Karl Popper und Erich Fromm – Vor 80 Jahren erkannten sie die Feinde der Demokratie

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Karl Popper und Erich Fromm wurden beide im Herzen Europas geboren und mussten jeweils in ihrem 4. Lebensjahrzehnt wegen ihrer jüdischen Herkunft ins Exil gehen. Während in vielen Ländern der Zweite Weltkrieg tobte, schrieben Karl Popper und Erich Fromm unabhängig voneinander ein bemerkenswertes Buch. Beide waren durch ein autoritäres Regime und die Flucht ins Ausland geprägt. Sie warnten gerade deshalb vor der Demokratie- und Menschenfeindlichkeit autoritärer Tendenzen. Der Inhalt ihrer Bücher hat eine erschreckende Aktualität: Populismus und Rechtsradikalismus als autoritäre Tendenzen bedrohen sowohl die Demokratie als auch die menschlichen Werte.

Grundlegende Gemeinsamkeiten von Karl Popper und Erich Fromm

Karl Popper und Erich Fromm wurden beide als Söhne jüdischer Eltern geboren, Karl Popper in Wien, Erich Fromm in Frankfurt am Main. Beide stammten aus gebildeten oder durchaus vermögenden Familien. Poppers Vater war Rechtsanwalt und Fromms Vater war Weinhändler. Beide studierten und waren durchaus akademisch erfolgreich bis sie schließlich angesichts ihrer jüdischen Herkunft vor dem Nazi-Regime fliehen mussten. Bei Karl Popper wurden 16 Angehörige seiner Familie von den Nazis ermordet, bei Erich Fromm waren es ähnlich viele. Während sie ihre richtungsweisenden Werke in den Kriegsjahren schrieben, waren sie beide im ausländischen Exil, Karl Popper in Christchurch (Neuseeland) und Erich Fromm in New York.

Karl Popper „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (1941)

In seinem zweibändigen Grundlagenwerk wendet sich Karl Popper gegen totalitäre Systeme wie Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus. Geschrieben hat er sein Buch in den Jahren 1938 bis 1943 im Exil in Christchurch. Publiziert wurde es zuerst in englischer Sprache im Londoner Routledge Verlag. Anlass für sein umfangreiches Werk war im Jahr 1938 der Einmarsch von Hitlers Truppen in seiner Heimat Österreich.

Die Wurzeln totalitärer Staaten sieht er in problematischen Ideen, die Demokratie und menschenfeindliche Tendenzen fördern. Popper hatte besonders einige Philosophen im Visier, die seiner Meinung nach „falsche Propheten“ sind: Platon, Hegel und Karl Marx sowie ihre Anhänger. Popper unterscheidet offene und geschlossene Gesellschaften. In offenen Gesellschaften werden die Grundrechte von Demokratien verwirklicht wie Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und religiöse Neutralität. In geschlossenen Gesellschaften wie Diktaturen oder anderen totalitären Systemen sind diese Grundrechte eingeschränkt, weil der Staat von oben einen Rahmen vorgibt und die Regeln festlegt. In offenen Gesellschaften sind die Institutionen veränderbar und in einem ständigen Wandel. Die Ziele einer offenen Gesellschaft sind eine ausreichende Grundversorgung und Gleichberechtigung. Das Leitmotiv von Popper ist nicht die Maximierung von Glück, sondern die Minimierung von Leiden. Karl Popper ist der Verfechter einer liberalen Demokratie, die er für die beste Staatsform hält.

Erich Fromm „Die Furcht vor der Freiheit“ (1941)

Erich Fromm studierte zuerst Jura in Frankfurt am Main, dann Soziologie in Heidelberg. Er promovierte im Fach Soziologie bei dem Soziologen Alfred Weber, dem Bruder von Max Weber. Danach absolvierte er eine psychoanalytische Ausbildung bei dem Freudschüler und Juristen Hanns Sachs in Berlin. Dort gründete er im Jahr 1929 eine psychoanalytische Praxis. Von 1930 an war er Mitarbeiter am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Im Jahr 1934 emigrierte er schließlich in die USA. Während sich Karl Popper von Anfang an mit den totalitären Staatsformen beschäftigte, begann Erich Fromm seine Studien beim Individuum und seinem Charakter. Hier kam ihm seine psychoanalytische Ausbildung zugute, insbesondere die psychoanalytische Persönlichkeitstheorie. Über seine Untersuchungen zum autoritären Charakter kam er zur Psychopathologie der totalitären Führer – in der Extremform eines Adolf Hitler. Da er vom Studium her Soziologe war, interessierten ihn natürlich die Wechselwirkungen zwischen autoritärer Persönlichkeitsentwicklung und gesellschaftlichen Prozessen. Diesen widmete er sich in seinem Buch „Die Furcht vor der Freiheit“, das im Jahr 1941 in New York unter dem Titel „Escape from Freedom“ erschien. Eine These von Erich Fromm darin lautet, dass die „Flucht ins Autoritäre“ eine Abwehrform ist, um letztlich vor der eigenen Freiheit und der Verantwortung zu fliehen. Anstatt sich den Verpflichtungen und Grundwerten der Freiheit zu stellen, ziehen es viele Menschen vor, sich in Abhängigkeiten von autoritären Führern zu begeben. Dies entlastet scheinbar und vordergründig vor der eigenen Verantwortung.

Verzögerte Rezeptionsgeschichte beider Standardwerke

Sowohl das Buch von Karl Popper als auch jenes von Erich Fromm sind zuerst in englischer Sprache erschienen. In Europa tobte zu dieser Zeit der Zweite Weltkrieg. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte es allerdings noch lange, bis diese international beachteten Standardwerke in die deutsche Sprache übersetzt wurden. Bei Karl Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ dauerte es 16 Jahre, bis das Werk im Deutschen Frank-Verlag erschien. Bei Erich Fromms „Die Furcht vor der Freiheit“ dauerte es sogar 25 Jahre, bis das Werk in der Europäischen Verlagsanstalt publiziert wurde. In der Nachkriegszeit waren die Werke von jüdischen Autoren, die ins Exil gegangen waren, nicht gerade beliebt. Dies erklärt die extrem lange Verzögerung bis zur deutschen Übersetzung. Erich Fromm wurde schließlich in der Zeit der Studentenbewegung im Jahr 1968 zu einem Kult-Autor. In dieser Zeit sind seine englischsprachigen Bücher jeweils im selben Jahr auch in deutscher Sprache erschienen.

Populismus und Rechtsradikalismus als neue Feinde der Demokratie

Es ist bemerkenswert, dass die Charakterisierungen, die Karl Popper und Erich Fromm vor 80 Jahren für autoritäre Systeme ausgearbeitet haben, sich in der Gegenwart bei Phänomenen wie Rechtsradikalismus und Populismus wiederfinden. Oliver Becker und Elmar Brähler sind die Initiatoren der Leipziger Autoritarismus-Studie, die seit 20 Jahren regelmäßig in einer repräsentativen Stichprobe autoritäre Tendenzen untersuchten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden dann regelmäßig publiziert. Dem Band aus dem Jahr 2018 gaben die Herausgeber den Titel „Flucht ins Autoritäre“. Sie wählten genau die Worte, die Erich Fromm vor fast 80 Jahren formulierte und die als Kapitel-Überschrift in seinem Buch auftauchen: „Die Flucht ins Autoritäre“. Die Herausgeber des Bandes sehen Gemeinsamkeiten bei den kollektiven Mechanismen und massenpsychologischen Bewegungen, die sowohl im Jahr 1941 als auch im Jahr 2018 wahrzunehmen sind. Deutsche Rechtsextreme und Populisten der Gegenwart verwenden gerne Nazi-Symbole, wie z.B. germanische Runen, Hakenkreuze oder Reichsflaggen. Der autoritäre Charakter und Struktur der rechtsradikalen politischen Führer sind heute ähnlich wie jene vor 80 Jahren.

Überzeugende neuere Analysen von Demokratie- und Extremismus-Forschern

Tendenzen zur Demokratie- und Menschenfeindlichkeit sehen nicht nur die Autoren der Leipziger Autoritarismus-Studie, sondern auch viele andere Politikwissenschaftler und Soziologen. An der Universität Bielefeld forscht der Soziologe Wilhelm Heitmeyer mit seiner Forschergruppe seit 40 Jahren über Rechtsextremismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Auch Heitmeyer sieht aktuell einen bedrohlichen Rechtsradikalismus. Seine Studie erschien im selben Jahr wie jene der Leipziger Autoritarismus-Studie im Jahr 2018. Heitmeyer gab ihr den Titel „Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung“ (Heitmeyer 2018). Bestätigt wird Heitmeyer von der deutsch-polnischen Politikwissenschaftlerin Anne Applebaum, die eine ähnliche Entwicklungstendenz feststellt. Sie spricht von der gegenwärtigen „Verlockung des Autoritären“ (Applebaum 2021). 

Literatur:

Applebaum Anne (2021): Die Verlockung des Autoritären. Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist. Siedler, Berlin

Csef Herbert (2021) Die Furcht vor der Freiheit und das Autoritäre.

Zur Aktualität von Erich Fromm. Tabularasa Magazin vom 6. Mai 2021

Decker, Oliver, Brähler Elmar (Hrsg.) (2018): Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Die Leipziger Autoritarismusstudie 2018, Gießen, Psychosozial-Verlag

Fromm Erich (1941): Die Furcht vor der Freiheit. (engl. Original: Excape from Freedom). Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1966

Heitmeyer Wilhelm (2018): Autoritäre Versuchungen – Signaturen der Bedrohung 1, Berlin, Suhrkamp

Popper Karl R. (1957) Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Teil 1, Der Zauber Platons 1957, Francke Verlag München

Popper Karl R. (1945) Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Teil 2, Falsche Propheten: Hegel, Marx und die Folgen, Francke-Verlag München 1958

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef, Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zentrum für Innere Medizin, Medizinische Klinik und Poliklinik II, Oberdürrbacherstr. 6, 97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.