Mobilfunkgeneration 5G in Europa: Das Strahlen-Kartell

Bei der Einführung von 5G durch Mobilfunkindustrie und Politik ersetzt Lobbyismus die Aufklärung

Mobilfunk. Bild von Ria Sopala auf Pixabay.

Deutschland soll Weltspitze bei der digitalen Infrastruktur und Leitmarkt für die neue Mobilfunkgeneration 5G in Europa werden. Mit dieser Technologie soll die Entwicklung innovativer Dienste und Anwendungen — Industrie 4.0, autonomes Fahren, Internet der Dinge — gefördert werden. Die ersten Frequenzlizenzen, die für den 5G-Betrieb erforderlich sind, wurden im Juni 2019 versteigert. Sie brachten dem Staat Einnahmen von rund 6,6 Milliarden Euro. Inzwischen ist 5G in Deutschland verfügbar, zunächst allerdings nicht bundesweit, sondern nur in einigen ausgesuchten Städten. Wenn es nach dem Willen von Politik und Mobilfunkindustrie geht, soll 5G noch 2020 weitflächig den Betrieb aufnehmen. Wie bereits bei den vorausgegangenen Mobilfunkgenerationen erfolgt auch die Einführung von 5G wieder ohne jede Risikoanalyse. Dies ist der Grund, warum Teile der Bevölkerung — wie ich meine zu Recht — mit Kritik auf dieses Vorgehen reagieren (1). 

Die Auslegung wissenschaftlicher Studien ist extrem kontrovers

Wie die Mobilfunkindustrie den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung beurteilt, dazu äußerte sich der Geschäftsführer von Telefónica Deutschland am 25. Februar 2020 im Tagesspiegel wie folgt:

„Uns beunruhigt diese Diskussion sehr, weil sie faktenfrei ist. Es gibt keinerlei wissenschaftlich fundierte Studien, die auch nur irgendeine Gesundheitsgefährdung sehen. Ich muss mich sehr wundern, wenn seriöse Organisationen [eingefügt vom Verfasser: gemeint ist der BUND] auf eine populistische Diskussion aufspringen. Das ist nicht gut für Deutschland oder Europa.“

Kaum weniger undifferenziert urteilt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das in Deutschland für den Schutz der Bevölkerung vor Strahlen jeder Art zuständig ist. Auch das BfS hat gegen den 5G-Ausbau, dem wie den vorausgehenden Mobilfunkgenerationen ebenfalls eine nicht-ionisierende Strahlung zugrunde liegt, so gut wie keine gesundheitlichen Bedenken (2): 

„Das BfS stützt sich bei der Risikobewertung auf die Gesamtheit der vorliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen (unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Qualität der jeweiligen Studien). In der Zusammenschau der wissenschaftlichen Forschung liefert die Auswertung der heute insgesamt vorliegenden Daten aus Sicht des BfS keine wissenschaftlich nachvollziehbaren Belege für nachteilige Gesundheitswirkungen bei Expositionen unterhalb der von der EU empfohlenen Grenzwerte. Dies schließt mögliche kanzerogene (krebsartige) oder nachteilige Wirkungen auf die männliche Fruchtbarkeit ein. Es besteht deswegen kein Grund, den 5G-Ausbau wegen gesundheitlicher Bedenken einzuschränken.“

Diese Aussage steht in krassem Gegensatz zu den in peer-reviewten Fachzeitschriften erschienenen Arbeiten von mehr als 240 Wissenschaftlern, die sich auf der Grundlage ihrer teils alarmierenden Forschungsergebnisse mit einem gemeinsamen Appell an UNO und WHO gewandt haben, um vor der überhasteten Einführung von 5G zu warnen (3):

„Zahlreiche kürzlich erschienene wissenschaftliche Publikationen haben gezeigt, dass EMF lebende Organismen weit unterhalb der meisten international und national geltenden Grenzwerte schädigen. Die Wirkungen umfassen ein erhöhtes Krebsrisiko, zellulären Stress, einen Anstieg gesundheitsschädlicher freier Radikale, genetische Schäden, Änderungen von Strukturen und Funktionen im Reproduktionssystem, Defizite beim Lernen und Erinnern, neurologische Störungen und negative Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden der Menschen. Die Schädigung reicht weit über die Menschheit hinaus, zumal die Hinweise für negative Auswirkungen auf die Pflanzen- und Tierwelt zunehmen.“

Ein Beitrag von Joel M. Moskowitz, Direktor des Center for Family and Community Health an der Universität von Kalifornien in Berkeley, erschienen in der Zeitschrift Scientific American vom 17. Oktober 2019, verdeutlicht diese diskrepante Beurteilung (4). Einleitend erklärt er, dass er sich verpflichtet fühle, die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die gesundheitsschädlichen Wirkungen der drahtlosen Kommunikation der interessierten Öffentlichkeit mitzuteilen, weil ein Großteil der Forschung, auf die er sich berufe, mit öffentlichen Geldern durchgeführt worden sei. Dann begründet er, warum auch die neue 5G-Technologie genauso wie die Vorgängergenerationen mit gesundheitlichen Risiken einhergehen könnte. Hier einige Auszüge:

„Da 5G eine neue Technologie ist, gibt es keine Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen; wir ‚fliegen blind‘, um einen US-Senator zu zitieren. Wie auch immer, wir haben beträchtliche Belege für die schädlichen Auswirkungen von 2G und 3G […]. Inzwischen sehen wir Zunahmen bei bestimmten Arten von Kopf- und Nackentumoren in Krebsregistern, welche zumindest teilweise der Verbreitung der Mobilfunkstrahlung zugeordnet werden können. Diese Zunahmen entsprechen den Fall-Kontroll-Studien hinsichtlich des Tumorrisikos von intensiven Handynutzern.

Millimeterwellen werden zumeist innerhalb weniger Millimeter der menschlichen Haut und von der obersten Hornhautschicht des Auges absorbiert. Eine kurzzeitige Exposition kann schädliche physiologische Auswirkungen auf das periphere Nervensystem, das Immunsystem und das kardiovaskuläre System haben. Die Forschung deutet darauf hin, dass eine langfristige Exposition ein Gesundheitsrisiko für die Haut (z. B. Melanom), für die Augen (z. B. okuläres Melanom) und die Hoden (z. B. Sterilität) darstellt.

5G wird nicht 4G ersetzen; es wird 4G in naher Zukunft begleiten und dies möglicherweise für lange Zeit. Falls es synergistische Auswirkungen der simultanen Exposition gegenüber mehreren Arten von HF-EMF [Hochfrequenz-EMF] gibt, könnte unser Gesamtrisiko einer Schädigung durch HF-EMF beträchtlich zunehmen. Krebs ist nicht das einzige Risiko, denn es gibt starke Beweise, dass HF-EMF neurologische Störungen und eine Schädigung der Fortpflanzung verursachen, wahrscheinlich wegen des oxidativen Stresses.

Basierend auf der bis 2011 veröffentlichten Forschung, einschließlich Studien an Menschen und Tieren sowie mechanistischer Daten, hat die IARC [Internationale Agentur für Krebsforschung] kürzlich HF-EMF den Vorrang eingeräumt für eine Wiederholung der Begutachtung von 2011 in den nächsten fünf Jahren. Da inzwischen viele EMF-Wissenschaftler der Meinung sind, dass wir genügend Beweise haben, um HF-EMF entweder als einen wahrscheinlichen oder gar anerkannten Krebsverursacher zu betrachten, wird die IARC wohl in naher Zukunft das krebserregende Potential von HF-EMF höher als 2011 einstufen.“

Diese offensichtliche Diskrepanz in der Beurteilung der Schädlichkeit der Mobilfunkstrahlung stellt die Öffentlichkeit vor die Frage, auf wessen wissenschaftliche Kompetenz sie nun mehr vertrauen soll, auf die der Mobilfunkindustrie, auf die des BfS oder auf die der unabhängigen Wissenschaft. An der Mobilfunkindustrie, die die laufende Diskussion als faktenfrei erklärt hat, sind offensichtlich mehr als 70 Jahre wissenschaftlicher Forschung spurlos vorbeigegangen. Das BfS, das sich bei der Bewertung des gegenwärtigen Standes der Forschung angeblich auf die gesamte vorhandene wissenschaftliche Literatur stützt, geht davon aus, dass durch 5G nachteilige gesundheitliche Wirkungen nicht zu erwarten sind, weil die bestehenden Grenzwerte den Schutz der Bevölkerung sicherstellen. Damit steht die Beurteilung des BfS, dessen der Politik verpflichteten Wissenschaftler ihre Forschung vom Schreibtisch aus betreiben, in einem krassen Gegensatz zu den Erkenntnissen von über 240 Wissenschaftlern, die ihre Forschungsergebnisse in mehr als 2000 Artikeln in Fachzeitschriften veröffentlicht haben.

Für die kontroverse Ausgangslage sind die Lobbyisten der Mobilfunkindustrie verantwortlich

Der internationalen Mobilfunkindustrie ist im Verlauf von Jahrzehnten gelungen, wovon andere Industrien nur träumen können. Sie hat erreicht, dass die nationalen und internationalen Beratungs- und Entscheidungsgremien der Politik von Männern und Frauen mit der richtigen, das heißt der von ihr vertretenen und damit vorgegeben Meinung dominiert werden. Unbeeindruckt vom tatsächlichen Stand der Forschung beharren sie darauf, dass bei Einhaltung der Grenzwerte die Bevölkerung vor der Mobilfunkstrahlung zuverlässig geschützt ist. Dass ein Großteil der neueren wissenschaftlichen Forschung dieser Vorstellung entschieden widerspricht, wird von ihnen — wie es aussieht — einfach ignoriert. Lobbyismus dieser Art, der bereits den Tatbestand der institutionellen Korruption erfüllt, ist dann nicht weit entfernt von kriminellen Praktiken. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn wissenschaftliche Forschungsergebnisse durch Verleumdung gezielt entwertet werden. Damit wird vorsorglich ausgeschlossen, dass sie bei politischen Entscheidungen, wie zum Beispiel dem Festlegen von Vorsorgemaßnahmen, berücksichtigt werden müssen (5). 

Lobbyismus ist auch das Mittel, mit dem die Mobilfunkindustrie um das Vertrauen sowohl der Politik als auch der Öffentlichkeit wirbt. Die Medien, denen ein Anteil am Werbeetat dieser Multimilliarden-Industrie wichtiger als der Wahrheitsgehalt ihrer Texte ist, sind — wie es aussieht — gerne bereit, die ihnen zugedachte Rolle zu übernehmen. Die Schlussfolgerung: Ethisch-moralisches Versagen, bei der Mobilfunkindustrie, weil sie handelt, wie sie handelt, und bei der Politik, weil sie dies nicht nur duldet, sondern sogar noch fördert. 

Der Faktencheck der Stiftung Warentest

Die Stiftung Warentest hat zur Frage, wie riskant die Handystrahlung ist, im September-Heft 2019 einen Artikel publiziert, den sie als Faktencheck bezeichnet. Wie sie zu ihren Erkenntnissen gekommen ist, erklärt sie folgendermaßen (6): 

„Was ist dran an den Bedenken zu 5G — und allgemein zu Handystrahlung? Dieser Frage ist die Stiftung Warentest als unabhängige Verbraucherorganisation nachgegangen. Wir ließen Aussagekraft und methodische Qualität der neuen Tierstudien von Toxikologen begutachten. Außerdem haben wir insgesamt die Studienlage zu Mobilfunk und Gesundheit gesichtet. Dann erörterten wir unsere Fragen und Einschätzungen mit einer Expertenrunde. Daran nahmen Wissenschaftler und Ärzte teil — auch kritische — sowie Behördenvertreter. Hauptthemen waren die Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung 1. auf die Krebsentstehung in Tierversuchen, 2. auf die Krebsentstehung bei Langzeitnutzern von Handys, 3. auf die männliche Fruchtbarkeit und 4. der Zusammenhang zwischen der Mobilfunkstrahlung und der Elektrosensibilität.“

Zum Schluss fasst die Stiftung Warentest das Fazit ihrer Recherche in einem einzigen Satz zusammen: Die Forschungserkenntnisse liefern kaum einen Grund zur Sorge. 

Der Faktencheck, aus wissenschaftlicher Sicht an Einseitigkeit, Voreingenommenheit und Fehlbeurteilungen kaum zu überbieten, wird von den Medien ohne eigene Prüfung übernommen und deutschlandweit verbreitet. 

Als Erstes stellt sich natürlich die Frage, ob das Thema, über das in der Wissenschaft seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kontrovers diskutiert wird, Kompetenz und Urteilsvermögen der Stiftung Warentest möglicherweise nicht doch überfordert hat. Ihre Erfahrung beruht üblicherweise auf der Bewertung von Alltagsgebrauchsgegenständen für den Haushalt und Dienstleistungen unterschiedlicher Art innerhalb der Gesellschaft. 

Die Behauptung der Stiftung Warentest, sie arbeite unabhängig von Herstellerinteressen, neutral, objektiv und ergebnisoffen, ist schließlich kein Beleg für Kompetenz in der Wissenschaft, der Hinweis, dass man aus Tausenden von Studien mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen gebündelt Bilanz gezogen und sich dabei vor allem auf möglichst aktuelle Meta-Analysen gestützt habe, spricht eher gegen diese Kompetenz. Was bleibt, ist der Eindruck, dass das im Faktencheck behandelte Thema für die Stiftung Warentest einfach einige Nummern zu groß gewesen ist.

Von einem Teil der Leser wird der Faktencheck deshalb auch gar nicht im von der Stiftung Warentest gewünschten Sinn verstanden, nämlich als ehrlicher Versuch, der Öffentlichkeit vor dem Neuen, was da mit 5G auf sie zukommen könnte, die Angst zu nehmen. Sie sehen im Faktencheck eher einen frechen Werbecoup der Mobilfunkindustrie, die sich der Stiftung Warentest bedient hat, um im Vorfeld der Einführung von 5G unter der verunsicherten Bevölkerung für Beruhigung zu sorgen. 

Die Stiftung Warentest genießt in Deutschland in weiten Teilen der Bevölkerung großes Ansehen. Deshalb dürfte es in Deutschland kaum eine andere Organisation geben, die sich aus Sicht der Mobilfunkindustrie besser für eine Werbekampagne in ihrem Sinn geeignet hätte. Warum sich die Stiftung Warentest auf ein solches Abenteuer eingelassen hat, bleibt allerdings ihr Geheimnis. 

Bewusst oder unbewusst hat sie sich als angeblich unabhängige Verbraucherorganisation damit dem Verdacht ausgesetzt, dass sie Mobilfunkindustrie und Politik einen Gefallen erweisen wollte. Ohne ausreichendes eigenes Wissen über den tatsächlichen Stand der Mobilfunkforschung hat sie das Risiko auf sich genommen, die Öffentlichkeit bei einem Thema von großer gesellschaftspolitischer Brisanz einseitig und damit falsch zu informieren. Dafür, dass dies tatsächlich so ist, spricht Folgendes:

  • Der Faktencheck der Stiftung Warentest ist mit wenigen Ausnahmen inhaltsgleich mit den Vorstellungen der Mobilfunkindustrie und der von ihr kontrollierten staatlichen Beratungs- und Entscheidungsgremien.
  • Die von der Stiftung Warentest bei der Vorbereitung des Faktenchecks verwendete wissenschaftliche Literatur ist nicht nur selektiv, sie wird darüber hinaus auch noch falsch gedeutet.
  • Der Stiftung Warentest ist entgangen, dass Meta-Analysen nicht selten dazu benutzt werden, um Publikationen mit positiven Ergebnissen durch Vermischung mit Publikationen mit negativen Ergebnissen zu neutralisieren. Auch auf diesen Trick ist sie hereingefallen.
  • Das geheim gehaltene Gutachten der Toxikologen, die sich im Auftrag der Stiftung Warentest mit der Aussagekraft und der methodischen Qualität der neuen Tierstudien, insbesondere der NTP-Studie, befasst haben, steht im Widerspruch zu den Fakten (7,8). Dass die Namen der Gutachter nicht genannt werden, macht das Gutachten bedeutungslos.
  • Die Expertenrunde setzte sich offensichtlich mehrheitlich aus Mitgliedern der staatlichen Beratungs- und Entscheidungsgremien zusammen, deren Vorstellung von der Harmlosigkeit der Hochfrequenzstrahlung das Handeln von Politik und Mobilfunkindustrie bestimmt. Auch dafür kann die Geheimhaltung der Namen der Teilnehmer als Beleg angesehen werden. 
  • Die kritischen Forscher waren in der Expertenrunde als Minderheit wohl nur zum Schein eingeladen worden. Dafür spricht, dass kein einziger ihrer Diskussionsbeiträge im Faktencheck berücksichtigt wird. Zweifel, dass es sich beim Faktencheck um ein Täuschungsmanöver handelt, kann es damit kaum noch geben.

Der YouTube-Werbeauftritt eines Lobbyisten der Mobilfunkindustrie

In besonders schwierigen Situationen bedient sich die Mobilfunkindustrie zur Durchsetzung ihrer Interessen gerne des Alexander Lerchl, Professor für Biologie und Ethik an der privaten Jacobs University Bremen. Seine rechtskräftige Verurteilung als notorischer Verleumder und der Vorwurf der eidesstattlichen Falschaussage ist für sie offensichtlich nicht Anlass genug, aus Gründen der Selbstachtung auf eine Zusammenarbeit mit ihm zu verzichten (9). Im Gegenteil! In den zurückliegenden 20 Jahren hat er sich aus Sicht der Mobilfunkindustrie mehrmals große Verdienste erworben. 

Im Rahmen des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms hat er sich dadurch ausgezeichnet, dass er durch verfehlte Planung, verfehlte Durchführung und verfehlte Auswertung der ihm übertragenen Forschungsvorhaben jeweils das erwünschte Nullergebnis erzielte. Dies mag wohl auch der Grund gewesen sein, warum ihm das BfS vor kurzem die Leitung eines neuen Forschungsvorhabens übertragen hat. In diesem Forschungsvorhaben sollen die Wirkungen der 5G-Strahlung auf menschliche Zellen untersucht werden. Dafür werden ihm 1,1 Millionen Euro aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt (10). Seine weiteren Verdienste bestehen darin, dass er, wenn auch mit wechselndem Erfolg, seit Jahren immer wieder neue Versuche unternommen hat, der Mobilfunkindustrie missfällige Forschungsergebnisse unter anderem mit der Behauptung aus der Welt zu schaffen, dass diese gefälscht seien (5, 9). 

Gegenwärtig wird dieser Mann — wie es aussieht — besonders dringend benötigt, um die Öffentlichkeit auf die bevorstehende Einführung der 5G-Technologie im Sinne der Mobilfunkindustrie vorzubereiten. Dazu reist er durch die Welt und beteuert seinen Zuhörern, dass aus wissenschaftlicher Sicht hinsichtlich möglicher gesundheitsschädlicher Wirkungen bei der Mobilfunkstrahlung keinerlei Grund zur Besorgnis besteht. 

Die YouTube-Aufzeichnung eines Vortrags, die entlarvender Weise vom Forum Mobilkommunikation (FMK), der PR-Vertretung der österreichischen Mobilfunkindustrie, ins Netz gestellt wurde, zeigt Alexander Lerchl auf seiner Mission (11). Frei nach seinem Motto, dass der Mensch der Lüge verhaftet ist, leitet er seinen Vortrag mit der Feststellung ein, dass er keinerlei Interessenskonflikte habe, da er weder wirtschaftlich noch inhaltlich mit den Mobilfunkanbietern verbunden sei. So wenig unglaubwürdig wie diese persönliche Einführung ist auch der Vortrag selbst. Drei seiner Versuche zur Irreführung der Zuhörer mögen dies verdeutlichen: 

Alexander Lerchls erste Irreführung besteht darin, dass er den Photoeffekt, für dessen Aufklärung Albert Einstein 1921 den Nobelpreis erhalten hat, erklärt und die Ergebnisse für seine Zwecke missbraucht. Vom sichtbaren Licht besitzen nur die Photonen der höheren Frequenzen genügend Energie, um aus einer Metallplatte Elektronen und damit Strom freizusetzen. Daraus ergibt sich, dass die niederfrequentere und damit energieärmere Mobilfunkstrahlung, die dazu nicht in der Lage ist, eigentlich noch harmloser als sichtbares Licht sein muss. Dies ist für ihn der Beweis dafür, dass die Mobilfunkstrahlung, wie sichtbares Licht eine nicht-ionisierende Strahlung, unmöglich Krebs auslösen kann. 

Von den Zuhörern wird kaum jemand wissen, dass die durch die Mobilfunkstrahlung verursachten und vielfach nachgewiesenen Genschäden, die am Anfang der Krebsentstehung stehen, mittels eines Mechanismus zustande kommen, bei dem so wenig Energie benötigt wird, dass sogar die Energie der Mobilfunkstrahlung dafür ausreicht. 

Der menschliche Organismus hat mit einer Metallplatte schließlich nichts gemein. Im Gegensatz zu einem toten Körper verständigen sich in einem lebendigen Organismus Zellen, Gewebe und Organe über chemische Botenstoffe und über elektrische Signale. Bei den elektrischen Signalen, die nur ein Minimum an Energie benötigen, scheint die Mobilfunkstrahlung anzusetzen. 

Alexander Lerchls zweite Irreführung besteht in dem Versuch, die 2011 erfolgte Einstufung elektromagnetischer Felder durch die IARC unter 2B als „möglicherweise krebserzeugend“ ins Lächerliche zu ziehen — nämlich mit dem Vergleich, dass bestimmte eingelegte Gemüsearten in dieselbe Gruppe gehören und dass bis 2016 sogar Kaffeetrinken dazu zählte. Zu gerne hätte er 2011 versucht, die IARC-Einordnung als „möglicherweise krebserzeugend“ zu verhindern. Die Teilnahme an der Beratung wurde ihm jedoch wegen der Einseitigkeit seiner Argumente, seiner Nähe zur Mobilfunkindustrie und aufgrund von Zweifeln an seiner fachlichen Qualifikation verweigert. 

In seinem Vortrag behauptet Lerchl auch, dass die Einstufung nur für die von Mobiltelefonen ausgehende Strahlung gilt, aber nicht für die von Masten. Eine solche Trennung hat die IARC gar nicht vorgenommen, sie wäre schon deshalb unsinnig gewesen, weil es für krebserzeugende Agentien schon aus theoretischen Gründen keine untere Grenze gibt, bei der jede Wirkung zuverlässig ausgeschlossen werden kann. Bleibt abzuwarten, was geschehen wird, wenn in absehbarer Zeit aufgrund der Ergebnisse der neuen NTP-Studie (8) die IARC das krebserzeugende Potential von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf „wahrscheinlich krebserzeugend“ (2A) oder gar auf „krebserzeugend beim Menschen“ (I) hochstufen wird.

Alexander Lerchls dritte Irreführung besteht in dem Versuch, die Ergebnisse der inzwischen weltweit bekannten amerikanischen NTP-Studie als unglaubwürdig darzustellen (8) — ein Vorgehen, bei dem er auf seine beträchtliche Erfahrung als Verleumder zurückgreifen konnte (5). In dieser Studie wurde bei männlichen Ratten, die zwei Jahre lang der Mobilfunkstrahlung ausgesetzt waren, ein signifikanter Anstieg von Tumoren in Herz und Hirn festgestellt. Dass Hirntumore aufgetreten sind, unterschlägt Alexander Lerchl in seinem Vortrag. Dafür behauptet er, dass die bestrahlten Ratten wesentlich länger lebten als die nicht-bestrahlten Kontrolltiere — so als ob er seinen Zuhörern sagen wollte, dass die Mobilfunkstrahlung Leben verlängert. Auch diese Behauptung ist wahrheitswidrig. Es gab keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Überlebensrate zwischen den männlichen Kontrollratten und den Strahlen-exponierten männlichen Ratten mit dem höchsten Vorkommen an Hirn- und Herztumoren. Bei keinem einzigen Kontrolltier wurden Gliazellhyperplasien, das heißt die Vorstufen von Hirntumoren, oder Herztumore festgestellt, während bei den bestrahlten Ratten Gliazellhyperplasien bereits in der 58. Woche und Tumore im Herz bereits in der 70. Woche nachzuweisen waren (8).

Schlussfolgerung

Die Geschichte lehrt, dass es zu jeder Zeit genügend Menschen gegeben hat, die bereit waren, Moral und Ethik über Bord zu werfen, wenn es für ihre Karriere opportun erschien. Die jeweils Mächtigen der Zeit sind es gewohnt, diese charakterlichen Defizite Einzelner für ihre Zwecke zu nutzen. 

Donald Trump, dem Präsidenten der USA, wird trotz serienmäßigen Lügens und verfassungswidrigen Verhaltens die Amtsenthebung erspart, weil seine republikanischen Senatoren befürchten, die eigene Wiederwahl zu gefährden, wenn sie durchsetzten, was Recht und Ordnung forderten. Die Mobilfunkindustrie, die an der Erhaltung der geltenden Grenzwerte möglichst auf Dauer interessiert ist, kann sich ebenfalls auf ihre Lobbyisten in den Beratungs- und Entscheidungsgremien der Politik verlassen, die unerklärter, aber zweifellos vorhandener Vorteile wegen gerne darauf verzichten zu tun, was rein wissenschaftliches Handeln geböte. 

Statt für den Schutz der Bevölkerung vor den gesundheitlichen Risiken der Mobilfunkstrahlung einzutreten, bleiben sie bei der längst widerlegten Behauptung, dass die Grenzwerte der ihnen zugedachten Funktion in vollem Umfang gerecht würden. Eigener Vorteile wegen schlagen sie sich damit auf die Seite der Interessensgemeinschaft aus Mobilfunkbetreibern und Politik, das weitgehend gesicherte Vorkommen gesundheitlicher Risiken für die Allgemeinheit nehmen sie billigend in Kauf. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass die dringend erforderliche Korrektur dieses Ungleichgewichts von Nutzen und Schaden je auf freiwilliger Basis erfolgen wird, sie muss wohl oder übel von den Benachteiligten erzwungen werden.

Unabdingbare Voraussetzung für eine Änderung des Ungleichgewichts ist die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Machenschaften der Mobilfunkbetreiber und ihrer Helfer aus Politik und Wissenschaft. Der Öffentlichkeit muss zur Kenntnis gebracht werden, 1. dass der Mechanismus, auf dem die vielen durch die Mobilfunkstrahlung verursachten gesundheitlichen Störungen beruhen, wohl nur deshalb nicht befriedigend geklärt ist, weil nicht ernsthaft danach gesucht wurde, 2. dass dieser Mangel an Wissen zu Unrecht benutzt wird, um das Vorkommen gesundheitsschädlicher Wirkungen der Mobilfunkstrahlung immer noch in Frage zu stellen und 3. dass durch Aufdeckung des Mechanismus, der den gesundheitlichen Störungen zugrunde liegt, der endgültige Beweis für die Bedeutungslosigkeit der heutigen Grenzwerte erbracht würde. Mit dieser Art von Forschung könnte Zweierlei durchgesetzt werden, in einem ersten Schritt, dass die viel zu hohen physikalischen Grenzwerte soweit wie technisch möglich abgesenkt werden und in einem zweiten Schritt, dass die physikalischen Grenzwerte eines Tages durch biologische Grenzwerte ersetzt werden. Erst wenn dieses geschehen ist, kann von einem wirksamen Schutz der Allgemeinheit vor der Mobilfunkstrahlung ausgegangen werden. 

Voraussetzung für die Änderung der Gesetzeslage zu Gunsten der Betroffenen ist, dass der Anteil der Bevölkerung, der sich eine derartig abfällige Behandlung von Mobilfunkindustrie und Politik nicht länger bieten lassen will, deutlich ansteigt. Die erfahrungsgemäß wankelmütige Politik wird erst dann zum Umdenken bereit sein, wenn sie — wie bei der Dieselabgasaffäre — erkennt, dass beim weiteren Beharren auf dem Status quo der Machtverlust droht.

Stiftung-Pandora.eu


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.5g-anbieter.info/interviews/18/diagnose-funk.html
(2) https://www.5g-anbieter.info/interviews/19/bundesamt-strahlenschutz.html
(3) https://emfscientist.org/index.php/emf-scientist-appeal
(4) https://blogs.scientificamerican.com/observations/we-have-no-reason-to-believe-5g-is-safe/
(5) https://www.rubikon.news/artikel/auf-einer-wellenlange
(6) https://www.test.de/Mobilfunk-Wie-riskant-ist-Handystrahlung-Ein-Faktencheck-5509718-0/
(7) https://www.rubikon.news/artikel/postfaktischer-faktencheck
(8) Environ Res. 2019 Jan;168:1-6. doi: 10.1016/j.envres.2018.09.010. Epub 2018 Sep 20
(9)  https://stiftung-pandora.eu/wp-content/uploads/2018/01/2017-02-23_Pandora_Lerchl-Bankrott.pdf
(10)  https://twitter.com/jacobs_bremen/status/1199345626946789378
(11)  https://www.youtube.com/watch?v=8N2jc-vItlM

Finanzen

Über Franz Adlkofer 3 Artikel
Prof. Dr. med. Franz Adlkofer, Jahrgang 1935, ist Mediziner, Facharzt für Innere Krankheiten, und Hochschullehrer. Er promovierte 1967 an der LMU München und arbeitete bis 1969 als wissenschaftlicher Assistent am MPI für Biochemie in München, bis 1976 an der Freien Universität Berlin, dort folgte die Habilitation. Von 1976 bis 1995 leitete Adlkofer die wissenschaftliche Abteilung im Verband der Cigarettenindustrie in Hamburg und Bonn, seit 1980 ist er außerplanmäßiger Professor. Von 1995 bis 2011 war Adlkofer Geschäftsführer und Mitglied des Stiftungsrates von VerUm – Stiftung für Verhalten und Umwelt in München, seit 2010 ist er Geschäftsführer und Vorsitzender des Stiftungsrates von Pandora – Stiftung für unabhängige Forschung.