Robert Ketterer: Digitalisierung ist viel mehr als nur Online gehen

Robert Ketterer, Auktionator und Inhaber Ketterer Kunst

In Deutschland war das vor ein paar Jahren alles noch „Neuland“, wie Angela Merkel das hierzulande weit verbreitete Unbehagen und Fremdeln angesichts der digitalen Welt zum Ausdruck brachte. Auch deshalb sehen Experten unser Land digital deutlich hinter anderen Industriestaaten hinterherhinken. Die Botschaft ist klar: Wenn wir jetzt nicht endlich Gas geben, steht Deutschland vor dem Abstieg in die Kreisklasse der Weltwirtschaft.

Diese Prognose teile ich. Ich meine aber, dass die digitale Langsamkeit vor allem unseren staatlichen Institutionen und öffentlichen Dienstleistern geschuldet ist. Von der Netzinfrastruktur zu den Schulen, Zulassungsstellen, Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden bis hin zur Justiz. Hier ist die Politik noch stärker gefragt.

Doch auch in der Wirtschaft ist der Nachholbedarf groß. Es beginnt mit der Einstellung. Das merkelsche „Neuland“ sehen viele Manager als Bedrohung. McKinsey hat erhoben, dass nur 10% der Führungskräfte glauben, dass ihr heutiges Geschäftsmodell den digitalen Wandel übersteht. Das ist eine erschreckende Feststellung. Aber als Unternehmer hängen wir ja nicht von einem Geschäftsmodell ab. Wenn sich die Welt verändert, dann ändern wir eben das Geschäftsmodell. Es ist gerade das Erkennen und Nutzen von Chancen, das uns zu Unternehmern im wahren Sinn des Wortes macht. 


Als Mittelständler betreibe ich die Digitalisierung der Kundeninteraktion und der internen Prozesse und Abläufe meines Auktionshauses bereits seit 15 Jahren mit großem Nachdruck. Schon mein Vater war ein Computerpionier. Manches Mal wurden wir in der Branche und selbst von Freunden belächelt für unser Streben, die Digitalisierung in den Dienst der Kunst zu stellen.

Sicher, von einer kompletten digitalen Transformation sind auch wir noch weit entfernt, aber für mich ist klar: Die Investition lohnt sich. Weltweit verzeichnen fast alle Wettbewerber in Corona-Zeiten zum Teil große Einbußen. Bei uns hingegen geht es aufwärts: Hybriden Saal-Auktionen und reinen Online-Auktionen sei Dank.

Ich möchte aber vor Illusionen warnen, denn wer Digitalisierung falsch angeht, den kann das teuer zu stehen kommten. Lehrgeld muss jeder ohnehin zahlen, das musste auch ich. Der Weg kann aber verkürzt und weniger Geld verbrannt werden, wenn man sich folgende Fragen ehrlich beantwortet:

1. Was verstehe ich unter Digitalisierung?


Digitalisierung ist mehr als nur eine Website. Es reicht auch nicht, das Geschäft einfach nur elektronisch umzubauen oder die vorhandenen Geschäftsprozesse eins zu eins online anzulegen. Wer digitalisieren will, der muss alles von A-Z neu denken, der muss auch Kooperationen mit Dritten ins Auge fassen und gegebenenfalls zu einer bahnbrechenden Transformation seiner Firma bereit sein.  

Zuerst kommen die großen, langfristigen Fragen: Wie sieht mein Unternehmenszweck in digitaler Form aus? Sind meine Mitarbeiter aufgeschlossen für Veränderungen? Wie schaffen wir die Vernetzung? Wie bringe ich die Kernzutaten digitalen Erfolgs  – Veränderungswille, Service pur und Tempo – in die Organisation? abe iHabe  

Dann kommen die operativen Fragen, weil Software, IT, Prozesse und Kommunikation eng miteinander verwoben sein müssen. Denn nicht die elektronischen Werkzeuge stehen im Mittelpunkt, sondern die Veränderung des Geschäftsablaufs: Gibt es Freiraum für Innovationen und Mut zu einem neuen Geschäft? Wie funktioniert der Onlinemarkt? Wer sind die Kunden? Was erwarten sie? Über welche Kanäle kommen sie? Wie begegne ich ihnen im Netz auf Augenhöhe? Wie wird aus einer virtuellen Transaktion ein analoges Geschäft?

2. Wie funktionieren meine Produkte und meine Marke digital?

Im digitalen Geschäft sind die Anforderungen an Produkt und Qualität nicht etwa geringer, sie sind so hoch wie im Ladengeschäft auch, vielleicht sogar höher. Ich bin überzeugt, dass nur Produkte, die offline Kunden finden, auch online eine Chance haben. Wer Ladenhüter, Restposten oder in Qualität Defizitäres online anbietet, ohne es dementsprechend zu kennzeichnen, der sollte den Crash gleich mit einplanen. Kein Marktplatz ist so transparent und so gnadenlos wie das Internet. Jeder sieht was passiert, jeder kann es kommentieren und nichts ist so schwer, wie digitales Leben zu bereinigen.

Das gilt für alle Marken. Wer aber – wie wir Familienunternehmer – den eigenen Namen als Markenzeichen verwendet, setzt alles aufs Spiel, wenn er online nicht  radikal Qualität, Offenheit und Korrektheit sichert. 



3. Erkenne und akzeptiere ich die Gesetze des Online-Geschäfts?

Die Gesetze des Online-Geschäfts stehen für meine Branche schon lange fest: Die globalen Spitzenreiter – vor allem Ebay und Amazon – und dazu der europäische Verbraucherschutz haben die Regeln für jeden Marktteilnehmer und für jede Transaktion gesetzt. Daran müssen wir uns orientieren.

Manche meinen, man könne zumindest vorübergehend branchenübliche Verfahren und Privilegien, wie wir sie z.B. im Kunstmarkt und bei Auktionen kennen, auch online einfordern. Aber ebenso wie die Besonderheiten der Preisbildung bei Messen haben meines Erachtens auch die vielfältigen Zu- und Aufschläge, Transportkosten und Steuern auf den Hammerpreis online keine Zukunft. Online ist der Hammerpreis der Endpreis. Punkt. Aus. Ende.

Im Netz gelten auch eigene Gesetze für die Erfolgsmessung. Neben den Bewertungsportale sind das vor allem die Google-Algorithmen, die Unternehmenserfolg und Onlineplatzierung nicht nur nach Finanzkennzahlen und Marktführerposition bewerten, sondern auch nach der Qualität des digitalen Angebots, der Dialogfähigkeit, der Nutzererfahrung und vielem mehr.

4. Hat mein Geschäft auch bei voller, globaler Markttransparenz eine reale Chance?

Der eigentliche Lackmustest kommt mit der zunehmenden Transparenz des Marktes. Leistungs- und Preisvergleiche hat die Kundschaft zwar schon immer machen können, aber noch nie so zeitnah, so mühelos und so vollständig, wie das heute online möglich ist. Autohändler, Hotels und Vermieter kennen das schon, vielen anderen Branchen steht es noch bevor. Ist mein Geschäftsmodell darauf vorbereitet? 

Wer sich diesen Fragen stellt, wird schnell erkennen, dass Digitalisierung eine Reise ist. Es geht um einen Weg mit immer neuen Etappen. Wer sich aufmacht, der kann sich über erste Erfolge freuen, wenn sich z.B. der Service verbessert, wenn die Kundschaft breiter und internationaler wird und wenn die eigene Wettbewerbsfähigkeit einen Schub erhält. Doch dabei bleibt es nicht. Schnell tauchen neue Herausforderungen auf. Es gilt die nächsten Zwischenziele in Angriff zu nehmen. Ich finde aber: Der Weg ist spannend und er lohnt sich.

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