Zwei interessante Neuerscheinungen des Wiener Septime Verlags

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Der österreichische Schriftsteller Karl-Markus Gauß hat dem Wiener Septime-Verlag eine schöne Liebeserklärung gemacht: „Manchmal sind es kleine Verlage, denen wir große Entdeckungen verdanken. Der Septime Verlag ist es kühn angegangen, Bücher zu veröffentlichen, von denen wir vorher nicht wussten, dass sie uns fehlten.“

Der  Septime Verlag wurde 2009 von Jürgen Schütz gegründet. An dieser Stelle sollen zwei kurze Romane vorgestellt werden, die in dem „Haus der schönen Bücher“, wie sich der Verlag selbst beschreibt, jüngst erschienen sind.

Arve Moens erstmals im Jahr 1948 erschienener Roman mit dem wunderschönen Titel „Der Tod ist eine Liebkosung“ ist mehr als ein Kriminalroman. Wer hier wen ermordet hat, steht von Anfang an fest. Es gibt nur wenige handelnde Personen. Ein Detektiv, der mit den Poirotschen „grauen Zellen“ ein verzwicktes Rätsel löst, tritt nicht auf. Auch Actionszenen sind Mangelware. Und doch ist dieser Roman ein wahres Kleinod und unendlich viel spannender als viele Bücher, die der Krimimarkt aktuell in Massen ausspuckt.

Ein junger, attraktiver Automechaniker hat seine schöne und mondäne Ehefrau ermordet. Dies steht von Beginn an fest, denn der Mörder wird für seine Tat verurteilt, auch wenn er sie nicht gesteht. Er gibt zwar zu, dass er seine Gattin getötet hat, doch er beharrt zugleich darauf, dass er keine Alternative zu dieser Tat gehabt habe. Der Mord sei zwangsläufig gewesen.

Der Autor Arve Moen (1912-1976) hat als Schriftsteller, Journalist, Kunsthistoriker und Politiker gearbeitet. In seinen jungen Jahren war er Mitglied der kommunistischen Gruppe Mot Dag, einer Vereinigung von norwegischen Intellektuellen, die großen Anteil an der Verbreitung marxistischen Gedankenguts in Norwegen hatte. Das in Deutschland bekannteste ehemalige Mitglied ist der spätere Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Für die Arbeiterpartei saß Moen später im Osloer Stadtrat, und nach 1945 war er als Kulturredakteur beim „Arbeiderbladet“ tätig.

Diese Informationen sind nicht unwichtig, denn der Klassenunterschied zwischen dem jungen, virilen Mann aus der Arbeiterschicht und der kapriziösen Schönheit aus der Oberschicht, die zunächst noch mit einem Industriellen verheiratet ist, ist entscheidend für die Konflikte des Paares.

Das Faszinierende an diesem psychologischen Liebesdrama ist die Tatsache, dass Moen „uns in den Kopf des Mörders blicken lässt“, wie es im Nachwort der norwegischen Krimiautorin Helene Flood heißt. Zunächst ist die körperliche Lust ein starkes Band, das die beiden Protagonisten zusammenschweißt. In dem Buch gibt es keine expliziten Szenen, doch auch das Sexuelle wird vom Autor in einer für die damalige Zeit durchaus offenen und unverklemmten Weise beschrieben. Doch das Bett allein reicht nicht aus, um dem Liebespaar eine dauerhafte, stabile Basis zu geben. Zu groß sind die ökonomischen Unterschiede, zu groß ist die Einstellung zur Arbeit und zum Geld, zu unterschiedlich sind auch die Interessen.

Ein Paar, das erkannt hat, dass die Gemeinsamkeiten aufgebracht sind, könnte sich im Frieden trennen. Doch dieses Paar wählt den Weg ins Verderben.

Arve Moen: Der Tod ist eine Liebkosung. Septime Verlag: Wien 2023. 144 Seiten, 20 Euro, ISBN: 978-3-99120-025-3.

Auch das zweite, hier vorzustellende Werk ist sehr, sehr böse und zugleich sehr sehr gut. Es entfaltet den ganzen Horror des französischen Kleinbürgertums.

Pascal Garniers „Der Beifahrer“ ist ein ungewöhnlicher Krimi. Es ist ein Glück, dass der bereits 2010 verstorbene Autor jetzt auch für das deutschsprachige Lesepublikum entdeckt wird. Auf 140 Seiten und mit wunderbar trockenem Humor entfaltet Garnier eine  makabre Geschichte.

Alles beginnt recht normal. Fabien, der „Held“ des Romans und eine erbärmliche Figur, besucht seinen Vater. Wunderbar lakonisch, mit knappen und präzisen Sätzen beschreibt der Autor die Sprachlosigkeit, die zwischen den beiden herrscht: „Noch nie zuvor war ihm aufgefallen, dass seinem Vater so lange Haare aus den Ohren wuchsen. Von den drei Tagen, die sie zusammen verbracht hatten, war das das Einzige, was ihm im Gedächtnis bleiben sollte.“

Die Ehe zwischen Fabien, einem Mitvierziger, und Sylvie ist trostlos. Nach einer kurzen Phase der Leidenschaft („Die eine Hälfte der Zeit hatten sie im Bett verbracht, die andere bei Tisch“) richten sie beide in einer lieblosen Beziehung ein. Die Geschichte nimmt Fahrt auf, als Fabien erfährt, dass seine Frau tödlich verunglückt ist. Allerdings war sie nicht allein. Das zweite Unfallopfer ist ihr Liebhaber, von dessen Existenz der gehörnte Fabien erst erfährt, als er schon Witwer geworden ist.

Fabien reagiert auf diese Nachricht nicht etwa mit großer Trauer oder dem Versuch, das eigene Leben neu zu ordnen. Er will Rache nehmen, und zwar auf ziemlich infantile Weise. So verfolgt er Martine, die Witwe des Mannes, der mit Sylvie im Auto gesessen hat und ihre Freundin Madeleine nach Mallorca. Es ist sein Ziel, mit Martine zu schlafen, um so für den Ehebruch seiner verstorbenen Frau Rache zu nehmen.

Dass das Ganze ziemlich in die Hose geht, kann man sich vorstellen. Die skurrilen Details sollen hier nicht verraten werden. Im Laufe der Geschichte kommt es zu Morden, eine Leiche landet in der Tiefkühltruhe und taut bei einem Stromausfall auf. Hier hat jede Figur ihre Abgründe, die Garnier schonungslos und sehr unterhaltsam offenlegt. Dieser Humor und die fettfreie Sprache des Autors, die an Georges Simenon erinnert, lassen einen die ganze Trostlosigkeit der Handlung und des Figurenensembles ertragen.

Garnier übt keine offensichtliche Gesellschaftskritik. Er moralisiert nicht. Er schildert nur, was seinen Figuren widerfährt. Wenn man will, kann man hierin eine Kritik am französischen Kleinbürgertum sehen. Eigentlich alle Protagonisten in diesem „fies-fröhlichen Neo-Noir“ (Thomas Wörtche) sind bösartig. Mitleid stellt sich nicht ein. Man darf auf die angekündigten weiteren Neuübersetzungen Garniers ins Deutsche mehr als gespannt sein. Klare Leseempfehlung!

Pascal Garnier: Der Beifahrer. Septime Verlag: Wien 2023. 144 Seiten. 20 Euro.

Der interessante kleine Wiener Literaturverlag zeigt, dass es durchaus reizvoll ist, ausgetretene Pfade zu verlassen und sich jenseits des Mainstreams nach guten Büchern umzuschauen.

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Über Ansgar Lange 21 Artikel
Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn und schrieb seine Magisterarbeit über "Christa Wolf und die DDR" bei Professor Hans-Peter Schwarz. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz . Anschließend arbeitete er in einer Bonner Kommunkationsagentur und journalistisch (u. a. Deutschlandfunk, Die Furche, Die Tagespost, Die Politische Meinung, Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte). Seit 2009 ist er als Geschäftsführer einer Ratsfraktion in Remscheid tätig.