Henri Nannens Beispiel zeigt, dass es möglich ist, sich aus schlimmen totalitären Verstrickungen zu lösen

Das Nannen Dilemma

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Henri Nannen hat sich um Deutschland verdient gemacht, genauer um die Bundesrepublik Deutschland. Und um Ostfriesland.
Mit dem von ihm gegründeten und lange geführten Magazin „stern“ gelang es Nannen, linken und anti-restaurativen Strömungen in den Neunzehnhundertfünfzigern und Neunzehnhundertsechzigern eine populäre und verständliche Stimme zu geben, und zwar eine, die nicht einer bestimmten Partei zuzuordnen war. Dadurch half er mit, dass ein Sozialdemokrat nach über zwei Jahrzehnten christdemokratischer Dominanz zum Bundeskanzler gewählt werden konnte, damals alles andere als selbstverständlich und bitter umkämpft („Brandt an die Wand“). Der noch vom Nazi-Gegner Konrad Adenauer als „der Herr Frahm“ verhöhnte Emigrant und Widerstandskämpfer wurde durch den Ex-Nazi-Propagandisten Nannen wirkungsvoll unterstützt.
Brandt und Nannen waren Protagonisten zweier gegensätzlicher Deutschlands gewesen und sassen nun in einem Boot, in diesem Fall in einem Swimmingpool, was Brandt, der solche Events nicht mochte, schwer gefallen sein mag. Doch es trug dazu bei, dass die zweite Republik nicht wie die erste fürchterlich scheiterte. Denn Herni Nannen steht für diejenigen seiner Generation, die bereit waren, sich auf die neue demokratische Ordnung einzulassen, dabei ihre Werte übernahmen und schliesslich verteidigten.
Das war nicht selbstverständlich, waren sie doch in einem Volk erzogen und geprägt worden, das seinem Führer, der Verkörperung seiner Träume, mit grosser Mehrheit bis in den Untergang gefolgt war. Anders als in den Jahren der Weimarer Republik verschlossen sich aus dem Krieg Zurückkehrende wie Nannen nicht in rechtsradikalen Zirkeln. Sie stärkten die neue demokratische Ordnung, anstatt sie wie ihre Väter 25 Jahre zuvor zu bekämpfen.
Nun haben sich zwei Redakteure Henri Nannens Arbeit als Leutnant einer Propagandakompanie genauer angeschaut (https://youtu.be/89ebHDhGdkg) und die unerträgliche antisemitische Propaganda aufgeblättert. Der neue „stern“-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz hat das als „Verdienst der NDR- Rechercheure“ zu Recht gewürdigt: https://www.stern.de/…/henri-nannen–ueber-neue….
Ihre Recherche zeigt die Wandlung, die Nannen vollzogen hat, aber sie mindert nicht sein journalistisches Wirken in der Bundesrepublik. Wie grundlegend er seine Vorstellungen veränderte, verrät die Kunst, die Nannen über all die Jahre gekauft und gesammelt hat. Die Arbeiten von Max Beckmann und Josef Scharl verarbeiten die dramatischen Brüche der Zeiten und damit auch seine eigenen. In Abwandlung von Pierre de La Gorçe lässt sich sagen: „Zeige mir, was Du sammelst und ich sage, was Du bist“. Das von ihm gegründete Museum in seiner Heimatstadt Emden gehört zu den bedeutendsten der Modernen Kunst im Nordwesten Deutschlands: https://kunsthalle-emden.de.
Das Nannen-Dilemma ist nicht singulär. In den Neunzehnhundertsiebzigern wandten sich viele Achtundsechziger – wie ich auch -, die gegen gegen die Generation ihrer Väter aufbegehrt hatten, totalitären Organisationen und Ideen zu. Sie duldeten oder rechtfertigten sowjetische Unterdrückung, den Völkermord durch die roten Khmer oder die schreckliche Kulturrevolution in China. Sie taten es – anders als die Eltern im Dritten Reich – aus freiem Willen.
Aber viele von ihnen wandten sich ab und übernahmen Verantwortung in der demokratischen Ordnung, die sei ursprünglich hatten ablösen wollen. Joschka Fischer, einst ein rabiater Militanter in der Gruppe „Revolutionärer Kampf“ prägte deutsche Aussenpolitik und legte die Grundlagen für den heute dominierenden politischen Kurs der Grünen. Wenn die aktuellen Maßstäbe weiter gelten, wird später keine Strasse nach ihm benannt werden.
Die Stärke der Demokratie erweist sich in ihrer Integrationskraft. Nannens Beispiel zeigt, dass es möglich ist, sich aus schlimmen totalitären Verstrickungen zu lösen. Das ist höchst aktuell in Zeiten, in denen in Europa und weltweit autoritäre Regime an Kraft gewinnen und es darauf ankommen wird, ihren Zulauf zu bremsen.
Quelle: Facebook

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