Egino Weinert – Der Künstler, dem Gott die linke Hand führte

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Er ist einer der bekanntesten Künstler des 20. Jahrhunderts, der Goldschmied, Bildhauer und Maler Egino Weinert. In vielfacher Weise hat er das Ausgießen des Heiligen Geistes bildhaft dargestellt. Seine kleinen Plastiken und Plaketten von Heiligen prägten ganze Generationen. 

„…das ist ein anderer, der meine Hand führt. Da ist vieles, was man nicht deuten kann. Alles wird uns geschenkt. Wir können nichts aus uns selbst,” bekennt der Mann, der in 70 Jahren Schaffenszeit eine fast unüberschaubare Zahl an Kunstwerken der Nachwelt hinterlassen hat. Seien es Hängekreuze, Tabernakel, Taufbecken, Skulpturen, Glasfenster, Kelche, Emaille-Bilder, Kreuze und die über 1.200 Namenspatrone – seine Werke, oft außergewöhnliche Gold- und Silberschmuckstücke sind auf allen Kontinenten dieser Welt zu finden. Ob in den USA, Brasilien, den skandinavischen Ländern, England, Portugal, Belgien, Spanien, Schweiz, Luxemburg, Israel, Ägypten, Japan, China und Südkorea – das Lebenswerk von Weinert zählt zu den umfangreichsten. „…die kunsthandwerkliche Ausführung muss mit der künstlerischen Idee im Einklang stehen,” erklärte der Mann, dem wir viele vollständige Kirchenausstattungen verdanken.

Mit dem Räderwerk der ganz großen Künstler der Epoche war Weinert verzahnt. Kontakte pflegte er zu den Kunststars der Epoche: zu Pechmann, Georg Grosz, Max Liebermann, Otto Dix und Emil Nolde, einer der führenden Maler des Expressionismus und großen Aquarellisten des 20. Jahrhunderts, bekannt für seine ausdrucksstarke Farbwahl, rät ihm von religiöser Kunst ab: „Junge, lass die Finger von diesen frommen Sachen, male lieber die Hühner in eurem Hühnerstall.“

Im Zeichen des Sakralen

„…Freude und Leid stehen unter dem Kreuz,“ ist das Credo eines Künstlers, der nicht dem Zeitgeist huldigt, sondern einem Geist wider die Zeit. Er war kein Ästhet im Sinne dekorativer Weltflucht, sondern ein künstlerischer Asket, der das Sakrale nicht umspielte, sondern durchdrang, der ein Zeichensetzer des Sakralen selbst wurde. „…ich fühle mich wie ein Kind, das zu Füßen Gottes spielt.“ Der Berliner Künstler, geboren am 3. März 1920 in Schöneberg als Franz Stanislaus Günter Przybilski, den Familiennamen hatte der Vater in den 1930er Jahren in Weinert verändert, verband in seinem Schaffen Goldschmiedekunst mit theologischer Tiefenschärfe, Handwerk mit Liturgie, Gestaltung mit Gnade. Seine Werke sind Zeugnisse eines innerlich durchbeteten Lebens – in ihnen spiegelt sich die Spannung zwischen dem Unsagbaren Gottes und der Formensprache menschlicher Hände. Sein gesamtes Oeuvre ist durchzogen von der Idee, dass das Sichtbare nicht bloß Abbild, sondern Wegweiser auf das Unsichtbare sein kann – eine Schule des Schauens, in der der Betrachter zur Andacht geführt wird.

Mönchischer Ursprung und erste Formung

Schon früh suchte Weinert das kontemplative Gefäß seiner Berufung. In der Benediktinerabtei Münsterschwarzach – ein Ort, an dem Arbeit Gebet und Gestaltung ein Bekenntnis war – lernte er das Handwerk nicht als Mittel der Produktion, sondern als Weg der Verinnerlichung. Die restaurierten Altäre, die rekonstruierten Skulpturen waren keine Replikate, sondern theologische Kommentare. Kunst wurde für ihn früh zur Visualisierung des Unsichtbaren. Die klösterliche Prägung in der benediktinischen Ordnung lehrte ihn eine Demut gegenüber dem Material, eine geistige Disziplin, die jedes Werk als Dienst an der Liturgie, als Antwort auf das Wort Gottes verstand. „Ora et lege et labora“ wird zu seinem Leitmotiv.

Widerstand im Angesicht des Totalitären1941

Während Deutschland sich dem Lärm der Hakenkreuze und Marschtritte hingibt, steht ein junger Mann auf und verweigert den Hitlergruß. Eine stille, aber nicht minder revolutionäre Geste – unbeirrbar, nicht trotzig. Diese Geste brachte ihn ins Gefängnis, dann zur Kriegsmarine. Der Vorwurf der Wehrkraftzersetzung mündete in ein Todesurteil. Der Vollstreckung durch die Nationalsozialisten wird er – Dank der Hilfe der Fürsten von Thurn und Taxis, die ihm ein Versteck bieten, nur knapp entgehen. Was blieb, war die Erfahrung: Der Leib kann gezeichnet werden – der Geist nicht. Es war ein existenzieller Akt der Gewissensentscheidung, aus dem Weinert ein bleibendes Misstrauen gegenüber jeder ideologischen Überformung des Religiösen entwickelte. Seine Kunst blieb stets widerständig gegen Verflachung – sei sie politisch oder ästhetisch.

Das Martyrium der rechten Hand

1945, in den letzten chaotischen Tagen des Zweiten Weltkriegs, befand sich Egino Weinert in Berlin. In den Trümmern und leerstehenden Häusern lauerten Sprengfallen, Hinterlassenschaften der Wehrmacht, improvisierte Bomben und Blindgänger. Eines dieser unscheinbaren, tödlichen Geräte zerstörte seine rechte Hand – die Hand, mit der er zuvor so viele liturgische Werke, Skulpturen und Plaketten geschaffen hatte. Die Explosion hätte für jeden anderen das Ende bedeutet. Für Weinert jedoch war sie der Beginn einer neuen Schaffensdimension. Was für andere das Ende bedeutet hätte, wurde bei ihm zur schöpferischen Neugeburt. Mit der linken Hand formt er fortan Bilder, die stärker sprechen als Worte. Der „Friedenstisch“ aus dem Jahr 1946 ist mehr als ein Möbelstück: Er ist ein Gleichnis für die Auferstehung aus dem Fragment, ein Altar aus Wunde und Wille. In dieser Umkehrung der menschlichen Ohnmacht liegt die Theologie seines gesamten Schaffens begründet: Das Unvollkommene als Ort der Gnade, das Verstümmelte als Ausgangspunkt der Heilsgeschichte.

Studium, Stilbruch und Ausschluss

1947 beginnt Weinert an der Werkschule in Köln zu studieren – ein Raum zwischen Expression und Erneuerung. Er lernt die Sprache der Emaille, der sakralen Metalle, des liturgischen Raumes. Doch seine Werke – zu modern, zu expressiv – stoßen auf dogmatische Barrieren. 1949 wird ihm die Ordensbindung verweigert. Was andere als Scheitern erlebt hätten, war für ihn der Beginn eines künstlerischen Mandats jenseits institutioneller Schranken. Seine Werke wurden fortan freier, radikaler, aber nie respektlos. Sie verbanden das liturgische Denken des Benediktinerordens mit einer künstlerischen Handschrift, die den Menschensohn in einer neuen, unmittelbaren Sprache sichtbar machen wollte.

1951 heiratet er Anneliese Leopold, Lehrerin, Mutter, Muse. Mit ihr gründet er eine Familie – vier Kinder. Er baut ein Atelier in Bonn, später in Köln, dann in Dénia, Spanien. Dort entstehen Werke für Kirchen in Europa, Amerika, Asien. Weinerts Exil ist kein Rückzug, sondern ein Sendungsraum. Seine Familie wurde zur kleinen geistlichen Gemeinschaft, sein Atelier zur klösterlichen Zelle. Die Verbindung von Familie und Beruf war für ihn keine Belastung, sondern das sakramentale Fundament seiner Lebensform.

Die Sprache der Liturgie – Symbolik in Material und Farbe

Mehr als 300 Sakralräume tragen seine Handschrift: Glasfenster, Altäre, Tabernakel, liturgische Geräte. Farben werden bei ihm pures Licht: Blau – Maria, Gold – Ewigkeit, Rot – Erlösung. Seine Kreuzwege verzichten auf Dramatik und strahlen Würde aus, wobei der Schmerz wird nicht stilisiert, sondern verwandelt wird. So wird seine Kunst nie zur Illustration, vielmehr zur Inkarnation.

Besonders markant für diese religiöse Ästhetik ist die Kapelle der Päpstlichen Musikakademie. Papst Johannes Paul II. nennt sie „eine der vollkommensten liturgischen Umsetzungen unserer Zeit“. Weinerts Werk ist kein Beiwerk der Liturgie – es ist deren stiller Mitvollzug. In jeder Linie, in jedem Ornament verbirgt sich eine Mystagogie – eine Hinführung zur Wahrheit der liturgischen Feier.

Weinerts Werke sind Predigten aus Metall, Psalmen aus Emaille. In seinen Bronzen lebt der Mensch als Imago Dei – nicht idealisiert, sondern verwandelt. Das Kreuz wird zur Chiffre der Hoffnung, nicht zur Kulisse des Schmerzes. Die liturgische Symbolik durchzieht seine Werke: nicht als Dekor, sondern als Substanz. Der Ziboriumdeckel spricht vom ewigen Licht; der Altar vom Opfer, das Gabe wird. Seine Figuren sind durchgeistigt, nicht entleert; sie erzählen nicht, sie beten. Jedes Werk ist ein Sakrament im weiteren Sinne: ein sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit.

Zeitgeschichte als Werkstoff der Seele

Weinerts Biografie ist eine Parabel auf das 20. Jahrhundert. Der Widerstand gegen Hitler, der Verlust der Hand, der Ausschluss aus dem Kloster – alles sind Stationen einer Passion, die nicht in Resignation mündet, sondern in Gestaltung. Das Zweite Vatikanum öffnet die liturgische Kunst – Weinert antwortet. Er ist ein Übersetzer des Ewigen ins Jetzt. In einer Zeit, die die sakrale Kunst oft zur Bebilderung degradierte, bestand Weinert auf Transzendenz. Seine Werke rufen zur Umkehr – nicht nur des Blicks, sondern der Lebenshaltung.

1985 stirbt seine erste Frau. Im selben Jahr erhält er das Bundesverdienstkreuz. Er heiratet erneut, bleibt aktiv, bis zuletzt. 1995 wird sein 75. Geburtstag mit einem Pontifikalamt im Kölner Dom gefeiert. 2010, sein 90. Lebensjahr, krönt ihn als Zeugen und Lehrer. Seine Werke finden sich im Vatikan, in Kathedralen, in Kapellen. Seine Stiftung in Königsdorf bewahrt das Erbe eines Mannes, der aus dem Verstummen des Schmerzes eine Sprache des Glaubens geformt hat.

Die stille Tafel in Konnersreuth

Die Oberpfälzerin Therese von Konnersreuth hat in ihrem Leben viele Menschen maßgeblich beeinflusst. Auch Weinert empfahl sie, entgegen anderslautendem Rat renommierter Künstler und Weggefährten, er solle sich der religiösen Kunst widmen. Obwohl die Resl und der charismatische Bildhauer sich nie persönlich begegnet sind, lässt die Oberpfälzer Seherin an Weinert ausrichten: „Male so, wie du glaubst.“

Überliefert sind auch die Worte der Resl, dass im Wettstreit mit Luzifer, welcher erst das Leben und dann die rechte Hand Weinerts forderte, Jesus erklärte: „Nichts da, er muss noch viel für mich arbeiten. Ich werde dir zeigen, wieviel er für mich auch mit nur einer Hand arbeitet, besonders über mein Kreuz, so viel wie noch nie jemand vor ihm.“ Erlösend hat dieses Plazet der stigmatisierten Bauernmagd auf den genialen Künstler gewirkt.

In Konnersreuth schuf Weinert eine schlichte Bronzetafel am Geburtshaus der Mystikerin Therese Neumann. Keine große Komposition – aber ein stilles Zeichen. Es zeigt: Für Weinert war das Kleine nicht nebensächlich. Erinnerung war für ihn immer auch Anrufung. Es ist ein Werk der Demut – wie ein stilles Gebet aus Metall.

Egino Weinert stirbt am 4. September 2012. Er hinterlässt keine Schule, aber ein geistiges Testament. Seine Werke mahnen: Schönheit ist nicht Oberflächenglanz, sondern Tiefe. Kunst ist kein Selbstzweck, sondern ein Dienst – ein liturgisches Gebet aus Gold, Glas und Glauben.

In Zeiten, in denen das Ich über das Wir triumphiert, bleibt Weinert ein stummer Prophet der Hingabe. Seine Kunst ist Dienst – und Dienst ist Erhebung. Ihm und seiner Kunst verdanken wir – auch untermalt durch seine Kunstwerke, welche wichtige Rolle das Kreuz, wie bei Weinert selbst, im Leben spielt. Kein Künstler des 20. Jahrhunderts schuf so viele Kreuzesdarstellungen.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2263 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".