Karl Popper und die Psychologie

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Sir Karl Popper (1902 – 1994) ist einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts. In Wien geboren, verbrachte er dort seine ersten 35 Lebensjahre.  Nach einem 8 Jahre dauernden Exil in Neuseeland  lebte er 50 Jahre in England. Im Jahr 1992 erhielt er mit dem Kyoto-Preis die höchste Auszeichnung, die ein Philosoph erreichen kann. Seine philosophischen Schwerpunkte waren die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, die Sozial- und Geschichtsphilosophie sowie die politische Philosophie. Er gilt als der Begründer des Kritischen Rationalismus. Aus seiner Denkschule stammen zahlreiche Philosophen, die von seinem Denken geprägt waren und später ebenfalls sehr bekannt wurden, wie z.B. Thomas S. Kuhn, Paul Feyerabend, George Soros oder Hans Albert. Mit den Nobelpreisträgern Friedrich August von Hajek und Peter Brian Medawar war er eng befreundet. Mit dem Philosophen und Politiker Ralf Dahrendorf sowie Bundeskanzler Helmut Schmidt verband ihn ebenfalls eine Freundschaft.

Popper hatte sehr vielfältige Interessen. Er studierte an der Universität Wien neben Philosophie auch Mathematik, Geschichte, Musik und Psychologie. Seine Promotion machte er im Fach Psychologie. Ihn interessierte auch Pädagogik. Er studierte eine einige Jahre am Pädagogischen Institut in Wien und arbeitete fünf Jahre lang als Lehrer. Bald danach folgte das Exil nach Neuseeland wegen seiner jüdischen Herkunft. Seine akademische Karriere ist eng mit der London School of Economics verbunden.

Studium und Promotion in Psychologie

Angesichts des oben bereits erwähnten großen Spektrums an Wissensgebieten war die Psychologie eines von vielen Studienfächern, die Karl Popper an der Universität Wien kennenlernte. Im Entwicklungsprozess seiner akademischen Laufbahn standen Psychologie und Pädagogik am Anfang, bevor schließlich die Philosophie sein Schwerpunkt wurde. Am schnellsten aufgegeben hat er das Musikstudium, das er mit 18 Jahren am Wiener Konservatorium in der Abteilung Kirchenmusik begann. Dann hatte er verschiedene Jobs machte parallel eine Tischlerlehre und eine Lehrerausbildung. Beides hat er abgeschlossen. Seine Lehrerausbildung schloss er mit 22 Jahren ab und wurde dann Student am Pädagogischen Institut der Universität Wien. Mit 26 Jahren promovierte er beim Psychologen und Sprachtheoretiker Karl Bühler im Fach Psychologie. Das Thema seiner Dissertation lautete „Die Methodenfrage der Denkpsychologie.“ In dieser Zeit hatte er engen Kontakt und Austausch mit Philosophen des „Wiener Kreises“ wie Moritz Schlick, Rudolf Carnap und Otto Neurath. Im Jahr 1930 erhielt er eine Anstellung als Hauptschullehrer in Wien und arbeitete 5 Jahre lang an dieser Stelle.

Methodische Kritik an der Psychoanalyse

Karl Popper lebte 35 Jahre lang in Wien in der Zeit, in der auch Freud dort lebte. Es gab keine persönlichen Begegnungen zwischen Freud und Karl Popper. Der Vater von Karl Popper, der Anwalt in Wien war, war enge mit der Schwester von Sigmund Freud, Rosa Graf, befreundet. Karl Popper ging ein Jahr vor Freud ins Exil. Sie verband das Schicksal der jüdischen Herkunft und die Verfolgung im Holocaust. Von den Familienangehörigen von Karl Popper wurden 16 überwiegend in Konzentrationslagern ermordet. Die Hauptkritik Poppers an Freuds Psychoanalyse war eine methodische und keine inhaltliche. Popper äußerte sich mehrmals sehr positiv und anerkennend über Freuds Erkenntnisse. Was ihm fehlte, war die kritische Überprüfung der Thesen (mangelnde empirische Überprüfbarkeit, fehlende Falsifizierung). Das Prinzip der Falsifizierbarkeit wurde in der Kritik zu stark betont. Dabei war auch Karl Popper bewusst, dass nicht alle Wissenschaften eine ähnliche Potenz zur Falsifizierbarkeit haben wie die Naturwissenschaften. Popper war jahrelang leidenschaftlicher Pädagoge.  Ihm war klar, dass in der Pädagogik und Psychologie bestimmte Thesen nicht so einfach falsifizierbar sind wie in den Naturwissenschaften. Ob eine spezifische Erziehungsmaßnahme in der Pädagogik günstig ist oder nicht, lässt sich schwer überprüfen. Die Kritik in der Psychoanalyse wurde von Karl Popper in seinem Hauptwerk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ begonnen. Im Band zwei dieses Werkes schrieb Popper in der Nachfolge von Marx und Hegel von den „falschen Propheten“. Für ihn stand auch Siegmund Freud in dieser Gefahr, was Popper in späteren Werken weiter ausführt, z.B. in „Vermutungen und Widerlegungen“ (Popper 1963).

Der namhafte Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Adolf Grünbaum hat sich am intensivsten mit er Psychoanalyse-Kritik von Karl Popper auseinandergesetzt. In zwei ausführlichen Monografien und einem Sammelband relativiert er die Einwände von Popper (Grünbaum 1987, 1988, 1991). Der deutsche Historiker Uffe Jensen hat sich kürzlich über die Geschichte der Psychoanalyse habilitiert und hat in seinen Schriften fundiert Poppers Kritik nach der neueren Rezeption diskutiert (Jensen 2019).

Freundschaft mit Friedrich August von Hajek und Ralf Dahrendorf – Hinwendung zur Gesellschaftspolitik und Sozialpsychologie

Durch die enge Freundschaft mit Friedrich August von Hajek und Ralf Dahrendorf eröffnete sich Karl Popper auch andere Wissenschaftsgebiete. Von Hajek war zu seiner Zeit einer der führenden Ökonomen und wurde mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Er motivierte den in Neuseeland lebenden Popper, zu ihm an die London School of Economics zu kommen. Von Hajek war wie Popper ein überzeugter Kritiker des Totalitarismus, ein Kämpfer für Freiheit und Demokratie und ein Vertreter des Liberalismus. Über diese Grundanliegen untersuchten beide auch gesellschaftspolitische und sozialpsychologische Fragen. Mit Ralf Dahrendorf verband Popper eine intensive und jahrzehntelange Freundschaft. In den Jahren 1952 – 1954 war Dahrendorf Schüler von Karl Popper an der London School of Economics. Dann machte Dahrendorf eine eindrucksvolle akademische (Universität Konstanz) und politische Karriere in Deutschland. Er kehrte schließlich zurück an die London School of Economics und wurde von 1971 bis 1984 deren Direktor. Das Trio Popper – von Hajek – Dahrendorf waren die einflussreichsten Protagonisten des Liberalismus und der Demokratie. Dem entsprechend waren sie fundierte Kritiker des Totalitarismus und des sowjetischen Sozialismus oder Kommunismus. Mit diesen Entwicklungen hat sich Karl Popper auf das große Gebiet der Sozialpsychologie gewagt (vgl. Csef 2021).

„Alles Leben ist Problemlösen“ (1994)

Das Spätwerk „Alles Leben ist Problemlösen“ zeigt noch einmal das große Spektrum der Interessen und die Vielfalt der wissenschaftlichen Beiträge von Karl Popper. Das Vorwort zu dem Buch schrieb er am 12. Juli 1994. Zwei Wochen später – am 28. Juli 1994 ist er gestorben. Das Buch ist eine Sammlung von Aufsätzen und Reden der Jahre seiner letzten Lebensphase. Popper selbst sieht dieses letzte Buch als Fortsetzung seines Werkes „Auf der Suche nach einer besseren Welt“ (1984), das er ein Jahrzehnt früher geschrieben hat. Das letzte Kapitel trägt den Titel „Von der Notwendigkeit des Friedens“.

Die Verantwortung der Menschheit für ein friedliches Miteinander hat Karl Popper am Lebensende sehr beschäftigt. Friede kehrt nach leidvollen Kriegen meist durch Verhandlungen und diplomatisches Geschick ein. Es ist eine Frage der Kommunikation und damit der Psychologie. Das Problemlösen ist ebenfalls eine psychologische Aufgabe. Denken, Fühlen und Handeln sind dabei von Bedeutung. Die klassische Trias der Psychologie – Kognition, Emotion, Verhalten – finden beim Problemlösen zu einer erfolgreichen Einheit. Insofern hat Karl Popper als Psychologe begonnen – er studierte Psychologie und promovierte in diesem Fach. Dann wurde er weltberühmter Philosoph. Im Spätwerk „Alles Leben ist Problemlösen“ zeigt er sich wieder als leidenschaftlicher Psychologe.

Literatur

Csef, Herbert (2021), Karl Popper und Erich Fromm – Vor 80 Jahren erkannten sie die Feinde der Demokratie. Tabularasa Magazin vom 28. August 2021

Grünbaum, Adolf (1987), Psychoanalyse in wissenschaftstheoretischer Sicht. Zum Werk Sigmund Freuds und seiner Rezeption. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz

Grünbaum, Adolf (1988), Die Grundlagen der Psychoanalyse. Eine philosophische Kritik. Stuttgart: Reclam Verlag

Grünbaum, Adolf (Hrsg.) (1991), Kritische Betrachtungen zur Psychoanalyse. Adolf Grünbaums ‚Grundlagen‘ in der Diskussion. Berlin Heidelberg New York: Springer Verlag

Jensen, Uffa (2019), Wie die Couch nach Kalkutta kam. Eine Globalgeschichte der frühen Psychoanalyse. Berlin: Suhrkamp Verlag

Popper, Karl R. (1957), Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Teil 1, Der Zauber Platons. Francke Verlag München

Popper, Karl R. (1958), Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Teil 2, Falsche Propheten: Hegel, Marx und die Folgen, Francke-Verlag München

Popper, Karl. R. (1963), Vermutungen und Widerlegungen. Tübingen: Mohr Siebeck

Popper, Karl R. (1984), Auf der Suche nach einer besseren Welt. München: Piper

Popper, Karl R. (1994), Alles Leben ist Problemlösen. München: Piper

 

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef

Email: herbert.csef@gmx.de

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.