In einer Buchwelt voller ziegelsteinschwerer Schwarten fällt dieser schlanke, noch nicht einmal 130 Seiten starke Roman positiv auf. Der Buchrücken ist voller positiver Rezensionen von der „Financial Times“, über „The New York Times“ bis hin zum „New Yorker“. Alles Lobhudelei? Nein, Vincenzo Latronicos Roman „Die Perfektionen“, der sich als eine Hommage an Georges Perecs Roman „Die Dinge“ versteht, überzeugt.
Der 1984 in Rom geborene Autor, der als Schriftsteller und Übersetzer tätig ist, schildert das Leben von Anna und Tom, die als „Kreative“ arbeiten und aus Südeuropa ins pulsierende Berlin ziehen. Latronico be- oder verurteilt seine Protagonisten nicht. Der Roman kommt ganz ohne Dialoge aus und schildert eine oberflächliche Welt, die wie auf den Bildern aussehen soll, die die Web Developer, Graphic Designer und Online Brand Strategists in ihren Instagram-Storys beschreiben.
In der deutschen Hauptstadt trifft das Paar auf ähnlich gestrickte Freundinnen und Freunde aus Frankreich, Polen, Portugal, Israel, Belgien oder den USA – Deutsche sind sie gut wie nie darunter. Die deutsche Sprache beherrschen die beiden nur oberflächlich. Letztlich handelt es sich um Menschen, die zwar aus allen möglichen Ländern stammen, die aber sehr konform sind: „Die Auflösung nationaler Besonderheiten ging über die Sprache hinaus. Kurz nach ihrer Ankunft hatten sie aufgehört, die Zeitungen ihres Landes zu lesen, nach dem der Vergleich mit den englischsprachigen Blättern die Schludrigkeit jener ans Licht gebracht hatte“. Ihr intellektueller Horizont wird fortan von den Schlagzeilen des britischen „Guardian“ und der „New York Times“ abgesteckt.
Auch wenn Anna und Tom gemeinsam alt werden möchten, versuchen sie sich an den unterschiedlichen Spielarten der Sexualität, die das hippe Berlin zu bieten hat. Die gemachten Erfahrungen sind eher ernüchternd: „Sobald sie im Bett lagen, löste sich die Erregung in einer wattigen Ergriffenheit. In Löffelstellung schmiegten sie sich unter der Decke aneinander, passten ihren Atem dem Pulsschlag des anderen an und spürten, dass diese Nähe intimer und befriedigender war als jede Sexparty.“
Politisch verstehen sich Anna und Tom und ihre internationalen Freunde „irgendwie als links“. Sie bezeichnen sich als feministisch, engagieren sich zeitweilig in der Flüchtlingshilfe und sind selbstredend gegen soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus und Sexismus. Was allen Akteuren fehlt, ist jegliche Tiefe und Originalität. Das Leben der Kreativen und Freelancer in San Francisco, Kopenhagen, Berlin oder Lissabon ähnelt sich. Die Bilder sind gleich. Überall gibt es Hafermilch: „Es war alles anders, und genau das wollten sie; und doch war auf irgendeine Art alles gleich. Auch das wollten sie“.
Anna und Tom definieren sich nicht durch ihre Überzeugungen, falls sie denn welche haben. Auch ihre berufliche Tätigkeit steht auf wackligen Füßen. Ein Großteil ihrer Arbeit dürfte die künstliche Intelligenz dereinst übernehmen. Ob die beiden am Ende ihrer Reise durch verschiedene europäische Städte ihr Glück finden? Der letzte Satz lautet: „Es ist wirklich alles perfekt, wird es in der begleitenden Story heißen, es ist genauso wie auf den Bildern.“ Zweifel sind angebracht.