Europa in den Zeiten des Sebastian Kurz: Zur österreichischen EU-Ratspräsidentschaft

Foto: Sebastian Kurz und sein Vizekanzler Strache über den Wolken: Im Flugzeug auf dem Weg nach Bruessel (Bundeskanzleramt, Pressefoto, 6. Juni 2018)

Am 1. Juli 2018 übernimmt Sebastian Kurz die EU-Ratspräsidentschaft. Mit seiner bisherigen Politik bewirkte der österreichische Bundeskanzler Kurz eine Destabilisierung der Europäischen Union. Eine weitere Schwächung der EU kann durch die österreichische Ratspräsidentschaft erfolgen.

 

Der Vorsitz des EU-Rates wird an Sebastian Kurz übergeben. Am 30. Juni wird ein Festakt zelebriert. Die österreichische Regierung wählte einen grimmigen Platz für die Feier: Die Planai in der Steiermark. Der Berg von Schladming ist ansonsten bekannt als Skiabfahrt. Das ist ein kräftiges Symbol. Auch die österreichische EU-Ratspräsidentschaft kann zu einer steilen Abfahrt werden. Für die Europäische Union und ihre Grundwerte.

Zehn Tage vor Beginn der Ratspräsidentschaft startete Sebastian Kurz mit Kritik an der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Demnach hätte es Merkel mit ihrer Asylpolitik „verschuldet, dass es heute Grenzkontrollen gibt zwischen Österreich und Bayern“, erklärte Sebastian Kurz am 20. Juni 2018.

Damit zeigte Kurz, dass er die EU-Ratspräsidentschaft nutzen möchte, um weiterhin den Ton vorzugeben. Auch für einen Angriff auf die deutsche Bundeskanzlerin und die ernste Haltung ihrer Politik.

Der erste Staatsbesuch des Kanzlers Kurz in Deutschland wurde in Österreich als Triumph gefeiert. So als hätte Kurz die historische Schlacht bei Kolin gewonnen. Am 17. Januar 2018 war Begeisterung in der Kronen-Zeitung:
„Kurz-Festspiele in Deutschland: Berlin liegt unserem Kanzler zu Füßen“. Am 19. Januar dann am Cover der Krone: „Wie es Kurz den Deutschen zeigte“.


Kurz setzt auf Konfrontation

Aufgabe einer EU-Ratspräsidentschaft ist die Moderation der Themen. Sebastian Kurz aber hofft, dass er damit zu mehr Einfluss in der Europäischen Union kommt. Da taucht schon mal die Phantasie auf, dass Kurz „alles alleine beschließen“ könne.

Die neue Volkspartei fühlte sich gemüßigt, eine Erklärung abzugeben, die dieses aufsteigende Gefühl der Grandiosität mildern soll:

„Klar sei auch, dass Österreich durch die Ratspräsidentschaft etwas mehr Einfluss zukommen würde als bisher. Trotzdem könne man nicht alles alleine beschließen und müsse den Konsens aller 28 Mitgliedsstaaten suchen“. (Presseaussendung der ÖVP, 6. Juni 2018: www.oevp.at/Bundesregierung-in-Bruessel)

Demnach soll bei den Entscheidungen des Ratspräsidenten weiterhin ein Konsens mit den anderen Staaten der Europäischen Union gesucht werden. Eine solche Haltung ist bei Sebastian Kurz keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Als Kurz die ÖVP übernahm wurde die totale Unterwerfung der bisherigen bürgerlichen Partei verlangt.

Realitätsverlust in Wien

Kurz forderte von der ÖVP „freie Hand bei der inhaltlichen Führung“. Weiters sollten bei der Wahl nur noch Personen aus seinem Freundeskreis kandidieren. Für die Listenerstellung wollte Kurz demnach ein „Durchgriffsrecht“. (APA, 13. 5. 2017).

Christian Rainer, der Herausgeber des österreichischen Nachrichtenmagazins profil, geriet ob dieser Schamlosigkeit in Schwärmerei und schrieb für Sebastian Kurz euphorisch:

„dass die Volkspartei nun das einzig rational Fassbare tut: Sie muss Sebastian Kurz zum Parteiobmann machen, wenn nötig händeringend, wenn nötig auf den Knien flehend. Und die ÖVP muss das zu dessen Bedingungen tun: weil er sonst nicht zur Verfügung steht und weil weder Kurz noch die Partei ohne diese Bedingungen eine Lebenschance hat“.

Es wäre naheliegend, dass Sebastian Kurz jetzt dieselbe Forderung stellt, damit er sich bereit erklärt, den EU-Ratsvorsitz zu übernehmen. Mit der Erkärung: „Dass die EU ohne diese Bedingungen keine Lebenschance hat“.


Kurz begleitet Nemesis

New York Times und Washington Post bezeichnen Kurz als österreichische Entsprechung zur deutschen AFD. Wobei Kurz den Ton für die Nemesis von Merkel anstimmt: „The German equivalent (Anm.: von Sebastian Kurz) would be Ms. Merkel’s nemesis, the far-right Alternative for Germany“ (The New York Times, 6. Juni 2018).

Sebastian Kurz profilierte sich bevorzugt mit Kritik an der deutschen Bundeskanzlerin Merkel und an US-Präsident Trump. Kurz will damit den Eindruck vermitteln, dass er ein Nonkonformist sei. In einem Filmszenario ist eine gewisse Prise Nonkonformismus des Protagonisten eine Garantie, dass der Schauspieler eine erfolgreiche Rolle geschrieben bekommt. Dazu erhält Kurz noch eindrucksvolle Film Stills als Reklame. Tatsächlich dient Kurz aber einer repressiven Politik, die der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin Angela Merkel nicht einmal in ihren kühnsten Tagträumen mit Allmachtsphantasien zuzutrauen ist.

Im Oktober 2016 kritisierte Sebastian Kurz die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik. Mit solchen Stellungnahmen wurde Kurz in den deutschen Medien populär. Kurz machte Kritik an Angela Merkel hoffähig. Die deutsche Bundeskanzlerin kann seither nicht mehr in der gewohnten Weise agieren, da Medien unnötige Angriffe starteten. Dazu der Beitrag:
Macht Merkel Kurz zum Staatsmann? (The European, 29. 1. 2018)

Auch US-Präsident Donald Trump geriet ins Visier von Sebastian Kurz. Er kritisierte im April, dass Trump Handelsbarrieren gegenüber der Volksrepublik China durchführen will. Dies in Zeiten, da die Volksrepublik China ernstzunehmend Kriege vorbereitet. Auch mit iUnterstützung ihrer Satellitenstaaten. Beim Volkskongress im März 2018 erklärte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping: „Wir sind entschlossen, den blutigen Kampf gegen unsere Feinde zu kämpfen“.

Wenn der Präsident der USA es für erforderlich hält, dass deshalb Maßnahmen gesetzt werden müssen, etwa durch Handelsrestriktionen, dann sollte der österreichische Bundeskanzler den amerikanischen Präsidenten dafür nicht in die Kritik nehmen. Er soll sein Land auch nicht zu einem Vasallenstaat der Volksrepublik China machen, das chinesische Interessen auf der EU-Bühne artikuliert.

 

Pakt mit Peking

Kanzler Kurz kündigte an, dass er während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft einen Schwerpunkt mit dem Thema China setzen möchte. Am 17. April erschien ein Interview mit Kurz unter dem Titel: „Österreichs EU-Präsidentschaft mit Schwerpunkt China“ (In: Euractiv, 17. 4. 2018). Dazu der Beitrag:
Gui Me: Der österreichische Kanzler Kurz als heiratendes Mädchen in der Volksrepublik China

Kurz setzt auf eine Allianz mit der Volksrepublik China. Dies obwohl die Nachbarländer der VR China seit Jahren von provokanten Grenzzwischenfällen betroffen sind, die die Chinesen setzen. Auch die Tibetfrage bleibt weiterhin ungelöst.

Ein Schwerpunkt der EU-Ratspräsidentschaft hätte für die Ukraine angekündigt werden müssen. Für einen möglichst raschen Beitritt in die Europäische Union. Keinesfalls für die Volksrepublik China. Es wäre nachvollziehbar, wenn die Republik Österreich im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft für die Ukraine sich einsetzen möchte. Als Teil einer forcierten Mitteleuropapolitik, mit der Österreich bisher traditionell identifiziert wurde.

Offenbar geht es darum, dass chinesische Positionen in der Politik der Europäischen Union stärker berücksichtigt werden sollen. Die Haltung von Kurz kommt nicht überraschend. Schon im Regierungsprogramm, dass der neue österreichische Kanzler im Dezember 2017 präsentierte, wurde bezüglich der Volksrepublik China erklärt:

„Besondere Berücksichtigung von neuen geopolitischen Gegebenheiten mit Fokus auf China bei der Erarbeitung einer außenpolitischen Strategie Österreichs“ (Regierungsprogramm 2017 – 2022, S. 24).

Freundschaft pflegte Kurz auch mit der nordvietnamesischen Familie Ho, die in Wien sich ansiedeln durfte. 2015 war bei einer vietnamesischen Party zum 9/11 der damalige österreichische Außenminister Kurz anwesend:
So macht Vietnam Politik mit dem österreichischen Kanzler Kurz (Tabula Rasa, 26. 4. 2018)


Flüchtlingspolitik ohne humanitäre Hilfe

Bis zum Auftritt von Sebastian Kurz galt es in Europa als Konsens, dass Flüchtlingen aus Kriegsregionen humanitäre Hilfe und Aufnahme gegeben wird.

Deutschland wollte in den vergangenen Jahren weiterhin positive Initiativen in der Flüchtlingspolitik setzen, die von internationaler Bedeutung sind. Deutschland übernimmt Verantwortung dafür. Eine solche Aufnahme von Flüchtlingen muss selbstverständlich gut organisiert werden. Doch in Österreich zweifelt üblicherweise wohl niemand daran, dass Deutschland eine solche Organisation schafft:
Sebastian Kurz: Antrittsbesuch bei der deutschen Bundeskanzlerin (Tabula Rasa, 28. 1. 2018)

Dennoch kritisierte Kurz im Oktober 2016 die deutsche Bundesregierung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor während des Flüchtlingsgipfels in Wien angekündigt, dass Deutschland künftig mehrere Hundert Flüchtlinge pro Monat aus Griechenland und Italien aufnehmen werde. „Diese Politik ist falsch“, sagte Kurz.

Das Regierungsprogramm von Sebastian Kurz zeigte dann im Dezember 2017 unverhohlen, wie er in Europa künftig mit Flüchtlingen aus Kriegsregionen umgehen möchte. In Österreich sollen demnach Antragstellern auf Asyl ihre Gelder komplett abgenommen werden: „Abnahme von Bargeld bei Asylantragstellung“. (Regierungsprogramm 2017 – 2022, S. 34).

Das ist eine Strategie, die man üblicherweise „aus dem Geld nehmen“ nennt. Im Regierungsprogramm 2017 – 2022 wird dazu erklärt Damit wird für die Asylanten die weitere Finanzierung einer Fluchtbewegung unterbunden.

Die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union ist letztlich Teil einer internationalen Friedenspolitik. Mit dem Ansatz von Kurz werden die Grundwerte der Europäischen Union angegriffen. Es handelt sich um Grundwerte, die von globaler Bedeutung sind.


Einfluss auf Visegrád-Staaten

Österreich kam wesentliche Bedeutung als Orientierung für mitteleuropäische Länder bei der EU-Osterweiterung zu. Dies beruht auf der traditionellen Rolle von Österreich in den Ländern Mitteleuropas, die bis in die Region Galizien reichte. Auch aktuell versucht Österreich, Einfluss in den Visegrád-Staaten (Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen) zu gewinnen. Mit der EU-Ratspräsidentschaft wird das nochmals forciert. Damit kann eine neue Ausrichtung der EU-Politik angestrebt werden. Es kann aber auch eine Spaltung der EU die Folge sein.

 

Verletzung des Eigentumsrechts

Verletzungen der Grundrechte belasten die nächste Ratspräsidentschaft in der EU. Die Verletzung des Eigentumsrechts in Österreich ist dokumentiert in tausenden Fällen. Dafür wurde ein System errichtet, dass die Errungenschaften der Aufklärung rückgängig machen soll. Zu diesen Werten der Aufklärung zählen wesentlich die Grundrechte. In Österreich wurden Institutionen unterwandert, um eine Gegenaufklärung einzuleiten: Österreich als Modell der Gegenaufklärung (Tabula Rasa, 4. 6. 2018)

Sachwalterschaften werden aus finanziellen und politischen Motiven eingeleitet und durch Beschlüsse der Gerichte gedeckt. Alle Vermögenswerte werden übernommen. Staatliche Institutionen greifen in Österreich seit Jahren gegen diese moderne Form von Raubrittertum nicht ein. Das bedeutet: Es werden damit Grundrechte der Charta der Europäischen Union verletzt. Betroffen sind insbesondere das Eigentumsrecht (Artikel 17) und die Achtung des Privatlebens und Familienlebens, der Wohnung und Kommunikation (Artikel 7).

Das Bekenntnis zu den Grundrechten war stets das Fundament der Europäischen Union, die sich damit als Wertegemeinschaft definiert. Verstößt ein Mitgliedstaat dauerhaft gegen die Grundrechte der Charta der Europäischen Union, dann ermöglicht Art. 7 des EU-Vertrags von Lissabon strenge Konsequenzen. Diese führen auch zum Entzug des Stimmrechts im Rat der Europäischen Union.

Da das Stimmrecht im Rat der Europäischen Union bei Verletzungen von Grundrechten entzogen wird, dürfte Österreich in der derzeitigen Verfassung die EU-Ratspräsidentschaft gar nicht übertragen werden.

 

Foto: Sebastian Kurz und sein Vizekanzler Strache über den Wolken: Im Flugzeug auf dem Weg nach Brüssel (Bundeskanzleramt, Pressefoto, 6. Juni 2018)

Über Johannes Schütz 100 Artikel
Johannes Schütz ist Medienwissenschafter und Publizist. Veröffentlichungen u. a. Tabula Rasa Magazin, The European, Huffington Post, FAZ, Der Standard (Album), Die Presse (Spectrum), Medienfachzeitschrift Extradienst. Projektleiter bei der Konzeption des Community TV Wien, das seit 2005 auf Sendung ist. Projektleiter für ein Twin-City-TV Wien-Bratislava in Kooperation mit dem Institut für Journalistik der Universität Bratislava. War Lehrbeauftragter an der Universitat Wien (Forschungsgebiete: Bibliographie, Recherchetechniken, Medienkompetenz, Community-TV). Schreibt jetzt insbesondere über die Verletzung von Grundrechten. Homepage: www.journalist.tel