Festspielsommer 2018 in Bayreuth: Kein Öl mehr für Wotan- mit der „Walküre“ unter der Leitung von Placido Domingo nehmen die Bayreuther Festspiele Abschied vom Castorf- Ring

Walküre - Bayreuther Festspiele 2018, Quelle und Foto: Bayreuther Festspiele: Enrico Nawrath

Seit je ist die „Walküre“ mit ihren zahlreichen Gänsehautstellen in der Musik der beliebteste Teil von Wagners „Ring des Nibelungen“, und weil gerade dieser Teil in dramatischer Zuspitzung die  Geschichte von Liebe,Verrat, Macht und Machtverlust enthält, entfaltet er auch als Einzelaufführung seine große Faszination. Außerdem hatte der ehemalige Intendant der Volksbühne Frank Castorf für seinen Bayreuther „Ring“, der komplett von 2013 bis 2017 aufgeführt wurde, eine zündende Grundidee, indem er die Gier nach Gold durch die nach Öl ersetzte. Auf seiner Spurensuche entlang von Wagners Mythenmix mit revolutionärem Inhalt entdeckte er gerade in der Walküre das „Epizentrum der Revolution“ und kam in Baku/ Aserbaidschan, 1920 einem Zentrum der Russischen Revolution, an. Dort sprudelte das schwarze Gold am Ende des 19. Jahrhunderts, und  die Menge der Ölforderung von Amerika wurde bereits1892  übertroffen.

Im aufwendigsten  Bühnenbild der Festspielgeschichte (Alexandar Denic), einem riesigen Bohrturm samt Fabrikschuppen, der die komplette Drehbühne beherrscht, begegnet sich jetzt das Wälsungenpaar, spielt die dysfunktionale Familiengeschichte Wotans, die kein gutes Ende nimmt.  Die politische Dimension dieses Stoffes und die Zeitgeschichte im Visier greift Castorf  immer wieder in die mythische Geschichte Wagners ein, zeigt das schuftende Proletariat in eingeblendeten Videoaufnahmen, später auch die ersten Streiks, die die Revolution ankündigen. Ein Foto von Lenin taucht auf  und Wotan, jetzt Ölbaron, liest die Prawda. Den stummen Mitspieler im gesamten Ring (Patric Seibert) entdeckt man als „lesenden Arbeiter“ im Geflügelstall (Brecht lässt grüßen).   Überall in diesem Erdölkommandofort sind die Kameraleute gegenwärtig, die die Protagonisten des Dramas verfolgen. So entstehen Großaufnahmen wie seinerzeit in Stummfilmen, die zwar von der  weitgehend statischen Personenregie ablenken, sie aber nicht inspirieren. Videos, nichts Neues auf der Bühne, sind bei Frank Castorfs „Ring“  durchgängig ein stilprägendes Mittel und sollen zu  seinem Desillusionstheater beitragen. „Augen auf!“ heißt das für das Publikum und bloß nicht dahinschmelzen beim Wagner-Belcanto der „Wonnemond“-Musik! Auf einem nicht live-gefilmten Video lernt man hier ausnahmsweise die Erdenmutter von Siegmund und Sieglinde kennen, die mit Wotan telefoniert und Sahnetorte isst. Beim großen Monolog des „traurigen Gottes“ beschäftigt sich  die  Lieblingstochter Brünnhilde statt ihm zuzuhören mit Auf- und Einräumarbeiten (was macht sie da genau?), bevor sie einen ausladenden Teppich vor ihm ausrollt. Kein Wunder, dass das Rätselraten von „Walküre“-Besuchern in den Pausen und beim kühlen Getränk danach die Gespräche dominiert!

Aber es gibt auch große Momente in dieser Inszenierung. Wenn zum Beispiel zum kriegerischen Walkürenritt die roten Brigaden den Bohrturm stürmen oder bei „Wotans Abschied“ die gewaltige Ölpumpe plötzlich stillsteht. Ein Gott mit Machtverlust und eine Verstaatlichung der Ölindustrie nach der Revolution, die keine Erfolgsgeschichte wird! Erfolg hatten auch die Deutschen nicht, als sie im Zweiten Weltkrieg im „Unternehmen Edelweiß“ für ihre Panzer an das Öl von Baku wollten.Wieder klärt uns Castorf mit Originalaufnahmen aus der Zeitgeschichte auf und lässt  bühnenwirksam ganz zum Schluss ein Ölfass brennen. Kein Öl mehr für Wotan und auch keines für die Deutschen! Auf der vom Publikum abgewandten Seite der Drehbühne muss Brünnhilde alleine zurechtkommen und ganz ohne  Feuerring in tiefen Schlaf versinken.

Trotz aller Irritationen, die uns Frank Castorf zumutet, sind wir bei Richard Wagner und einem Opernabend in Bayreuth, der vom Orchester und hervorragenden Sängerinnen und Sängern getragen wird. Wenn man vom Beifall ausgeht, sind zunächst Anja Kampe als Sieglinde und Stephen Gould als Siegmund zu nennen, aber in minimalem Abstand Tobias Kehrer als Hunding, Catherine Foster als Brünnhilde und Marina Prudenskaya als Fricka. John Lundgrens metallischer Heldenbariton passte zwar in dieser Inszenierung gut zum Rollenprofil von Wotan, aber man hätte sich auch eine biegsamere Stimme vorstellen können. Lang anhaltender Schlussapplaus, in den sich nur einige Buhrufe für Placido Domingo mischten, der offensichtlich an  wenigen  Stellen Schwierigkeiten mit der besonderen, aber auch schwierigen Akustik des Festspielhauses hatte. Müßig zu sagen, dass es Wagner-Spezialist Thielemann einst besser gemacht hat, und auch Kirill Petrenkos Dirigat bleibt in bester Erinnerung.

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Über Sylvia Hüggelmeier 33 Artikel
Sylvia Hüggelmeier studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Publizistik und Pädagogik an den Universitäten Münster/Westfalen und München. Seit 1988 schreibt sie als Freie Journalistin für verschiedene Zeitungen.