Die EU blockiert die ungarische Energieunabhängigkeitsperspektive

international fahne flagge ungarn, Quelle: jorono, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Der russische Überfall auf die Ukraine setzt uns alle unter Druck. Zuerst natürlich die freie Ukraine und ihre Bevölkerung. Auch die direkten Nachbarn sind stark betroffen. Sie wollen helfen und nicht gleichzeitig Kriegspartei werden. Zudem will kein Nachbar zurück in den russischen Machtbereich.

NATO und EU haben die Aufgabe, alle legitimen Interessen zu koordinieren und dabei die Diskussionsschärfe zwischen den Partnern möglichst gering zu halten. Vor allem der Brüsseler Lehrmeister ist gut beraten, sich in seiner oberlehrerhaften Attitüde zurückzuhalten.

Im Moment steht Ungarn in Energie- und Waffenlieferungsfragen schwer unter Druck, während es den Flüchtlingsstrom aus der Ukraine vorbildlich managt. In diesem Kommentar geht es um das Energie-Embargo gegen Russland. Zu diesem Zweck lohnt der Blick auf den ungarischen Energiemix, auch vor dem Hintergrund, dass Viktor Orbán im Hinblick auf das Embargo von einer „Atombombe“ für Ungarn spricht. Das „Deutsch-Ungarische Institut“ stellt Ungarns Energieversorgung in seinem neuesten Papier vom 3. Mai 2022 anschaulich dar.

In der Region ist Ungarn das Land mit dem geringsten Potential an Energieressourcen. Die heimische Energieproduktion macht nur 45% der gesamten Primärenergieversorgung (primary energy supply) aus…“ so die Verfasser des Papieres zur Energieversorgung. Ungarn ist somit als kleines Land in hohem Maße bis zu 55 Prozent von Energieimporten abhängig. Diesen Nachteil haben viele weitere Länder zu tragen. Hier ist Ungarn nicht allein. Doch ist der aktuelle Energiemix nur ein hausgemachtes Problem oder spielen geopolitische Zusammenhänge der Vergangenheit noch immer eine Rolle und welchen Anteil haben die seit 1989/90 neu entstandenen Bündnisse auf den derzeitigen Energiemix? Diese Fragen bedürfen der fairen Erörterung innerhalb der EU.

Ungarn war Teil des sowjetischen Kolonialsystems und als solches wie alle anderen Ostblockstaaten in ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten gezwungen. Kein „Bruderstaat“ sollte autark sein können, weder im Energie- oder im allgemeinen Wirtschaftsbereich. Die Hauptabhängigkeit bezog sich auf die Sowjetunion. Im Energiebereich wirkt das bis heute fort. An die Stelle der Sowjetunion rückte Russland. Die Abhängigkeiten sind, wenn auch in anderen Zahlen, hoch geblieben. Das lag in den 90er Jahren in fehlenden durchgängig wirkenden Reformen im ungarischen Energiemarkt. Die Regierungen wechselten damals im regelmäßigen Pendelschlag, was im Bereich der Energiesicherheit strukturelle Erfolge nicht beförderte.

Mit der freiwilligen EU-Mitgliedschaft Ungarns 2004 kamen stabile wirtschaftliche Hilfen und Programme ins Land, die segensreich wirkten. Gleichzeitig wurde Ungarn eher unfreiwilliger Diskussionspartner der postmodernen Aufständischen gegen die vier Grundrechenarten im Bereich Energie und Umwelt. Die Kernenergie wurde per Unfehlbarkeitsbeschluss verdammt, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt auch auf diesem Gebiet als nicht mehr möglich betrachtet. Im Ergebnis entfielen EU-Finanzierungsgrundsätze für neue Kernkraftwerke. Wer, wie Ungarn, seine Energieversorgung auch mittels der Kernenergie mit größeren Anteilen am Energiemix sicherstellen wollte, fand in der EU keine Banken mehr. In diese Lücke sprang 2013 Russland. Das war zu einem Zeitpunkt als dieser Staat von den EU-Lehrmeistern hofiert und gefeiert wurde. Der russische Bruch des „Budapester Memorandums“ lag noch in der unbekannten Zukunft. Die einzige Kritik der Lehrmeister erging sich an der ungarischen Nutzung der Atomkraft, nicht etwa am wirtschaftlichen Umgang mit dem aggressiven Nachbarn. Ungarn stand damals nicht als erster in der Reihe derer, die oft und gern nach Moskau pilgerten. So viel zur Heuchelei in der EU über Ungarn.

Die Hauptquellen der Primärenergie in Ungarn sind Erdgas und Rohöl, die bis zu 95 Prozent von Russland bezogen werden. Diese Abhängigkeit ist gewaltig und auch Folge der EU-Energiepolitik. Wie oben bereits skizziert. Auch Ungarn will das ändern und setzt vor dem Hintergrund der russischen Ukraine-Krieges stärker auf den Nord-Süd-Korridor für LNG von Polen und dem Baltikum nach Mittelosteuropa, der aber gerade erst Gestalt annimmt und nun wahrscheinlich eine Beschleunigung erfahren wird. Eine weitere Alternative ist mit der TurkStream2-Initiative im Gespräch, die die Balkanverbindung der TurkStream-Pipeline über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich realisieren soll. Was jedoch nicht wirklich weniger Unabhängigkeit von Russland bedeuten würde und mit diesem Stand keine Alternative ist., weil Gazprom bislang der einzige Kapazitätenbieter im Wettbewerb ist.

Noch kann Ungarn auf die einheimische Notfallenergiequelle Braunkohle zurückgreifen. Bis 2030 werden jährlich 9,3 Millionen Tonnen abgebaut und zur Energieerzeugung verwendet. Der Anteil ließe sich wieder steigern, doch wollen das weder Ungarn noch die EU.

Die Geothermie birgt in Ungarn ein hohes Potential, da das Land hierfür einen der besten Standorte der EU darstellt. Bekanntlich wussten das schon die alten Römer mit ihrer Badekultur zu schätzen. Die Perspektiven sind gut, doch ist es Zukunftsmusik.

Solarenergie wird in Ungarn zwar nie in der Grundlastsicherung eine Rolle spielen, doch mit seinen zahlreichen Sonnenstunden wird das Land im Bereich der erneuerbaren Energien damit den am stärksten wachsenden Teilbereich aufweisen. Aber auch das ist noch Zukunftsmusik.

Wind- und Wasserkraft spielen in Ungarn aufgrund ihres geringen Potentials eine untergeordnete Rolle. Daran wird sich nichts ändern.

Der avisierte ungarische Strommix bis 2030 sieht 54 % Atomenergie, 30 % Erdgas, 16 % erneuerbaren Energien und 5 % Kohle vor. Macht in Summe erstaunliche 105 Prozent. Was wiederum leicht erklärt ist. Jedes zusätzliche erreichte Prozent aus dem Energiemix-Szenario „Atomkraft-erneuerbare Energie-Kohle“ (der ungarischen Energiestrategie 2030) führt zum Aufbau einer sicheren Back-Up-Kapazität/Power und substituiert dabei gleichzeitig Energieimporte.

Das infolge des Überfalls auf die Ukraine in der EU geforderte Embargo russischer Energiequellen macht diesen Strommix zunichte. Wie bereits oben geschrieben, sichert russisches Gas den 30-prozentigen Gasanteil im ungarischen Energiemix derzeit ab. Hier wiederum steht Ungarn vor dem ernsten Problem des überdurchschnittlich hohen Anteils der Privathaushalte am Gasverbrauch. Die Bevölkerung Ungarns ist auf das Gas angewiesen. Ungarn arbeitet an dieser Problematik schon länger und strebt in diesem Bereich einen zunehmenden Anteil erneuerbarer Energien an.

Das Embargo würde damit die ungarische Energie- und soziale Sicherheit zerstören. Mit Folgen, die Ungarn destabilisieren würden. Da die Russland-Abhängigkeit Ungarns sehr viel mit der illusorischen Energiepolitik der EU zu tun hat, ist Viktor Orbán gut beraten, die EU zur Lösung der mit dem Embargo entstehenden temporär unlösbaren Probleme voll mit ins Boot zu nehmen. Besonders gilt das vor dem Hintergrund des unehrlichen Prozessierens der EU gegen Ungarn.

Ungarns energetische Ausrichtung ist unideologisch und sieht die Nutzung aller Energiearten vor. Das allerdings immer unter der Maßgabe, das Land und seine Bevölkerung nicht den Schwankungen der erneuerbaren Energien auszuliefern. Wo es Sinn macht, andere Energiearten zu nutzen, wird das immer geschehen und mit dem technischen Fortschritt auch mehr Raum greifen. Aber Ungarn wird eines nicht tun: Um einer Ideologie willen die eigene Bevölkerung und den eigenen Staat im Bereich Energiesicherheit gefährden.

Im Bereich der Stromgewinnung steht die Atomkraft an erster Stelle und könnte zukünftig einen weit größeren Anteil einnehmen. Das lassen die jüngsten Beschlüsse in der EU hinsichtlich der (nun wieder) grünen Atomenergie vermuten. Ungarn ist bestrebt, weit größere Energieautarkie zu erreichen. Wer Ungarn helfen will, unabhängiger von russischem Gas und Öl zu werden, der muss sich bewegen und den Bau neuer Atomkraftwerke forcieren! Sonne, Wind und Biomasse werden das nie kompensieren können.

Sowohl beim Embargo als auch im sogenannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus der EU-Bürokratie geht es für Ungarn um existenziell viel Geld. Vor allem da es heißt, Ungarn solle endlich seinen Verpflichtungen nachkommen, sonst würden die Gelder gestrichen – Gelder des Corona WIEDERAUFBAU-Fonds wohlgemerkt, die genau dafür genutzt werden könnten, aus ganz unideologischen realpolitischen Gründen die Abhängigkeit vom Öl und Gas zu reduzieren. Ungarn rechnet derzeit mit 3-5 Jahren dafür. Die EU blockiert also erneut, wie über viele Jahre gegen die Kernkraft geschehen, die ungarische Energieunabhängigkeitsperspektive.

Ein Vertreter aus Berlin/Brüssel meinte unlängst sogar, die Ungarn dürfen sich darauf einstellen, dass sie bald kein Geld mehr von der EU zu erwarten hätten und forderte gleichzeitig ungarisches Entgegenkommen beim Öl-Embargo.  „Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“ heißt ein Sprichwort. Die EU sollte auf ihr ideologisches Spiel verzichten! Aber das wäre schlau und die EU ist nicht schlau. Aber vielleicht wird sie das ja noch werden?

In ihrer Rede zur Amtseinführung erklärte die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novak, die ihre erste Reise übrigens nach Warschau antreten wird, dass Ungarn die Aggression des russischen Präsidenten Wladimir Putin verurteilt. „Ungarn ist nicht neutral“, steht „auf der Seite der unschuldigen Opfer und der Gerechtigkeit“, erfüllt seine „Pflichten als Nato- und EU-Mitglied“, vertritt dabei jedoch die „ungarischen Interessen“.

Katalin Novak sehr deutlich:Auf unsere so oft erkämpfte Souveränität werden wir unter keinen Umständen verzichten!“

Die Vermutung liegt nahe, Ungarn, Polen, Balten, Tschechien, Slowakei und die Ukraine verbindet wesentlich mehr als dem Brüsseler Establishment gefallen dürfte: Nämlich der Stolz auf den eigenen Unabhängigkeitskampf und die Erfahrungen aus zwei Diktaturen.

Quelle: Weissgerber – Freiheit

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