Vom (Töten im) Kriege – Teil 2

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In dem berühmten Buch „Vom Kriege“ des preußischen Generals Carl von Clausewitz geht es um Strategien und die politische Komponente der Kriegführung. Vom Töten ist keine Rede. Der chinesische General Sun Tsu betont in seinem Strategie-Klassiker „Die Kunst des Krieges“ aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert eher das Vermeiden von blutigen Schlachten. Die Militärdoktrinen unserer Zeit sind politisch-strategische Konzepte der Regierungen, normalerweise als Sicherheitskonzept zur Verteidigung formuliert. Eine „Vorwärtsverteidigung“ und entsprechende Offensivbewaffnung gehören überall dazu. Vom Töten und den damit verbundenen moralischen Problemen ist auch hier keine Rede. Trotz aller schrecklichen Bilder in den Medien wird der Tod überwiegend in abstrakten Verlustzahlen erwähnt, Leichenbilder werden verpixelt oder nicht veröffentlicht. Offenbar gibt es für das Töten einen blinden Fleck in Gesellschaft und Medien. Gleichzeitig werden Video-Killerspiele immer beliebter und immer realistischer. Das Ausblenden des Tötens und gleichzeitig die Zunahme von Gewaltfantasien in Computerspielen gehören zu den sozialen Pathologien unserer Zeit.

Teil 2: Neandertaler, Schimpansen und menschliche Aggressivität

Evolutionsbiologie, Paläontologie und Anthropologie leisten interessante Beiträge zum Verständnis von Aggression bei Tieren und Menschen. Ein Schlüsselbegriff ist dabei die Territorialität. Räuberische Landsäugetiere wie Löwen und Wölfe, die im Rudel jagen, verteidigen ihre Jagdreviere gegen Eindringlinge. Auf dem Spiel steht immer die Nahrungssicherheit, was ganz ähnlich für die Frühmenschen galt. Homo Sapiens und Neandertaler waren kooperative Großwildjäger und mussten kämpfen, wenn zu viele Jäger die Tierbestände reduzierten und Hunger drohte. Die Jagdwaffen machten beide Gruppen gleichermaßen kriegstüchtig. An den gefundenen Knochenresten sind oft genug Kampfspuren sichtbar, vor allem Schädelverletzungen durch Keulen und Unterarmbrüche bei der Abwehr von feindlichen Schlägen sowie Speer- und Pfeilwunden an Knochen. Die Neandertaler starben vor 40.000 Jahren aus, aber etliche ihrer Gene haben überlebt. Mit dem Homo Sapiens stimmen bis heute 99,7 Prozent der DNA überein. Die phänotypischen Unterschiede waren deutlich signifikanter als diese Zahl vermuten lässt, obwohl weniger unterschiedlich als zwischen Menschen und Schimpansen, die auch in der DNA zwischen 98 und 99 Prozent übereinstimmen. Bemerkenswert bei unseren engsten Verwandten, den Schimpansen, bleiben ihre ausgeprägten territorialen Instinkte. Als einzige Spezies tun sich die Männchen fast regelmäßig zusammen, um die Männchen anderer Gruppen zu attackieren und zu töten. In der Evolutionsbiologie wird das als kooperative Aggression bezeichnet, die sich bei den gemeinsamen Vorfahren seit sieben Millionen Jahren herausgebildet hat und uns fortgeschrittenen Hominiden bis heute nicht erspart bleibt. Man muss nur einmal die diversen Konflikte unserer Zeit unter dem Stichwort „kooperative Aggression“ betrachten und die Auslöser und Argumentationsmuster dagegenhalten. Fast alle der zahlreichen Kriege unserer Epoche ergeben dann ein Bild, wie die aggressive Bereitschaft zur Gewaltanwendung erhebliche Teile einer Bevölkerung erfassen kann. Militärische Lösungen für politische Probleme werden dann akzeptabel, obwohl die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gezeigt haben, dass selbst Supermächte keine Kriege mehr gewinnen.

Die individuelle Aggressivität des Menschen wird von Psychologen, Neurologen und Soziologen untersucht und das mit Neandertalern und Schimpansen geteilte genetische Erbe kommt bei den Erklärungen nicht zu kurz. Auch die perverse pathologische Lust am Töten, etwa beim Breivik-Massaker auf der norwegischen Insel Utöya 2011, die auch bei zwei Prozent der regulären Soldaten unterstellt wird, ist psychologisch intensiv analysiert worden. Der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Erich Fromm hat das Töten in seiner „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ (1974) auf dem Hintergrund von theoretischen Ansätzen wie Instinkt und genetisches Erbe (Konrad Lorenz) oder Behaviorismus und Konditionierung (Skinner) als ursprünglich überlebenswichtig definiert. Die Bereitschaft, andere Menschen zu töten sei auch in ihrer brutalen Form ohne biologische oder soziale Begründung eine menschliche Eigenschaft unter anderen. In seinem Buch „Die Seele des Menschen: Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen“, 1964 in den USA und 1992 auf Deutsch erschienen, fasst Fromm seine Sicht auf die Politik der Gewaltanwendung zusammen:
Der normale Mensch mit außergewöhnlicher Macht ist die Hauptgefahr für die Menschheit – nicht der Unhold oder der Sadist. Aber genauso wie man Waffen braucht, um einen Krieg zu führen, so braucht man auch die Leidenschaften des Hasses, der Empörung, der Destruktivität und Angst, wenn man Millionen dazu bringen will, ihr Leben aufs Spiel zu setzen und zu Mördern zu werden.“

Die meisten Sozialwissenschaftler gehen davon aus, dass in bestimmten Situationen jeder Mensch töten kann, allerdings Männer eher als Frauen. Der Konstanzer Neuropsychologe Thomas Elbert hat das Töten in Extremsituationen untersucht. Er hat in afrikanischen Krisengebieten Kämpfer aller Art interviewt, auch an einem Genozid beteiligte. Zum Vergleich hat er Weltkriegsveteranen in Deutschland befragt und eine Reihe von Parallelen gefunden. Die meisten empfanden den Krieg zwar als Katastrophe, viele gaben aber zu, dass es nach einer Gewöhnungsperiode auch Befriedigung und sogar „Spaß“ bringen kann, Gegner zu töten. Im Rückblick fühlen sich Veteranen oft als Helden, die für einen höheren Zweck gekämpft haben und erwarten dafür die Anerkennung der Gesellschaft. Die dramatische Zunahme posttraumatischer Belastungsstörungen bei den amerikanischen Vietnam-Heimkehrern wurde auch auf die ausbleibende Anerkennung im damals kriegsmüden und mit der Niederlage hadernden Amerika zurückgeführt.

In Deutschland hat die sogenannte Friedensdividende das gesellschaftliche und politische Interesse an der Bundeswehr so stark reduziert, dass ihre Finanzierung heruntergefahren und die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Die wenig überraschende Folge war, dass immer weniger Freiwillige angeworben werden konnten. Um dem entgegenzusteuern hat die Bundesregierung eine „Zeitenwende“ ausgerufen und als neuesten Schritt die Einführung eines Veteranentages angekündigt. Wie hilfreich das für die angestrebte Kriegstüchtigkeit ist, wird wohl fraglich bleiben. Sowohl in der Ukraine als auch in Russland haben sich Hunderttausende von Wehrpflichtigen ihrer Einberufung entzogen und sind in sichere Nachbarländer ausgewichen, viele davon nach Deutschland. Die politische Frage, wie eine allgemeine Kriegsstimmung oder Kriegsbereitschaft entstehen kann, wird von den sozialwissenschaftlichen Theorien zum Töten nicht beantwortet. Im Kapitel „Sozialpsychologie des Krieges: Der Krieg als Massenpsychose und die Rolle der militärisch-männlichen Kampfbereitschaft“ im „Handbuch Kriegstheorien“ (Springer 2011) heißt es in einer Zusammenfassung des Verlags:

Mit dieser These, erst die systematische Dehumanisierung erleichtere das massenhafte Töten, wird ein wichtiger Aspekt der sozialpsychologischen Kriegsursachenforschung angesprochen. Es wird aber offengelassen, welche (bewussten und unbewussten) individuellen und gruppenbezogenen Prozesse, Dynamiken und Mechanismen bei der Herstellung von Kriegsbereitschaft, bei kriegsbedingten Grausamkeiten und bei der Vernichtung Wehrloser sowie bei der vorab erfolgenden Herabsetzung von Menschen bis hin zu ihrer vollkommenen Entmenschlichung zusammenwirken.“

Interessante LINKS:
AKUF : Internationale Beziehungen : Universität Hamburg (uni-hamburg.de)
Handbuch Kriegstheorien | SpringerLink
Anzahl der Kriege und Konflikte bis 2022 | Statista
Anatomie der menschlichen Destruktivität – Wikipedia
Die Seele des Menschen (irwish.de)
The Roots of Human Aggression | Scientific American
War and Aggression | SpringerLink
Im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Elbert (idw-online.de)
A New Era of Conflict and Violence | United Nations
Weltweite Militärausgaben durch Ukrainekrieg auf Höchststand (faz.net)