Femizid aus Rache und Eifersucht – der „DSDS“-Killer aus Neuss

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Femizide und Intimizide als Rache-Morde

Morde an Liebespartnern aus Rache sind häufig. Sie sind meistens keine Affektdelikte, sondern heimtückisch geplante Morde, die oft wie eine öffentliche Hinrichtung auf der Straße geschehen. Die Täter sind fast immer Männer und meist liegt eine Trennung schon Monate zurück. Der renommierte österreichische Gerichtsgutachter Reinhard Haller wies in den letzten Jahren wiederholt darauf hin, dass derartige Rache-Morde am Liebespartner deutlich zunehmen (Haller 2021, 2022). Im April 2019 geschah in Neuss ein Rache-Femizid, der besonderes Aufsehen erregte. Zum einen war der Täter durch das Fernsehen bekannt, weil er mehrmals in der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ von Dieter Bohlen aufgetreten war. In den Medien gab es deshalb Überschriften mit dem Wort „DSDS-Killer“. Der Täter warf sich nach der Tat vor einen Zug und verlor beide Beine. Folglich saß er als Angeklagter im Rollstuhl im Gerichtssaal. Zusätzlich war er schon in der Vorgeschichte durch Sexualdelikte und Körperverletzungen aufgefallen und bei der Polizei bekannt. Der Mörder hatte sogar Jura studiert und wurde im Prozess als narzisstisch gestört charakterisiert.

Der Rache-Femizid von Neuss aus dem Jahr 2019

Im April 2019 erschoss der 32jährige Patrick Häring sein 27 Jahre alte Ex-Partnerin Constanze K. auf offener Straße. Die Trennung des Paares war von ihr ausgegangen und lag mehr als ein halbes Jahr zurück. Patrick lauerte ihr vor ihrer Wohnung auf und wollte sie mit vorgehaltener Pistole zwingen, mit ihm in die Wohnung zu gehen und Sex mit ihm zu haben. Constanze floh in einen gegenüberliegenden Blumenladen und rief mit ihrem Handy noch die Polizei. Dann erwischte sie der sie verfolgende Patrick und gab auf sie vier Schüsse ab, die sie im Kopf, am Hals, in der Brust und in der Schulter trafen. Sie wurde noch ins Krankenhaus transportiert und ist dort gestorben. Patrick ist geflohen und hat sich vor einen Güterzug geworfen. Dadurch hat er beide Beine verloren und sitzt seither im Rollstuhl. Kurz vor dem Suizidversuch schrieb er noch eine Handy-Nachricht an die Mutter von Constanze, in der er ihr deren Tod mitteilte und durchblicken ließ, dass dies ein Racheakt an ihr sei. Der Mutter gab er die Schuld daran, dass Constanze ihn verlassen habe (Angaben zur Tat und Vorgeschichte bei Florian Weyland 2019 und Barbara Kirchner 2020 sowie kontinuierliche dpa-Nachrichten zu diesem Fall).

Chronik der Beziehungstragödie

Patrick und Constanze lernten sich im Juni 2017 über Tinder kennen. Ende 2017 sind sie zusammengezogen und schon nach weniger als einem Jahr hat sie ihn verlassen. Er kam mit dieser Trennung nicht klar, betrieb Stalking und versuchte sie zur Rückkehr zu bewegen. Er bombardierte sie mit Handy-Nachrichten, flehte und bettelte um ihre Rückkehr oder machte Morddrohungen. Drei Monate nach der Trennung, am Neujahrstag 2019 kam es zu einem Treffen in der früher gemeinsamen Wohnung. Da überfiel er sie, schlug und würgte und vergewaltigte sie. Sie rief den Notarzt und zeigte Patrick bei der Polizei wegen Körperverletzung an. Am 3. April 2019 erwirkte sie über ihren Anwalt ein gerichtliches Annäherungs- und Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz. Wenige Tage später war sie tot.

Dieter Bohlen bei DSDS: „Wenn du jetzt gehst, versaust du dir dein Leben.“

Patrick Häring war im Ruhrgebiet durchaus bekannt. Er war ein junger Musiker und Mitglied der Band „The Painters“, die er mit 20 Jahren im Jahr 2008 mitgründete. Diese Band war in NRW beliebt und erfolgreich. Patrick war begabt, er war Songwriter, Gitarrist und später auch Sänger. Mit 21 Jahren bewarb er sich bei Dieter Bohlen für dessen RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“. Er träumte schon von einer TV-Karriere. Bei Dieter Bohlen schaffte er es sogar in die Recall-Runde, entschied sich aber überraschend, dort wieder auszusteigen. Dieter Bohlen war verblüfft und verärgert. Er rief Patrick in der TV-Sendung hinterher: „Wenn du jetzt gehst, versaust du dir dein Leben.“

Patrick hatte das Abitur am Gymnasium absolviert und studierte Jura an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, hat das Studium aber nicht abgeschlossen.

Eine Vorgeschichte von Sexualdelikten und Partnerschaftsgewalt

Im Vorfeld des Gerichtsprozesses erfolgten Recherchen bei der Polizei und bei den mit dem Fall befassten Gerichten. Dabei stellte sich heraus, dass Patrick schon eine Vorgeschichte mit Sexualdelikten und Partnerschaftsgewalt hatte, bevor er Constanze K im Juni 2017 kennenlernte. Er wurde mutmaßlich schon in den Jahren 2015 bis 2017 mehrmals durch Sexualdelikte und Körperverletzung verurteilt und es gab bereits drei gerichtlich verhängte Annäherungs- und Kontaktverbote wegen Partnerschaftsgewalt. Als im Januar 2019 die polizeiliche Anzeige wegen Köperverletzung an Constanze K. erfolgte, wäre ein Schlüsselmoment gewesen, in dem die ganze Vorgeschichte noch einmal in der kriminologischen Entwicklung hätte evaluiert werden müssen. Vorstrafen sind im Polizei-Computer einsehbar. Patrick Häring war ein Wiederholungstäter, wurde aber als solcher von der Polizei und den Gerichten nicht identifiziert. Die Tatsache, dass er früher die drei Kontakt- und Annäherungsverbote nicht eingehalten hat, war vermutlich auch nicht berücksichtigt worden. Bei der Risikoanalyse hätte er als potentieller Gewalttäter mit dieser Vorgeschichte berücksichtigt werden können und müssen. Insofern hatte die Mutter des Opfers leider recht, als sie nach der Urteilsverkündigung zu Journalisten sagte: „Der Mord an meiner Tochter hätte verhindert werden können. Man hätte sie mehr schützen müssen.“

 Die Gerichtsverhandlung

Im November 2019 begann am Landgericht Düsseldorf der Prozess gegen Patrick Häring. Er saß wie ein Häufchen Elend im Rollstuhl und war oft ganz unter einer großen grauen Wolldecke versteckt. Den Mord an Constanze leugnete bis zuletzt. Das Gericht verurteilte ihn zu lebenslanger Haft wegen Mordes sowie wegen des Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz und wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. Zusätzlich wurde die besondere Schwere des Verbrechens festgestellt, so dass eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen ist. Der Staatsanwalt stellte klar: „Wir haben hier keine Verzweiflungs- sondern eine gezielte Rache-Tat.“ Der Richter begründete das hohe Strafmaß mit den Worten: „Ihre Schuld ragt heraus aus dem, was sonst mit Lebenslang geahndet wird.“ Die Verteidigung plädierte auf Freispruch und legte Revision gegen das Urteil ein. Der Bundesgerichtshof hat diese am 27. Juli 2020 abgewiesen, so dass das Urteil damit rechtskräftig wurde.

Überheblichkeit, Ich-Bezogenheit, pathologischer Narzissmus

Der Richter und der zuständige Gutachter haben im Prozess auf den Punkt gebracht, was der motivationale Hintergrund dieser schrecklichen Bluttat ist: eine narzisstische Persönlichkeitsstörung als Grundproblem und als Auslöser für den furchtbaren Mord sowie eine narzisstische Kränkung durch das Verlassen werden und die Trennung. Der Richter sprach von einer Überheblichkeit und Ich-Bezogenheit des Angeklagten. Bei Patrick Häring kommt noch hinzu, dass er eine erhebliche Vorgeschichte von Sexualdelikten und Partnerschaftsgewalt hat. Er war ein Wiederholungstäter. Es war bei ihm also nicht ein einmaliger Racheakt nach einer unbewältigten Trennung, vielmehr lebte er jahrelang sein aggressives Verhältnis zum weiblichen Geschlecht kriminell aus.

Die Biografie des Täters zeigt, dass er beide Seiten eines Narzissten präsentieren konnte. Zeugen berichteten, dass Patrick gutaussehend war, immer gut gekleidet, geschickt im Auftreten, eloquent und sympathisch. Zu Beginn der Beziehung war er auch durchaus liebevoll zu Constanze H. Nur deren Mutter war er nicht geheuer, die ahnte vielleicht etwas von seinen Abgründen. Patrick konnte nämlich auch eiskalt, dominant und aggressiv sein. Er hatte diese zwei Gesichter. Gerade das macht Narzissten in Liebesbeziehungen so gefährlich. Dass die Außenwirkung von Patrick geschickt und gewinnend war, zeigten ja auch seine Anfangserfolge bei Dieter Bohlen und „Deutschland sucht den Superstar“ und die Beliebtheit der von ihm mitgegründeten Musikband.

Vom Narzissmus zum Rache-Mord

Rache-Motive gibt es bei vielen Mordformen, z. B. Tötung des Vorgesetzten nach Entlassung, von Entscheidungsträgern bei vermeintlichen Ungerechtigkeiten oder bei Nachbarschafts-Auseinandersetzungen. Steht das Rache-Motiv bei Intimiziden im Vordergrund, dann begegnen uns meistens narzisstisch gestörte Männer nach Trennungen als Täter. Es gibt eine lange Tradition von forensisch-psychiatrischer Forschung zu narzisstisch motivierten Morden oder Gewaltdelikten (Csef 2016). Insbesondere der weltberühmte Narzissmus-Forscher Otto Kernberg hat die kriminelle und mörderische Potenz des malignen oder pathologischen Narzissmus hervorgehoben (Kernberg 2012). Im Kontext von „toxischer Männlichkeit“ ist das Narzissmus-Phänomen aktuell in Social Media sehr präsent. Und hier geht es meistens um Partnerschaftsgewalt (Bierhoff & Herner 2009; Hirigoyen 2020). Im neu erschienenen umfangreichen Handbuch über Narzissmus aus dem Jahr 2021 findet sich ein aussagekräftiges Kapitel „Narzissmus und forensische Psychiatrie“ (Döring, Hartmann, Kernberg 2021). Es stammt von Professor Michael Stone aus New York, der jahrzehntelang über narzisstisch gestörte Gewalttäter geforscht hat. Er berichtet überwiegend über Femizide und Intimizide.

Literatur

Bierhoff, Hans-Werner, Herner, Michael Jürgen, Narzissmus – die Wiederkehr. Hans Huber, Bern 2009

Csef, Herbert, Pathologischer Narzissmus und Destruktivität. Gewaltexzesse in der Gegenwart. Nervenheilkunde 35 (2016) S.858 – 863

Döring, Stephan, Hans-Peter Hartmann, Otto F. Kernberg (Hrsg.) Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie. Schattauer, Stuttgart, 2. Auflage 2021

Hirigoyen, Marie-France, Die toxische Macht der Narzissten. C.H. Beck, München 2020

Kernberg, Otto F., Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus. Kohlhammer, Stuttgart 2012

Kirchner, Barbara, DSDS-Kandidat verurteilt: Mann ohne Beine erschoss seine Ex-Freundin. Express vom 5. Januar 2020

Schiefenhövel, Jan, Kinder mit Hammer und Messer getötet. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Juni 2019

Weyland, Florian, Mord an Versmolderin. Mutmaßlicher Schütze war DSDS-Kandidat. Westfalen-Blatt vom 11. Mai 2019

 

 

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef, An den Röthen 100, 97080 Würzburg

Email: herbert.csef@gmx.de

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.