Die politische Brisanz von Symbolen

„Lexikon der politischen Symbole“ Standardwerk erschließt einen wesentlichen Teil der politischen Kultur

Kreuz, Sonnenuntergang, Demut, Quelle: geralt, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung, Kein Bildnachweis nötig

Der Streit um Kreuze in Behörden, das Anlegen des Hidschabim Schuldienst, das Verbot von Kennzeichen verfassungswidriger Organisation, die Auseinandersetzungen um Regenbogenfahnen vor Dienstgebäuden, die heftigen Reaktionen, die offen getragene Davidsterne mancherorts auslösen oder Palästinensertücher in anderen Zusammenhängen – das alles sind aktuellere Beispiele für die politische Brisanz von Symbolen; seien es eigens zu diesem Zweck geschaffene politische Symbole oder solche, die ursprünglich in einem ganz anderen Kontext wurzeln und dort auch noch eine andere Bedeutung haben können, jedoch politisch aufgeladen und interpretiert werden. Sie laden zur Identifikation ein und bieten die Möglichkeit, eine Botschaft oder Zugehörigkeit auszudrücken und sich abzugrenzen.

Karlheinz Weissmann widmet Symbolen, ihren Ursprüngen, wandelbarem Gehalt und ihrer politischen Bedeutung seit Jahrzehnten Aufmerksamkeit und hat den Ertrag dieser Arbeit 2022 in einem hochwertig ausgestatteten „Lexikon politischer Symbole“ zusammengetragen. Der Göttinger Historiker will damit den Grund für eine systematische Beschäftigung mit politischen Symbolen legen, denn ein Symbol lasse sich in der überwältigenden Zahl der Fälle nur deuten, „wenn man seinen kulturellen Kontext kennt. Es ist dabei nicht nur zu klären, von wem es wann und wo verwendet wurde, sondern auch, wie Anhänger und Gegner es aufgefaßt haben, ob formale Übereinstimmung auch Übereinstimmung im Verständnis bedeutet, […] welche Mutation das Symbol durchlaufen und welche Umdeutungen es vielleicht erfahren hat“.

Angesichts der Vieldeutigkeit des Symbolbegriffs ordnet der Verfasser das Feld vor dem von „A im Kreis“ bis „Zeder“ reichenden lexikalischen Teil in einer gut 60 Seiten umfassenden Einführung. Der Mensch wird als das Symbole schaffende Wesen vorgestellt und die stabilsten Symbolsysteme auf Religion, Kriegswesen und Politik zurückgeführt. Sodann wirft Weissmann einen Blick auf die Differenz zwischen Symbol und Symbolisiertem. Der moderne Mensch betrachte beides „als klar geschiedene Größen“, was keineswegs immer und überall so gewesen ist und die Heftigkeit von Symbolkämpfen auch in unserer Zeit nicht hindert. In einem weiteren Schritt beschäftigt er sich mit der „Bedeutung der Symbolträger“. Er vergegenwärtigt seinen Lesern eine Vielfalt, die einem nicht unmittelbar vor Augen steht: sie reicht von natürlichen Körpermerkmalen – „Black Lives Matter“ –, über Frisuren und Bärte, Körperschmuck wie Tätowierungen und Bemalungen, Trachten, Kopfbedeckungen, Uniformen, am Körper getragene „schmuckartige Kenn- und Rangabzeichen“ oder die Bemalung von Kampfschilden, bis hin zu Standarten, Waffen als Hoheitszeichen, Fahnen und Druckerzeugnissen, vom Plakat bis zur Reklamemarke.

Anschließend skizziert Weissmann die „Struktur und Entwicklung von Symbolsystemen“: die Kontinuität bestimmter Motive, das begrenzte Repertoire an geometrischen Figuren, Farben, Macht symbolisierendenTieren und den „bleibenden Zusammenhang politischer, religiöser und kriegerischer Symbolik“. Er verweist dazu unter anderem auf das bis heute übliche Weihen von Fahnen und den Fahneneid. Das Überdauern der Symbolsysteme schließt ihren Wandel nicht aus; etwa, wenn Symbole sich erschöpfen, funktionslos oder zu modischen Accessoires werden, Symbolsysteme abgelöst, umgedeutet und übernommen oder Gegensymbole geschaffen werden. Sein besonderes Augenmerk gilt den meist mit harten Bandagen ausgefochtenen, in der Demütigung des feindlichen Symbols mündenden Symbolkämpfen.

Dem Kern seines Gegenstands nährt Weissmann sich in den Unterkapiteln zur „Ausbildung einer politischen Symbolik im engeren Sinn“ und zu den „Symbolfamilien“. Das politische Symbol im engeren Sinne sei jedes optische Symbol, „das die Qualität einer Marke hat und geeignet ist, für eine bestimmte Gruppe identitätsstiftend zu wirken“. Von einer Marke sei zu sprechen, wenn es gelinge, Symbole mit „erinnerungsstarken Bildideen“ (Hans Domizlaff) zu verknüpfen. Das politische Symbol zielt dem Verfasser zufolge eher auf das Gefühl. Eindeutig müsse es im Sinne der Wiedererkennbarkeit sein, weniger hinsichtlich einer verbindlichen inhaltlichen Deutung. Anhand des Putin´schen Symbolsynkretismus aus zaristischen und kommunistischen Symbolen zeigt er, „in welchem Maß gerade eine gewisse Mehrdeutigkeit politischen Symbolen Gelegenheit gibt, ihre Integrationskraft zu entfalten“. Das Beispiel illustriert zugleich, dass sich auch „Symbolfamilien“ oder „Symbolsysteme“ nicht eindeutig voneinander abgrenzen, Ursprünge, Übernahmen und Abwandlungen in Raum und Zeit jedoch beschreiben lassen, wie Weissmannetwa am türkischen Emblem Halbmond und Stern, der französischen Trikolore oder Strichkombinationen darlegt, die in ganz unterschiedlichen Zeiten, Regionen und Kontexten nachweisbar sind.

Den „Ursprung der modernen politischen Symbolik“ verortet er in Europa und unterscheidet zunächst grob drei Symbolfamilien: die Trikolore und antikisierende Motive der Liberalen; Einfarbigkeit – Rot oder Schwarz –auf der Linken, seit dem 20. Jahrhundert kombiniert mit Zeichen wie Hammer, Sichel oder Pflug; Zweifarbigkeit mit Wappenfiguren, überlieferten Fahnenbildern oder religiösen Motiven bei „der konservativen oder klassischen Rechten“.Hinzu kämen zwei weitere: jene der „nachklassischen Rechten“ – Faschisten, Völkische, Nationalsozialisten –, die unterschiedliche Symbollinien verschmolzen habe, und eine weitere „durch die Emanzipation der Dritten Welt“, also die Entkolonialisierung entstandene. Angesichts der großen Heterogenität der letztgenannten Symbolfamilien kann man an deren Sinnhaftigkeit zweifeln. Weissmann deutet dies selbst an, führt es aber nicht näher aus.

Ein weiteres Kapitel widmet er wirtschaftlichen und technischen Aspekten, die auf die Gestalt, einfache Reproduzierbarkeit und Wirksamkeit politischer Symbole einwirken. In diesem Zusammenhang hebt er die Anleihen bei der Reklame und die Bedeutung von Marketingfachleuten hervor, „die politische Gruppierungen wie eine Ware präsentieren und deren Symbole nach den Regeln eines Brandings gestalten“.

Aus der Fülle der Lexikoneinträge seien drei zu aktuell besonders polarisierenden und emotionalisierenden politischen Symbolen herausgegriffen. Etwa die Regenbogenfahne. Weissmann weist auf die keineswegs dem Christentum vorbehaltene Bedeutung des Regenbogens als Symbol für die „Verbindung zwischen dieser Welt und der Welt der Götter“ hin, auf seine häufige Verwendung in der christlichen Ikonographie und ein besonders prominentes historisches Beispiel: die von Thomas Müntzer im Bauernkrieg von 1524 bis 1526 mitgeführte Regenbogenfahne. Damit habe die Erwartung des hereinbrechenden Gottesreiches ausgedrückt werden sollen. Der Regenbogen inspirierte Freiheits- und Friedensflaggen, diente der Ökologiebewegung als Symbol, bis ihn in den späten 1970er Jahren die Homosexuellenbewegung für sich entdeckte. Deren Symbol war zunächst der griechische Kleinbuchstabe Lambda (λ), der seit den 1990er Jahren wiederum als stilisierter Großbuchstabe (Λ) der Identitären Bewegung als Symbol dient, wie unter dem entsprechenden Stichwort zu erfahren ist.

Einen ähnlichen „Reizwert“ hat die durch Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) bekannt gewordene „Wirmer-Flagge“; wieder bekannt gewordene, müsste man genauer sagen, denn sie hat eine beachtenswerte Vorgeschichte. Die Flagge mit einem golden gerahmten, schwarzen lateinischen Kreuz auf rotem Grund war von den Widerständlern des 20. Juli 1944 als Symbol eines neuen Deutschland nach dem Sturz der nationalsozialistischen Diktatur gedacht. Unter „Flagge des 20. Juli“ ist sie im Lexikon auch verzeichnet. Entworfen hatte sie der Rechtsanwalt Josef Wirmer, der nach dem gescheiterten Aufstand hingerichtet wurde. Versuche, sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Nationalflagge durchzusetzen, fanden zwar keine Mehrheit, abgewandelt kehrte sie jedoch „in den Organisationsemblemen von CDU, Junger Union, FDP und Jungen Liberalen in den fünfziger und sechziger Jahren“ wieder.

Weissmann zitiert aus einer Rede des prominenten protestantische Unionspolitiker Hermann Ehlers (1904-1954), der zum Parteitag 1950 die Symbolik interpretierte: „Sie sehen auf ihm das Kreuz. Wir werden auf diesem Parteitag keinen Augenblick davon ablassen, deutlich zu machen, daß das Kreuz […] als das prägende Zeichen des Abendlandes Inhalt und Kraft unserer Bewegung und Arbeit ist.“ Die Symbolsprache habe Mitte der 1960er Jahre nicht mehr zeitgemäß gewirkt und sei „zugunsten modernerer und von allen inhaltlichen Bezügen befreiter Werbekonzepte“ abgeschafft worden. Die Konnotation mit dem Abendland und die Wurzeln der Flagge im Widerstand des 20. Juli 1944 führten schließlich dazu, dass sich „fundamentaloppositionelle“ Kreise ihrer bemächtigten, die sich – in makabrer Wendung – im Widerstand gegen eine als antidemokratisch wahrgenommene Demokratie wähnen.

Das Erkennungszeichen der Antifa, die andere, aber ähnlich exklusive Feindbilder hegt, ist unter „Zwei-Fahnen-Motiv“ verzeichnet. Das markante Symbol mit einer roten und schwarzen Flagge verdankt seine Karriere dem Antifaschismus in der Lesart linker bis linksextremer Parteien und Gruppierungen. Es lässt sich bis 1932 zurückverfolgen, spielte lange Zeit jedoch keine große Rolle. Die SED belebte es für den staatlichen „Antifaschismus“ in der DDR nicht wieder, auch in der alten Bundesrepublik fristete es Jahrzehnte eher ein Schattendasein. Eine Renaissance erlebte das Antifa-Emblem seit Anfang der 1980er Jahre, als sich gleichzeitig „der Antifaschismus zu einer Art kleinstem gemeinsamen Nenner für die verschiedenen Strömungen“ entwickelt habe. Die schwarze Fahne steht dabei für den Anarchismus, die rote für Kommunismus und Sozialismus. Die Farbkombination „Rot-Schwarz“ selbst ist, wie unter diesem Stichwort nachlesbar, Erkennungszeichen der Anarchosyndikalisten. Unter anderem an diesem Beispiel weist Weissmann auf Übernahmen und Umdeutungen durch rechte Gruppierungenhin, etwa durch die 1929 gegründete Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) oder die spanische Staatspartei während der Diktatur Francesco Francos.

Die wenigen Beispiele mögen genügen, um den großen Wert dieses Lexikons der politischen Symbole zu illustrieren. Mit viel Hintergrundwissen bettet der Verfasser die Zeichen als Zeugnisse politischer Kultur in den breiteren historischen Horizont ein, vermag teils erstaunliche Entwicklungslinie aufzuzeigen und verdeutlicht ihre in konfliktreichen Konstellationen der Vergangenheit und Gegenwart zum Teil enorme Bedeutung. Einige integrieren, mobilisieren und polarisieren auch in unseren Tagen, klären und festigen die Fronten im öffentlichen Raum, etwa bei Demonstrationen. Die politischen Symbole mögen wechseln, ihre grundsätzliche Funktion wird bleiben.

Mit dem „Lexikon politischer Symbole“ ist Weissmann ein Standardwerk gelungen. Abgeschlossen ist seine Beschäftigung mit dem Gegenstand damit keineswegs. Wer dem Thema auf der Spur bleiben will, kann dies auf der von ihm dazu angebotenen und ständig aktualisierten Homepage tun: https://www.feuerstahl.org/.

Karlheinz Weissmann: Lexikon politischer Symbole (JF Edition), Berlin 2022, 628 Seiten, Hardcover, 59,90 Euro

Über Karl-Eckhard Hahn 23 Artikel
Karl-Eckhard Hahn, Dr. phil., Jahrgang 1960, verheiratet, vier Kinder. Historiker, Leitender Ministerialrat im Thüringer Landtag. Mitgliedschaften (Auswahl): Landesvorstand des Evangelischen Arbeitskreises der CDU Thüringen, Vorstand der Deutschen Gildenschaft, Historische Kommission für Thüringen, Ortsteilrat Stotternheim, Gemeindekirchenrat der Evangelischen Kirchengemeinde St. Peter & Paul in Stotternheim. Veröffentlichungen zu politischen Grundsatzfragen, Themen der Landespolitik und Landesgeschichte Thüringens und zur Stotternheimer Lokalgeschichte. Twitter: @KE_Hahn.