um die Bewahrung ethischer Werte geht, ist Nima bereit, sofort zu reagieren. Zufällig hört er, wie an seinem Nachbartisch zwei Frauen augenscheinlich ganz locker über einen Mord parlieren. Als er insistiert, erfährt er, dass es sich um zwei Tierärztinnen handelt, die leider, leider zwei ihrer Patienten töten mussten. Zweifellos ist Nima, der wie sein engster persischer Freund Bardia sich belletristisch betätigt und sich bestens mit spannungsgeladenen literarischen Verfahren auskennt, ein kundiger Zeitgenosse. Wenngleich er sich als hilflos erweist, wenn es um echten Mord geht, zumindest auf der fiktiven Ebene. Denn als Bardia ihn anruft, um ihm zu gestehen, er habe gerade einen Mord an dem Drogenhändler Gökhan begangen, glaubt Nima ihm. Zum Tatort gerufen, wird er in eine höchst merkwürdige Sache verwickelt. Die Beseitigung der Leiche erweist sich als zu kompliziert, die Polizei will Bardia nicht informieren und alles Weitere verläuft im Nebel. Denn der Leser erfährt erst viel später, dass Gökhan bei einer Schießerei unter Drogenhändlern ums Leben gekommen sei. Bardia, der in der Zwischenzeit nach Berlin umgezogen ist, wird doch noch wegen dieser Mordgeschichte verhaftet, dann aber doch unter Auflagen bis zum Gerichtsverfahren frei gelassen.

Zu diesem Zeitpunkt weilt Nima, von Sehnsucht und Neugier getrieben, nach 35 Jahren wieder in seinem Heimatland Persien. Schon unmittelbar nach der Landung des Flugzeugs in Teheran wird er mit der repressiven Atmosphäre schon auf dem Flughafen konfrontiert. Bärtige Revolutionswächter führen ein Mädchen ab, das kein Kopftuch trägt Umso herzlicher ist dann die Begrüßung durch seine Tante und viele andere ihm unbekannte Personen, die irgendwie mit ihm verwandt oder auch bekannt sind. Doch bevor er in den Alltag seiner ehemaligen Heimat eintaucht, wird er von Träumen befallen, die ihm sein immer noch gespaltenes Unterbewusstsein verdeutlichen. Persische Schriftzeichen vermischen mit lateinischen: „Die Wörter zersplitterten in tausende blitzende Buchstaben, die, ineinander verflochten, anschwollen, verschmolzen und wie ein Komet blitzartig vor seinen Augen vorbeizogen und zischend verschwanden“ (S. 169)

Dieser zweite Romanabschnitt ist für einen deutschen Leser besonders spannend, weil Nima ihn durch eine persische Alltagswelt führt, die ihm nach der langen Abwesenheit in seinem Geburtsland fremd geworden ist. Er bedauert, dass alle Frauen in ihren Kopftüchern, ihren dunklen Mänteln oder im Tschador gleich aussahen, im Gegensatz zu den halbnackten Frauen an den Hamburger Badestränden. Er erlebt die zwiespältige Verhaltensweise von Maryam, der Ex-Frau von Bardia, die ihn sowohl erotisch und sexuell „betreut“ als auch auf seinen Spaziergängen durch Teheran begleitet. In ihrer Wohnung trägt sie moderne, modebewusste Kleidung, auf der Straße trägt sie schwarze islamische Overalls und das geforderte Kopftuch. Und als die beiden, von Revolutionswächtern angehalten und nach ihrer ehelichen Beziehung befragt, würde sie eine erhebliche Bestrafung erwarten, wenn sie nicht sowohl den weiblichen als auch männlichen Wächtern der Revolution ein angemessenes Korruptionsgeld gezahlt hätten. Der Schock über diese verlogene Revolutionstradition sitzt so tief in ihm, dass er, nach der tagelangen Einhaltung seines Reisepasses, mit dem Gefühl einer mangelhaften Zivilcourage terminrecht seinen Rückflug nach Deutschland antritt.

Und die Quintessenz der Heimkehr aus der islamischen Fremde? Nima trifft in Hamburg seinen Freund Bardia, der gerade aus der Haftanstalt in Berlin-Tegel entlassen wurde. Beide in der westeuropäischen Fremde sozialisiert, wollen sich nach ihren schockierenden Erlebnissen in der tödlichen Fremde und in der fremd gewordenen Exil-Heimat neu orientieren. Doch ohne Illusionen wollen und können sie nicht leben. Bardia gibt seine langjährige Freundschaft mit Nima auf, um neue Wege zu gehen. Und Nima? Er erinnert sich an einen Satz in seinem tiefsten Inneren: „Odysseus kommt nicht zurück um zu bleiben, sondern um erneut aufzubrechen.“

Mahmood Falakis Romanhandlung pendelt zwischen einer entfremdeten neuen Heimat, in der die aus dem Mullah-Regime des Iran Geflüchteten und Emigrierten existieren, und der tödlichen Fremde, in der die Kluft zwischen verlogener Revolutionshysterie und der Sehnsucht nach der regulierten Zivilisation schwer zu ertragen ist. Sein Erzähler setzt sich mit einem Schuss an Ironie mit den Lebensweisen persischer Immigranten auseinander, spielt mit dem Genre des Kriminalromans, macht sich lustig über Gangstermilieus, schildert die flüchtigen Beziehungen in der grotesken Postmoderne und ist zugleich vom Schock getroffen, als er in seiner ehemaligen persischen Heimat mit der Realität einer Pseudorevolution konfrontiert wird. Ein Roman, der von der Lebensklugheit, seiner konkreten Erfahrung mit den ost-westlichen Spannungen und der Lebensweisheit eines Autors profitiert, der aus unterschiedlichen Perspektiven die schicksalhaften Lebensumstände der Flüchtlinge bewertet. Ein Roman also, der nicht nur eine wichtige Brückenfunktion zwischen Westeuropa und dem Vorderen Orient einnimmt, sondern eine spannende Lektüre für alle diejenigen ist, die sich über die Tödliche Fremde amüsieren, Spaß an den lebendigen Dialogen und den urkomischen Schilderungen der Alltagswelt der in der Fremde Angekommenen haben.

Mahmood Falaki. Tödliche Fremde. Roman. Bremen (Sujet Verlag) 2018, 317 S., 22,80 €. ISBN 978-3-96202-022-4.

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