Nicht hinschauen, nur hinhören! – Richard Jones` alter Münchner „Lohengrin“ bewährt sich nur musikalisch, da aber voll

Das soll er sein? Der „gottgesandte Mann“? Der Ritter, den Elsa zur Verteidigung ihrer Unschuld vor des Königs Gericht bestellt hat? Wo, bitte, glänzt sein Waffenschmuck? Wo die goldene Kette, an der ihn ein Schwan in einem Nachen an Land gezogen hätte? Wo bleibt das Wunder, von dem der Chor voll Erstaunen und Erschauern himmlisch-hymnisch (unter Sören Eckhoff) singen darf? Ach, wie groß ist die Enttäuschung! Das Publikum lässt sie sich nicht anmerken. Sitzt gebannt. Wartet gespannt – vielleicht kommt` ja noch, das „Lohengrin“-Mirakel, über welches der geniale Richard Wagner eine seiner ergreifendsten Opern schrieb? Was vor sieben Jahren der Brite Richard Jones mit seinem Ausstatter Ultz unter Kent Naganos musikalischer Obhut der Bayerischen Staatsoper bescherte, lässt mit seinem an Kompatibilität armen Regiekonzept nichts als Ratlosigkeit beim Zuschauer zurück. Er fühlt sich, gelinde gesagt, „verarscht“. Häuslebauen in einer Allgäuer (?) Gebirgsgegend – das kann`s doch nicht sein, was da, als Sagenstoff aus dem mittelalterlichen Gralkreis, 1848 so herrlich vertont wurde und das Problem des bedingungslos-zweifelsfreien Glaubens an eine höhere Macht abhandelt. Es grenzt an Unverschämtheit, mit der Jones dem Wagner`schen Sujet beikam. Da stimmt nun absolut nichts mehr zusammen – die Musik verlässt, sich selbständig machend, den Textgrund, auf den sie sich aber, Ton für Ton, beruft. Wovon gesungen (und gehandelt) wird – das bleibt unabgebildet. Wenn Elsa gerufen werden soll, ist sie längst da. Wenn Lohengrin von einem Horn singt, malt er es nur in die Luft. Brabanter kommen als Baugehilfen daher, König Heinrich als schmucker, sagen wir, Brauereibesitzer.
Und der Held? „Wie ist er schön und hehr zu schauen, den solch ein Wunder trug ans Land!“, entfährt es im 1. Akt dem Chor, den darob „süßes Grauen“ erfasst haben sollte. Burkhard Fritz (s. Foto, aufgenommen nach seinem 2. Münchner „Lohengrin“ am 31. 3. 16) kann da nicht dienen, was von ihm verlangt wird. Er steckt in Arbeitskleidung, ist klein und rundlich und – nun ja, ein lieber Kerl. Doch alles andere als ein Ritter von Gottes Gnaden, Parsifals Sohn. Den hätte der ursprünglich vorgesehene Klaus Florian Vogt ohne weiteres verkörpert. Fritz ist, von Gestalt und Gebaren, kein Lohengrin, auch wenn er die Partie beachtlich, teilweise sogar anrührend sang. Auch wenn er als solcher 9-mal in Kopenhagen auftrat und bald 3-mal in Wien gastiert.
Überhaupt: Was die Sänger, sowohl einzeln als auch im Chorverband, was das Bayerische Staatsorchester unter dem bedächtigen, jederzeit hochpräsenten, glutvoll-kühlen Lothar Koenigs leisteten, ist so großartig wie es, vielleicht, über die miserable, bescheuerte, Ratlosigkeit bis Unmut erzeugende Regie hinwegsehen lässt. Leitmotiv: „Nicht hinschauen, nur hinhören!“ Eine „Meditation über das Scheitern“ wollte Jones uns abverlangen, so steht`s vorn auf dem rein weißen (Elsas Unschuld!) Programmbuch und ist, seltsam genug, mit dicker Feder durchgestrichen. Also doch keine Meditation??
Gescheitert ist jedenfalls kein Musiker (hinreißend die Bläser, nicht nur die vier in der Loge sichtbaren Posaunisten, berückend die Streicher schon im verglimmenden Vorspiel). Gescheitert ist auch kein Solist. Mag auch Edith Hallers Elsa, zu oft zum Niedersetzen gezwungen, zu wenig einprägsam gewesen sein und mit zwei grellen Spitzentönen ihren lyrischen Grund verlassen haben. Dafür hat ihr Petra Lang als bissig-heimtückisches Luder Ortrud gehörig zugesetzt – und dem Publikum ob ihrer geballten Kehlen-Seherschaft die Hölle heiß gemacht. Dem verzweifelt mit dem Suizid-Revolver spielenden Gatten Friedrich lieh Thomas J. Mayer seinen machtvollen Bösewichts-Bariton. Keinen Kompetenteren als den bassgewaltigen Günther Groissböck kann man sich wohl derzeit als König Heinrich vorstellen. Der Oberösterreicher beglückt die Opernfestspielbesucher im Juli mit seinem ersten Münchner „Ochs“. Und weil Martin Gantner grad für den Festspiel-Beckmesser probt, durfte er – mit vollem Einverständnis des Publikums – schon mal Markus Eiche als Heerrufer ersetzen.
Warum dieser Heerrufer aber auf einer Art Kinderstuhl für Große hocken und seine Botschaft auf die Gläser einer Art Brille für alle projizieren lassen muss – das bleibt, wie alles Gesehene, Geheimnis des Häuslebauer-Regisseurs und seiner Helfershelfer. Wie lange werden sie denn noch ihr Unwesen treiben dürfen?

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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