George Orwell bleibt verboten – Immer mehr Kubaner wehren sich gegen das kommunistische Unrecht in ihrem Land

Die kubanische Oppositionsgruppe "Damas de blanco" (Damen in Weiß) protestiert unter dem Dach der Katholischen Kirche gegen Korruption und das kommunistische Unrechtssystem in ihrem Land. Foto: Benedikt Vallendar
Die kubanische Oppositionsgruppe "Damas de blanco" (Damen in Weiß) protestiert unter dem Dach der Katholischen Kirche gegen Korruption und das kommunistische Unrechtssystem in ihrem Land. Foto: Benedikt Vallendar

Im Kampf um ihr politisches Überleben gehen Kubas Kommunisten massiv gegen die Opposition vor – die ihrerseits immer selbstbewusster ein Ende der roten Diktatur fordert, wie einst in der früheren DDR

Ein unscheinbarer Hinterhof in Santiago de Cuba, der größten Metropole im Südosten Kubas. Auf einem klapprigen Campingstuhl neben einem Tischchen mit kalten Getränken sitzt José Daniel Ferrer, Lichtgestalt der kubanischen Opposition und gefürchteter Regierungsgegner. Knapp acht Jahre verbrachte der 53-Jährige in Gefängnissen seines Landes. Wegen „konterrevolutionärer Handlungen“, was auf Kuba ein Verbrechen ist. „Ich habe immer nur öffentlich meine Meinung gesagt, mehr nicht“, sagt Ferrer, der selbst aus einer Dissidentenfamilie stammt. Er leitet die verbotene Oppositionspartei Patriotische Union Kubas (UNPACU), mit einem harten Kern von rund 1.500 Regierungsgegnern und vielen Unterstützern, die sich regelmäßig in informellen Zirkeln treffen und für ein freies, demokratisches Kuba streiten. Seit 1959, dem Jahr ihres militärischen Sieges über die Regierung des früheren Präsidenten Fulgencio Batista regieren Kubas Kommunisten, ohne sich jemals durch freie Wahlen legitimieren zu lassen. Auch das am 24. Februar 2019 abgehaltene Schein-Referendum über eine neue „Verfassung“ war eine Farce, da die Kommunisten an ihrem Machtmonopol festhalten, wie Menschenrechtler kritisieren. 2003 wurde Ferrer zu 25 Jahren Haft verurteilt und auf internationalen Druck hin vorzeitig entlassen. „Unsere Leute leisten Basisarbeit, indem sie in Freundes- und Bekanntenkreisen für unsere Ideen werben und dabei auf wachsende Zustimmung stoßen“, sagt Ferrer. Unterstützung bekommt er von Roberto Jesús Guerra Pérez, der mit seiner unabhängigen Presseagentur Hablemos Press regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen auf Kuba berichtet. Bislang haben die Behörden den Fünf-Mann-Betrieb in der dritten Etage einer heruntergekommenen Mietskaserne geduldet, wohl auch aus Angst vor negativer Berichterstattung in der ausländischen Presse.

Der kubanische Dissident Daniel Ferrer in seinem Versteck in Santiago de Cuba. Foto: Benedikt Vallendar
Der kubanische Dissident Daniel Ferrer in seinem Versteck in Santiago de Cuba. Foto: Benedikt Vallendar

Bröckelnder Rückhalt

Nur noch wenige Kubaner unterstützen die kommunistische Regierung ihres Landes. Gefühlte acht von zehn Kubanern befürworten einen demokratischen Wandel. Ein Wandel, der automatisch den Machtverlust der Kommunisten und damit das Ende der Privilegien ihrer Nomenklatura zur Folge hätte; von der Sonderversorgung in der Funktionärssiedlung Punto Cero, dem kubanischen Wandlitz bis hin zum aufwändigen Lebensstil mit Yachten Nobelkarossen und Immobilien in Frankreich und Spanien, durch den vor allem Familienangehörige des 2016 verstorbenen Diktators Fidel Castro immer wieder von sich Reden machen. Bisher konnte sich die Castro-Clique hemmungslos am Volkseigentum bereichern. Sämtliche Hotels stehen auf Kuba unter Kontrolle des Verteidigungsministeriums, das sich als Mehrheitseigner an Joint Ventures seinen Löwenanteil an den lebenswichtigen Deviseneinnahmen sichert. „Trotz fruchtbarer Böden muss Kuba die meisten Lebensmittel importieren, um seine Bevölkerung zu ernähren“, kritisiert Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main die Situation auf der Karibikinsel.

Fragwürdiges Castro-Erbe

Lebensmittelkarten, libretas de alimentación sollen eine Grundversorgung sicherstellen, gleichwohl es auf Kuba kaum etwas zu verteilen, geschweige denn zu verkaufen gibt, was schon bei der Ankunft am Internationalen Flughafen José Martí ins Auge fällt. Bei der Fahrt ins Zentrum sieht der Besucher nur wenige Geschäfte, geschweige denn Supermärkte, Lokale oder Tankstellen.

Gegen diese Zustände rührt sich seit langem Widerstand, quer durch alle Schichten. Ob gebildet, ungebildet, Hausfrau oder Lkw-Fahrer, kaum jemand äußert sich noch begeistert über das politische Erbe Fidel Castros, der das Land ein halbes Jahrhundert mit eiserner Faust regiert und in einem desaströsen, ökonomischen Zustand hinterlassen hat. Dessen angebliche, gebetsmühlenhaft wiederholten „Verdienste“, wie freiem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung bleiben unwidersprochen, da unabhängiger Journalismus auf Kuba verboten ist.

Protest gegen das kommunistische Unrechtssystem. Foto: Benedikt Vallendar
Protest gegen das kommunistische Unrechtssystem. Foto: Benedikt Vallendar

Wie einst die SED

In ihrem friedlichen Kampf gegen die Diktatur zeigt sich die kubanische Opposition wendig und flexibel. Das Internet hilft, wenn auch noch nicht in den gewünschten Maßen. Wenn sich Oppositionsführer Daniel Ferrer und seine Mitstreiter außerhalb Santiago de Cubas zu größeren Versammlungen unter freiem Himmel treffen, greifen sie seit neuestem auf Mitfahrgelegenheiten vorbeifahrender Lastkraftwagen zurück, da sie von der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bei Strafandrohung für die Fahrer seit langem ausgeschlossen sind. Denen droht ein Bußgeld und im schlimmsten Fall Haft wegen „Unterstützung der Konterrevolution“, so nebulös der Tatbestand auch sein mag. Und dennoch: Trotz rigoroser Maßnahmen, wie etwa der erst vor wenigen Wochen erfolgten Entlassung der bekannten Kunsthistorkerin Omara Ruiz Uricola (48) wegen regierungskritischer Äußerungen, gerät die Partei- und Regierungskaste unter dem amtierenden Staatspräsidenten Miguel Díaz-Canel zunehmend unter Druck. „Falta una chispa“, es genügt ein Funke, und das Land explodiert, ist Oppositionsführer Daniel Ferrer überzeugt. Doch die Regierung zeigt sich starrsinnig, wie einst die SED gegen Ende der achtziger Jahre. Regelmäßig schiebt die zensierte Presse die Versorgungsmisere dem westlichen Ausland in die Schuhe, allen voran den USA, aber zunehmend auch Deutschland und anderen NATO-Verbündeten, deren Bürger als zahlungskräftige Touristen bislang den wirtschaftlichen Kollaps Kubas verhindert haben. Nur wenige westliche Länder zeigen sich bislang offen solidarisch mit der kubanischen Opposition. Immerhin seit 2012 dürfen Dissidenten in La Habana in der tschechischen und litauischen Botschaft kostenlos das auf der Insel stark reglementierte und überteuerte Internet nutzen und westliche Literatur lesen, darunter den bis heute verbotenen Romanklassiker „1984“ von George Orwell. Was auffällt: Die rund 700 Kilometer lange, von Schlaglöchern übersäte Fahrtstrecke zwischen La Habana und Santiago de Cuba flanieren überwiegend unordentlich angelegte Zuckerrohrfelder, etwas Mais und verstreut liegende Bananenstauden, deren Erträge meist dem Eigenkonsum dienen. Kubas Wirtschaft liegt darnieder, sagen westliche Beobachter, „sie hat aufgehört zu funktionieren, Atemstillstad, Exitus“, sagen unmittelbar Betroffene, allen voran die „Damen in Weiß“, damas de blanco unter ihrer Vorsitzenden Berta Soler, die sich auf Kuba für die Rechte politscher Gefangener einsetzen und dafür 2006 mit dem Sacharow -Preis des Europäischen Parlaments für geistige Freiheit ausgezeichnet wurden. Immer sonntags trifft sich die landesweit einige Hundert Frauen ausmachende Gruppe, um nach dem Besuch der Heiligen Messe im La Habaner Stadtteil Miramar friedlich und in schlichter, weißer Kleidung für einen demokratischen und ökonomischen Wandel auf Kuba zu demonstrieren. Regelmäßig kassieren die Frauen dafür Prügel von Geheimdienstmitarbeitern, meist farbigen, jungen Männern aus den ärmeren Vororten der Hauptstadt, die im Auftrag des Innenministeriums für umgerechnet 40 Euro im Monat die Drecksarbeit gegen politisch Andersdenkende erledigen.

Die kubanische Oppositionsgruppe "Damas de blanco" (Damen in Weiß) protestiert unter dem Dach der Katholischen Kirche gegen Korruption und das kommunistische Unrechtssystem in ihrem Land. Foto: Benedikt Vallendar
Die kubanische Oppositionsgruppe „Damas de blanco“ (Damen in Weiß) protestiert unter dem Dach der Katholischen Kirche gegen Korruption und das kommunistische Unrechtssystem in ihrem Land. Foto: Benedikt Vallendar
Die kubanische Oppositionsgruppe "Damas de blanco" (Damen in Weiß) protestiert unter dem Dach der Katholischen Kirche gegen Korruption und das kommunistische Unrechtssystem in ihrem Land. Foto: Benedikt Vallendar
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Die kubanische Oppositionsgruppe "Damas de blanco" (Damen in Weiß) protestiert unter dem Dach der Katholischen Kirche gegen Korruption und das kommunistische Unrechtssystem in ihrem Land. Foto: Benedikt Vallendar
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Über Benedikt Vallendar 77 Artikel
Dr. Benedikt Vallendar wurde 1969 im Rheinland geboren. Er studierte in Bonn, Madrid und an der FU Berlin, wo er 2004 im Fach Geschichte promovierte. Vallendar ist Berichterstatter der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main und unterrichtet an einem Wirtschaftsgymnasium in Sachsen.