Interview mit Christoph R. Hörstel

Herr Hörstel, ist der Krieg bald vorbei?

Das können wir hoffen, doch so schnell geht das nicht. Die Taliban misstrauen den USA und erwarten klare Angebote. Wer möchte, dass die Kampftätigkeit aufhört, muss einen Abzugsplan vorlegen und sich exakt daran halten. Zunächst jedoch wollen die USA Ende März eine riesige Konferenz mit allen Nachbarn Afghanistans und allen Geberländern und Truppenstellern abhalten. Das Ergebnis dieser Aussprache wird vermutlich noch kein fester Abzugsplan sein – aber in diese Richtung könnte es gehen.

Werden die Taliban nicht wieder sofort versuchen, Afghanistan zu überrennen, wenn sich die Nato zurückzieht?

Das wird auf der Konferenz mit Sicherheit intensiv diskutiert. Zunächst einmal müssen jedoch die Modalitäten eines Abzugs geklärt werden – darüber hat Obama noch kein Wort verloren, er hat nicht einmal das Wort Abzug benutzt. Die USA werden sicher versuchen, in Kabul eine starke Präsenz zu behalten. Das wird schwierig werden, weil die Taliban auf vollständigen Abzug bestehen. Wir können jedoch davon ausgehen, insbesondere nach den jüngsten Äußerungen der Taliban durch Mullah Mohtasem, dass die Taliban gelernt haben und nicht noch einmal alle Andersdenkenden unterjochen werden.

Vertrauen Sie den Taliban? Und wenn die Taliban dann wieder Macht haben – bleibt es dann bei dieser Liberalisierung?

Davon können wir ausgehen. Mädchenschulen wurden auch in der Talibanzeit gebaut und betrieben, nicht jeder Taxifahrer wurde für seine Musikkassetten im Auto verprügelt. Jetzt hat Mullah Omar durch sein Führungsmitglied Mohtasem, das im Spitzengremium der Taliban für Politik und Kultur zuständig ist, Strafen angedroht, wenn die neuen Regeln von seinen eigenen Leuten nicht eingehalten werden. Auch wenn wir zweifeln – die Taliban und alle größeren und kleineren Machthaber in Afghanistan nehmen das bitterernst.

Aber welche Regierung will denn mit Herrn Mohtasem Kontakt aufnehmen?

Mehr oder weniger alle Besatzungsmächte in Afghanistan reden bereits jetzt irgendwie mit den Taliban – nur mit sehr wenig Erfolg und keinem öffentlichen Echo und oftmals an der falschen Stelle. Das Entgegenkommen der Taliban in den letzten Jahren wurde bei uns oftmals säuberlich verschwiegen. Vielleicht will die öffentliche Ernennung eines hochrangigen Verhandlungspartners die Nato-Regierungen dazu bewegen, endlich vernünftige Gesprächskanäle einzuhalten. Denn ein wichtiger Kritikpunkt an Obamas Standpunkt ist ja, dass er das Militär verhandeln lassen will – und nur mit gemäßigten Taliban. Offen gestanden gibt es die gar nicht. Friede muss mit Mullah Omar gemacht werden, sonst wird es keinen geben. Und der schließt auch nur dann Frieden, wenn alle fremden Truppen abziehen.

Noch mal: Wer wird diesen Verhandlungsweg nutzen – und ist ein kompletter Truppenabzug überhaupt realistisch?

Ich bin nicht autorisiert, Namen zu nennen – aber es gibt Interessenten, auch aus unseren Regierungsparteien. Und zum vollständigen Truppenabzug: Mullah Mohtasem hat in einem neueren Interview auf die Kräfte hinter den Taliban und dabei indirekt auf China verwiesen. Die Chinesen stützen die islamische Bewegung in Afghanistan seit mindestens 30 Jahren – und sind sehr verlässliche gute Bündnispartner. Die Zeit spielt für die Taliban und ihre motivierten Kämpfer. Mullah Omar steht nicht unter Druck, wir schon. Es wird einen kompletten Abzug geben, schneller, als wir denken.

Ist das denn ratsam? Verunsichert das nicht unsere Verbündeten in- und außerhalb Afghanistans, auch wegen der Terrorgefahr?

Nichts verunsichert mehr als acht Jahre Misserfolg. Obama macht offenbar wirklich reinen Tisch, sein jüngstes Interview hat daran gar keinen Zweifel gelassen. Und vergessen wir nicht, dass Afghanen bisher an internationalem Terror nie Anteil hatten – und dazu auch nicht neigen.

Aber wie steht es dann mit der El Kaida, die in Afghanistan mit den Taliban kooperiert?

Die Taliban sind zu Kompromissen bereit, werden jedoch diese Kämpfer nicht einfach ausliefern. Auch Pakistan spielt eine Rolle und hofft ebenfalls auf eine nachhaltige Lösung. Zum Glück scheint Obama das anzustreben. Wir müssen uns nicht fürchten, wenn wir wachsam bleiben – und konstruktiv, ohne zu versuchen, Machtansprüche durchzusetzen, auch in Palästina.

Was hat das damit zu tun?

Das Palästinaproblem motiviert 50 Prozent des El-Kaida-Nachwuchses.

Fragen von Wolfgang Molitor

Finanzen

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