Künstler und ihre Krankheitsbilder: Anmerkungen zur Ausstellung „schmerzhaft genial“

„Da, wo der gelbe Fleck ist und worauf ich mit dem Finger deute, da tut es mir weh“, merkte der kranke Albrecht Dürer über sein Selbstporträt von 1510 an. Ein außerordentliches Werk, etabliert es doch wohl erstmals in der Kunstgeschichte die Auseinandersetzung mit der eigenen Befindlichkeit als Topos künstlerischen Schaffens. Diesem Eingriff der Kunst in den alltäglichen und existenziellen Alltag nachzuspüren, dazu lädt die Ausstellung „schmerzhaft genial – Künstler und ihre Krankheitsbilder“ ein. Reflexionen und Erlebnismuster über ein Thema, das eigentlich alle betrifft und betroffen macht, werden in der von der Berliner Agentur Damm und Lindlar kuratierten Schau befragt. Aber speziell eben die Wahrnehmung und den Umgang eines Künstlers mit der existenziellen Erfahrung von Krankheit und Schmerz im Allgemeinen und im Persönlichen. So kann die in der lichten Ausstellungshalle der WGZ BANK Düsseldorf großzügig präsentierte Ausstellung denn auch für jeden einzelnen Besucher die Frage nach der individuellen körperlichen und seelischen Befindlichkeit ebenso aufwerfen wie auch die unausweichliche – vielleicht auch schmerzliche – Frage nach dem persönlichen Verhältnis zum Phänomen Krankheit reflektieren.

Dabei werden die Besucher sehr emotional darauf angesprochen, sich diesen Reflexionen am Beispiel der Künstler Albrecht Dürer, Francisco de Goya, Lovis Corinth, Ernst Ludwig Kirchner, Anton Räderscheidt, Horst Janssen, Daniel Spoerri, Katarzyna Kozyra und Giovanni Manfredini zu stellen. Bewusst wurden in der übersichtlich konzipierten Schau, die den Mut hat, Originale und Repros nebeneinander in einer spannenden Hängung korrespondieren zu lassen, Künstler ausgewählt, in deren Biografien und Lebenszeiten sich eigene existenzielle Erfahrungen ebenso wiederfinden wie die Beeinflussung durch herausragende Daten der Zeitgeschichte. „Über die Bilder lässt sich so mehr erfahren als nur ein erster und manchmal einziger Blick“, hebt der Kunsthistoriker Jochen Boberg das Charakteristikum der Ausstellung gegenüber vergleichbaren, meist opulenten Präsentationen hervor. Günter Herzog, Professor für Kunstgeschichte sowie Direktor des Zentralarchivs des internationalen Kunsthandels (ZADIK), ergänzt in diesem Zusammenhang: „Das Verdienst einer Ausstellung wie ,schmerzhaft genial’, in der es bewusst um das Thema von Künstlern und ihren Krankheitsbildern geht, ist es, dass ein wesentlicher Aspekt der Kunst wieder aufgegriffen wird, der vielfach in den Hintergrund getreten war: eben der heilende Aspekt von Kunst und künstlerischem Schaffen. Es ist doch allgemein so, dass in vielen Kulturen dem künstlerischen und kreativen Tun, oft auch erst einmal unabhängig von ästhetischen Gesichtspunkten, eine therapeutische Wirkung zukommt. Siehe beispielsweise auch die Berufung eines Joseph Beuys auf den Schamanismus mit seinen Wirkungen in psychisch-physischer Hinsicht.“

Kann Kunst, kreatives Tun heilen? Ulrike Damm, Kuratorin der Ausstellung, ist skeptisch, ob durch das künstlerische Schaffen tatsächlich so etwas wie Selbstheilungsprozesse stimuliert werden können. „Gleichwohl haben Künstler, die schwer krank waren oder sind, eben durch ihre Kunst etwas, an dem sie sich festhalten und dadurch möglicherweise anders den Umgang mit Krankheit bewältigen können.“ Ein authentisches Beispiel hierfür gibt Gisele Räderscheidt, die hochbetagte Witwe von Anton Räderscheidt (1892 bis 1970), einem der prominentesten Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Wie der gebürtige Kölner nach einem zerebralen Schlaganfall zum künstlerischen Tun zurückfand, beschreibt seine Witwe wie folgt: „Es hat sehr lange gebraucht, ehe er wieder tätig wurde. Ich hatte ihm einen Zeichenblock gekauft und er fing zunächst an, auf den Knien völlig unleserlich zu zeichnen. In vielen kleinen Schritten wurde er wieder künstlerisch tätig. Aber es war ein anderes Leben für ihn als vorher. Ich habe bei meinem Mann den therapeutischen Charakter der Kunst und die Kunst als eine Form der Rehabilitation erlebt. Dies sah auch der behandelnde Arzt so, und so erklärten sich für ihn auch physische Fortschritte wie die, dass sich die starke Beeinträchtigung der Sehkraft auf dem linken Auge therapiert habe.“ Dabei macht Günter Herzog noch auf einen ganz anderen Umstand aufmerksam, der bei Räderscheidt wie bei dem ebenfalls in der Ausstellung vertretenen Lovis Corinth von Bedeutung ist, weil beider Werke von den Nationalsozialisten als „entartet“ gekennzeichnet worden waren: „Die Ausstellung und ihr Thema nehmen damit auch etwas von jenem faden Beigeschmack, mit denen oftmals, besonders in der nationalsozialistischen Zeit, Kunstwerke in Zusammenhang mit Krankheit diskreditiert worden sind.“

Hoch spannend ist aber auch, wie mancher der neun Künstler in seiner Biographie und seinen Werken die Frage nach der über die irdische Welt hinausweisende Botschaft oder Überzeugung aufwirft. Sei es etwa Albrecht Dürer, der sich in einem berühmten Selbstbildnis als Christus stilisiert, weil Gott den Menschen „nach seinem Bilde“ geschaffen hat. Sei es in den Werken von Giovanni Manfredini (Jahrgang 1963), der als junger Mann bei einem Unfall schwerste Brandverletzungen erlitt. „Nur Liebe“ sagt der Italiener auf das Stichwort Lebenswillen. In seinen Arbeiten wird der Umgang mit seinem entstellten Körper und den Schmerzen thematisiert – Werke, die bewusst beim Betrachter die Assoziation zum Leiden eines – oder des? – Gekreuzigten hervorrufen, Werke, die „wie Metamorphosen des Individuums erscheinen“, beschreibt es Kunsthistoriker Boberg. Für Ulrike Damm ist es „mit Sicherheit eine starke spirituelle Dimension“, die Manfredini beeinflusst. Auf das Stichwort „Zukunft“ antwortete ihr der Künstler: „Kurz vor dem Leben, kurz vor dem Nicht-Leben.“

Die Schau will aber nicht plakativ die Schreckensbilder der Krankheit dokumentieren, sondern den kreativen Umgang damit verdeutlichen. Daniel Spoerri (Jahrgang 1930) collagiert beispielsweise die Instrumente der Heilkunst und Katarzyna Kozyra (Jahrgang 1963) arbeitet ihre inzwischen überwundene Krebserkrankung auf. Thomas Ullrich, Vorstandsmitglied der WGZ BANK, betont dabei auch den spannenden Bogen, der in den Alltag des Bankgeschäfts gespannt wird. „Kunst gehört zur Unternehmenskultur unseres Hauses.“ Schließlich seien Kreativität, Innovationskraft und der Blick auf den Menschen nicht nur Elemente der Kunst, sondern auch des Alltags. Ob er auf Dürers „Hieronymus im Gehäuse“ anspielt? Die Darstellung zeigt den Heiligen in der Beschäftigung mit sich selbst, im Einklang mit der Natur und im Bewusstsein des Todes. Fast 500 Jahre alt ist dieser berühmte Kupferstich, der den kreativen, innovativen Umgang mit den existenziellen Facetten des menschlichen Lebens umfasst. Umso spannender ist es beim Rundgang, die weitere Entwicklung in dieser Hinsicht durch die Jahrhunderte vorgeführt zu bekommen. Bis hin zu der mutigen Frage, ob durch diese Kunstwerke möglicherweise eine Ästhetik der Krankheit und des Leidens angenommen werden kann. Bemerkenswert, und vielleicht auch Mut machend, ist der Hinweis des renommierten Kölner Immunbiologen Gerhard Uhlenbruck. Er nannte nach seinem Rundgang durch die Ausstellung Menschen, die sehr bewusst mit ihrem Leiden, zumal dem chronischen umgehen, „genial schmerzhaft“.

Ausstellung bis 12. Dezember, mo bis fr 9 bis 17 Uhr, WGZ BANK Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 20.

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