Josef-Pieper-Preis an amerikanischen Bischof Robert Barron verliehen

Über das Ende der Zeit: Eine geschichtsphilosophische Betrachtung, Josef Pieper, Verlag: Topos, Verlagsgem., 2014

Alle fünf Jahre wird der Josef-Pieper-Preis verliehen. Gewürdigt werden Veröffentlichungen und Arbeiten, die das christliche Menschenbild würdigen. Seit 2004 verleiht die Josef-Pieper-Stiftung den Preis zu Ehren ihres Namensgebers, des christlichen Philosophen Josef Pieper. Den Preis erhielten bislang die Philosophen Charles Taylor, Remi Braque und die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. 2014 wurde der Literaturwissenschaftler, Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski ausgezeichnet. In diesem Jahr bekam ihn der amerikanische Bischof Robert Barron verliehen, weil er, so die Begründung, die Botschaft des Christentums in den modernen Medien auf besondere Art und Weise verkünde. Ein Grund für uns, den christlichen Denker vorzustellen. 

Der in Münster geborene Josef Pieper (1904 – 1997), dessen philosophische und theologische Reflexionen von einer außergewöhnlichen Tiefe und Klarheit zeugen, zählt zu den herausragendsten Intellektuellen der katholischen Philosophie. Sein Denken ist geprägt von einer substantiellen Auseinandersetzung mit den großen Fragen der Existenz, der Wahrheit und der Freiheit. Pieper war ein Philosoph, der die klassische Tradition der westlichen Metaphysik in die Moderne hinein trug und sie mit einem beispiellosen Sinn für Tiefe und Differenzierung neu beleuchtete.

Sein Werk wird so zu einer Synthese aus Philosophie und Theologie, die es vermag, die existentiellen Fragen des Menschen auf eine Weise zu durchdringen. Eine Sythese, die sowohl rational überzeugend als auch von einer spirituellen Tiefe durchzogen ist. Dabei reflektiert Pieper über die Philosophie nicht nur als akademische Disziplin, sondern als den entscheidenden Beitrag zur Wahrheitsfindung, in dem der Mensch sich selbst und seine Stellung im Kosmos begreift.

Ein Denker zwischen Philosophie und Theologie – Die Rolle der Contemplatio – Philosophie als Weg zur Weisheit

Eines der wichtigsten Anliegen Piepers ist seine Rückkehr zur traditionellen Sicht auf die Philosophie als „Contemplatio“, als eine Form der kontemplativen Schau, die im Einklang mit einer tiefen theologischen Einsicht steht. Für Pieper ist die Philosophie nicht allein und nur  eine akademische Disziplin oder ein intellektueller Kraftakt; sie ist vielmehr eine Lebenshaltung, die auf der Suche nach der Wahrheit die Weite des menschlichen Geistes und des Wissens eröffnet. In seiner tiefgehenden Auseinandersetzung mit der Philosophie – und in Sonderheit ihrer Geschichte – fokussiert er einen besonderen Aspekt derselben: die Philosophie als kontemplative Wissenschaft.

Für Pieper resultiert daraus, dass wahre Erkenntnis nicht bloß aus menschlicher Anstrengung schöpft, sondern als eine Offenbarung des Göttlichen zu verstehen ist. Diese Sichtweise führt zu einer differenzierten Betrachtung der Weisheit. Diese, so der Professor, der an der Pädagogischen Hochschule in Essen und später als ordentlicher Professor für philosophische Anthropologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster lehrte, ist nicht einfach ein bloßes Wissen um Fakten oder Systeme, sondern eines, das den Menschen mit der höchsten Realität, der göttlichen Wahrheit, verbindet. Dies stellt eine tiefgründige Reflexion dar, die sowohl philosophisch als auch theologisch ausgerichtet ist.

Die Vernunft im Verhältnis zum Glauben

In der Tradition des Thomas von Aquin, zu dessen Philosophie Pieper eine tiefgehende Beziehung pflegte, wird die Vernunft als ein Instrument verstanden, das in der Lage ist, in begrenztem Maße zur Erkenntnis des Göttlichen zu führen. Diese Synthese von Philosophie und Theologie zeigt sich in Piepers Werk, insbesondere in seiner Überzeugung, dass der Glaube und die Vernunft keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig ergänzen. Der Glaube wird nicht als etwas Übergeordnetes oder Antagonistisches zur Vernunft gesehen, sondern als ein Erkennen, das in der Vernunft fundiert ist und sie transzendiert.

Pieper verfolgte sein Leben lang die Linie der Scholastik, in der Vernunft und Glaube als zwei parallele Wege verstanden werden, die den Menschen sowohl in seinem intellektuellen als auch in seinem spirituellen Leben fördern und vervollständigen. Im Gegensatz zu vielen modernen Philosophien, die diese beiden Sphären isoliert voneinander behandeln oder gar in Widerspruch zueinander setzen, betont Pieper ihre Einheit und wechselseitige Befruchtung.

Ein grundlegendes Fundament seines Denkens ist seine Metaphysik der Ordnung. Die Welt, so Pieper, ist nicht ein Produkt des zufälligen Entstehens oder der chaotischen Willkür, sondern sie unterliegt einer göttlichen Ordnung, die der menschliche Intellekt, wenn er in seiner vollen Größe verstanden wird, nachvollziehen kann. Diese Ordnung ist nicht nur metaphysischer Natur, sondern auch ethisch und praktisch. In diesem Sinne spiegelt Piepers Denken die Sichtweise der antiken Philosophen wider, die das Universum als ein geordnetes Ganzes betrachteten, das in einer Harmonie zusammenwirkt. Die Wahrheit, die der Mensch im Rahmen dieser Ordnung erkennt, ist für den Mann, der an den Universitäten Berlin und Münster Philosophie, Rechtswissenschaft und Soziologie studierte und dessen prägender geistiger Vater und Lehrer Erich Przywara (1889 – 1972) war, nicht relativ oder subjektiv, sondern objektiv und universell. Der Mensch hat in seiner geistigen und moralischen Verfassung die Fähigkeit, diese Wahrheit zu erkennen, auch wenn er durch seine Sünden und Begrenzungen behindert sein mag.

Liebe als Quelle der Wahrheit und der Weisheit

Ein weiteres und zentrales Element des Denkers, der im Alter von 93 Jahren in seiner Geburtstadt starb, ist seine Philosophie der Liebe. In seinen Schriften, insbesondere in „Über die Liebe“, geht Pieper davon aus, dass wahre Liebe die Grundlage für das Erkennen der Wahrheit und für die moralische Ordnung im Leben des Menschen bildet. Liebe ist dabei nicht nur ein Gefühl oder eine bloße Neigung, sondern eine essentielle Haltung des menschlichen Geistes und des Herzens gegenüber dem Göttlichen und dem Nächsten. Sie ist der Weg, auf dem der Mensch die tieferen Dimensionen der Wahrheit erfahren kann.

Für Pieper ist die Liebe eine Fähigkeit, die den Menschen über sich selbst hinausführt und in die Gemeinschaft mit dem Anderen einführt. Diese philosophische und theologische Sichtweise überschreitet die bloße Individualität des Menschen und öffnet ihn für die universellen Wahrheiten, die in der Gemeinschaft, im Dialog und im Respekt vor dem Anderen erlebbar sind.

Diese Liebe ist eng mit der Idee der Gemeinschaft verbunden. Die Gemeinschaft, in der der Mensch lebt, ist nicht ein bloßes soziales Konstrukt, sondern eine Dimension der Wahrheit. Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen, und die wahre Gemeinschaft, die sich aus der Liebe speist, ist eine Quelle der Weisheit und des Erkennens. In einer Welt, die oft von Egoismus und Trennung geprägt ist, stellt Pieper die Gemeinschaft als eine wesentliche Form des Lebens dar, die den Menschen zu einem vollständigen Verständnis seiner selbst und seiner Existenz führen kann.

Verlust der Kontemplation in der Moderne

Ein markanter Aspekt von Piepers Denken ist seine Kritik an der modernen Welt, die er als immer weiter von einer kontemplativen Haltung entfernt wahrnimmt. In seiner berühmten Analyse des modernen Menschen stellt er fest, dass die moderne Gesellschaft zu sehr auf Aktivismus, Arbeit und Konsum ausgerichtet ist und den kontemplativen Moment der Ruhe und der Besinnung auf das Wesentliche aus den Augen verliert. Für Pieper ist jedoch die wahre menschliche Freiheit nur in der Fähigkeit zur Kontemplation zu finden, die es dem Menschen ermöglicht, über das bloße Handeln hinauszugehen und in den Raum des Wahren, Guten und Schönen einzutreten.

Pieper warnt vor einer Welt, die nur noch von der Messbarkeit des Nützlichen und Praktischen geprägt ist und in der die „reine“ Erkenntnis – die Betrachtung des Wahren um des Wahren willen – immer weiter marginalisiert wird. Für ihn ist die Wahrhaftigkeit des Menschen untrennbar mit seiner Fähigkeit zur Kontemplation und zur geistigen und spirituellen Einkehr verbunden.

Pieper als Wegweiser für die Zukunft

Josef Pieper bleibt auch im 21. Jahrhundert ein Denker von großer Bedeutung. Seine Philosophie und Theologie sind nicht nur ein intellektueller Schatz, sondern auch ein Wegweiser für eine tiefere Auseinandersetzung mit der Wahrheit, der Liebe und der menschlichen Existenz. In einer Zeit, in der die Fragen des Glaubens und der philosophischen Reflexion oft an den Rand gedrängt werden, bietet Piepers Werk eine tiefgehende Rückkehr zu den fundamentalen Anliegen des Menschseins und der geistigen Wahrheit.

Für Pieper ist der Mensch nicht nur ein praktisches Wesen, das in einer rein materiellen Welt lebt, sondern ein Wesen, das auf Wahrheit und Weisheit ausgerichtet ist. Seine Philosophie fordert uns auf, die Fragen des Lebens mit einer tiefen, schöpferischen und kontemplativen Haltung zu betrachten und nicht nur nach der besten Lösung für gegenwärtige Probleme zu suchen, sondern die großen Fragen nach dem Sinn, dem Guten und dem Wahren zu stellen.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2263 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".