Deutschland, du bist mir fremd geworden. Das Land verändert sich – und wir uns mit?

Deutschlandfahne, Foto: Stefan Groß

Erik Flügge. Deutschland, du bist mir fremd geworden. Das Land verändert sich – und wir uns mit? München (Kösel-Verlag) 2018, 160 S., 18.- EURO, ISBN 978-3-466-37228-7.

„Es kippt nach rechts. Auf den Straßen werden wieder wütende Botschaften gesprochen und im Internet finden die Hassprediger kein Halten mehr. Es fühlt sich an, als wäre unser Land umzingelt von Rechten, denen Flüchtlinge willkommener Anlass zur Hetze sind.“

Auf der Grundlage dieser Aufzeichnungen aus dem Jahr 2014 leitet der Verfasser, Geschäftsführer der Politikberatung Squirrel & Nuts in Köln, seine gesellschaftspolitische Zustandsanalyse eines Landes ein, das ihm fremd geworden ist. Vier Jahre danach fällt sein Urteil noch drastischer aus: „Es scheint fast so, als redeten alle nur noch über Migration und Integration. Der gesellschaftliche Fortschritt ist abrupt zum Halten gekommen. … Deutschland steckt in einer Sackgasse fest. Einer Sackgasse aus Frust und Angst …“ In dieser einleitenden Darlegung einer emotionsgeladenen Situation, in der sich seine Heimat Deutschland befinde, bedient sich Flügge einer Alltagssprache, in der seine Ich-Perspektive mit drastischen Bildmetaphern und düsteren Zukunftsvisionen bevölkert ist.

Von Monstern, Auswanderungsgedanken, Mördern und Brandstiftern sind auch seine einleitenden Überlegungen zur Bedeutung seiner Heimat geprägt. Zündelnde Populisten, Trittbrettfahrer und Selbstvermarkter seien überall am Werk. Gegen sie wolle er sich mit aller Kraft wehren, wobei er ständig zwischen einem Appell an eine diffuse Wir-Gemeinschaft und einem wütenden Ich schwankt. Und dieses Ich ist auch von Verzweiflung erfüllt, fürchtet, dass die Demokratien des Westens zerbrechen, will die Heimat verteidigen, behauptet, die Presse berichte kaum noch über die ständigen Anschläge auf Flüchtlingsheime. Kurzum, Flügge fragt nach einem gesellschaftlichen Prozess, der „in der Lage ist, eine Terrorwelle zu stoppen? Eine Welle, die überall gleichermaßen zuschlägt. Wie ein Tsunami, der einen ganzen Landstrich unter sich begräbt.“ (S. 12f.) Soso, fragt sich hier spätestens ein Leser, der angelockt an der Werbung auf der Umschlag-Rückseite, dass der Verfasser mehrere Bestseller publiziert habe. Und jetzt? Soll der Tsunami auch die deutsche, geliebte Heimat unter sich begraben? Nein, denn es soll ein „unsichtbarer Tsunami sein, weil er bewusst verzichtet, Deutsche zum Opfer (!) zu wählen.“ (13)Na, so etwas. Ein denkender Tsunami, der heimatbewusste Deutsche verschont. Warum denn das, fragt sich der Leser, „wenn die Welle dennoch kommt“?

Spätestens nach dieser Einleitung fragt sich der Rezensent, warum die Lektorin vernunftgelenkt und umsatzbewusst nicht eingegriffen hat.

Doch auch die folgenden Buchabschnitte, die sich folternden Kindern, angewiderten Überlegungen zu bösen Politikern wie dem Widerling Trump oder pennenden Landsleuten widmen, enthalten keine strukturierten und strategischen Darlegungen zur tiefen politischen und gesellschaftlichen Krise, in der nicht nur Deutschland steckt. Es ist ein Gemisch aus Alltagsgerede, abstrusen Befindlichkeiten, in denen ehrliche Wut auf die rechtspopulistischen Zerstörer demokratischer Werte sich mit Ansätzen von Ursachenfindungen mischen. In dieser oft verwirrenden Suada springt der Verfasser zwischen Überlegungen zu Weltoffenheit und Illusionen über deren Umsetzung hin und her, sucht nach Schlachtrufen, die von der demokratischen Bewegung auf Demonstrationen gerufen werden sollen, kritisiert die Mitte der Gesellschaft, die sich wie Schafe von den Demagogen treiben lassen, flucht über sie, weil die sich nach einem starken Staat sehnt und klagt darüber, dass wir die Mitte verloren haben. Es ist ein Biertisch-Palaver, in dem die Burnout-Trinker sich ständig darüber beklagen, dass es keinen Platz mehr für eine Rede in der Öffentlichkeit gäbe, dass selbst die Linke keine Bühne mehr habe, und überhaupt, die „deutsche Schafherde (läuft) nach rechts. (S. 41)

Genug, hier publiziert ein Politikberater, der „dem Volk“ nach dem Mund reden möchte und dabei vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, ohne dass ein Lektorat einschreitet. Bereits die fett markierten inhaltlichen Abschnitte verwirren in ihrer inhaltlichen Botschaft. Da geht es um die Volksparteien in der Volksparteikrise, wo die Nazis zwischen den Christdemokraten und der Sozialdemokratie hausen, da schwadroniert jemand über die Kulturpolitik der SPD, für die „Opern okay (sind), aber nicht ganz, ganz wichtig für die Zielgruppe der SPD. Die geht nämlich lieber ins Kino. Opern zu fördern ist so eine Bildungsaufsteigeridee, die man (!)vermitteln kann, aber sie ist nicht das, wofür es (!) die SPD braucht.“ (S. 116) Und zuletzt bescheinigt Flügge dann den Medien, dass sie in einer Medienkrise seien. Zu diesem Zweck fügt der Politikberater noch eine finale Reflexion über diese Krise hinzu. Dort hat z.B. die Politik die Presse zerschossen (!!). Außerdem gibt er den Boulevardmedien fruchtbare Vorschläge, wie sie überleben können und denkt über den Zusammenhang von Politischer Bildung und Medienkritik nach, wobei er sogar einen produktiven Denkansatz über die Funktion von digitalen Medien in der Schule entwickelt.

Am Ende seiner oft verwirrenden Darlegungen aber überwiegt der Optimismus. Sein Plädoyer für die gestärkte Republik fällt allerdings bescheiden aus. „Das Land verändert sich und wir uns mit“, ruft er den Massen zu und entwickelt noch ganz auf die Schnelle eine Idee der demokratischen Volksherrschaft: „Wer lauthals schimpft und demonstriert will noch was von unserer Gemeinschaft.“(S. 157)

Fazit: eine Schnellschuss-Volksrede, in zwei Buchdeckel gezwängt, kein Plädoyer für eine produktive Politikberatung, der es um die Rettung der demokratischen Ordnung geht.