„Eigentlich bin ich ein Maskentier.“

Im Oktober 2012 fand sich ein Buch in den Bestsellerlisten, das ein Jahr des letzten Jahrhunderts zum Titel und in seinen Betrachtungen hatte: Florian Illies „1913“. Ein Jahr, in dem das Woolworth Building in New York Eröffnung feierte, der Reißverschluss erfunden, die gestohlene „Mona Lisa“ wiederaufgefunden, das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig eingeweiht und die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft gegründet wurde. Sigmund Freuds „Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker“ erschien. Und: Werner Muensterberger wurde am 15. April 1913 geboren. Ein Mann, dessen Biografie sich wie die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts liest.

Mitten hinein in die turbulenten Jahre der Weimarer Republik wuchs der Junge eines jüdischen Fabrikanten. Er besuchte die berühmte und mittlerweile berüchtigte Odenwaldschule, studierte
Ethnologie und Kunstgeschichte und gelangte in die Künstlerbohème von Amsterdam und Monte Verità, die ihn für sein Leben prägen sollte. Eine Freundin rettete ihm das Leben, indem sie ihn in ihrer Amsterdamer Wohnung vor der Gestapo versteckte. 1947 wanderte er in die USA aus. Dort arbeitete er erfolgreich als Psychoanalytiker, lehrte als Professor für Ethnopsychiatrie in New York und entwickelte Theorien zu den Gründen, die manche Menschen zu leidenschaftlichen Sammlern machen und welche Bedingungen dazu führen, dass andere zu Fälschern werden. Bei Thomas Mann war er als junger Mann zu Gast. Picasso, Freud, Walt Disney, Andy Warhol, Max Beckmann, Meret Oppenheim, Erich Fromm oder Heinz Berggruen „liefen ihm zuweilen über den Weg“. Mit Bruce Chatwin war er befreundet. James Dean gehörte ebenso zu seinen Patienten wie Marlon Brando. Zudem galt er zeitlebens als unangefochtener Experte für „primitive“ Kunst. Seine Sammlung afrikanischer Masken gilt als bedeutend.

„Wie die bunten Steine eines Kaleidoskops blitzten diese Figuren auf – ein funkelndes Muster, das plötzlich verschwimmt, um sich im nächsten Moment neue zusammenzusetzen“, schreibt die Chefredakteurin der Zeitschriften „Weltkunst“ und „Kunst und Auktionen“ Lisa Zeitz, die zugleich als eine der besten Kennerinnen des internationalen Kunstmarkts gilt. 2005 traf sie Werner Muensterberger das erste Mal in seiner New Yorker Wohnung, um ihn für einen Artikel zu interviewen. Aus einem Treffen wurden in den folgenden Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 2011 mehrere hundert Besuche. „Aus dem Mann, der so alt war wie meine Großmutter, aus dem Analytiker und dem Experten für Stammeskunst wurde ein Freund.“, so die Autorin. Und dies spürt man in dem mit Verve und Feinfühligkeit, mit Spannung und Einfühlungsvermögen, aber immer frei von jeglichem Pathos, geschriebenen Buch auf jeder Seite. Genau wie das auch mich in meiner Kindheit begleitende Spielzeug, das Gegenstände mehrfach spiegeln lässt, so dass ein symmetrisch farbiges Muster sichtbar wird, das sich beim Drehen verändert, offenbart auch Lisa Zeitz ein wunderbares „Mixtum compositum“, das Puzzle des Lebens, um diesen Mann, der „sich mit Vorliebe immer wieder neu erfand und Teile seines Lebens am liebsten ganz für sich behielt.“
Im Anhang des Buches sind zudem die nicht mehr vollendeten sieben Kapitel zu einem Buch mit dem geplanten Titel „Fälscher auf der Couch“ abgedruckt, deren Manuskripte von Lisa Zeitz nach Muensterbergers Tod gesichtet, sortiert, übersetzt und behutsam überarbeitet wurden. Zahlreiche Fotografien und sensible Zeichnungen von Christoph Niemann ergänzen dieses wunderbare Buch.

Warum, so fragt man sich nach der überaus interessanten Lektüre, warum hat diesen Mann eigentlich noch nie jemand porträtiert, wo allerorts die Lebensbeichten von Stars und Sternchen aus dem Boden schießen wie Pilze nach einem warmen Sommerregen. Die von ihm so leidenschaftlich verehrten Masken verschweigen dem Fragenden ihre Antwort. Vielleicht sind sie in dem von Muensterberger besonders geliebten Gedicht von Rainer Maria Rilke zu finden:

Eros

Masken! Masken! Daß man Eros blende.
Wer erträgt sein strahlendes Gesicht,
wenn er wie die Sommersonnenwende
frühlingliches Vorspiel unterbricht.

Wie es unversehens im Geplauder
anders wird und ernsthaft… Etwas schrie…
Und er wirft den namenlosen Schauder
wie ein Tempelinnres über sie.

O verloren, plötzlich, o verloren!
Göttliche umarmen schnell.
Leben wand sich, Schicksal ward geboren.
Und im Innern weint ein Quell.

Lisa Zeitz
Der Mann mit den Masken
Das Jahrhundertleben des Werner Muensterberger
Berlin Verlag (Mai 2013)
336 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3827010853
ISBN-13: 978-3827010858
Preis: 24,99 EUR

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Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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