Ex-DDR-Chef – Der ewige Egon: Krenz verschweigt das Schicksal der Christen, die in der DDR systematisch ausgegrenzt worden sind

Egon Krenz: Verlust und Erwartung. Erinnerungen, Verlag Edition Ost, Berlin 2025, ISBN 978-3-360-02817-4.
Egon Krenz: Verlust und Erwartung. Erinnerungen, Verlag Edition Ost, Berlin 2025, ISBN 978-3-360-02817-4.

Auch im letzten Band seiner dreibändigen Autobiografie verschweigt der ehemalige SED-Generalsekretär und rechtskräftig verurteilte Totschläger Egon Krenz beharrlich das Schicksal der Christen, die in der DDR systematisch ausgegrenzt worden sind.  Von Benedikt Vallendar.

PR für eine Diktatur, ein untergegangenes Staatsgebilde; leider nur das, und nicht das, was Leser im Allgemeinen von den Erinnerungen eines Politikers erwarten. Denn auch im letzten Band seiner dreibändigen Autobiografie mit dem vielsagenden Titel „Verlust und Erwartung“ vermittelt der ehemalige SED-Generalsekretär Egon Krenz das Bild der DDR als idyllischer Arbeiter- und Bauernrepublik. Und dass er allein im Herbst 1989 dafür gesorgt habe, dass in Leipzig und Berlin alles friedlich geblieben sei. Der gute, ewige Egon, ein Friedensfürst, Vermittler und Humanist, der sein politisches Agieren auch dem darauf gemünzten DDR-Bildungssystem zu verdanken habe, so der Tenor fast aller Krenz-Bücher. Keine Rede von den vielen Opfern, die das SED-Regime zu verantworten hat, unzähligen Einzelschicksalen, die bei Fluchtversuchen von DDR-Grenzern wie überschüssige Tierpopulationen abgeknallt worden sind; darunter Christen, Juden und Andersdenkende, die bis heute nichts mehr verabscheuen, als das Wort „Sozialismus“.

Ende Mai 2025 hatte Krenz Gelegenheit, den letzten Band seiner Memoiren vor ausverkauftem Haus im Berliner Babylon Kino zu präsentieren. Und ja, noch immer scheint es Menschen zu geben, die den kriminellen Charakter des SED-Staates einfach wegleugnen. „Ein Staat, der vorgab, eine demokratische Republik zu sein. Und nichts davon war“, so der Historiker und Theologe Matthias Wanitschke, der dem, was Krenz als Autor sagt noch weniger Bedeutung beimisst als dessen politischen Wirken an der SED-Spitze bis zum Herbst 1989. „Niemals war die DDR eine res publica, eine ‚Sache des Volkes‘, eher ein bewaffneter Karnevalsverein, der mit Spott und Häme auf das gemeine Volk herabblickte“, so Wanitschke. Im Herbst 1989 war der Familienvater Priesteramtskandidat in Erfurt, bevor er mit einer Doktorarbeit zum „Menschenbild der Staatssicherheit“ von sich reden machte. Heute gilt das Buch als Standardwerk zur DDR-Geschichte.

Dass Christen oftmals der Weg zu höherer Schulbildung verwehrt war, gehört zu den vielen Verfehlungen, derer sich die kommunistische Diktatur in Ostdeutschland schuldig gemacht hat. Esther Brüsewitz, musisch begabte Tochter des oppositionellen Pfarrers Oskar Brüsewitz aus Zeitz in Sachsen-Anhalt hätte in der DDR eine Lehre zur Gleisbauarbeiterin machen können, berichtete sie später. Nach der Wende wirkte sie als Seelsorgerin in Thüringen.

Das sympathische Gesicht der SED

Was auffällt: Auch 36 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR sucht der ehemalige SED-Generalsekretär Egon Krenz die Nähe zur Bevölkerung, zu Genossen und Nichtgenossen, zu jedem, der ihn sehen und hören möchte, offenkundig beseelt vom Bedürfnis, der Menschheit ein anderes, schöneres Bild der kommunistischen Diktatur im Osten Deutschlands zu vermitteln, als es die Mehrheit der modernen Geschichtswissenschaft zu zeichnen pflegt. „So darf der Leser leider auch von diesem dritten Band nichts spektakulär Neues erwarten, auch wenn das Buch von der Fachwelt mit einer gewissen Spannung erwartet worden war“, sagt die katholische Publizistin Jenny Krämer von der Universität Potsdam.

Humanismus und Kirchenverachtung

Auf Dutzenden Seiten zeichnet Krenz darin das Bild einer sich im Ost-West-Konflikt windenden DDR, die schließlich der sowjetischen Reformpolitik ab Mitte der achtziger Jahre zum Opfer gefallen sei. Die DDR – ein leider fehlgelaufener „Versuch“ mit ihm und ein paar anderen an der Spitze, so Krenz. Und wie er angesichts fehlender freier Wahlen die SED-Herrschaft im Rückblick legitimiert sieht? Dazu schweigt der bekennende Kommunist Krenz ebenso beharrlich wie zu den Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit, für dessen Parteiorganisation er bis 1989 als ZK-Sekretär für Sicherheit verantwortlich zeichnete. Vollmundig hat Krenz wiederholt auf millionenschwere Zuwendungen der DDR an die ostdeutschen Kirchen verwiesen – und dabei geflissentlich verschwiegen, dass sich die rote Diktatur damit vor allem ihre vielen Kranken, Alten und Pflegebedürftigen vom Halse hielt, die in der DDR meist in kirchlichen Einrichtungen versorgt wurden; zuletzt im Januar 1990 Krenz‘ geschasster Vorgänger Erich Honecker, der mit Ehefrau Margot bei einer Pfarrerfamilie in Lobetal bei Berlin kurzzeitig Unterschlupf fand.

Dass Krenz und Genossen jahrzehntelang Wasser predigten und selbst Wein tranken, gilt heute allenfalls als Schönheitsfehler, worüber der sympathisch wirkende Generalsekretär a.D. ebenso zynisch hinweglächelt wie über die Tatsache, dass er im August 1997 rechtskräftig wegen Totschlags in mittlerer Täterschaft zu sechs Jahren Haft verurteilt worden ist, von denen er vier im weitgehend offenen Vollzug verbringen durfte. Der Eindruck beim Lesen seiner Memoiren: Die Zeit hinter Gittern scheint Krenz vor allem dazu genutzt zu haben, der Nachwelt Märchen über das Leben in der DDR zu hinterlassen.

Literatur:

Egon Krenz: Verlust und Erwartung. Erinnerungen, Verlag Edition Ost, Berlin 2025, ISBN 978-3-360-02817-4.

Egon Krenz: Verlust und Erwartung. Erinnerungen, Verlag Edition Ost, Berlin 2025, ISBN 978-3-360-02817-4.
Egon Krenz: Verlust und Erwartung. Erinnerungen, Verlag Edition Ost, Berlin 2025, ISBN 978-3-360-02817-4.

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Über Benedikt Vallendar 91 Artikel
Dr. Benedikt Vallendar wurde 1969 im Rheinland geboren. Er studierte in Bonn, Madrid und an der FU Berlin, wo er 2004 im Fach Geschichte promovierte. Vallendar ist Berichterstatter der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main und unterrichtet an einem Wirtschaftsgymnasium in Sachsen.