Interview mit Filmemacher Max Kronawitter – Der Tumor ist nicht alles

MaxKronawitter, Foto: Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz
MaxKronawitter, Foto: Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz

Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz hat den berühmten und vielfach ausgezeichneten Filmemacher Max Kronawitter zum Gespräch im beschaulichen Eurasburg, unweit des Starnberger Sees und nicht weit von der imposannten Alpenkette der Zugspitze, getroffen. Doch die Bechaulichkeit der ländlichen Idylle täuscht. Inmitten der Landschftsidylle erfährt der lebendige, courgierte und tatanwillige die Diganose Hirntumor. Doch Kronawitter kämoft und schenkt anderen sogar Mut, ihr Schicksal anzunehmen.

Herr Kronawitter, was hat Sie dazu inspiriert, Ihre persönliche Krankheitsgeschichte in einem Buch zu teilen?

Eine andere Erfahrung liegt dieser Entscheidung zugrunde. Meine Schwester ist vor zwölf Jahren an Krebs gestorben, und sie hat bis zwei Tage vor ihrem Tod nur Wenigen davon erzählt. Viele Menschen haben sich damals um dieses Sterben betrogen gefühlt, weil sie nichts davon wussten. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich gemeinsam mit meiner Frau beschlossen: Das machen wir nicht. Und deswegen haben wir gesagt: Wir gehen ganz offen damit um, denn Krebs zu haben, ist keine Schande. Darüber hinaus ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Mitteilen der Erkrankung noch einen Gewinn bringt, da die Menschen am Leben nun mehr Anteil nehmen. Durch diesen Zuspruch, durch das Gespräch miteinander, werden mir viele Schicksale offenbart, Krankheiten geschildert, Ängste und Sorgen – all diese Erfahrungen nehmen einem die eigene Krebsdiagnose nicht ab, aber der Umgang damit wird etwas leichter. Daher bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass dieser Weg, den ich mit meiner Familie gemeinsam gewählt habe, der richtige war.

Wie hat sich eigentlich mit der Diagnose dann Ihre Lebensperspektive verändert?

Der komplette Blick auf die Zukunft. Perspektivisch hat sich natürlich verändert, dass ich von einem Tag auf den anderen nicht mehr arbeiten konnte, dass ich sozusagen eines zentralen Lebensinhaltes beraubt war. Es war ein Umschwung um 360 Grad, auch wenn manches geblieben ist.

Wie hat sich durch die Diagnose und die Erkrankung Ihr Verhältnis zum Tod verändert?

Es wird Sie vielleicht verwundern, aber eigentlich hat sich dieses Verhältnis nicht geändert. Und das liegt sicherlich daran, dass ich jemand bin, der sich seit 40 Jahren sehr intensiv mit dem Tod beschäftigt hat. Als Theologe wird man immer wieder mit dem Thema konfrontiert. Und in den 33 Jahren, wo ich Filme produzierte, spielte der Tod oft eine wichtige Rolle. Der Tod ist für mich der Punkt, wo es ans Essenzielle geht, wo Menschen ehrlich werden, wo Menschen nicht mehr Smalltalk machen. Und das hat mich immer fasziniert, und deswegen habe ich wahrscheinlich immer so einen Hang zu dieser Thematik gehabt. Und dies, obgleich mir manch einer gesagt hat, dass ich ein bisschen morbide sei, aber dies stimmt natürlich nicht. Vielmehr habe ich gemerkt, dass im Umfeld des Todes unheimlich viel und wirklich essentielles Leben passiert. Das hat mich angezogen.

Es ist doch etwas grundsätzlich anderes, als das Schicksal anderer zu begleiten und dann selbst diese Diagnose gestellt zu bekommen?

Natürlich ist es etwas anderes. Aber es hätte mich auch völlig anders packen und überraschen können. Dies hat es aber nicht. Ich beschreibe in meinem Buch, dass ich ganz ruhig gewesen bin und irgendwie das Gefühl hatte, dass es eben jetzt mich getroffen hat. Es gibt 100 andere Möglichkeiten und andere Möglichkeiten habe ich genügend kennengelernt und sogar filmisch verarbeitet. Aber jetzt bist du eben dran. Das ist keine Bestrafung für irgendwas und es ist auch nichts, was außergewöhnlich ist, sondern es ist etwas, was Millionenfach auf dieser Erde passiert. Und jetzt ist es halt dir passiert.

Also gehadert haben sie nicht und sich auf die Frage nach dem Leid, die Theodizeefrage gestellt?

Nein.

Hat der Glaube durch die Krankheit eine neue Wirkkraft entfaltet, oder gibt es ein Kontinuum?

Im Grunde genommen, hat sich nicht groß was geändert. Ich sterbe in ein großes Vertrauen hinein. Wobei ich immer wieder auch dazu sage, ich sterbe in die Überraschung Gottes hinein. Ich gehe nicht davon aus, dass mich am Ende des Tunnels etwas Böses erwartet. Es wird mehr sein, als unsere Bilder in den Kirchen dieses Ereignis darstellen. Gott ist viel größer als das, was wir an unsere Kirchenwände gemalt haben. Und ich denke, er wird sich schon eine Überraschung für mich ausgedacht haben, die mehr ist, als ein Münchner im Himmel, der seine Weißwurst genießt und glücklich dabei ist.

In Ihrem Buch spielt der Begriff der Liebe eine große Rolle. Vielleicht können Sie erklären, was Sie unter Liebe, göttlicher oder menschlicher Liebe, unter Caritas, verstehen?

Als Papst Benedikt XVI. die Enzyklika „Deus Caritas est“ 2005 veröffentlicht hat, war ich sehr beglückt, weil ich mir gedacht habe, das ist genau das, worauf auch ich alles reduzieren würde. Gott ist die Liebe – und alles, was wir als Liebe hier erfahren, ist wunderbar. Aber es ist eben nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was Liebe letztlich ist. Die Liebe, im Grunde ihres Herzens bejahrt zu sein, ist für die Menschen das Wichtigste. Das kann doch nur ein Hinweis darauf sein, dass Liebe uns als Urgrund mitgegeben ist. Und deswegen ist sie so aktiv in uns, und deswegen verlässt sie uns das ganze Leben nicht.

Aber mit der Kritik von Joseph Ratzinger an seiner Kritik der Rockmusik waren sie nicht einverstanden?

Stimmt. Ich glaube, dass jede Musik, wenn sie entsprechend dargebracht wird, dazu geeignet ist, Gott zu loben.

Sie haben Ihre Filmfirma Ikarus genannt und Ihr Buch „Ikarus stürzt“. Nun hat Ikarus eigentlich zwei Bedeutungen. Einerseits aus dem Labyrinth zu entfliehen, also ein Flucht- bzw.  Freiheitsgedanke. Und auf der anderen Seite impliziert diese Flucht auch, dass man mit zu viel Freiheit verbrennt.

Ich habe diese Ambivalenz tatsächlich auch ein wenig im Blick gehabt. Wenn er zu hoch aufsteigt, wird es zu heiß – und dann schmilzt das Ganze und dann fällt er runter. Und wenn er zu tief ist, dann verfängt er sich zu sehr in den Niederungen und wird vielleicht von den Wassern eingeholt. Es ist also wichtig, den Mittelweg zu finden.

Im Prinzip der Gedanke des Aristoteles von Maß und Mitte?

Genau. Für mich war das jedenfalls so. Als Filmemacher will ich auch theologische Inhalte nicht abgehoben vermitteln. Menschen sollen es verstehen. Andererseits soll es aber auch Niveau haben und nicht seicht werden. Der Mittelweg ist es.

Sie haben ihre eigene Krankheitsgeschichte auch immer mit Erinnerungen ergänzt, mit Menschen, die Sie trafen, mit Filmen, die Sie gedreht haben, mit Persönlichkeiten, die Sie getroffen haben. Wie verändert die Krankheit den Umgang mit den Menschen? Oder wie reagieren die Menschen darauf? Es gibt welche, die sich melden und welche, von den man es eigentlich erwartet hat, die aber stumm bleiben.

Ich glaube, es gibt zwei Arten von Menschen. Die einen, die damit umgehen können und die so was auch aufgreifen und dich unterstützen und die damit noch näher an dich heranrücken. Und dann gibt es welche, die können überhaupt nicht mit so einem Schicksalsschlag umgehen. Das kann sogar dazu führen, dass eine Freundschaft zerbricht, dass sie einfach sagen „Nein“ und mit einem nichts mehr zu tun haben wollen. Ich habe zwei Menschen, die mir eigentlich nahestehen, dieses Buch geschenkt. Sie haben die Annahme verweigert. Sie wollten es einfach nicht daheim liegen haben und dieses Thema von sich wegschieben. Ich war selber überrascht, wie viele Menschen sich eigentlich dem Thema nicht stellen wollen.

Woran liegt die zunehmende Ausgrenzung der Thematik des Todes in unserer Gesellschaft, die sich permanent beschleunigt?

In unserer Gesellschaft ist es wahnsinnig schwer , sich Zeiträume der Trauer zu schaffen. Früher hatte der Tod eines Menschen Raum. Heute steht das alles hinten an und man muss betteln, dass man einen Tag frei bekommt, aber dann geht sofort wieder weiter. Unsere arbeitsteilige Gesellschaft führt dazu, dass wir in einem Korsett drin sind, das uns nicht einmal die Freiheit gibt, eine Trauerfeier so lang und so intensiv zu gestalten, wie wir es möchten.

Ganz konkret, wie haben Sie das Buch „Ikarus stürzt“ geschrieben?

Unmittelbar nach der Diagnose, aber noch vor der Operation, bin ich sofort in mein Studio gegangen und habe meine Kamera aufgebaut und meine Gedanken hineingesprochen. Nach der Operation konnte ich nichts mehr bedienen – nicht einmal mein Handy. Dann habe ich meiner Frau gesagt: Bitte bringe mir ein simples Aufnahmegerät, wo ich nur einen Knopf bedienen muss. Schon am dritten oder vierten Tag nach der Operation habe ich mit dem Diktieren angefangen und jeden Tag meine Gedanken und Gefühle eingefangen. Nach einer gewissen Zeit habe ich festgestellt, was ich vorher gar nicht für möglich gehalten hätte: obwohl ich nicht Lesen konnte, konnte ich selber schreiben. Das hat für mich den Prozess sehr vereinfacht. Mit Unterstützung meiner Frau ist daraus dann das Manuskript für das Buch geworden.

Inwieweit glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Buch anderen Menschen helfen, Krisen und Herausforderungen zu meistern? Ist es der Wille, der Glaube?

Ich glaube, es ist alles. Ich habe nicht damit gerechnet und war total überrascht, wie viele Menschen, von denen ich noch nie gehört habe, mir geschrieben haben, was dieses Buch bei ihnen auslöst. Es waren viele dabei, die entweder selber von Krebs betroffen waren oder einen Krankheitsfall in der Familie hatten. Aber es waren auch welche dabei, die einfach gesagt haben: Sie waren gerade in einer Lebenssituation, wo sie am liebsten alles weggeworfen hätten. Und da kommt einer wie ich mit einem Gehirntumor und sagt: „Komm, lass dich nicht so hängen. Es geht doch. Es gibt noch andere Sachen, die im Leben wichtig sind“. Das ist auch ein bisschen die Art und Weise, wie ich mit diesem Gehirntumor umgehe. Ich mache es anders als viele, die stets nach den besten Ärzten suchen, die ins Ausland fahren, die jede nur mögliche Therapie noch ausprobieren und am besten noch in die USA fliegen, als könnte es dort noch eine Heilungsmöglichkeit geben. Dieses Denken ist nicht das Meinige. Ich sage vielmehr: Da ist meine Krankheit, aber ich habe noch Vieles andere in meinem Leben, das Raum braucht, weil es mich ausfüllt und glücklich macht.

Was ist die wichtigste Botschaft, aus Ihrem Buch, die Sie anderen mitgeben wollten.

Der Tumor ist nicht alles.

Interview: Stefan Groß-Lobkowicz

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2263 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".