Gedenktafel für DDR-Opfer in Zeitz enthüllt – Nach 30 Jahren konnte sich Stadtrat durchsetzen

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Die Stadt Zeitz im Burgenlandkreis liegt im äußersten Süden des 1990 gegründeten Bundeslandes Sachsen-Anhalt. Sie liegt 45 Kilometer südwestlich der Großstadt Leipzig an der Weißen Elster und hatte 1984 noch 43 000 Einwohner, von denen nach dem Mauerfall von 1989 rund 15 000 nach Westdeutschland abwanderten. Von diesen Bevölkerungsverlusten waren ausnahmslos alle DDR-Städte betroffen. Es lag an der Stilllegung ganzer Betriebe und Industriezweige, die nach der Wiedervereinigung 1990 nicht mehr konkurrenzfähig waren, was zu Massenarbeitslosigkeit führte. In Zeitz wurde beispielsweise die 1946 gegründete Kinderwagenfabrik „Zekiwa“, der größte Betrieb dieser Art in Europa, geschlossen. Dass die Stadt über keine ausreichenden Steuereinnahmen mehr verfügt, kann man an zahlreichen verfallenen und leerstehenden Häusern erkennen, bei denen oft auch die Besitzverhältnisse ungeklärt sind. Im Sommer 1976 errang die zu DDR-Zeiten im Bezirk Halle liegende Stadt traurige Berühmtheit, nachdem sich Pfarrer Oskar Brüsewitz (1929-1976) aus dem Dorf Rippicha am 18. August mit Benzin übergossen und angezündet hatte.

Auch in Zeitz gab es, wie überall im SED-Staat, mutige Menschen, die dafür kämpften, dass ihnen die Menschenrechte, die ihnen laut DDR-Verfassung zustanden, nicht vorenthalten wurden. Dafür konnten sie verhaftet und zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt werden, von 1949 bis 1957 nach Artikel 6 („Boykotthetze“) der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949, seit 1958 nach dem Strafrechtsergänzungsgesetz, mit dem alle Freiheiten, die Bürgertum und Arbeiterklasse im 19./20. Jahrhundert erstritten hatten, abgeschafft wurden.

Dr. Oskar Schmidt, einer der Initiatoren der Zeitzer Veranstaltung vom 11. September, hat in seinem umfangreichen „Antrag auf Anbringung einer Gedenktafel am Zeitzer Altmarkt für die Opfer der SED-Diktatur“ (54 Seiten) vom 24. Juni 2020 eine ganze Reihe von Bürgern aus Zeitz und Umgebung aufgelistet, die durch die SED-Klassenjustiz Jahre ihres Lebens oder ihre Gesundheit verloren. Der Fall des Pfarrers Oskar Brüsewitz ist dabei nur der bekannteste.

Da wurde 1950 ein Klempnermeíster, dessen Betrieb verstaatlicht werden sollte, als „Wirtschaftsverbrecher“ für zweieinhalb Jahre ins Zuchthaus geschickt. Ein Schüler der Polytechnischen Oberschule kam wegen einer frechen Bemerkung über den SED-Führer Walter Ulbricht ein Jahr ins Gefängnis; seinem Bruder wurde, nach dem Vorbild der NS-Sippenhaft, der Lehrvertrag gekündigt. Kirchlich engagierte Jugendliche wurden jahrelang von der Staatssicherheit bedrängt, verfolgt und zur „Republikflucht“ getrieben, trotz der vom Staat zugesicherten Religionsfreiheit. Antragsteller auf Ausreise wurden, um sie zur Rücknahme ihres Antrags zu zwingen, in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Die Kinder politischer Gegner wurden den Eltern weggenommen und zur Adoption freigegeben. Alle diese Verstöße gegen Recht und Gesetz waren republikweit üblich. Die DDR-Behörden machten sich jedes Verbrechens schuldig, das man sich nur denken kann.

Die Gedenktafel für die politischen DDR-Häftlinge, die am 11. September in drei Meter Höhe auf dem Altmarkt am Gewandhaus, den früheren Volkspolizeikreisamt, angebracht wurde, keine 50 Meter vom Denkmal „Den Opfern des Faschismus“ (1950) entfernt, hat eine lange Vorgeschichte. Schon 1991, zwei Jahre nach dem Fall der Mauer in Berlin, der den DDR-Bürgern Freiheit und Demokratie brachte, wurde der Antrag auf Schaffung eines Gedenkortes in Zeitz gestellt. Damals waren die vier Jahrzehnte DDR-Geschichte mit gnadenloser Verfolgung Andersdenkender im Bewusstsein der Bevölkerung noch höchst lebendig. Aber auch die Staatspartei SED, die den Untergang ihres Staates angerichtet hatte und nun unter immer wieder neuen Namen wie PDS, Linkspartei, die Linke ihre reaktionären Geschichtspositionen durchzusetzen versuchte, mischte als „sozialistische Partei“ in der Diskussion kräftig mit. So wurde von den Genossen 2005, um die Angelegenheit zu verschleppen, die Frage gestellt, ob es überhaupt während der Besatzungszeit 1945/49 und in den vier Jahrzehnten danach irgendwelche „Opfer“ gegeben hätte. Die noch immer starke PDS im Zeitzer Stadtrat setzte durch, zunächst eine „Erforschung“ der Stadtgeschichte einzuleiten, obwohl bereits ausführliche Berichte von politisch Verfolgten in Zeitz vorlagen. Der Forschungsauftrag wurde an den PDS-Studenten Franz Hammer vergeben, der 2008 das gewünschte Ergebnis lieferte. Sein 50 Seiten umfassender Text war fast ausschließlich der Zeit vor 1945 gewidmet, die Zeit nach 1945 wurde auf einer halben Seite abgehandelt.

Auch von anderer Seite gab es über die Jahre hinweg immer wieder Versuche, die Aufklärungsarbeit über die SED-Diktatur zu stören und die Anbringung der Gedenktafel zu verhindern. Bis zuletzt stimmte ein Fünftel des Stadtrates von Zeitz dagegen, vermutlich „ehemalige SED-Mitglieder und Funktionäre“ (Oskar Schmidt). Am 3. Oktober 2015, zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung, erschien die Bild-Zeitung mit der Schlagzeile „Warum will Zeitz der Opfer der SED-Diktatur nicht gedenken?“

Das war vor sechs Jahren! Inzwischen ist, obwohl noch erhebliche Widerstände bestehen, die Gedenktafel angebracht. Man kann nur hoffen, dass in einigen Jahren die DDR-Geschichte genauso intensiv erforscht wird wie die Geschichte des „Dritten Reiches“.

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Über Jörg Bernhard Bilke 251 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.