Die wundersame Vermehrung des Geldes und wie schnell es auch wieder verschwinden kann

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Geld macht glücklich, wenn man genug davon hat, besonders wenn es sich fast von allein vermehrt. Die amerikanische Diskussion zur Finanzpsychologie hat inzwischen wissenschaftlich befunden, dass Geld erst ab einer Schwelle von 500.000 Dollar Jahreseinkommen das persönliche Glücksgefühl nicht mehr steigert. Geld macht aber auch nicht unbedingt unglücklich, wenn man nicht viel davon hat. Mit Sicherheit macht es aber unglücklich, wenn es plötzlich weg ist, etwa bei einer Pleite. In einem eigenen Unternehmen kann man den Bankrott meistens kommen sehen, verschließt aber gern die Augen, bis es zu spät ist. Früher war dann oft ein Selbstmord die Folge, das kommt inzwischen kaum noch vor. Etwas häufiger geworden ist dafür die Eröffnung eines neuen Unternehmens nach dem Offenbarungseid. Serienpleitiers mogeln sich an neue Geldquellen heran und finden immer wieder neue Opfer. Während Privatpleiten oft noch überschaubaren Schaden anrichten, geht es bei Bankpleitenschnell in lichte Milliardenhöhen.

Die aktuelle Bankenkrise

Der Zusammenbruch der Silikon Valley Bank (SVB) in Kalifornien schien zunächst so weit weg von Deutschland, dass er Schlagzeilen auslöste aber keine große Besorgnis. Und wen kümmert bei uns schon die Verschuldung der Vereinigten Staaten? Schließlich bleibt der Dollar doch die sicherste Anlagemöglichkeit weltweit, oder jetzt doch nicht mehr? Ausgelöst wurde der SVB-Zusammenbruch durch einen ihrer Investoren, der wegen einer schlecht geplantenKapitalerhöhung der Bank das Vertrauen verlor und sein Kapital abzog. Die Folge war ein rasend schneller „bank run“, die Anleger zogen in Scharen ihre Einlagen zurück. Im Deutschen wird bank run meist als Bankansturm oder Schaltersturm bezeichnet. Das klingt etwas unbeholfen und zeigt, dass so etwas bei uns eher selten vorkommt. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 und die Inflation sind ja so lange her, und die Folgen der Finanzkrise von 2008 sind staatlicherseits geschickt und fast geräuschlos entschärft worden. Commerzbank, WestLB, HSH Nordbank, Hypo Real Estate und andere gelten wieder als sicher, auch wenn ihre Aktienkurse schon fallen. Die Idee, faule Kredite an sogenannte Bad Banks auszulagern war einfach genial, hat den deutschen Steuerzahler allerdings schon bis 2015 insgesamt 236 Milliarden Euro gekostet. Kritische Ökonomen sind da offener und sprechen gerade auch im europäischen Kontext von wohlklingenden Statistiklügen. Nun ist es in der Tat eine Aufgabe der Politik und der Finanzinstitutionen, das Vertrauen in die Währung zu bewahren, das ist praktische Finanzpsycholgie. Während Bankaktien bereits sinken,wiegelt auch Finanzminister Lindner in diesen Tagen ab und erklärt die deutschen Banken für sehr viel besser aufgestellt als 2008. Die Einschläge kommen allerdings näher, gerade in diesen Tagen mit dem Zusammenbruch der Schweizer Großbank Credit Swiss. Ihre Übernahme durch die Union Bank of Switzerland (UBS), die ohnehin schon die größtePrivatbank der Welt ist, kann nicht alle Probleme lösen. Denn die Fusion wird viele Filialen der bisher konkurrierenden Banken bedrohen und Arbeitsplätze kosten. Die UBS gehört zu den rund dreißig Großbanken, die als systemisch gelten und nicht zusammenbrechen dürfen, weil sie das gesamte Bankensystem gefährden würden. Sollte das trotzdem passieren, wäre selbst die reiche Schweiz nicht in der Lage, den Koloss zu retten.
Der amerikanische Ökonom Prof. Nouriel Roubini, an der Wall Street „Dr. Doom“ genannt, hat lange vor der SVB-Pleite einen größeren Bankenkrach für dieses Jahr vorausgesagt. Pessimisten wie er sind natürlich die schlimmsten Feinde der Notenbankchefs und der Finanzpolitiker, die abwiegeln und Zuversicht verbreiten müssen, weil das ihre Aufgabe ist. Aber vielleicht ist in solchen Krisen die flapsige Definition des Unterschieds zwischen Optimisten und Pessimisten nicht mehr so lustig. Sie meint nämlich, dass die Pessimisten meistens besser informiert seien als die Optimisten. Deshalb gibt es auch viele Wirtschaftswissenschaftler, die Finanz– und Bankenkrisen für unvermeidlich halten.
Die nationalen Instrumente zur Krisenbewältigung, Notenbanken und Finanzpolitik, wie auch die weltweiten Mechanismen, Weltbank und Internationaler Währungsfonds, tragen zur Stabilisierung der Finanzsysteme bei und können ausgewachsene Staatspleiten deutlich entschärfen. Das hat das allgemeine Vertrauen in der Bevölkerung oft bis zur Sorglosigkeit gestärkt. Bei den Vermögenden sieht das allerdings anders aus. Wer viel zu verlieren hat, sieht zu, wie er sein Geld am besten schützen kann, was gerade in den letzten Jahrzehnten zur Entwicklung der professionellen Vermögensverwaltungen geführt hat. Zu den Schattenseiten dieser Spezialinstitute gehört, dass sie die Grenze der Steuervermeidung deutlich in Richtung Steuerhinterziehung verschoben und die Ausbreitung von Steueroasen begünstigt haben. Auf vielen sonnigen Inseln in der Karibik mit auffallend vielen Anwaltskanzleien verstecken sich riesige Geldvermögen hinter Briefkastenfirmen ohne Büro, ohne Mitarbeiter und ohne lästige Steuern.
Die Finanzindustrie und ihre Investmentbanken haben die Entstehung von Riesenvermögen begünstigt, die kaum oder keine Verbindung zur Realwirtschaft mehr brauchen. Kritiker haben das als Kasinokapitalismus gebrandmarkt und die Verbindung zum Glücksspiel liegt ja auch nahe. Wagniskapital kann hohe Renditen generieren oder zum Totalverlust führen. Die Risikobereitschaft eines Investors hängt von vielen Faktoren ab, CNN Business reduziert sie unverblümt auf einer Achse von 1 bis 100 zumGreed and Fear Index“, also zwischen Geldgier und Angst. Damit kann man das aktuelle Investitionsklima ganz gut definieren, in den USA schwankt es in diesen Tagen zwischen Angst und extremer Angst. Fallende Bankaktien könnten den gesamten Aktienmarkt anstecken. Psychologisch sind die Mechanismen auch in den Extremen zumindest ähnlich, Emotionen und Selbstdisziplin sind entscheidend. Roulette-Spieler wetten auf ihre Glückssträhne und verdrängen frühere Verluste nur allzu gern. Wenn Finanzjongleure in ganz großem Stil wetten, wie George Soros oder Warren Buffet, werden sie zu heldenhaften Idolen, große Verlierer halten sich meist nicht lange in den Schlagzeilen. Einer davon ist Sam Bankman-Fried, deramerikanische Jungunternehmer aus dem Jahrgang 1992, der mit seiner Start-up-Firma FTX in den Handel mit Krypowährungen einstieg und innerhalb weniger Jahre ein Vermögen von 26 Milliarden Dollar anhäufte. Als FTX im November 2022 pleiteging, war von dem Geld kaum noch etwas übrig. Sein Fall ist wegen Betrugsverdacht gerichtsanhängig, aber Freunde der Familie garantieren für ihn eine Kaution von 250 Millionen. Hoch bezahlte Mitarbeiter von Finanzdienstleistern kommen oft nicht so gut weg. Zwei Manager von Goldman-Sachs, darunter ein Deutscher, sind kürzlich verurteilt worden, weil sie diskret mitgeholfen hatten, Milliarden aus dem malaysischen Staatsfonds 1MDB abzuzweigen.
In dem undurchsichtigen Gemisch von Geldgier, Risikobereitschaft, Vorsicht, Spieltrieb, Lebensstil und Rationalität scheint der menschliche Faktor ziemlich evident zu sein. Wenn der Kasinokapitalismus der letzten Jahrzehnte und Lebensstil-Fantasien aus der Filmindustrie die Risikobereitschaft auch mit angeheizt haben, neu sind solche Phänomene absolut nicht. Hier ein historisches Beispiel mit bemerkenswerten Parallelen:

Aufstieg und Fall des Law-Systems

Papiergeld gab es in China seit dem 7. Jahrhundert, Europa benutzte bis ins 18. Jahrhundert Gold- und Silbermünzen, deren Qualität allerdings gern manipuliert wurde. Die ersten Aktien führten die Niederländer ein, um die Vereinigte Ostindien-Compagnie (VOC) zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu finanzieren, die erste moderne Aktiengesellschaft, die mit dem beginnenden Welthandel ungeheuer profitabel wurde. England folgte sehr schnell mit der East India Company (EIC), die maßgeblich das britische Weltreich mit aufbaute. Frankreich und Schweden mischten ebenfalls mit, Deutschland blieb im beginnenden Fernhandel zurück und erlebte das traurige Ende der einst stolzen Hanse. Praktisch alle Aktionäre dieser Zeit erzielten satte Gewinne, auch wenn mal eins der Schiffe unterging. Die erste große Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte Europas war die Tulpenkrise oder Tulpenmanie in den Niederlanden 1636/37, bei der fast jeder, der ein wenig Geld hatte, eingestiegen war und viele ruiniert wurden.
Die größte Finanz- und Aktienkrise ereignete sich zu Beginn des 18.Jahrhunderts aber in Frankreich. Am Ende der glorreichen Regierungszeit des Sonnenkönigs Ludwig XIVstand Frankreich praktisch vor dem Staatsbankrott. Ein verschwenderischer Hofstaat und die militärischen Abenteuer hatten das Land in Schulden gestürzt, die weit über die Wirtschaftskraft hinausgingen. Das Gold und Silber für das Standard-Zahlungsmittel Münzen war knapp geworden, die Wirtschaft stagnierte oder schrumpfte. Rechnungen wurden nicht mehr bezahlt, die notleidende Bevölkerung wurde unruhig. Da erscheint der vermeintliche Retter aus der Not, ein schottischer Abenteurer namens John Law. Er hat das Erbe seines Vaters durchgebracht und hält sich in London mit Glücksspielen über Wasser. Der ständige Geldmangel inspiriert den mathematisch begabten jungen Lebemann zu finanzpolitischen Überlegungen, die er zu einer Theorie ausbaut, da auch England in finanziellen Nöten ist. Ein wichtiger Bestandteil seiner Theorien ist die Ausgabe von Papiergeld, mit dem Landbesitzer Hypotheken bis zum zwanzigfachen ihrer jährlichen Einkünfte aufnehmen können. Diese Papiere seien sicherer und stabiler als die schnell an Wert verlierende Münzwährung. Nach einem verbotenen Duell zum Tode verurteilt und später begnadigt, kann er aus dem Gefängnis ausbrechen und auf den Kontinent entkommen. Wie sein jüngerer Zeitgenosse Casanova zieht er, oft genug erfolgreich bei Glücksspielen und den Damen, von Residenz zu Residenz, kann aber keinen Fürsten von seiner Geldtheorie überzeugen. In Venedig gewinnt er sich an den Spieltischen reich und kauft wertbeständige Gemälde. 1715 ist er in Paris und schlägt dem Herzog von Orleans, der für den minderjährigen Ludwig XV die Regierung führt, sein Finanzsystem vor. Der Regent lässt sich im Angesicht des drohenden Staatsbankrotts überzeugen und gestattet Law die Einrichtung einer Art von privater Zentralbank nach niederländischem Vorbild, der Banque Générale Privée, die 1718 zur Banque Royale wird. Sie tauscht das Gold- und Silbergeld der Franzosen gegen staatlich gedecktes Papiergeld ein, was den Zahlungsverkehr zunächst erleichtert. Aber Laws Ehrgeiz geht weiter. Im gleichen Jahr 1718 gründet er die „Compagnie des Indes“, auch Mississippi Kompagnie genannt und verkauft Aktien im Wert von 50 Livres, heute ungefähr 150 Euro, die schnell auf den zehnfachen Wert steigen. Da nun auch der Regent und der Adel einsteigen, entsteht ein Sturm auf seine Bank, der Kurs klettert zeitweise von den ursprünglichen 50 auf 2000 Livres. Law sorgt auch mit Hilfe der verfügbaren Medien für den Erfolg der Aktien. Von ihm angestellte Journalisten beschreiben das wirtschaftliche Potenzial der riesigen französischen Kolonie Louisiana, die erst 1803 für 15 Millionen Dollar von den jungen Vereinigten Staaten aufgekauft wird. Aber der Kursrausch erzeugt auch Misstrauen, etwa bei dem Philosophen Voltaire, der selbst reich ist. Er wird bis heute mit der hellsichtigen Bemerkung zitiert, dass Papiergeld am Ende auf seinen tatsächlichen Wert zurückfallen muss, nämlich auf null. Ob auch er seine Aktien rechtzeitig diskret eingetauscht hat, ist umstritten. Aber die spektakuläre Rücktauschaktion des Prinzen Louis de Conti, der im Oktober 1719 Aktien im Wert von 25 Millionen Livres umtauschen lässt und für den Abtransport der Münzen drei Fuhrwerke benötigt zerstört das Vertrauen. Am 17. Juli 1720 ist Law zahlungsunfähig. Im Gedränge vor der Banque Royale sterben acht Menschen, unzählige Kleinanleger und alle, die ihre Aktien auf Kredit gekauft hatten, sind ruiniert. Gewonnen haben einige Aristokraten und vorsichtige bürgerliche Finanzakrobaten sowie die Banken, die die Aktienkäufe auf Kredit finanziert hatten. Auch das Vertrauen in die Regierung ist dahin, was mittelbar die Revolution von 1789 mit vorbereitet. Law flieht über Brüssel nach Venedig, wo er mehr schlecht als recht an den Spieltischen überlebt und 1729 an einer Lungenentzündung stirbt.
Laws Vermächtnis wird von Wirtschaftshistorikern unterschiedlich bewertet. Sein System war damals hoch innovativ und durchaus von einem Kaliber, das die Wirtschaft Frankreichs des 18. Jahrhunderts hätte voranbringen können.Aber Spekulationsblasen gefährden unsere Geld- und Zahlungssysteme immer wieder. Renditeversprechungen locken auch dann, wenn sie eigentlich als unrealistischerkennbar sein müssten. Alan Greenspan, der ehemalige Chef der amerikanischen Federal Reserve, unvergessen als die Sphinx der Finanzmärkte, nannte das Phänomen „irrational exuberance, einen irrationalen Überschwang. Das hatte beim Pariser Börsenkrach von 1720 schon der rationale Voltaire im Visier. Beim Geld, meinte er, haben alle die gleiche Religion.Man kann nur hoffen, dass sich die aktuelle Banken- und Finanzkrise nach den SVB und Credit SuissePleiten einigermaßen einfangen lässt. Die Überschuldung fast aller Länder ist schon gefährlich genug.

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