Leuchtende Pfade zum Kommunismus

Es seien, hörten wir, Wege zum Kommunismus zu beschreiten, um zu wissen, ob das, was man Kommunismus nennen sollte, möglich sei. Hat er sich also vom unbedingten Glaubensbekenntnis – entweder ER oder Barbarei – von ehedem auf diese empiristische Metapher zurückgezogen? Aber auch sie hilft kaum weiter, sie behindert eher klares – kognitives – Verstehen dieses Großidols.
Kommunistisch – was heißt dass? Das Problem, das er sich stellt, ist es, die sogenannte soziale Frage zu lösen, und zwar endgültig! Endgültig, d. h. radikal, d. i. an die Wurzel gehen: damit war nichts Geringeres gemeint, als die Aufhebung des Privateigentums zugunsten des Gemeineigentums in Gang zu setzen. Dadurch soll etwas passieren, was noch nie gemeinschaftlicher guter Wille oder entschlossene Insurrektion zustande gebracht hatten, weder mit Gottesfurcht noch aus Rechtsbegriffen, nämlich daß Menschen satt und sicher, damit freundlich und frei leben könnten auf Erden. Gerade das verkündete und begründete (nach Französischer Revolution und deutschem Vormärz) die Sozialtheorie des Kommunismus. – Der Kommunismus versprach also, sogar noch hundert Jahre später, während der Praxis der Lenin/Stalinschen Sowjet[=Räte]Gesellschaft – etwas entscheidendes, nämlich alle sozialen Ungerechtigkeiten strukturell zu zerstören bzw. zu beheben, um so den Neuen (Kommunistischen) Kategorischen Imperativ zu erfüllen, demzufolge alle Verhältnisse umzustürzen seien, in denen der Mensch ein geknechtetes, beleidigtes und erniedrigtes Wesen ist (Marx). – Es galt also die Macht ein für alle mal zu erringen, um genau dieses Programm zu erfüllen, nämlich alles umzustürzen, und mit ‚alles’ war auch ‚alles’ gemeint, d.h. alles abzuschaffen, was offensichtlich den Menschen von seinesgleichen unterscheidet, sprich: entfremdet (und was diese Entfremdung ideell verklären würde), allem voran die Eigentums-, Kapital- und Geldverhältnisse[1], die damit überkommene Rechtsprechung[2], Handel, Administration, Parlamentarismus[3], natürlich die Kultur dieses ‘Alten’, gleichermaßen das Persönlich-Familäre[4], Alltagskultur wie auch Religion, Kunst oder Philosophie.
Nun sollte allerdings das bis heute verbreitete vegetative Wachhalten des Programms jener sog. sozialen ‘Befreiung’ gar nicht, gewissermaßen nebenbei, zum kognitiven Abusus beim Erinnern an jene gigantischen Bluttaten des ‘Befreiens’ führen. Und es sollte auch nicht – wie es allerdings Stéphane Courtois seit der Veröffentlichung des ‘Schwarzbuches’ gerade in Deutschland erleiden mußte – zur intellektuellen Diskreditierung derer führen, die sich der deprimierenden Erinnerungsarbeit stellen.
Gänzlich ‘schief’ wäre schließlich jede ‘eindämmende’, ‘historisierende’ Argumentation seitens der Freunde des Verewigten (Kommunismus), das ganze Unternehmen der Kommunismuskritik mit einem Hinweis auf die weltweiten Toten des kolonialen, imperialen & globalen Kapitalismus überhaupt in frage stellen zu wollen. Das viele nun auf jene Verbrechen verweisen werden, ist eben leider kein entlastender Hinweis für den Kommunismus. Denn der Kommunismus wollte doch nicht etwa bloß die zweitschlechteste, ‘zweitblutigste’ Menschenordnung sein, sondern eben alle menschengemachte Menschenfeindlichkeit von ehedem gerade überwinden. Was dort zur Kapitallogik und zur Profitmacherei gehören mag, könnte hier doch nur zynisch in Anschlag gebracht werden – Wo gehobelt wird fallen Späne. Die Marktwirtschaften – Wenn jeder für sich gut sorgt, ist schon gut für alle gesorgt – wollten im übrigen auch nie die soziale Ungerechtigkeit beseitigen, sondern höchstens mildern. Gerade mit diesen ‘halben Sachen’ aber konnten sich Kommunisten aller Länder nie abfinden. Lieber war man doch Totengräber der alten Ordnung, als ‘Arzt am Krankenbett des Kapitalismus’.
Die Notwendigkeit, die für die Menschen neu anbrechende Leidenswelt des alltäglichen ökonomischen und kulturellen Scheiterns der Befreiung durch eine alltägliche Lügenwelt (binnensprachlich: ideologische Arbeit) zu überdecken, gehört seither zur Alltagsarbeit jedes sich sozial alternativ zum Kapitalismus verstehenden Lebensversuchs, vom Kriegs- zum Eurokommunismus (von Nordkorea ganz zu schweigen). Kommunismus als übergreifenden Begriff für so unterschiedliche (und sich auch politisch bekämpfende) politische Strömungen wie Bolschewismus, Pol-Potismus, Maoismus, Titoismus, ‘Resozismus’ oder ‘Leuchtender Pfad’ ist erlaubt aus dem einen Grund: Es geht allen um eine Lösung der sozialen Frage unter der Voraussetzung der Negation des Privateigentums. Diese kommunistisch zu nennende Fluchtlinie ins Gemeineigentums aber hat eben immer die Abschaffung der Gesellschaft (als einer auf juristisch gestützten Austausch von Individuen begründeter Lebensform) zugunsten der Gemeinschaft (als einer auf Verteilung beruhenden Lebensform) zur Folge. Diese Abschaffung der (Markt-)Gesellschaft aber ist das, was man kommunistischerseits die Beendigung der Vorgeschichte der Menschheit genannt und betrieben hat. Die Verlaufsformen dieser Radikalen Gesellschaftskritik sind, schon weil sich viele der ‘alten Adame’ wehren werden, genuin mit Taten verbunden, die wir herkömmlich als Verbrechen gegen Sachen, Leib und Leben bezeichnen dürfen.
Die Klage (und das Leiden) angesichts der jüngsten Hinweise auf die – unfaßbaren – Verbrechen des Kommunismus ist bei den Gebildeten unter seinen Anhängern natürlich emotional verständlich. Wird man uns, befürchten sie, die wir gerade auch heute angesichts einer schreiend ungerechten Welt radikale soziale Alternativen ermöglichen wollen, mit Hinweis auf Verbrechen jener blutigen Befreier von einst nun auch Verbrecher nennen dürfen? Das wird zumal im politischen Gerangel umständehalber gewiß geschehen, wäre aber doch praktisch folge- und belanglos. Es gibt im übrigen, und das müssen jene ertragen lernen, mindestens seit der Französischen Revolution, kein Recht auf Revolution, nur durch einigermaßen sichtbar zivilisierte (Rechts-)Folgen ist sie, wenn überhaupt, praktisch-geistig zu rechtfertigen.

[1] Im Kriegskommunismus (bis 1921) wurde in Sowjetrussland das Geld abgeschafft: „Das Geld verlor allmählich jede Bedeutung (…) die neugedruckten Geldzeichen hießen einfach Verrechnungszeichen der Sowjetrepublik.“ (L. Kritsman, Die heroische Periode der Grossen Russischen Revolution [1924], Wien/Berlin 1929, S. 183). [2] Vgl. Jurij Dombrowskij, Die Fakultät unnützer Dinge [1978], Frankfurt/M. 1990.
[3] Mitte Januar 1918 wurde das russische Parlament, die Allrussische Konstituierende Versammlung [die ‚Konstituante’] aus dem Taurischen Palais in St. Petersburg herausgejagt.
[4] „Alle bolschewistischen Ehe- und Erziehungstheoriensind in erster Linie gewaltige Schaltwerke, denen die Aufgabe zufällt, Liebesinstinkte in soziale Energien umzusetzen“, mit der Konsequenz, dass „die starke einzelne Familie mit der proletarischen Klassenherrschaft für unvereinbar gilt.“ (Fedor Stepun, Das Problem der Liebe und die Kulturpolitik Sowjet-Russlands, in: Frank Thiess, Wiedergeburt der Liebe. Die unsichtbare Revolution, Berlin/Wien/Leipzig 1931, 194).

Über Dietzsch Steffen 16 Artikel
Steffen Dietzsch ist Professor für Philosophie und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität Berlin. Er ist Direktor des Kondylis-Instituts für Kulturanalyse und Alterationsforschung (Kondiaf). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kantforschung und -biographik, Philosophie des Deutschen Idealismus und europäische Nietzsche-Rezeption. Zuletzt erschien: "Wandel der Welt, Gedankenexperimente", Heidelberg 2010.

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